TE Vfgh Beschluss 2021/6/16 V126/2021

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Veröffentlicht am 16.06.2021
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z3
Wr COVID-19-MaskentragepflichtV idF LGBl 18/2021
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Aufhebung der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes an stark frequentierten öffentlichen Orten im Freien in Wien mangels Anfechtung der planlichen Darstellung der Orte in den Anlagen der Verordnung

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B-VG begehrt die Antragstellerin mit ihrem Antrag vom 9. April 2021, §1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Wien über die Maskentragepflicht an stark frequentierten öffentlichen Orten im Freien zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, LGBl 18/2021, als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die Verordnung des Landeshauptmannes von Wien über die Maskentragepflicht an stark frequentierten öffentlichen Orten im Freien zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, LGBl 18/2021, lautete (ohne Anlagen) wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Auf Grund der §§4 Abs1 und 7 Abs2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, in der Fassung BGBl I Nr 33/2021, wird verordnet:

Maskentragepflicht

§1. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist beim Betreten oder Befahren der in den Anlagen 1 bis 5 planlich dargestellten stark frequentierten öffentlichen Orte im Freien von Fußgängern und Benutzern von Fortbewegungsmitteln jeglicher Art, für die keine Lenkberechtigung im Sinne des §2 Führerscheingesetz, BGBl I Nr 120/1997 in der Fassung BGBl I Nr 48/2021 erforderlich ist, zusätzlich zu den in der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, BGBl II Nr 58/2021, in der Fassung BGBl II Nr 139/2021, getroffenen Anordnungen eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2-Maske) ohne Ausatemventil oder eine Maske mit mindestens gleichwertig genormtem Standard zu tragen.

Ausnahmen von der Maskentragepflicht

§2. (1) Die Pflicht zum Tragen einer Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2-Maske) ohne Ausatemventil oder einer Maske mit mindestens gleichwertig genormtem Standard gemäß §1 besteht nicht, sofern ein Ausnahmegrund nach §17 Abs3 bis 6 und Abs8 der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, BGBl II Nr 58/2021, in der Fassung BGBl II Nr 120/2021 vorliegt. Liegt eine solche Ausnahme vor, so gilt §17 Abs3 bis 6 und Abs8 der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, BGBl II Nr 58/2021, in der Fassung BGBl II Nr 139/2021 sinngemäß.

(2) Das Vorliegen eines Ausnahmegrundes gemäß §17 Abs3 bis 6 und Abs8 der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, BGBl II Nr 58/2021, in der Fassung BGBl II Nr 139/2021 ist auf Verlangen gegenüber Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes glaubhaft zu machen.

Inkrafttreten

§3. Diese Verordnung tritt mit 1. April 2021 in Kraft und mit Ablauf des 10. April 2021 außer Kraft."

Die Anlagen 1 bis 5 zur Verordnung des Landeshauptmannes von Wien über die Maskentragepflicht an stark frequentierten öffentlichen Orten im Freien zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, LGBl 18/2021, stellen den örtlichen Geltungsbereich der Verordnung – fünf nicht zusammenhängende öffentliche Orte in Wien – planlich dar.

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Antragstellerin bringt zu ihrer Antragslegitimation Folgendes vor:

"Die Antragstellerin hat ihren Arbeitsplatz in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai ***. Sie arbeitet bei der ****** GmbH. Sie muss daher jeden Arbeitstag vom 1.4.2021 bis zum 10.4.2021 die Zone zwischen Schwedenplatz und Morzinplatz durchqueren. Die Antragstellerin verfügt über kein Maskenbefreiungsattest. Es ist ihr völlig uneinsichtig, warum sie im Freien eine FFP2-Maske tragen soll, dies im April mit überwiegend schlechtem Wetter.

Seit November 2021 kann sie keine Sportstätten mehr aufsuchen. Infolgedessen läuft sie im Freien am Ring. Der Bereich zwischen Morzinplatz und Schwedenplatz liegt sohin in ihrer Laufroute. Auch am Donaukanal unten läuft sie gern. Ihre Laufrouten liegen sohin in 2 der von der Verordnung betroffenen Zonen. Es handelt sich sohin um die Anlage 1 (Donaukanal) und die Anlage 2 (Bereich zwischen Morzinplatz und Schwedenplatz). Ihr Arbeitsplatz liegt in der Zone 2, das Haus Nr *** kann nur über die Zone betreten werden.

[…]

Die Antragstellerin macht 4-5 Mal die Woche Sport. Die Zonen werden sohin 8-10 Mal durchlaufen. Es ist völlig unerfindlich, warum sie beim Sport die Maske tragen soll. Genauso ist es unerfindlich, warum sie am Weg zum Arbeitsplatz und am Weg vom Arbeitsplatz die Maske tragen soll. Überdies konnte die Antragstellerin beobachten, dass an den 10 Sperrtagen kaum Leute in den Zonen anzutreffen gewesen sind.

