Entscheidungsdatum
02.12.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W 254 2239904/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , BA, geb. am XXXX gegen den Bescheid des Senats der Studienbeihilfenbehörde an der Stipendienstelle Klagenfurt vom 09.12.2020, den Beschluss:
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 15 Abs. 3 und 6 iVm § 19 Abs. 2 Studienförderungsgesetz 1992 aufgehoben und zu Erlassung eines neuen Bescheides an die Studienbeihilfenbehörde zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (in Folge: BF) begann im Wintersemester 2009/10 das Bachelorstudium Architektur an der TU Wien und schloss ihr Bachelorstudium Architektur am 28.11.2017 ab. Im Sommersemester 2020 begann die BF das Masterstudium Visuelle Kultur an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Am 24.02.2020 stellte die BF einen Antrag auf Studienbeihilfe für dieses Masterstudium.
2. Mit Bescheid der Studienbeihilfenbehörde, Stipendienstelle Klagenfurt vom 09.04.2020 wurde der Antrag gem. § 15 Abs. 3 und Abs. 6 StudFG mit der Begründung abgewiesen, dass das zuvor betriebene Bachelorstudium mit der gesetzlichen Studienzeit von sechs Semestern im 17. Semester abgeschlossen wurde, die gesetzliche Studienzeit des Bachelorstudiums somit um elf Semester überschritten worden sei.
3. Mit Vorstellung vom 21.04.2021 brachte die BF vor, dass sie ihre Krankheit während des gesamten Studiums am Fortkommen gehemmt habe, die berufliche Tätigkeit während des Studiums sei strukturgebend und unterstützend für die Stabilisierung des Zustands gewesen.
Mit Bescheid der Studienbeihilfenbehörde vom 23.06.2020 (Vorstellungsvorentscheidung) wurde die Abweisung im Wesentlichen damit begründet, dass die Studienzeitüberschreitung nicht alleine auf Gründe gemäß § 19 Abs. 2 StudFG zurückzuführen sei. Neben dem Bachelorstudium sei die BF auch fünf Semester lang einer Berufstätigkeit nachgegangen, wobei in drei Semestern gar keine Studienleistung erbracht worden sei. Berufstätigkeit stelle aber keinen Nachsichtsgrund dar.
4. Am 03.07.2020 stellte die BF einen Vorlageantrag, in dem sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholte. Sie unterstrich dabei, dass die Berufstätigkeit nach dem stationären Therapieaufenthalt wesentlich für die Genesung gewesen sei. Die Berufstätigkeit sei immer in Form einer Teilzeitbeschäftigung ausgeführt worden und für einen Studienabschluss nicht hinderlich, sondern vor allem in Bezug auf die Genesung der Krankheit ausschließlich förderlich gewesen.
5. Mit Bescheid des Senats der Stipendienstelle Klagenfurt vom 09.12.2020 wurde der Vorstellung keine Folge gegeben und der Bescheid vom 09.04.2020 bestätigt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Überschreitung der Studienzeit im Ausmaß von 11 Semestern
durch die von der BF angeführten Gründe Krankheit, Schwangerschaft sowie Pflege- und Erziehung nach § 19 Abs. 6 StudFG nur dann gerechtfertigt seien, wenn das überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung auf diese Gründe zurückzuführen sei. Die Krankheit der BF sei in allen Semestern durchgehend vorhanden gewesen. Zweck des Studienförderungsgesetzes sei es, eine Berufsausbildung zu ermöglichen, die zielstrebig und in angemessener Zeit absolviert werde. Unter Berücksichtigung des Studienverlaufs der BF könne keine Förderung für das anschließende Masterstudium gewährt werden, weil die Verzögerung des Studiums nicht alleine auf die in § 15 Abs. 6 iVm § 19 Abs. 2 StudFG genannten Gründen beruhe, sondern maßgeblich auf die Berufstätigkeit der Antragstellerin zurückzuführen sei.
6. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und brachte darin vor, dass die Krankheit während ihres ganzen Studiums bestanden habe und der Therapiezeitraum vom 25.05.2011 bis 17.04.2018 bestätigt sei. Von 11.12.2014 bis 12.02.2015 sei sie in stationärer Behandlung im psychosomatischen Zentrum XXXX gewesen und habe keine Prüfungen ablegen können. Seitens der behandelnden Ärzte sei ihr zur Erreichung einer geregelten Alltagsstruktur eine Arbeitsstelle empfohlen worden, die sie am 09.03.2015 angetreten habe. Die Ausübung des Nebenjobs sei nicht ausschlaggebend für das verzögerte Studienende gewesen, sondern wesentlicher Teil des Genesungsprozesses mit therapeutischen Hintergrund. Allein aufgrund der Struktur und Regelmäßigkeit dieser Tätigkeit sei es ihr möglich gewesen, das Studium überhaupt trotz Erkrankung abzuschließen. Sie sei während des Studiums schwanger gewesen und habe ihr Kind zur Welt gebracht, welches sie während der Absolvierung der letzten Prüfung auch betreut hätte.
7. Die Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 25.02.2021 vorgelegt ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die BF begann im Wintersemester 2009/10 das Bachelorstudium Architektur an der Technischen Universität Wien und schloss dieses Studium am 28.11.2017 ab.
Die gesetzliche Studienzeit für das Bachelorstudium Architektur beträgt 6 Semester mit einem Umfang von 180 ECTS.
Die BF schloss das Bachelorstudium im 17. Semester ab. Die gesetzliche Studienzeit wurde um 11 Semester überschritten.
Anspruch auf Studienbeihilfe für ein Masterstudium besteht trotz Absolvierung eines Bachelorstudiums, wenn die Studierende das Bachelorstudium in 9 Semestern abschließt (vgl. § 15 Abs. 3 StudFG).
Der Studienverlauf der BF stellte sich Folgendermaßen dar:
1.2. Die BF war im Zeitraum von 2011 bis 2018 nachweislich durch fachärztliche Bestätigung psychisch erkrankt.
Ohne die während der gesamten Studienzeit bestehende psychische Erkrankung wäre die BF in der Lage gewesen, das Bachelorstudium in neun Semestern abzuschließen. Die Beschwerdeführerin war im Zeitraum von 2011 bis 2018 aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht in der Lage, ihre Studienleistungen zeitgerecht zu erbringen. Die Erkrankung der BF war kausal für das überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung.
1.3. Die Beschwerdeführerin leidet seit dem späten Jugendalter an rezidivierenden depressiven Phasen und entwickelte ab dem 20. Lebensjahr eine manifeste Ess-Störung. Ab 2011 wurde die Symptomatik derart massiv, dass sich die BF in psychotherapeutische Behandlung begab. Im Jahr 2014 war die BF zusätzlich in fachärztlich-psychiatrischer Behandlung.
Von 11.12.2014 bis 05.02.2015 war die BF in stationärer Behandlung im psychosomatischen Zentrum XXXX . Die Therapie war aufgrund der lange chronifizierten Störung F 50.2 (Bulimia nervosa) nötig.
Von den Ärzten wurde der BF empfohlen, im Anschluss der stationären Behandlung einer geregelten Beschäftigung nachzugehen, um durch eine geregelte Alltagsstruktur die während der Therapie erlernten geregelten Essenszeiten einzuhalten und Ess-Brech Anfällen vorzubeugen. Die Ausübung der Teilzeitbeschäftigung von 09.03.2015 bis 31.05.2017 war Teil des Genesungsprozesses mit therapeutischem Hintergrund.
1.4. Die Studienbeihilfenbehörde hat keine Ermittlungen bzw. Feststellungen zu den übrigen Anspruchsvoraussetzungen der Studienbeihilfe getätigt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde.
