TE Vfgh Beschluss 2021/10/6 G366/2020

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Veröffentlicht am 06.10.2021
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
ASVG §236 Abs4b
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des ASVG mangels Legitimation; kein Wegfall der belastenden Rechtswirkung bei Aufhebung der bekämpften Norm betreffend die Verminderung der Pension bei vorzeitigem Pensionsantritt

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG begehrt der am 16. Dezember 1955 geborene Antragsteller, der seit 1. Jänner 2019 eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer mit Abschlägen von 10,2 % wegen seines Pensionsantrittes 24 Monate vor dem Erreichen des Regelpensionsalters bezieht, §236 Abs4b ASVG als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

§223 und §236 ASVG, BGBl 189/1955, idF BGBl I 98/2019 lauten:

"Eintritt des Versicherungsfalles; Stichtag

§223. (1) Der Versicherungsfall gilt als eingetreten:

1. bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters mit der Erreichung des Anfallsalters;

2. bei Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit, und zwar

a) im Falle der Invalidität, Berufsunfähigkeit oder Dienstunfähigkeit mit deren Eintritt, wenn aber dieser Zeitpunkt nicht feststellbar ist, mit der Antragstellung;

3. bei Leistungen aus dem Versicherungsfall des Todes mit dem Tod.

(2) Der Stichtag für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, ist bei Anträgen auf eine Leistung nach Abs1 Z1 oder 2 der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste. Bei Anträgen auf eine Leistung nach Abs1 Z3 ist der Stichtag der Todestag, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Todestag folgende Monatserste.

Erfüllung der Wartezeit

§236. (1) Die Wartezeit ist erfüllt, wenn am Stichtag (§223 Abs2) Versicherungsmonate im Sinne des §235 Abs2 in folgender Mindestzahl vorliegen:

1. für eine Leistung aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit sowie aus dem Versicherungsfall des Todes

a) wenn der Stichtag vor Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, 60 Monate;

b) wenn der Stichtag nach Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, erhöht sich die Wartezeit nach lita je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils einen Monat bis zum Höchstausmaß von 180 Monaten;

2. für eine Leistung aus einem Versicherungsfall des Alters, und zwar

a) für die Alterspension (Knappschaftsalterspension) 180 Monate;

c) für den Knappschaftssold 240 Monate.

(2) Die gemäß Abs1 für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Mindestzahl von Versicherungsmonaten muß

1. im Falle des Abs1 Z1 innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen; dieser Zeitraum verlängert sich, wenn der Stichtag nach Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils zwei Kalendermonate bis zum Höchstausmaß von 360 Kalendermonaten;

2. im Falle des Abs1 Z2 lita bis c innerhalb der letzten 360 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen;

(3) Fallen in die Zeiträume gemäß Abs2 neutrale Monate (§234), so verlängern sich die Zeiträume um diese Monate.

(4) Die Wartezeit ist auch erfüllt

1. für die Alterspension (Knappschaftsalterspension) und für Leistungen aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit und des Todes, wenn bis zum Stichtag

a) mindestens 180 Beitragsmonate, ausgenommen Zeiten einer Selbstversicherung gemäß §16a, soweit sie zwölf Versicherungsmonate überschreiten, oder

b) Beitragsmonate und/oder nach dem 31. Dezember 1955 zurückgelegte sonstige Versicherungsmonate in einem Mindestausmaß von 300 Monaten erworben sind;

3. für eine Leistung aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit sowie aus dem Versicherungsfall des Todes, wenn der Versicherungsfall vor der Vollendung des 27. Lebensjahres des (der) Versicherten eingetreten ist und bis zu diesem Zeitpunkt mindestens sechs Versicherungsmonate, die nicht auf einer Selbstversicherung gemäß §16a beruhen, erworben sind.

(4a) Als Beitragsmonate für die Erfüllung der Wartezeit nach Abs4 sind auch Ersatzmonate nach §227a dieses Bundesgesetzes oder nach §116a GSVG oder nach §107a BSVG im Ausmaß von höchstens 24 Kalendermonaten je Kind zu berücksichtigen, gezählt ab der Geburt des Kindes, wenn

1. für diese Zeiten Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht oder der Anspruch darauf ausschließlich nach §6 Abs1 Z1 KBGG ruht und

2. sich diese Ersatzmonate nicht mit Beitragsmonaten decken.

