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96/01 Bundesstraßengesetz 1971Norm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litaLeitsatz
Zurückweisung eines Gerichtsantrags; mangelnde Präjudizialität von Bestimmungen des BundesstraßenG 1971 betreffend Ausnahmen von der Genehmigungspflicht für Straßenbauprojekte nach Zurückziehung der verfahrenseinleitenden Anträge auf Enteignung von Grundstücken vor dem VerwaltungsgerichtSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Verwaltungsgericht Wien, §4 Abs2 Bundesgesetzes vom 16. Juli 1971, betreffend die Bundesstraßen (Bundesstraßengesetzes 1971 – BStG 1971), BGBl 286, idF BGBl I 154/2004, in eventu das Wort "Jedenfalls" und die Wortfolge "Rampenverlegungen, die Errichtung von zusätzlichen Einzelrampen bei bestehenden Knoten oder Anschlussstellen" in §4 Abs2 BStG 1971, BGBl 286, idF BGBl I 154/2004 sowie die Wortfolge "Abs1" in §7a Abs1 BStG 1971, BGBl 286, idF BGBl I 58/2006 als verfassungswidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesstraßengesetzes 1971 – BStG 1971, BGBl 286, idF BGBl I 156/2021 lauten wie folgt (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"Bestimmung des Straßenverlaufes, Ausbau und Auflassung von Straßenteilen
§4. (1) Vor dem Bau einer neuen Bundesstraße oder ihrer Teilabschnitte oder vor der Zulegung einer zweiten Richtungsfahrbahn oder vor Ausbaumaßnahmen sonstiger Art an Bundesstraßen hat die Bundesministerin bzw der Bundesminister für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie über Antrag des Bundes (Bundesstraßenverwaltung) unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen der §§7 und 7a, die Umweltverträglichkeit und die Erfordernisse des Verkehrs, darüber hinaus die funktionelle Bedeutung des Straßenzuges sowie unter Bedachtnahme auf die Ergebnisse der Anhörung (Abs5) den Straßenverlauf im Rahmen der Verzeichnisse durch Festlegung der Straßenachse, im Falle eines Ausbaues durch Beschreibung, beides auf Grundlage eines konkreten Projektes, durch Bescheid zu bestimmen. Hiezu können im Bescheid die erforderlichen Auflagen, Bedingungen und Befristungen vorgeschrieben werden. Dieser Bescheid hat dingliche Wirkung und tritt außer Kraft, wenn nicht binnen 10 Jahren ab Rechtskraft mit wesentlichen Baumaßnahmen zur Errichtung begonnen wurde. Wenn dies zweckmäßig erscheint, kann die Verwirklichung des Straßenbauvorhabens über Antrag in Abschnitten genehmigt werden.
[…]
(2) Jedenfalls keine Ausbaumaßnahmen sonstiger Art sind:
Schutzbauten zur Beseitigung von Gefahrenbereichen oder Umlegungen, die durch Katastrophenfälle oder Brückenneubauten bedingt werden, die Errichtung zusätzlicher Parkplätze mit weniger als 750 Stellplätzen, die Errichtung zusätzlicher Betriebe gemäß §27 mit einer Flächeninanspruchnahme von weniger als 5 ha, die Zulegung von Kriechspuren, Rampenverlegungen, die Errichtung von zusätzlichen Einzelrampen bei bestehenden Knoten oder Anschlussstellen, Änderungen der Straßenachse oder der Nivelette um weniger als 5 m, Anlagen für den Straßenbetrieb und Umweltschutzmaßnahmen. Die Errichtung von sonstigen Betrieben gemäß §27, die Zulegung weiterer Fahrstreifen und Änderungen der Nivelette, die nicht der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen, sind auch keine Ausbaumaßnahmen sonstiger Art.
[…]"
"Subjektiver Nachbarschutz
§7a. (1) Eine Bestimmung des Straßenverlaufes nach §4 Abs1 ist nur zulässig, wenn bei Bau und Betrieb der Bundesstraße vermieden wird,
a) dass das Leben und die Gesundheit von Nachbarn gefährdet werden und
b) dass das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn gefährdet werden.