Die Feststellungen zur Krankheit und dem stationären Aufenthalt ergibt sich aus dem Vorbringen der BF, der vorgelegten fachärztlichen Bestätigung von Dr. XXXX , Fachärztin für Psychiatrie vom 03.09.2020 und der Bestätigung der Klinik XXXX vom 12.02.2015. Dieser Sachverhalt wird von der belangten Behörde nicht bestritten.
Die Feststellung, dass die BF das Bachelorstudium innerhalb der Frist von neun Monaten ohne Vorliegen der Krankheit absolviert hätte, ergibt sich aufgrund einer Betrachtung des Studienverlaufs und dem Vorbringen der BF, inwieweit sie ihre Krankheit am Studium hinderte (vgl. beispielsweise Beschwerde S. 4 erster Absatz), das im Übrigen von der Behörde auch nicht bestritten wird. Bereits in den ersten 9 Semestern ist ersichtlich, dass sich die BF trotz Krankheit bemühte, den geforderten Studienerfolg zu erbringen und insgesamt Leistungen in Höhe von 214,5 ECTS erbrachte. Für den Abschluss fehlten ihr noch die 22 ECTS, die zwischen dem 10. Und dem 17. Semester erbracht wurden.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher aufgrund der durch fachärztliche Bestätigung nachgewiesenen Erkrankung davon aus, dass es der BF möglich gewesen wäre, diese fehlenden 22 ECTS innerhalb der vorgesehenen neun Semestern zu erbringen (das sind
etwas mehr als 2 ECTS mehr pro Semester als erbracht wurden), wäre sie nicht durch ihre Krankheit beeinträchtigt gewesen. Dass die von der BF durch ihr restriktives Essverhalten ausgelösten Schwindelanfälle, Konzentrationsschwächen, massives Untergewicht sowie Depressionen und sozialer Rückzug die Studienzeitüberschreitung im Wesentlichen verursacht hat, steht für das Bundesverwaltungsgericht außer Zweifel.
Betrachtet man den Studienverlauf der BF zeichnet sich dieser vom WS 09/10 zum WS 14/15 durch eine kontinuierlich abnehmende Studienleistung aus, die im WS 14/15 den Höhepunkt erreichte, da in diesem Semester überhaupt keine Studienleistung erbracht wurde. Parallel dazu verlief auch ihre Krankheit, die sich im Jahr 2014 verschlechterte und zu einer zusätzlichen Behandlung durch eine Fachärztin der Psychiatrie führte bzw. im stationären Aufenthalt im WS 14/15 gipfelte. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass auch nach dem stationären Aufenthalt die Studienleistungen nicht sofort wieder zielstrebig aufgenommen werden konnten. Aus den vorgelegten Beweismitteln und der Beschwerde ergibt sich, dass die BF anschließend an den stationären Aufenthalt auch eine ambulante Therapie absolvierte und an Selbsthilfegruppen teilnahm.
