Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 14.881,86 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 1. Juni 2021, GZ 5 R 187/20i-26, mit dem das Endurteil des Landesgerichts Leoben vom 23. Oktober 2020, GZ 8 Cg 27/20m-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 913,80 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – nicht zulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[2] 1. Die Ausführungen des Revisionswerbers sind insgesamt unübersichtlich und teilweise schwer verständlich. In seinem Rechtsmittelschriftsatz, der sowohl den Antrag auf Zulassung samt der ordentlichen Revision und einen „ordentlichen Revisionsrekurs“ gegen den zu 5 R 18/20m-17 ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts Graz enthielt, erfolgt weder eine Trennung der Ausführungen, die die Revision, von jenen, die den Revisionsrekurs betreffen, noch eine klare Zuordnung zu den angezogenen Rechtsmittelgründen.
[3] Der Kläger, gegen den als Alleingeschäftsführer einer GmbH ein (letztlich eingestelltes) Verfahren wegen Abgabenhinterziehung geführt wurde, beharrt darin auf seiner ihm schon durch beide Vorinstanzen ausführlich als unrichtig vor Augen geführten Rechtsansicht, es hätte in jedem Fall der Verwaltungsgerichtshof zur Prüfung der Rechtswidrigkeit der „Vorgehensweise der Finanzstrafbehörde“ angerufen werden müssen. Er spricht damit die Präjudizialität einer allfälligen Rechtswidrigkeit des (von ihm in der Revision zwar in der Einzahl, sonst aber nicht näher bezeichneten) Bescheids an, womit die rechtliche Beurteilung in der Hauptsache betroffen (und darauf bei Prüfung der Zulässigkeit der Revision einzugehen) ist.
[4] 2. Der (unbekämpft in Rechtskraft erwachsene) Abgabenbescheid wurde gegenüber der Gesellschaft erlassen und bindet daher auch nur diese. Der Kläger, der den Ersatz der Kosten seiner rechtlichen Vertretung im Finanzstrafverfahren (als Rettungsaufwand) begehrt, könnte seinen Anspruch (nicht auf einen allenfalls unrichtigen Abgabenbescheid gegenüber der Gesellschaft, sondern) nur auf eine unvertretbare Einleitung (und Fortsetzung) des gegen ihn geführten Finanzstrafverfahrens gründen.
[5] Grundsätzlich sei dazu vorangestellt, dass auch ein allenfalls rechtswidriger Bescheid (im vorliegenden Fall kann sich dies [nur] auf den Bescheid über die Einleitung des Finanzstrafverfahrens vom 4. 5. 2015 beziehen) nicht zwingend, wie der Kläger meint, Amtshaftung nach sich zieht (vgl nur 1 Ob 183/13p). Beruht die Entscheidung auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung begründet die bloße Unrichtigkeit der Entscheidung für sich keine Amtshaftung (s RIS-Justiz RS0049955 [T2 T5, T7]; RS0050216 [T4, T7]). Nur bei unvertretbarer Rechtsanwendung können – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen (so etwa Kausalität für den entstandenen Schaden und das Fehlen eines Verstoßes gegen die Rettungspflicht) – Amtshaftungsansprüche bestehen (RS0049955 [T28]). In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Höchstgerichts haben die Vorinstanzen daher – vor einem allfälligen Vorgehen nach § 11 Abs 1 AHG – die Vertretbarkeit der dem Einleitungsbescheid (bzw der gleichlautenden Verständigung vom 25. 8. 2016) zugrundegelegten Rechtsansicht des zuständigen Finanzamts geprüft (vgl RS0050218; RS0050237). Eine allfällige Unrichtigkeit des (vom Kläger als Geschäftsführer der GmbH) unbekämpft gelassenen Abgabenbescheids wäre ohne Bedeutung für das Verfahren, weil die Finanzbehörde anlässlich der Einleitung des (Straf-)Verfahrens über die Abgabenhinterziehung gehalten war, den dem Kläger vorgeworfenen Tatbestand selbständig zu prüfen (VwGH 2011/16/0238 mwN).
[6] 3. Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung ist nach ständiger Rechtsprechung von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb grundsätzlich einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0049955 [T10]; RS0110837). Dem Obersten Gerichtshof kommt bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte fallenden Rechtsmaterien (hier: Einleitung eines verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens wegen Abgabenhinterziehung) auch keine Leitfunktion zu (RS0116438). Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen die Vertretbarkeit des Vorgehens des zuständigen Finanzamts ohne klare Fehlbeurteilung bejaht. Selbst wenn „der Bescheid“ (wobei der Revisionswerber, der diesen nicht näher bezeichnet, den Abgabenbescheid ansprechen dürfte, zu dem er im Verfahren erster Instanz die Antragstellung nach Art 133 Abs 2 B-VG gemäß § 11 Abs 1 AHG ausdrücklich gefordert hatte) rechtswidrig gewesen wäre, läge darin – wie bereits dargelegt – kein entscheidungswesentlicher Umstand.
[7] 4. Der Kläger hält auch noch in dritter Instanz an seinem Missverständnis fest, es müsse seine Amtshaftungsklage schon wegen des „Freispruchs“ (das Verfahren wurde durch den Spruchsenat des zuständigen Finanzamts eingestellt) „jedenfalls erfolgreich“ sein, sei doch damit – bindend – festgestellt, dass er das behauptete Finanzvergehen nicht begangen habe.