[…]"
III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Zum Zwecke der baulichen Adaptierung eines näher bestimmten Straßenstückes wurden mit Schriftsätzen vom 30. Mai 2018 gemäß §§17 ff. BStG 1971 die Enteignungen näher bezeichneter Grundstücke beantragt. In Entsprechung der Enteignungsanträge ergingen am 23. Dezember 2019 die vor dem Verwaltungsgericht Wien im Anlassverfahren bekämpften Enteignungsbescheide des Landeshauptmannes von Wien. In den gegen die Enteignungsbescheide erhobenen Beschwerden wird die Notwendigkeit der erfolgten Enteignungen bestritten, weil keine Genehmigung für das Straßenbauprojekt vorliege und dessen Realisierung daher ungewiss sei.
2. Im Zuge der Behandlung der Beschwerden sind beim antragstellenden Gericht Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des §4 Abs2 BStG 1971 entstanden. Die Bestimmung normiert Ausnahmen von der in §4 Abs1 leg cit vorgesehenen Genehmigungspflicht für Straßenbauprojekte. Laut Auskunft der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie sei das den Enteignungsbescheiden zugrunde liegende Straßenbauprojekt vom Ausnahmetatbestand des §4 Abs2 leg cit erfasst, sodass keine Genehmigung im Sinne des §4 Abs1 leg cit erforderlich sei. Die angefochtene Bestimmung sei nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes Wien präjudiziell, weil es zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Enteignungsbescheide zu prüfen habe, ob eine allenfalls erforderliche Genehmigung des zugrunde liegenden Straßenbauprojektes vorliege, andernfalls die Enteignungen unzulässig seien.
3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag des Verwaltungsgerichtes erhobenen Bedenken entgegentritt.
4. Die beschwerdeführenden Parteien des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht haben als beteiligte Parteien eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Gerichtes anschließen. Die – die Enteignung beantragt habende – Partei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren tritt als beteiligte Partei in ihrer dem Verfassungsgerichtshof übermittelten Stellungnahme den Bedenken im Antrag des Verwaltungsgerichtes entgegen.
5. Das Verwaltungsgericht Wien hat eine Replik erstattet, in der es darauf hinweist, dass die Ausführungen der Bundesregierung die dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht im Kern zu erschüttern vermochten.
6. Mit Schriftsatz vom 6. Mai 2021 hat die – damalig die Enteignungsanträge stellende – beteiligte Partei bekannt gegeben, dass die verfahrenseinleitenden Enteignungsanträge allesamt mit Schreiben vom selben Tag an das Verwaltungsgericht Wien zurückgezogen worden seien, da die Grundstücke mittlerweile einvernehmlich hätten erworben werden können. Dadurch entfalle im Anlassverfahren die Präjudizialität der vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Bestimmung.
7. Über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht Wien mitgeteilt, dass es weiterhin vom Vorliegen der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung ausgehe und daher seinen Gesetzesprüfungsantrag aufrechterhalten werde. Begründend wird wie folgt ausgeführt:
"Der Umstand der Antragszurückziehung durch die ASFINAG hat nach Rechtsauslegung des antragstellenden Gerichts weder Einfluss auf die Präjudizialität der beim Verwaltungsgericht Wien anhängigen Verfahren noch auf die sachliche und rechtliche Gebotenheit der Einbringung und Aufrechterhaltung des gegenständlichen Gesetzesprüfungsantrags.
Auch nach Einlangen des dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Antragszurückziehungsschriftsatzes der ASFINAG hat das Verwaltungsgericht Wien gleichermaßen zu prüfen, ob über die Beschwerde ein verfahrensrechtlicher Bescheid (Zurückweisungsbescheid) zu ergehen hat, oder aber meritorisch in der Sache zu entscheiden ist. Nach der vorläufigen Sichtweise des Verwaltungsgerichts Wien hat dieses auch weiterhin – daher auch nach Einlangen des gegenständlichen Antragszurückziehungsantrags – eine meritorische Sachentscheidung zu treffen, und daher über den gegenständlich bekämpften Bescheid abzusprechen, welcher insbesondere in Anwendung der §§4 und 7a Bundesstraßengesetz 1971 (BStG) ergangen ist.