Als Beitragsmonate für die Erfüllung der Wartezeit nach Abs4 Z2 sind auch Ersatzmonate nach §227 Abs1 Z7 und 8 dieses Bundesgesetzes oder nach §116 Abs1 Z3 GSVG oder nach §107 Abs1 Z3 BSVG im Ausmaß von höchstens 30 Kalendermonaten zu berücksichtigen.

(4b) Hat die versicherte Person mindestens 540 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit erworben, so ist eine Verminderung der Leistung nach diesem Bundesgesetz sowie nach dem APG unzulässig; §261 Abs4 dieses Bundesgesetzes sowie die §§5 Abs2 und 6 Abs1 APG sind nicht anzuwenden. Als Beitragsmonate auf Grund einer Erwerbstätigkeit gelten auch bis zu 60 Versicherungsmonate für Zeiten der Kindererziehung (§§8 Abs1 Z2 litg, 227a oder 228a dieses Bundesgesetzes oder §§3 Abs3 Z4, 116a oder 116b GSVG oder §§4a Abs1 Z4, 107a oder 107b BSVG), wenn sie sich nicht mit Zeiten einer Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit decken.

(5) Für den Knappschaftssold müssen während der für die Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Versicherungsmonate wenigstens durch 120 Monate wesentlich bergmännische oder ihnen gleichgestellte Arbeiten (Abs6) verrichtet worden sein. Bei Angestellten müssen für die Knappschaftspension während der für die Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Versicherungsmonate wenigstens durch 30 Monate solche Arbeiten verrichtet worden sein. Als Angestellte sind Personen anzusehen, die, wenn nicht ihre Zugehörigkeit zur knappschaftlichen Pensionsversicherung begründet wäre, nach §14 zur Pensionsversicherung der Angestellten gehören würden.

(6) Als wesentlich bergmännische oder ihnen gleichgestellte Arbeiten gelten die in der Anlage 9 zu diesem Bundesgesetz bezeichneten Arbeiten unter den dort angeführten Voraussetzungen. Eine solche Arbeit gilt für einen nicht dienstunfähigen Versicherten als nicht unterbrochen,

a) wenn er aus betrieblichen Gründen eine sonstige Tätigkeit nicht länger als drei Monate im Kalenderjahr ausübt, oder

b) wenn er als Mitglied des Betriebsrates von diesen Arbeiten freigestellt worden ist."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Der Einschreiter begründet seinen Antrag wie folgt:

1.1. Zur Zulässigkeit:

Die angefochtene Bestimmung greife aus folgenden Gründen tatsächlich, unmittelbar, aktuell und in eindeutig bestimmter Weise in die Rechte des Antragstellers ein:

Durch §236 Abs4b ASVG werde insofern in die Rechtssphäre des Einschreiters rechtswidrig eingegriffen, als der Gesetzgeber völlig überraschend und nicht vorhersehbar die Antrittsvoraussetzungen für den Pensionsantritt derart geändert habe, dass eine versicherte Person bei Vorliegen von 540 Beitragsmonaten in der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit ohne Abschläge in Pension gehen könne; dies auch, wenn das Regelpensionsalter nicht erreicht werde.

Der Gesetzgeber habe sohin mit Stichtag 1. Jänner 2020 Abschläge für Pensionsneuzugänge abgeschafft, wenn am Stichtag mindestens 540 Beitragsmonate einer Erwerbstätigkeit vorlägen. Er habe die nunmehr bekämpfte Novellierung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen völlig unplanbar und unvorhersehbar beschlossen; auch seien keinerlei Übergangsregelungen oder sonstige gesetzliche Grundlagen geschaffen worden, die dem jeweiligen Rechtsunterworfenen bzw der jeweils unmittelbar betroffenen Person (sohin dem Antragsteller) die Möglichkeit einräumen würden, auf diese unvorhersehbare gesetzliche Regelung zu reagieren. Dem Einschreiter sei daher aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen die Möglichkeit verwehrt, ebenfalls die "Rechtswohltat" der abschlagsfreien Pensionsleistung zu erhalten; dies ausschließlich, weil die nun in Frage stehende gesetzliche Bestimmung im Zeitpunkt seines Pensionsantrittes weder in parlamentarischer Diskussion gestanden, noch als Gesetz erlassen gewesen sei.

Die Bestimmung des §236 Abs4b ASVG beeinträchtige daher aktuell die Rechtssphäre des Antragstellers, zumal diese eine unmittelbar sachlich nicht rechtfertigbare, massive finanzielle Schlechterstellung des Einschreiters in Folge dessen Pensionsantrittsdatums 1. Jänner 2019 im Verhältnis zu gleichgelagerten Sachverhalten mit Pensionsantrittsdatum 1. Jänner 2020 bedinge.