[8] Auf die bloße Tatsache der Einstellung kommt es im Amtshaftungsprozess aber nicht an; für eine Bindung der Amtshaftungsgerichte gibt es keine Rechtsgrundlage. Hier ist nicht die Frage zu lösen, ob der Kläger das ihm vorgeworfene Finanzvergehen begangen hat, sondern ob die Einleitung des Verfahrens und dessen Fortsetzung, die zum eingeklagten Kostenaufwand führten, (ex ante betrachtet und auf Basis der damals bekannten Umstände) rechtswidrig und schuldhaft erfolgten. Dazu ist vor allem auf die (damalige) Verdachtslage abzustellen, die sich naturgemäß von der Beurteilungsgrundlage der späteren Entscheidung – etwa aufgrund von erst danach zu Tage geförderten Beweismitteln und den daraus ableitbaren Erkenntnissen (wie auch im vorliegenden Fall) – maßgeblich unterscheiden oder aber auch nur anders bewertet werden kann (kann doch die Überzeugungskraft einzelner Beweise letztlich [und jeweils mit guten Gründen] anders eingeschätzt werden). Dass die ihm vorgehaltene „KESt-Schuld niemals entstehen konnte“ (sondern, wie er behauptet, allenfalls Lohnsteuer angefallen wäre), mag auf Basis des vom Kläger – allerdings erst später im Rahmen des Finanzstrafverfahrens vorgetragenen – Sachverhalts einer Darlehensgewährung (die im Übrigen auch einem Fremdvergleich standzuhalten hätte) und von Malversationen eines Mitarbeiters der Gesellschaft (und deren Bewertung als glaubwürdig) zutreffen. Dies vermag aber – wie ihm ebenfalls bereits erläutert wurde – nichts daran zu ändern, dass ausgehend von den zur Zeit der Einleitung des Verfahrens vorliegenden Erkenntnissen zumindest in Bezug auf die Verschlechterung des Stands seines „Verrechnungskontos“ im Jahr 2012 und des Kassafehlbestands (der nach den Ermittlungen des Prüfberichts [der auch auf den Angaben des Klägers selbst beruhte] auf „private Barentnahmen“ des Klägers zurückging) die Annahme des Finanzamts, es liege eine verdeckte Ausschüttung (an einen nahen Angehörigen des Gesellschafters) vor, von den Vorinstanzen ohne Korrekturbedarf als eine bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbare Gesetzesauslegung beurteilt wurde. Auf die dafür vom Berufungsgericht herangezogene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geht der Revisionswerber gar nicht ein und kann daher auch deshalb eine erhebliche Rechtsfrage nicht aufzeigen (zur Beurteilung von Zuwendungen an einen Geschäftsführer, der nicht selbst Gesellschafter, aber der Bruder eines Gesellschafters ist, als Fall einer [KESt-pflichtigen] verdeckten Ausschüttung s nur VwGH Ro 2016/15/0021).
[9] 5. Eine solche liegt auch nicht darin, dass das Berufungsgericht davon ausging, dass der mit der Klage begehrte (nach den AHK abgerechneten) Rettungsaufwand durch den (möglicherweise von vorneherein unberechtigten) Vorwurf von teilweise „unter Umständen“ schon verjährten Abgaben- bzw Finanzvergehen wegen der für solche Verfahren gemäß den AHK einheitlichen Bemessungsgrundlage nicht beeinflusst wurde. Der Kläger sieht darin eine Überraschungsentscheidung, also eine Verletzung der Erörterungspflicht (§ 182a ZPO). Beim Vorwurf eines solchen Verfahrensfehlers muss er aber als Rechtsmittelwerber durch die Anführung jenes Vorbringens, das er aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte, die Erheblichkeit des angeblichen Verfahrensmangels darlegen (vgl RS0120056 [T2, T8, T12]; RS0037325 [T5]). Er behauptet aber nur, dass er bei einer Verfolgung wegen eines fehlenden KESt-Betrags in Höhe von 4.300 EUR (beruhend bloß auf der Erhöhung des Saldos des Verrechnungskontos im Jahr 2012 im Vergleich zu dessen Saldo im Jahr 2011) „jegliche Verteidigung unterlassen“ hätte. Dabei übergeht er die ihm vorgeworfene Abgabenhinterziehung zu dem auf dem (viel höheren) Kassafehlbestand beruhenden Betrag, wozu er nicht darlegt, warum insoweit bereits Verfolgungsverjährung eingetreten gewesen sein sollte. Dass er sich auch gegen die Verfolgung wegen Abgabenhinterziehung in Bezug auf den daraus resultierenden vielfach höheren KESt-Betrag nicht zur Wehr gesetzt hätte, behauptet er nicht; welche Leistungen zu welchem Stundensatz mit welchem Betrag abgerechnet worden wären, legt er nicht dar. Darauf, dass der Schädiger grundsätzlich verlangen kann, dass er Ersatz für Rettungsaufwand (nur) in angemessener Höhe leisten muss (RS0022802 [T4] = RS0027043 [T13]) und auf die sich daraus ergebende Kürzung von nach einer Stundensatzvereinbarung abgerechneten Anwaltskosten, wenn sie im konkreten Einzelfall den angemessenen Aufwand (nach den AHK) übersteigen (RS0022802 [T5] = RS0027043 [T14]), kann abschließend verwiesen werden.
[10] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen hat, steht ihr der Ersatz der Kosten der als zweckentsprechend anzusehenden Revisionsbeantwortung zu (RS0112296).
Textnummer
E133727European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00206.21G.1214.000Im RIS seit
08.02.2022Zuletzt aktualisiert am
08.02.2022