TE Vwgh Beschluss 2022/2/24 Ra 2020/06/0069

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Veröffentlicht am 24.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §73 Abs1
AVG §73 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §8 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache des Gemeinderats der Marktgemeinde Großpetersdorf, vertreten durch die Rechtsanwälte Steflitsch OG in 7400 Oberwart, Hauptplatz 14, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 10. Jänner 2020, E GB5/10/2019.020/002, betreffend die Einstellung eines Bauverfahrens (mitbeteiligte Partei: F B in G, vertreten durch Dr. Johannes Schuster und Mag. Florian Plöckinger, Rechtsanwälte in 1020 Wien, Praterstern 2/1.DG; weitere Partei: Burgenländische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die mitbeteiligte Partei ist zur Hälfte Miteigentümer des als „BM - Bauland-gemischtes Baugebiet“ gewidmeten Grundstückes Nr. X, EZ Y, KG G.

2        Am 5. März 2015 beantragte die mitbeteiligte Partei die Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung einer Garage mit zwei Stellplätzen.

3        Der Bürgermeister der Marktgemeinde Großpetersdorf (Bürgermeister) versagte mit Bescheid vom 5. November 2015 die Erteilung der Baubewilligung für das beantragte Vorhaben gemäß dem (Einreich-)Plan Nr. Z (Spruchpunkt I.) und erteilte der mitbeteiligten Partei die Baubewilligung gemäß dem Plan Beilage A zum Protokoll vom 9. September 2015 (Spruchpunkt II.).

4        Mit Schreiben vom 16. November 2015 an den Bürgermeister erklärte die mitbeteiligte Partei, mit dem Bescheid „nicht einverstanden“ zu sein.

5        Der Bürgermeister teilte der mitbeteiligten Partei hierauf mit Schreiben vom 17. November 2015 mit, dass die Eingabe vom 16. November 2015 nicht als Berufung anerkannt werde, weil sie keinen begründeten Berufungsantrag enthalte.

6        In einem Schreiben vom 27. November 2015 führte die mitbeteiligte Partei als Berufungsantrag an: „Besitzstörung, Bauordnung und Seelische Belastung.“

7        Der Bürgermeister setzte die mitbeteiligte Partei sodann mit Schreiben vom 17. Dezember 2015 in Kenntnis, dass die „Beschwerden“ laut dem Schreiben vom 27. November 2015 kein begründeter Berufungsantrag seien und das Berufungsverfahren nicht weitergeführt werde.

8        Am 5. August 2016 reichte die mitbeteiligte Partei mit der Miteigentümerin der Liegenschaft ein Bauansuchen auf Errichtung einer Garage ein, das vom Bürgermeister mit Bescheid vom 14. Dezember 2016 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, weil im Vergleich zum Bauansuchen vom 5. März 2015 nur geringfügige Änderungen vorlägen.

9        Nachdem die Revisionswerberin die dagegen erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 27. März 2017 abgewiesen hatte, hob das Landesverwaltungsgericht Burgenland (Landesverwaltungsgericht) - über Beschwerde der mitbeteiligten Parteien - mit Erkenntnis vom 8. August 2017, E GB5/10/2017.019/002, den Beschluss der Revisionswerberin auf und verwies die Sache zur Erlassung eines neuen Bescheides zurück.

10       Infolge der von der Revisionswerberin dagegen eingebrachten außerordentliche Revision hob der Verwaltungsgerichtshof mit hg. Erkenntnis vom 4. Juli 2019, Ra 2017/06/0210, die angefochtene Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts auf.

11       Im zweiten Verfahrensgang teilte die mitbeteiligte Partei mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2017 mit, das Bauansuchen vom 5. August 2016 aufrechtzuerhalten und konkretisierte dazu im Schriftsatz vom 7. Dezember 2017, dass das Bauansuchen vom 5. März 2015 als zurückgezogen zu werten sei und sich die Behörde nur noch mit dem Bauansuchen vom 5. August 2016 auseinandersetzen müsse.

12       Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes vom 16. Oktober 2019 wurde die Beschwerde der mitbeteiligten Parteien vom 25. April 2017 gegen den Bescheid des Gemeinderats vom 27. März 2017 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen.