Auch liege jedenfalls keine "bloße" Reflexwirkung vor, zumal die Bestimmung des §236 Abs4b ASVG zu Lasten des Antragstellers direkte negative Folgen entfalte, die über das Ausmaß rein faktischer, wirtschaftlicher Auswirkungen weit hinausgingen.

Da der Einschreiter im Zeitpunkt des Inkrafttretens der nunmehr bekämpften Regelung des §236 Abs4b ASVG seinen Pensionsantritt bereits hinter sich gehabt habe, habe er weder durch Bescheid, noch durch eine sonstige behördliche oder gerichtliche Entscheidung die Möglichkeit erlangt, ein Rechtsschutzinstrument gegen die infrage stehende gesetzliche Bestimmung in Anspruch zu nehmen.

Ein anderer – zumutbarer – "Umweg" zur Bekämpfung des in Rede stehenden Gesetzes stehe (und sei) dem Antragsteller sohin nicht zur Verfügung (gestanden).

1.2. In der Sache:

1.2.1. Das Vertrauen der Bürger und der Schutz vor überraschenden Rechtsänderungen sei ein der Rechtsordnung immanenter Wert. Ausgehend davon habe der Verfassungsgerichtshof aus dem Gleichheitssatz den Grundsatz des Vertrauensschutzes entwickelt. Der Vertrauensschutz erfasse im Einzelnen

– den Schutz vor rückwirkenden Gesetzen;

– den Schutz von rechtlichen Anwartschaften;

– einen eng begrenzten Schutz von begründeten Erwartungshaltungen sowie Investitionen und damit im Zusammenhang stehender Dispositionen vor sonstigen Rechtsänderungen, die erst in der Zukunft wirksam würden.

Hinsichtlich rechtlicher Anwartschaften sei auszuführen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes einmal geschaffene Rechtspositionen auch zu Lasten der jeweils rechtsunterworfenen Personen geändert werden dürften. Eine derartige Abänderung müsse aber immer sachlich gerechtfertigt sein.

Weiters ergebe sich nach der – mittlerweile – ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, dass schwerwiegende und plötzlich eintretende Eingriffe in Rechtspositionen, auf deren Bestand die jeweils betroffene Person mit guten Gründen vertrauen habe können, den Gleichheitssatz verletzten.

Der Gesetzgeber habe daher nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes jedenfalls für den Fall, dass Rechtsunterworfene durch eine (neu) geschaffene Rechtslage eine Verschlechterung ihrer Position hinnehmen müssten, diesen die Möglichkeit einzuräumen, sich auf diese neue "verschlechterte" Rechtslage einzustellen oder diesbezüglich "hemmende" Dispositionen treffen zu können.

Jemand, der langfristig disponiere, sei daher in seiner jeweiligen Erwartungshaltung zu schützen; ein Rechtsunterworfener müsse sohin nicht damit rechnen, dass eine ursprünglich vorgesehene Rechtsfolge später erheblich zu seinen Lasten nachteilig verändert werde.

Nach dieser Judikaturlinie seien gravierende, plötzliche Eingriffe in berechtigte bzw bestehende Erwartungshaltungen daher zur Gänze ausgeschlossen.

Werde dennoch die Rechtslage einseitig verschlechtert, müssten zwingende Übergangsbestimmungen geschaffen werden, sodass sich die betroffenen Personen auf die neue Rechtslage einstellen könnten, sohin wirtschaftlich einen Dispositionsrahmen hätten. Derartige Übergangsbestimmungen müssten wiederum dem Sachlichkeitsgebot entsprechen.

Den jeweils rechtsunterworfenen Bürgern sei daher zwingend die Möglichkeit einzuräumen, sich auf die jeweilige neue "nachteilige" Rechtslage einzustellen.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liege eine derartige Verpflichtung insbesondere immer dann vor, wenn die jeweiligen Normunterworfenen durch eine in Aussicht gestellte Begünstigung zu einem bestimmten Aufwand veranlasst würden, der dann wegen des Wegfalls der Begünstigung frustriert werde.