Weiterhin ist daher die bekämpfte erstinstanzliche Entscheidung daran zu messen, ob diese überhaupt aufgrund eines diese Entscheidung begründenden Antrags ergangen ist. Erst im Falle der Bejahung dieser Vorfrage darf das antragstellende Gericht auch prüfen, ob und bejahendenfalls in welcher Hinsicht die gegenständliche Antragszurückziehung eine Relevanz für die konkreten Beschwerdeverfahren hat. Mit der Antragszurückziehung wurde nämlich in keinerlei Hinsicht die Anhängigkeit der Anlassverfahren beseitigt (wie dies etwa bei einer Beschwerdezurückziehung durch den Beschwerdeführer des verfahrensgegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens der Fall wäre).
Selbst wenn das antragstellende Gericht höchstwahrscheinlich zum Ergebnis zu gelang[]en hat, aufgrund dieses Antragszurückziehungsantrags die bekämpften erstinstanzlichen Bescheide zu beheben, haben diese Bescheide weiterhin gravierende Rechtswirkungen gezeitigt und bleibend ausgelöst. Mit dem Antragszurückziehungsantrag werden daher die Rechtsfolgen der gegenständlich bekämpften Enteignungsbescheide nur partiell beseitigt. Insbesondere ist weiterhin für die Beschwerdeführer von höchster Relevanz, ob die Enteignungsbescheide rechtmäßig ergangen sind, und ob diese daher aufgrund dieser Bescheiderlassungen zu Recht zu den durch die Enteignungsbescheiden bewirkten Beschränkungen der eigenen Verfügungsgewalt und bewirkten gravierenden Vermögensnachteile gehalten gewesen sind.
Zudem ist zu gewärtigen, dass es durch diese Antragszurückziehungen zu keiner endgültigen Streitbereinigung gekommen ist; vielmehr muss sogar vom Verdacht der rechtsmissbräuchlichen Antragszurückziehung ausgegangen werden, um das gegenständliche Gesetzesprüfungsverfahren niederzuschlagen, wissend, dass nach Einstellung des Gesetzesprüfungsverfahrens und dem Abschluss der anhängigen Beschwerdeverfahren unverzüglich der gegenständliche Enteignungsantrag neuerlich gestellt zu werden vermag.
Es liegt daher mit hoher Wahrscheinlichkeit gegenständlich seitens der ASFINAG der vom Verfassungsgesetzgeber denkunmöglich geduldete Rechtsmissbrauch vor, so lange Enteignungsanträge zu stellen und diese wieder zurückzuziehen, bis die berechtigten Beschwerden der Enteigneten vor einen willfährigen bzw genehmen Richter landen. Schon diese offenkundige Rechtsmissbrauchsintention gebietet es, die Vorgaben des Art140 B-VG zur Präjudizialität dahingehend auszulegen, dass durch die bloße Zurückziehung eines verfahrenseinleitenden Antrags, bei einer Rechtslage, welche jederzeit den Antragsteller zur neuerlichen identen Antragstellung (und damit Verpflichtung der Behörde zur Anwendung derselben als verfassungswidrig eingestuften Rechtsnorm) berechtigt, diese Zurückziehung keinesfalls zum Wegfall einer vor der Antragszurückziehung bestanden habenden Präjudizialität i.S.d. Art140 B-VG führt.
Es kann nicht so sein, dass man solange einen verfahrenseinleitenden Antrag zurückziehen darf, bis der Antragssteller es erreicht, dass über die Beschwerde gegen den aufgrund seines Antrags (auf Grundlage einer verfassungswidrigen Norm) ergangenen Bescheids ein Richter entscheidungszuständig ist, welcher sich nicht die Mühe der Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags macht.