13       Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei gemeinsam mit der zweiten Miteigentümerin die zu hg. Ra 2020/06/0051 bis 0052, anhängige außerordentliche Revision; auf den hierüber eingegangenen Beschluss vom heutigen Tag wird gem. § 3 (2) u. (3) VwGG verwiesen;

14       Am 27. November 2019 erhob die mitbeteiligte Partei gegen die Revisionswerberin Säumnisbeschwerde und brachte vor, über ihre Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 5. November 2015, sei bis heute grundlos nicht entschieden worden.

15       Mit dem gegenständlich in Revision gezogenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes gab das VwG der Berufung der mitbeteiligten Partei vom 16. November 2015 Folge, behob den Bescheid des Bürgermeisters vom 5. November 2015 ersatzlos und stellte das Bauvorhaben zufolge der Zurückziehung des Bauansuchens vom 5. März 2015 mit Schriftsätzen vom 2. Oktober 2017 und 7. Dezember 2017 ein.

16       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

18       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

19       Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, eine Entscheidung über die Säumnisbeschwerde habe für die mitbeteiligte Partei keinen rechtlichen Nutzen, was das Landesverwaltungsgericht verkannt habe, welcher die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hierzu missachtet habe. Zudem sei eine Säumnisbeschwerde abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen sei. Es gäbe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob und unter welchen Umständen das wiederholte Vorbringen einer Verfahrenspartei, wonach ein Bescheid erster Instanz „mittlerweile rechtskräftig“ sei, geeignet sei, der Berufungsbehörde das Verschulden für die Nichterledigung einer Berufung zu nehmen. Weiters habe das Landesverwaltungsgericht verkannt, dass der Bürgermeister zu einer Berufungsvorentscheidung nach § 64a AVG abstrakt befugt gewesen sei und seine Erledigungen vom 17. November 2015 und 17. Dezember 2015 deutlich normativen Inhalt aufgewiesen hätten. Das Landesverwaltungsgericht habe hier die höchstgerichtliche Judikatur zum Bescheidcharakter einer Erledigung missachtet.

20       Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG aufgezeigt:

21       In den gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorzubringenden Gründen ist konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 30.9.2020, Ra 2020/06/0170, mwN).

22       Dabei hat die Revisionswerberin konkret darzulegen, dass der der gegenständlich angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt einer der von ihm ins Treffen geführten hg. Entscheidungen gleicht, das Landesverwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und es damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist (vgl. etwa VwGH 5.11.2019, Ra 2018/06/0051 bis 0052, 30.3.2020, Ra 2019/05/0095 bis 0098; 25.6.2019, Ra 2019/05/0079 bis 0081, jeweils mwN).

23       Mit der in der Zulässigkeitsbegründung zur Frage des fehlenden Rechtsschutzinteresses der mitbeteiligten Partei und zum Bescheidcharakter der Erledigung des Bürgermeisters enthaltenen bloß pauschalen Behauptungen, die Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes widerspräche der - nicht näher bezeichneten - ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wird die Begründung für die Zulässigkeit der Revision somit nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl. VwGH 14.4.2020, Ra 2020/06/0088, mwN).

24       Die zur Zulässigkeit aufgeworfene Frage, ob die Behörde in einem konkreten Fall ein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung der Verfahrenserledigung trifft, ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Diese Frage unterliegt somit - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigenden Abwägung - grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Landesverwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. etwa VwGH 30.1.2019, Ra 2018/06/0258, mwN).

25       Eine derartige Fehlbeurteilung ist im Revisionsfall nicht ersichtlich. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Fällen der Verletzung der Entscheidungspflicht zur Frage des überwiegenden Verschuldens der Behörde in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 73 Abs. 2 AVG bzw. nach § 8 Abs. 1 VwGVG nicht im Sinne eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern „objektiv“ zu verstehen sei, als ein solches „Verschulden“ dann anzunehmen sei, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war. Der Verwaltungsgerichtshof hat ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin angenommen, dass diese die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (VwGH 25.10.2017, Ra 2017/07/0073, mwN). Entscheidend ist, ob die notwendigen Ermittlungen im Verfahren innerhalb des Entscheidungszeitraumes vorgenommen werden konnten.

26       Im vorliegenden Fall sind Umstände, in denen ein Verschulden der Partei an der Verzögerung gesehen werden könnte, nicht ersichtlich. Die Revisionswerberin unterlag allenfalls einem Rechtsirrtum, der durch das Vorbringen der mitbeteiligten Partei ausgelöst wurde, war aber - trotz dieses Vorbringens - nicht an einer Entscheidung gehindert.

27       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 24. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020060069.L00

Im RIS seit

18.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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