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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. Februar 1996, Zl. MA 65-8/440/95, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 verfügt, daß ihm für die Dauer von 24 Monaten (vom 16. August 1995 bis 16. August 1997) keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe; allfällige Haftzeiten seien in diese Zeit nicht einzurechnen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die belangte Behörde ging davon aus, daß der Beschwerdeführer am 27. Dezember 1994 mehrere gerichtlich und verwaltungsbehördlich strafbare Handlungen begangen habe. Zum einen habe er sich der Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 StGB und der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Z. 2) StGB schuldig gemacht. Deswegen sei er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Mai 1995 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden (bedingt nachgesehen unter einer Probezeit von 3 Jahren). Zum anderen habe er gegen folgende Bestimmungen der StVO 1960 verstoßen:
§ 5 Abs. 1, § 9 Abs. 1, § 11 Abs. 3 (fünfmal), § 20 Abs. 1 iVm
§ 52 Z. 10 lit. a (zweimal), § 38 Abs. 5, § 52 Z. 2, § 97 Abs. 5 (dreimal). Der Beschwerdeführer sei auch hiefür rechtskräftig bestraft worden. Auf das Berufungsvorbringen in der Schuldfrage ging die belangte Behörde mit dem Hinweis auf die bindende Wirkung der von ihr angenommenen rechtskräftigen Bestrafung des Beschwerdeführers nicht ein. Aus dem als erwiesen angenommenen strafbaren Verhalten zog die belangte Behörde den Schluß auf die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers für die aus dem Spruch des angefochtenen Bescheides ersichtliche Zeit.
Der Beschwerdeführer bringt vor, die belangte Behörde sei zu Unrecht von seiner rechtskräftigen Bestrafung durch die Verwaltungsbehörde ausgegangen. Infolge ihrer verfehlten Annahme von Bindung habe die belangte Behörde die Aufnahme der von ihm beantragten Beweise wie auch jegliche Auseinandersetzung mit seinem (die ihm angelasteten Verwaltungsübertretungen bestreitenden) Berufungsvorbringen unterlassen.
Die belangte Behörde räumt ein, daß bei Erlassung ihres Bescheides eine rechtskräftige Bestrafung nicht vorgelegen sei. Sie ist somit zu Unrecht vom Vorliegen sie bindender rechtskräftiger Straferkenntnisse ausgegangen. Aufgrund dieser unrichtigen Annahme hat sie es unterlassen, ein Ermittlungsverfahren betreffend die dem Beschwerdeführer angelasteten Verwaltungsübertretungen vom 27. Dezember 1994 durchzuführen und diesbezüglich - auf einer nachvollziehbaren Begründung beruhende - Sachverhaltsfeststellungen zu treffen.
Die belangte Behörde vertritt in ihrer Gegenschrift die Auffassung, der unterlaufene Verfahrensmangel sei nicht wesentlich, weil der Unabhängige Verwaltungssenat Wien am 10. Mai 1996 nach Schluß der Verhandlung mit mündlich verkündetem Bescheid das erstinstanzliche Straferkenntnis bestätigt habe (mit Ausnahme der Verstöße gegen die §§ 9 Abs. 1, 20 Abs. 1 iVm 52 Z. 10a, 52 Z. 2 StVO 1960) und somit insoweit Rechtskraft eingetreten sei.
Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß der Verwaltungsgerichtshof die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nach der zum Zeitpunkt seiner Erlassung bestehenden Sach- und Rechtslage zu prüfen hat. Nach Erlassung des angefochtenen Bescheides eingetretene Sachverhaltsänderungen sind für die Frage, ob ein Verfahrensmangel wesentlich ist, ohne Bedeutung (vgl. das einen gleichgelagerten Sachverhalt betreffende hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1996, Zl. 95/11/0356).
Da zu diesem Zeitpunkt keine die belangte Behörde bindende rechtskräftige Entscheidung der Verwaltungsstrafbehörde vorgelegen ist, die belangte Behörde aber - aufgrund eines mangelhaften Verfahrens - Bindung angenommen hat, ist der Sachverhalt in wesentlichen Punkten unvollständig geblieben. Ob die belangte Behörde im fortzusetzenden Verfahren allenfalls vom Vorliegen einer bindenden Vorfragenentscheidung auch hinsichtlich der Verwaltungsübertretungen ausgehen kann, wird sie nach der bei Erlassung des Ersatzbescheides bestehenden Sach- und Rechtslage zu beurteilen haben.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich noch zu folgender Bemerkung veranlaßt: Aufgrund der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers nach § 89 (§ 81 Z. 2) StGB ist zwar bindend vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache iSd § 66 Abs. 1 KFG 1967 (Lenken eines KFZ in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand) auszugehen. Dieser Umstand vermag aber, weil es sich nach der Aktenlage um das erste Alkoholdelikt des Beschwerdeführers handelt, selbst unter Bedachtnahme auf die rechtskräftige Verurteilung nach § 269 StGB den bekämpften Entziehungsbescheid in Ansehung der Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 mit 24 Monaten nicht zu tragen. Eine Bestätigung des Entziehungsausspruchs allein kommt wegen der Untrennbarkeit der beiden Aussprüche nicht in Betracht (vgl. dazu näher das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11 237/A).
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil an Stempelgebührenersatz nur S 420,-- (S 360,-- Eingabengebühr für die Beschwerde und S 60,-- Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zuerkannt werden konnten.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel Sachverhalt Verfahrensmängel Sachverhalt Vorfrage Trennbarkeit gesonderter AbspruchEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996110105.X00Im RIS seit
19.03.2001