Flankierend sei bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt auf das Judikat des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 16.923/2003 und die dort dargelegten grundsätzlichen Überlegungen betreffend die Verminderung des Ausmaßes der Alterspension bei vorzeitigem Pensionsantritt – also vor dem Erreichen des Regelpensionsalters – zu verweisen:

"Das Modell der Leistungsgerechtigkeit beinhaltet, dass jener, der die Pension vor Erreichung des Regelpensionsalters in Anspruch nimmt, mit versicherungsmathematisch berechneten Abschlägen rechnen muss und jener, der sie später in Anspruch nimmt, ebensolche Zuschläge erhält. Nur diese Berechnungsweise stellt sicher, dass sich die Gesamtaufwendungen der Pensionsversicherung nicht verändern, gleichgültig ob die Versicherten früher oder später in Pension gehen.

Nach geltendem Recht werden für die Alterspensionen in jedem Versicherungsjahr zwei Steigerungspunkte (das entspricht 2 % der Bemessungsgrundlage) erworben. Für jedes Jahr, um das Versicherte die Pension früher als bei Erreichung des Regelpensionsalters (60 Jahre für Frauen, 65 Jahre für Männer) in Anspruch nehmen, werden von der Summe der Steigerungspunkte als Malus zwei Steigerungspunkte abgezogen. Dieser linear gestaltete Abzug beträgt aber höchstens zehn Steigerungspunkte oder 15 % der Pension.

Es wird vorgeschlagen, den Malus auch weiterhin linear zu gestalten, allerdings auf drei Steigerungspunkte pro Jahr anzuheben, und zwar unter Festlegung einer Höchstgrenze von 10,5 Steigerungspunkten bzw 15 % der Pension. […]

Versicherte, die die Geltendmachung des Pensionsanspruches über das Regelpensionsalter (60/65 Jahre) hinaus aufschieben, sollen demgegenüber einen Bonus von jährlich vier Steigerungspunkten erhalten."

Dementsprechend sei daher bereits an Hand historischer Überlegungen des Gesetzgebers offenkundig, dem Modell der Leistungsgerechtigkeit liege der Gedanke zugrunde, dass jene Person, die die Pension vor Erreichung des Regelpensionsalters in Anspruch nehme, mit versicherungsmathematisch berechneten Abschlägen rechnen müsse, und jene Person, die sie später in Anspruch nehme, eben solche Zuschläge nicht in Kauf nehmen müsse.

Auch sollten nach diesen historischen Überlegungen versicherte Personen, die die Geltendmachung des Pensionsanspruches über das Regelpensionsalter hinaus aufschieben würden, einen Bonus erhalten.

Unterlege man nunmehr die dargestellten Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt, so zeige sich, dass der Gesetzgeber durch die Einführung der Bestimmung des §236 Abs4b ASVG mit BGBl I 98/2019 jedenfalls eine Handlungsweise an den Tag gelegt habe, die zwingend gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und damit gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße.

Der Antragsteller hätte seine Pension nämlich nicht zum 1. Jänner 2019 unter Hinnahme von Abschlägen angetreten, wenn er auch nur im Ansatz Kenntnis davon gehabt hätte, dass binnen eines Jahres seitens des Gesetzgebers ein völlig anderes Regelungsregime zur Anwendung gelange, das jegliche Abstufungen in Bezug auf das Pensionsantrittsalter bei Vorliegen von 540 Beitragsmonaten zur Gänze außer Acht lasse.

Auch sei in diesem Konnex darauf hinzuweisen, dass unter Bezugnahme auf die dargestellte Judikatur die Begünstigung in Form des vorzeitigen Pensionsantrittes und der damit im Zusammenhang stehende Aufwand in Form der gesetzlich definierten Pensionsabschläge durch die Einführung des §236 Abs4b ASVG gänzlich frustriert werde, zumal nunmehr der Pensionsantritt bei Vorliegen von 540 Beitragsmonaten ohne Bezugnahme auf das Alter abschlagsfrei zulässig sei.

Klar sei sohin, dass durch die Einführung des §236 Abs4b ASVG jedenfalls in gänzlich systemwidriger Art und Weise in die grundlegende Regelungsarchitektur des ASVG gesetzgeberisch eingegriffen worden sei, was mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes nicht in Einklang gebracht werden könne.

Es sei zudem evident, dass, wenn der Gesetzgeber eine Vorgangsweise wie vorliegend wähle, er korrelierende Übergangsregelungen hätte implementieren müssen, an Hand derer er es dem jeweils rechtsunterworfenen betroffenen Bürger ermöglicht hätte, Dispositionen zu treffen, um (auch) in den Genuss der mit der Gesetzesänderung einhergehenden wirtschaftlichen Vorteile zu kommen oder eben zumindest den finanziellen Verlust an Pension auszugleichen; dies beispielhaft durch Schaffung der Möglichkeit einer Nachzahlung von Zeiten bis zum Stichtag 1. Jänner 2020.