Im Übrigen ist aber zu erinnern, dass das antragstellende Gericht ohnedies weiterhin meritorische Erkenntnisse in den bezughabenden Beschwerdeverfahren zu treffen hat, und folglich verfahrensrechtlich überhaupt keine Änderung der Sache des Verfahrens i.S.d. §66 Abs4 AVG eingetreten ist. Der Antragszurückziehungsantrag hat daher zu keiner Änderung der 'Sachen i.S.d. §66 Abs4 i.V.m. §28 VwGVG' in den gegenständlichen Beschwerdeverfahren bewirkt. Folglich wurde damit auch keinerlei auf die diesen Verfahren durch die bekämpften Bescheide zugrunde gelegte 'Sache' und damit Präjudizialität von Gesetzesbestimmungen bewirkt.
Dies ist nach Ansicht des antragstellenden Gerichts der maßgebliche Unterschied des Vorliegens der gegenständlichen Sachlage, zu den Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs, in welchen dieser infolge Zurückziehung des verfahrensbestimmenden Rechtsmittels vom Wegfall der Präjudizialität ausgeht (vgl etwa VfSlg 9755/1983; 11.190/1986; 11.282/1987; 11.316/1987; 14.768/1997). In diesen Fällen bewirkt nämlich die Antragszurückziehung den Eintritt der Rechtskraftwirkung, sodass die dem Verfahren zugrundeliegende Rechtssache als entschiedene Sache dauerhaft entschieden ist, und daher nicht mehr beliebig wieder zum Gegenstand eines hoheitlichen Entscheidungsverfahrens gemacht werden kann.
Zudem sei daran erinnert, dass auch nach der ständigen verfassungsgerichtlichen Judikatur der Präjudizialitätsbegriff des Art140 B-VG sehr weit gefasst wird, und daher etwa nicht gefordert wird, dass die im Gesetzesprüfungsantrag geltend gemachte Verfassungswidrigkeit eine Relevanz für die konkrete Entscheidung in dem, dem Gesetzesprüfungsantrag zugrunde liegenden Gerichtsverfahren hat (vgl etwa VfSlg 4469/1963 und 15.436).
Wenn daher selbst dann, wenn die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit keine Auswirkung auf das gerichtliche Verfahrensergebnis haben kann, von der Zulässigkeit und Berechtigtheit eines Gesetzesprüfungsantrags auszugehen ist, muss umso mehr im Größenschluss gefolgert werden, dass in einem Verfahren, dessen 'Sache' i.S.d. §66 Abs4 AVG durch die Zurückziehung des verfahrensleitenden Antrags unbeeinträchtigt aufrecht bleibt, die Zurückziehung des verfahrensleitenden Antrags ebenso nicht die Folge der Unzulässigkeit und Unberechtigtheit des Gesetzesprüfungsantrags haben kann.
Im Übrigen wird mit geteilt, dass seit Übermittlung des mit Schriftsatz vom 30.8.2020 vorgelegten Aktenkonvoluts – abgesehen von mehreren Schriftsätzen des Verfassungsgerichtshofs – zu den verfahrensgegenständlichen Verfahren lediglich ein mit 6.5.2021 datiertes Schreiben der ASFINAG eingelangt ist, welches ohnedies auch dem Verfassungsgerichtshof vorgelegt worden ist, und welches – wie zuvor dargelegt – nach Rechtsauslegung des beantragenden Gerichts für die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit und die geforderte Präjudizialität ohne Relevanz ist."