Darüber hinaus trifft die Antragstellerin ihre beste Freundin und auch andere Bezugspersonen bei schönem Wetter gerne am Donaukanal. Hierbei handelt es sich um einen der wenigen Rückzugsgebiete der Jugendlichen, wo sie sich mit Freunden im Freien treffen können. Bekanntlich sind Lokale im Lockdown ja geschlossen. Im Übrigen wohnt die Antragstellerin noch bei ihren Eltern, genauso wie ihre beste Freundin. Der Zweck der Treffen ist die körperliche und psychische Erholung. Diese Erholung wird massiv durch das Tragen der Maske am Donaukanal beeinträchtig. Die Antragstellerin trifft sich sohin mit ihrer besten Freundin im Bereich der Anlage 1 Donaukanal im Bereich des ersten und zweiten Gemeindebezirks. Die Antragstellerin ist österreichische Staatsbürgerin.

[…]

Zur Unzumutbarkeit der Durchlaufung des Rechtsweges

Natürlich steht es der Antragstellerin frei, durch Verstöße gegen die Verordnung oder die Maskenpflicht Strafverfahren auszulösen und diese dann bis zum Verfassungsgerichtshof zu bekämpfen.

Dieser Instanzenzug dauert jedoch pro Instanz Monate. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Absolvierung von Strafverfahren, um den Verfassungsgerichtshof anrufen zu können, unzumutbar und ist sohin der individuelle Antrag zuzulassen.

Im Übrigen besteht ein hoher Handlungsbedarf betreffend der Tätigkeiten des Verfassungsgerichtshofes, da die angefochtene Verordnungen nur 10 Tage in Geltung ist und sohin eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bei Ausschöpfung des Instanzenzuges zu spät käme.

Die Antragstellerin ist durch die angefochtene generelle Rechtsnorm in ihren Rechten verletzt. Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH (VfSlg 8009/1977; 16.031/2000, u.v.a.) kann mit einem Individualantrag ausnahmslos jede Rechtswidrigkeit der bekämpften Norm geltend gemacht werden. Zur unmittelbaren Betroffenheit verweist die Antragstellerin auf ihren Individualantrag insgesamt, sowie auf die oben ausgeführten Beschwerdegründe, aus deren Darstellung sich ebenso die unmittelbare Betroffenheit ihrer Person in der Verletzung ihrer Rechte durch die bekämpfte Verordnung ergibt.

Im Zuge der Ausführungen dieses Schriftsatzes wird immer wieder auf die Betroffenheit eingegangen.

Ein Individualantrag ist, seinem Charakter als subsidiärer Rechtsbehelf entsprechend nur zulässig, wenn der Antragstellerin kein anderer zumutbarer Weg offen steht, um die behauptete Gesetzesverletzung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Als alternativer Weg blieb der Antragstellerin nur die Möglichkeit, gegen die angefochtene Verordnung zu verstoßen und die allenfalls ergehenden Strafbescheide zu bekämpfen. Nach stRspr des Verfassungsgerichtshofs ist der Antragstellerin ein derartiges Vorgehen nicht zumutbar (VfGH G183/2016, uva), weshalb auch die Zulässigkeitsvoraussetzung der Umwegunzumutbarkeit vorliegt."

2. In der Sache erachtet sich die Antragstellerin durch die angefochtene Verordnungsbestimmung in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben (Art2 EMRK), auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art2 StGG, Art7 B-VG) sowie darauf, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK), verletzt; ferner verstoße die angefochtene Verordnungsbestimmung gegen das Legalitätsprinzip nach Art18 B-VG.

IV. Zulässigkeit

Der Antrag ist unzulässig:

1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B?VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Teil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Stelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Gesetzes- bzw Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Gesetzes- oder Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

3. Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung des §1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Wien über die Maskentragepflicht an stark frequentierten öffentlichen Orten im Freien zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, LGBl 18/2021.

3.1. §1 der angefochtenen Verordnung gebietet für fünf verschiedene, nicht miteinander in Verbindung stehende öffentliche Orte, die in den Anlagen 1 bis 5 zu dieser Verordnung planlich dargestellt sind, das Tragen näher beschriebener Atemschutzmasken. Diese fünf Anlagen stehen jeweils in untrennbarem Zusammenhang mit §1 der angefochtenen Verordnung.

3.2. Die Antragstellerin bringt zu ihrer rechtlichen Betroffenheit durch die angefochtene Verordnung (lediglich) vor, dass sie sich regelmäßig in den Arealen aufhalte, die in den Anlagen 1 und 2 zu dieser Verordnung umrissen sind. Sie legt nicht dar, dass sie auch durch die Maskentragepflicht an den öffentlichen Orten, die in den Anlagen 3 bis 5 zur angefochtenen Verordnung bezeichnet werden, in ihrer Rechtssphäre betroffen wäre.

3.3. Vor diesem Hintergrund hätte die Antragstellerin die Anlagen 1 und 2 mit in ihren Aufhebungsantrag einbeziehen müssen, schon um dem Verfassungsgerichtshof die Gelegenheit zu geben, gegebenenfalls – bei Zutreffen der Bedenken der Antragstellerin – entscheiden zu können, ob dem Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin bei gleichzeitig geringstmöglichem Eingriff in den Verordnungsbestand durch Aufhebung von (Teilen des) §1 der angefochtenen Verordnung und/oder der Anlagen 1 und 2 zu dieser Verordnung Rechnung zu tragen ist.

3.4. Der Antrag ist daher wegen zu eng gewählten Anfechtungsumfangs als unzulässig zurückzuweisen.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

COVID (Corona), VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:V126.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.01.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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