Tatsächlich sei jedoch keine wie auch immer gelagerte diesbezügliche Möglichkeit durch den Gesetzgeber vorgesehen worden, was (wiederum) Verfassungswidrigkeit indiziere.

1.2.2. Im Übrigen werde darauf verwiesen, dass sämtliche vermögenswerten Rechte vom verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsbegriff im Sinne der Bestimmungen des Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK sowie Art17 GRC geschützt seien.

Der sachliche Schutzbereich des Eigentums umfasse im Ergebnis alle rechtmäßig erworbenen vermögenswerten Rechte, aus denen sich eine gesicherte Rechtsposition ergebe.

Auch öffentlich-rechtliche Vermögenspositionen fielen in den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit; dazu zählten insbesondere Ansprüche auf staatliche Sozialleistungen wie eben auch Pensionsansprüche.

So habe der Verfassungsgerichtshof das Recht auf Notstandshilfe sowie einen Pensionsanspruch nach ASVG, BSVG und GSVG als vermögenswerte Rechte iSv Art1 1. ZPEMRK qualifiziert, zumal es sich hiebei um Leistungen handle, denen im Sinne einer Gesamtbetrachtung (vorher zu erbringende) Gegenleistungen des jeweiligen Anspruchsberechtigten gegenüberstünden.

Vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes sei in Bezug auf diese vermögenswerten Rechte eine Enteignung ua immer dann als verfassungswidrig zu qualifizieren, wenn durch eine solche ohne Entschädigungsleistung zwar mehrere Personen gleiche Vorteile, nicht jedoch auch gleiche Nachteile erhielten, sodass einzelne Personen unverhältnismäßig belastet würden.

Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes sei in diesem Zusammenhang daher die sogenannte "Sonderopfertheorie" zu berücksichtigen.

Demnach sei es aus verfassungsrechtlicher Sicht unzulässig, einzelnen Personen entschädigungslos ein "Sonderopfer" im Dienste der Allgemeinheit abzunötigen, wodurch die Betroffenen im Verhältnis zu anderen ungerechtfertigt einer stärkeren Belastung ausgesetzt würden.

Genau von einem solchen Sachverhalt sei im vorliegenden Fall auszugehen, zumal der Einschreiter – aber insbesondere auch eine sonstige Vielzahl von Personen – durch die in Frage stehende gesetzliche Bestimmung des §236 Abs4b ASVG dadurch entschädigungslos in seinen (ihren) vermögenswerten Rechten verletzt werde, dass er bei Nichterreichung des Pensionsregelalters und gleichzeitigem Pensionsantritt vor dem 1. Jänner 2020 Abschläge im gesetzlichen Ausmaß laufend in Kauf zu nehmen habe bzw gehabt habe, während Personen mit 540 Beitragsmonaten ab dem 1. Jänner 2020 unter Außerachtlassung ihres Lebensalters ohne Abschläge die Pension antreten könnten bzw hätten können.

Eine sachliche Rechtfertigung für diese Differenzierung könne den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen nicht entnommen werden.

Klar sei sohin, dass der Antragsteller ohne sachliche Rechtfertigung in seinem vermögenswerten Recht auf Leistung der gesetzlichen Pension durch die Bestimmung des §236 Abs4b ASVG verletzt sowie entschädigungslos enteignet werde, zumal er nach der derzeit geltenden Rechtslage bis zu seinem Lebensende Abschläge für den von ihm getätigten Pensionsantritt mit Datum 1. Jänner 2019 hinzunehmen habe, er diese Abschläge jedoch nicht zahlen müsste, wenn er demgegenüber seine Pension erst mit Datum 1. Jänner 2020 angetreten hätte.

Ein solches bloßes Abstellen auf das Datum 1. Jänner 2020 – wie vom Gesetzgeber getätigt – sei nicht geeignet, eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung im Zusammenhang mit den aufgezeigten unterschiedlichen Pensionsantrittsvoraussetzungen zu bewirken; vielmehr handle es sich dabei um eine völlig undifferenzierte Vorgangsweise, die wirtschaftlich eine unsachliche entschädigungslose Enteignung des Einschreiters bedinge, sodass sie als gleichheitswidrig einzustufen sei.

Jedwede entschädigungslose sowie unsachliche Enteignung sei verfassungsrechtlich unzulässig.