8. Die zunächst die Enteignungen veranlassende, beteiligte Partei tritt der Rechtsansicht des antragstellenden Gerichtes in ihrer Äußerung vom 24. August 2021 entgegen und führt zusammengefasst aus, die zulässige Zurückziehung der verfahrenseinleitenden Enteignungsanträge habe den Wegfall der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde zur Erlassung der Enteignungsbescheide und damit deren (nachträgliche) Rechtswidrigkeit zur Folge. Das Verwaltungsgericht habe die angefochtenen Bescheide aus diesem Grund ersatzlos zu beheben. Eine Entscheidung in der Sache sei somit ausgeschlossen, sodass die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung nicht mehr gegeben sei. Das Verwaltungsgericht Wien sei zur unverzüglichen Zurückziehung des Normprüfungsantrages verpflichtet, widrigenfalls der Antrag vom Verfassungsgerichtshof als unzulässig zurückzuweisen sei.
9. In einer weiteren Stellungnahme vom 7. September 2021 weist das antragstellende Gericht darauf hin, dass die Zurückziehung der verfahrenseinleitenden Anträge zu keiner Änderung des Verfahrensgegenstandes geführt habe. Dementsprechend seien nach wie vor alle Rechtsnormen, auf deren Grundlage die erstinstanzlichen Bescheide erlassen worden seien, Gegenstand des Verfahrens. Soweit (konkludent) vorgebracht werde, die Aufhebung der angefochtenen Rechtsvorschrift hätte keinen Einfluss auf das Anlassverfahren, sei dem zu entgegen, dass dies für die Frage des Vorliegens der Präjudizialität nicht von Belang sei.
IV. Erwägungen
1. Der Antrag ist unzulässig.
2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
3. Das Verwaltungsgericht Wien vertritt die Ansicht, dass die Zurückziehung der dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegenden Enteignungsanträge nichts an der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung ändere und es nach vorläufiger Annahme dennoch eine meritorische Entscheidung zu treffen habe. Damit ist das Verwaltungsgericht Wien jedoch nicht im Recht:
3.1. Mit Schriftsatz vom 6. Mai 2021 hat die beteiligte Partei die dem Verfahren zugrunde liegenden Enteignungsanträge zurückgezogen. Die Zurückziehung eines Antrages ist so lange zulässig, als dieser noch unerledigt ist und daher noch zurückgezogen werden kann (VwSlg 18.668 A/2013). Ist ein verfahrenseinleitender Antrag auf ein durch Bescheid abzuschließendes Verfahren gerichtet, so ist die Zurückziehung bis zur Bescheiderlassung, im Fall eines dagegen erhobenen Rechtsmittels bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel möglich (vgl statt vieler etwa VwGH 25.6.2021, Ro 2019/05/0018, mwN sowie zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 VfSlg 15.660/1999). Die Zurückziehung der Anträge erfolgte somit rechtzeitig.
3.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bewirkt die Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages im Rechtsmittelverfahren den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheides und somit (nachträglich) dessen Rechtswidrigkeit. Das Rechtsmittelgericht hat in der Folge den bekämpften Bescheid aus diesem Grund ersatzlos zu beheben (vgl etwa VwSlg 12.599 A/1987 und 18.769 A/2014 sowie VwGH 21.12.2016, Ra 2016/04/0127; 31.1.2019, Ra 2018/22/0086). Die inhaltliche Erledigung des verfahrenseinleitenden Antrages ist mit dessen rechtzeitiger und zulässiger Zurückziehung ausgeschlossen (VwGH 25.6.2021, Ro 2019/05/0018 mwN).
3.3. Vor diesem Hintergrund kann der Ansicht des antragstellenden Gerichtes, die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung werde von der Antragszurückziehung nicht berührt, nicht gefolgt werden. Da dem Verwaltungsgericht eine meritorische Erledigung der Sache infolge der Zurückziehung der Enteignungsanträge verwehrt ist, ist es auszuschließen, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung im Anlassfall bildet.
3.4. Insofern das Verwaltungsgericht Wien von einer rechtsmissbräuchlichen Antragszurückziehung ausgeht, ist darauf hinzuweisen, dass es auf die Motive des Antragstellers für die Zurückziehung seines Antrages nicht ankommt (vgl VwGH 24.6.2014, 2011/05/0098).
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, VfGH / Gerichtsantrag, Bundesstraße, EnteignungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:G308.2020Zuletzt aktualisiert am
27.01.2022