Darüber hinaus ist die Berufstätigkeit in Form einer Teilzeitbeschäftigung im vorliegenden Fall nicht hauptsächlich als Einnahmequelle zu betrachten, die nicht unter die Nachsichtsgründe des § 19 StudFG fällt, sondern vor allem in Zusammenhang mit der Krankheit der BF. Es geht aus ihren nachvollziehbaren, von der belangten Behörde nicht bestrittenen, Vorbringen hervor, dass die Aufnahme der Teilzeitbeschäftigung von den Ärzten empfohlen wurde und vor allem dem Zweck diente, einen strukturierten Alltag zu schaffen, um aus den Mustern der Krankheit auszubrechen und daher für den Genesungsprozess erforderlich war. Da die Aufnahme einer Berufstätigkeit von den behandelnden Ärzten empfohlen wurde, lag es nicht in der freien Disposition der BF, von dieser abzusehen, solange sie den Genesungsprozess nicht gefährden wollte.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu den rechtlichen Grundlagen:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Studienbeihilfen und anderen Studienförderungsmaßnahmen (Studienförderungsgesetz 1992 - StudFG) lauten:
Voraussetzungen
§ 6. Voraussetzung für die Gewährung einer Studienbeihilfe ist, dass der Studierende
1. sozial bedürftig ist (§§ 7 bis 12),
2. noch kein Studium (§ 13) oder keine andere gleichwertige Ausbildung absolviert hat,
3. einen günstigen Studienerfolg nachweist (§§ 16 bis 25),
4. das Studium, für das Studienbeihilfe beantragt wird, vor Vollendung des 30. Lebensjahres begonnen hat. Diese Altersgrenze erhöht sich
a) für Selbsterhalter gemäß § 27 um ein weiteres Jahr für jedes volle Jahr, in dem sie sich länger als vier Jahre zur Gänze selbst erhalten haben, höchstens jedoch um insgesamt fünf Jahre,
b) für Studierende gemäß § 28, die zur Pflege und Erziehung mindestens eines Kindes gesetzlich verpflichtet sind, um fünf Jahre,
c) für behinderte Studierende gemäß § 29 um fünf Jahre,
d) für Studierende, die ein Masterstudium aufnehmen, um fünf Jahre, sofern sie das Bachelorstudium vor Überschreitung der Altersgrenze unter Berücksichtigung der lit. a bis c begonnen haben.
[…]
Vorstudien
§ 15. (1) Vorstudien sind für die Anspruchsdauer des Studiums insoweit zu berücksichtigen, als dem Studierenden Studienzeiten angerechnet oder Prüfungen anerkannt wurden. Bescheide über die Anrechnung von Vorstudienzeiten und Prüfungen sind für die Studienbeihilfenbehörde bindend. Wurden ausschließlich Prüfungen oder Lehrveranstaltungen anerkannt, so hat die Studienbeihilfenbehörde über die Berücksichtigung der Vorstudienzeiten für die Anspruchsdauer des nunmehr betriebenen Studiums zu entscheiden. Dazu ist die Zahl der ECTS-Punkte bzw. bei Studien, die keine ECTS-Punkte aufweisen, die Zahl der Semesterstunden der anerkannten Lehrveranstaltungen und Prüfungen den insgesamt im Studienplan vorgesehenen Lehrveranstaltungen und Prüfungen gegenüberzustellen.
(2) […]
(3) Anspruch auf Studienbeihilfe für ein Masterstudium besteht trotz Absolvierung eines Bachelorstudiums, wenn die Studierenden
1. das Masterstudium spätestens 30 Monate nach Abschluss des Bachelorstudiums aufgenommen haben und
2. die vorgesehene Studienzeit zur Absolvierung des Bachelorstudiums um nicht mehr als drei Semester überschritten haben.
[…]
(6) In die Fristen gemäß Abs. 3 Z 1 und 2 und Abs. 4 Z 1 und 2 sind die Zeiten des Präsenz-, Ausbildungs- oder Zivildienstes, Zeiten, in denen eine Tätigkeit im Rahmen einer Maßnahme gemäß § 1 Abs. 2 Z 2 des Freiwilligengesetzes, BGBl. I Nr. 17/2012, ausgeübt wird, und Zeiten des Mutterschutzes gemäß den §§ 3 und 5 des Mutterschutzgesetzes, BGBl. I Nr. 221/1979, sowie Zeiten, für die wichtige Gründe im Sinne des § 19 Abs. 2 nachgewiesen wurden, nicht einzurechnen. Für die Einhaltung der Frist gemäß Abs. 3 Z 2 und Abs. 4 Z 2 ist die Absolvierung des Studiums bzw. Studienabschnittes bis zum Ende der auf das letzte Semester folgenden Nachfrist gemäß § 61 Abs. 2 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, ausreichend.
[…]
Verlängerung der Anspruchsdauer aus wichtigen Gründen
§ 19. (1) Die Anspruchsdauer ist zu verlängern, wenn der Studierende nachweist, daß die Studienzeitüberschreitung durch einen wichtigen Grund verursacht wurde.