Bei einer Gesamtschau ergebe sich sohin unter Zugrundelegung der aufgezeigten rechtlichen Bestimmungen sowie der diesbezüglich ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur, dass die angefochtene Bestimmung des §236 Abs4b ASVG jedenfalls nicht den einschlägigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bzw Grundsätzen entspreche. Klar sei nämlich, dass der Gesetzgeber in einer jedenfalls nicht vorhersehbaren und abrupten Art und Weise durch das Pensionsanpassungsgesetz 2020 jedenfalls dadurch nachteilig in die Rechtsphäre des Antragstellers eingegriffen habe, dass durch diese gesetzliche Bestimmung jenem Grundsatz des Sozialversicherungsrechtes vehement widersprochen worden sei, dass in Entsprechung des Modelles der Leistungsgerechtigkeit jene Personen, die die Pension vor Erreichung des Regelpensionsalters in Anspruch nehmen würden, mit versicherungsmathematisch berechneten Abschlägen rechnen müssten. Exakt dieser Grundsatz sei jedoch mit der nunmehr bekämpften Bestimmung des §236 Abs4b ASVG außer Kraft gesetzt worden, zumal diese Bestimmung keine wie auch immer gelagerte Konnexität zum Regelpensionsalter enthalte.

Ebenso sei durch die angefochtene Bestimmung des §236 Abs4b ASVG der Vertrauensgrundsatz zu Lasten des Einschreiters massivst verletzt worden, sohin in das verfassungsgesetzlich geschützte Recht auf Gleichheit zu Unrecht zu seinen Lasten eingegriffen worden, zumal dieser mit Datum 1. Jänner 2019 in berechtigtem Vertrauen seine Pension angetreten habe, dass er nur unter Akzeptanz der gesetzlich vorgesehenen Abschläge in Folge des bei ihm mit dem genannten Datum nicht vorliegenden Regelpensionsalters in Pension gehen könne. Auch sei dem Antragsteller diesbezüglich klar gewesen, dass er als Vorteil dieser Regelung 24 Monate früher in den Pensionsgenuss komme und er hiefür bestimmte Abschläge hinzunehmen habe.

Es sei daher ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass von einem besonderen Vertrauenstatbestand auszugehen gewesen sei (s VfSlg 16.923/2003), zumal der Antragsteller durch eine in Aussicht gestellte Begünstigung (= frühere Pensionierung) zu einem bestimmten Aufwand (= Pensionsabschlag) veranlasst worden sei, der Aufwand für diese Begünstigung sodann jedoch plötzlich durch die angefochtene Bestimmung des §236 Abs4b ASVG außer Kraft gesetzt worden sei.

Auch sei festzuhalten, dass dem Einschreiter durch den Gesetzgeber nicht die Möglichkeit eingeräumt worden sei, durch Übergangs- oder Einschleifregelungen die ihm entstehenden Rechtsnachteile zu kompensieren. Eine derartige "Auffangregelung" hätte der Gesetzgeber jedoch zwingend vorsehen müssen, zumal der Antragsteller nicht mit Datum 1. Jänner 2019 unter Inkaufnahme der maßgeblichen Pensionsabschläge seine Pension angetreten hätte, wenn er über die Änderung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen binnen derart kurzer Zeit nach seinem Pensionsantritt informiert gewesen wäre. Auch hätte er diesfalls von den maßgeblichen gesetzlichen Übergangs- bzw Einschleifregelungen jedenfalls Gebrauch gemacht. All dies sei jedoch seitens des Gesetzgebers nicht erfolgt.

Ebenso sei durch die angefochtene Bestimmung des §236 Abs4b ASVG jedenfalls zu Unrecht in die verfassungsmäßig geschützten Eigentumsrechte des Einschreiters eingegriffen worden, zumal in unbilliger Art und Weise nunmehr Personen bei Vorliegen von 540 Beitragsmonaten ohne finanzielle Einbußen (Eingriffe in ihre Eigentumsposition) unter Zugrundelegung der in Rede stehenden Bestimmung seit dem 1. Jänner 2020 ihre Pension antreten könnten; dies ohne Berücksichtigung des Vorliegens ihres jeweiligen Regelpensionsalters. Demgegenüber habe der Antragsteller auf Grund seines Pensionsantrittes mit Datum 1. Jänner 2019 laufend vermögensrechtliche Einbußen im gesetzlichen Ausmaß zu erdulden.

Klar sei, dass durch die nunmehr infrage stehende Bestimmung des §236 Abs4b ASVG und insbesondere in Folge des Fehlens von einschlägigen Übergangs- bzw Einschleifregelungen in den verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Eigentums zu Lasten des Einschreiters und damit in dessen Recht auf Eigentum unzulässig eingegriffen worden sei bzw laufend eingegriffen werde.

2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

2.1. Zur Zulässigkeit:

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG einerseits, dass der Antragsteller behaupte, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz ? im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit ? in seinen Rechten verletzt zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam geworden sei. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation sei daher, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreife und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletze (vgl ua VfSlg 11.726/1988, 13.765/1994, 16.802/2003).

Voraussetzung eines Individualantrages gemäß Art140 Abs1 litc B-VG sei, dass die behauptete Rechtsverletzung durch Aufhebung der angefochtenen Gesetzesstelle beseitigt werde. Habe die Aufhebung der angefochtenen Gesetzesbestimmung keine Auswirkungen auf die Rechtsposition des Einschreiters, fehle ihm die Antragslegitimation (vgl VfSlg 13.397/1993, 17.217/2004).

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes erweise sich der vorliegende Antrag nach Auffassung der Bundesregierung als unzulässig, weil sich an der Rechtsposition des Antragstellers durch eine Aufhebung des angefochtenen §236 Abs4b ASVG durch den Verfassungsgerichtshof nichts ändern würde. Auch nach Wegfall der angefochtenen Bestimmung hätte der Einschreiter weiterhin Abschläge von seiner Pensionsleistung zu gewärtigen, weil der für die Bemessung der Höhe der ihm gebührenden Pensionsleistung maßgebliche Stichtag (§223 Abs2 ASVG) in der Vergangenheit liege.

Sollte dem Antrag zu entnehmen sein, dass der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt zu sein behaupte, dass auf ihn eine gleichheitswidrige Rechtslage angewendet werde, nämlich jene Bestimmungen, die Abschläge bei vorzeitigem Pensionsantritt vorsähen, während für andere Personen §236 Abs4b ASVG gelte, so hätte der Einschreiter jedenfalls auch die auf ihn angewendeten Bestimmungen anzufechten gehabt, weil der Verfassungsgerichtshof im Fall des Zutreffens der Bedenken nur so in die Lage versetzt werden könne, über die behauptete Gleichheitswidrigkeit zu befinden (vgl VfGH 10.3.2015, G201/2014).

2.2. In der Sache:

2.2.1. Zu den Bedenken im Hinblick auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes genieße das bloße Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der gegebenen Rechtslage als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl VfSlg 13.657/1993, 16.687/2002, 19.933/2014). Es bleibe der Gesetzgebung auf Grund des ihr zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes grundsätzlich unbenommen, die Rechtslage auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern (vgl VfSlg 18.010/2006). Der aus dem Gleichheitsgrundsatz abgeleitete verfassungsrechtliche Vertrauensschutz begrenze lediglich die Art und Weise, wie der Gesetzgeber Kürzungen und Beschränkungen bestehender Rechte vornehmen könne (vgl VfSlg 16.923/2003); so müsse etwa unter bestimmten Voraussetzungen dem Betroffenen zur Vermeidung unsachlicher Ergebnisse die Gelegenheit gegeben werden, sich rechtzeitig auf die neue Rechtslage einzustellen, was unter anderem dann der Fall sein könne, wenn in Rechtsansprüche, auf die sich Rechtsunterworfene nach ihrer Zweckbestimmung rechtens einstellen durften (wie auf Pensionsleistungen bestimmter Höhe), plötzlich und intensiv nachteilig eingriffen werde (vgl ua VfSlg 20.334/2019).

Sofern der Antragsteller die Einführung des §236 Abs4b ASVG als einen Eingriff in seine Rechtspositionen bewerte, auf die er aus guten Gründen vertrauen habe dürfen, übersehe er, dass sich der durch das Pensionsanpassungsgesetz 2020 in §236 ASVG eingefügte Abs4b in keiner Weise nachteilig auf die ihm gebührende Pensionsleistung ausgewirkt habe. Mangels einer durch die angefochtene Regelung bewirkten Verkürzung der Rechtsposition des Einschreiters könne die Frage nach einem "Abfedern" der Intensität einer derartigen Verkürzung im Wege entsprechender Übergangsregelungen dahingestellt bleiben.

Auch eine Verletzung des Vertrauens des Antragstellers auf eine abschlagsfreie Alterspension scheide im vorliegenden Fall nach Ansicht der Bundesregierung aus: er habe gerade nicht auf eine solche vertrauen dürfen, weil ihm diese nach der im Zeitpunkt seines Pensionsantritts maßgeblichen Rechtslage gerade nicht gebührt habe.