(2) Wichtige Gründe im Sinne des Abs. 1 sind:
1. Krankheit des Studierenden, wenn sie durch fachärztliche Bestätigung nachgewiesen wird,
2. Schwangerschaft der Studierenden und
3. jedes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis, wenn den Studierenden daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
(3) Die Anspruchsdauer ist ohne weiteren Nachweis über die Verursachung der Studienverzögerung in folgendem Ausmaß zu verlängern:
1. bei Schwangerschaft um ein Semester,
2. bei der Pflege und Erziehung eines Kindes vor Vollendung des sechsten Lebensjahres, zu der Studierende während ihres Studiums gesetzlich verpflichtet sind, um insgesamt höchstens zwei Semester je Kind,
3. bei Studierenden, deren Grad der Behinderung nach bundesgesetzlichen Vorschriften mit mindestens 50% festgestellt ist, um zwei Semester,
4. bei Ableistung des Präsenz-, Ausbildungs- oder Zivildienstes oder bei Leistung einer Tätigkeit im Rahmen einer Maßnahme gemäß § 1 Abs. 2 Z 2 des Freiwilligengesetzes, BGBl I Nr. 17/2012, während der Anspruchsdauer um ein Semester für jeweils sechs Monate der Ableistung.
(4) Die Bundesministerin oder der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung kann für Studierende im Sinne des Abs. 3 Z 3 durch Verordnung die Anspruchsdauer unter Berücksichtigung von spezifisch den Studienfortgang betreffenden Behinderungen um bis zu 50% der vorgesehenen Studienzeit verlängern.
(5) Das Vorliegen eines wichtigen Grundes bewirkt nur die Verlängerung der Anspruchsdauer, ohne von der Verpflichtung zum Nachweis eines günstigen Studienerfolges im Sinne der §§ 20 bis 25 zu entheben.
(6) Auf Antrag der Studierenden ist
1. bei Studien im Ausland, überdurchschnittlich umfangreichen und zeitaufwendigen wissenschaftlichen Arbeiten oder ähnlichen außergewöhnlichen Studienbelastungen die Anspruchsdauer um ein weiteres Semester zu verlängern oder
2. bei Vorliegen wichtiger Gründe im Sinne der Z 1 oder der Abs. 2, 3 und 4 die Überschreitung der zweifachen Studienzeit des ersten Studienabschnittes zuzüglich eines Semesters (§ 20 Abs. 2), die Überschreitung der Studienzeit des zweiten und dritten Studienabschnittes des Diplomstudiums, die Überschreitung der Studienzeit des Bachelorstudiums oder des Masterstudiums oder des Fachhochschul-Studienganges um mehr als zwei Semester (§ 15 Abs. 3 und 4) nachzusehen,
wenn das überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung auf die genannten Gründe zurückzuführen und auf Grund der bisherigen Studienleistungen zu erwarten ist, dass der Studierende die Diplomprüfung, die Bachelorprüfung oder die Masterprüfung innerhalb der Anspruchsdauer ablegen wird. Vor Erlassung des Bescheides ist innerhalb von sechs Wochen an Universitäten und Universitäten der Künste dem Studiendekan, sonst dem Leiter der Ausbildungseinrichtung Gelegenheit zu geben, zu Vorbringen von Studierenden über im Bereich der Ausbildungseinrichtung verursachte Studienverzögerungen Stellung zu nehmen.
(Anm.: Abs. 7 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 79/2013)
(8) Ein mit rechtskräftigem Bescheid abgeschlossenes Verfahren über die Gewährung von Studienbeihilfe ist nach einer stattgebenden Entscheidung über einen Antrag gemäß Abs. 6 wiederaufzunehmen.
(9) Anträge gemäß Abs. 6 Z 1 sind in der Antragsfrist auf Studienbeihilfe in dem auf die Anspruchsdauer unmittelbar folgenden Semester zu stellen. Verspätet eingebrachte Anträge sind zurückzuweisen.