Soweit der Einschreiter darüber hinaus vermeine, er sei durch die angefochtene Bestimmung in seinem Vertrauen darauf verletzt, dass ein Pensionsantritt vor Erreichung des Regelpensionsalters nur unter Inkaufnahme von Abschlägen von der Pensionsleistung möglich sei, weise die Bundesregierung darauf hin, dass es dieser Argumentationslinie folgend der Gesetzgebung aus gleichheitsrechtlichen Überlegungen stets verwehrt wäre, eine für die Rechtsunterworfenen günstigere Rechtslage durch Änderung der bestehenden Rechtslage zu schaffen, ohne sich dadurch dem Vorwurf einer gleichheitswidrigen Schlechterstellung jener Sachverhalte auszusetzen, die nach der (alten) weniger günstigen Rechtslage zu beurteilen seien (vgl in diesem Sinn das Erkenntnis VfSlg 19.434/2011, nach dem eine Änderung der Rechtslage zwangsläufig zur Ungleichbehandlung von Sachverhalten führe, die sich vor der Rechtsänderung ereignet hätten, und Sachverhalten, die erst nach der Neuregelung verwirklicht werden würden, ohne dass dies schon gleichheitsrechtlich bedenklich wäre).

2.2.2. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums:

Mit der angefochtenen Regelung sei weder eine Verkürzung der Pensionsleistung des Antragstellers verbunden, noch zeitige diese sonstige nachteilige Auswirkungen auf seine Rechtspositionen.

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums scheine sohin nach Ansicht der Bundesregierung von Vornherein ausgeschlossen.

IV. Erwägungen

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B?VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

Der Verfassungsgerichtshof hat weiters bereits wiederholt ausgeführt, dass das Ziel eines Individualantrages in der Behebung der geltend gemachten Rechtsverletzung zu erblicken ist, sodass die Antragslegitimation nur dann bejaht werden kann, wenn die Aufhebung der angefochtenen Gesetzesbestimmung die Rechtsposition des Antragstellers dergestalt verändert, dass die behaupteten belastenden Rechtswirkungen entfallen. Würde dies trotz Aufhebung der bekämpften Bestimmung nicht eintreten, liegt die Antragslegitimation nicht vor (vgl VfSlg 18.512/2008 mwN).

2. Ein solcher Fall liegt hier vor:

Gemäß §236 Abs4b ASVG ist eine Verminderung der Leistung nach dem ASVG sowie nach dem APG unzulässig (§261 Abs4 ASVG sowie die §§5 Abs2 und 6 Abs1 APG sind nicht anzuwenden), wenn die versicherte Person mindestens 540 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit erworben hat, wobei als Beitragsmonate auf Grund einer Erwerbstätigkeit auch bis zu 60 Versicherungsmonate für Zeiten der Kindererziehung gelten (§§8 Abs1 Z2 litg, 227a oder 228a ASVG oder §§3 Abs3 Z4, 116a oder 116b GSVG oder §§4a Abs1 Z4, 107a oder 107b BSVG), wenn sie sich nicht mit Zeiten einer Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit decken.

Da der Antragsteller selbst nach Behebung der mit dem vorliegenden Individualantrag bekämpften Gesetzesbestimmung auf Grund des in der Vergangenheit liegenden maßgeblichen Stichtages (vgl die – unbekämpft gebliebene – Bestimmung des §223 Abs2 ASVG) seine Pension nicht abschlagsfrei beziehen würde, käme es zu keinem Entfall der von ihm behaupteten belastenden Rechtswirkungen.

Soweit dem Antrag die Behauptung einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung zwischen Beziehern einer Pension mit Abschlägen und Personen, die auf Grund des angefochtenen §236 Abs4b ASVG eine Pension abschlagsfrei beziehen, zu entnehmen ist, erweist er sich als zu eng, weil er – vor dem Hintergrund der geltend gemachten Bedenken – die Rechtsgrundlagen für die Pensionsabschläge nicht umfasst, sodass der Verfassungsgerichtshof – im Falle des Zutreffens der Bedenken – nicht in die Lage versetzt wird, darüber zu befinden, auf welche Weise die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann (vgl VfGH 10.3.2015, G201/2014).

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist daher mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Pensionsalter, Pensionshöhe, Pensionsrecht, Sozialversicherung, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G366.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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