(Anm.: Abs. 10 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 47/2008)
Beschwerde
§ 46. (1) Gegen einen Bescheid des Senates der Studienbeihilfenbehörde kann eine Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erhoben werden. Diese ist bei der Studienbeihilfenbehörde einzubringen.
3.2. Zu Spruchpunkt A)
3.2.1 Gemäß § 15 Abs. 3 hat Anspruch auf Studienbeihilfe für ein Masterstudium trotz Absolvierung eines Bachelorstudiums, wer die vorgesehene Studienzeit zur Absolvierung des Bachelorstudiums um nicht mehr als drei Semester überschreitet. Im vorliegenden Fall daher das Bachelorstudium in nicht mehr als neun Semestern absolviert. Allerdings sieht Abs. 6
vor, dass Zeiten, für die wichtige Gründe im Sinne des § 19 Abs. 2 (also insbesondere Krankheit) nachgewiesen werden in die Fristen des Abs. 3 nicht einzurechnen sind.
3.2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 24. April 2002, Zl. 96/12/0377, und vom 19. September 2003, Zl. 2000/12/0009), kommen als wichtige Gründe iSd § 19 Abs. 6 StudFG vor allem Erkrankungen des Studierenden in Betracht. Soweit solche Gründe geltend gemacht werden, ist zu prüfen, ob diese im konkreten Fall vorlagen und, wenn dies zutrifft, ob die Studienverzögerung im überwiegenden Ausmaß auf diese Gründe zurückzuführen ist (VwGH vom 03.11.2008, 2007/10/0052).
Da die Studienzeitüberschreitung nach § 19 Abs. 1 StudFG durch einen (oder mehrere) der im Abs. 2 des § 19 StudFG genannten wichtigen Gründe verursacht sein muss, ist aber nicht nur ein zeitlicher, sondern auch ein inhaltlicher Zusammenhang in der Weise erforderlich, dass ohne Eintreten des im Beschwerdefall geltend gemachten, vom Studierenden gemäß § 19 Abs. 2 Z. 1 StudFG nachzuweisenden wichtigen Grundes es zu keiner Überschreitung der Anspruchsdauer gekommen wäre. Grundlage für die Beurteilung der Kausalität des nachgewiesenen wichtigen Grundes hat - so auch die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zu § 19 StudFG (vgl. 473 der Beilagen NR, XVIII. GP) - eine Darstellung des bisherigen Studienverlaufes zu sein, auf Grund dessen die Auswirkung des nachgewiesenen wichtigen Grundes auf den Studienerfolg hypothetisch zu beurteilen ist (VwGH vom 11.11.1998, 96/12/0201).
3.2.3. Verfahrensgegenständlich stützt die belangte Behörde ihren abweisenden Bescheid darauf, dass die Verzögerung des Bachelorstudiums der BF nicht alleine auf die Krankheit (bzw. Schwangerschaft und Pflege eines Kindes), sondern maßgeblich auf die Berufstätigkeit der BF zurückzuführen ist.
Die belangte Behörde geht jedoch zu Unrecht davon aus, dass die Verzögerung des Studiums nicht maßgeblich und im Wesentlichen durch die Krankheit verursacht wurde.
Die Krankheit bestand nachweislich während des gesamten Studiums. Wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt wurde, fehlten der BF in den ersten neun absolvierten Semestern nur mehr 22 ECTS, um den Bachelor abzuschließen. Bei einem, wie vom Verwaltungsgerichtshof verlangten, hypothetisch zu beurteilenden Studienerfolg wäre die
BF ohne die nachgewiesene Krankheit in der Lage gewesen, das Bachelorstudium in der Zeit von neun Semestern zu absolvieren und hätte damit den Anspruch auf Studienbeihilfe für
ein anschließendes Masterstudium nicht verloren. Bei gedachtem Wegfall des Ereignisses
der Krankheit, wäre die Studienverzögerung nicht eingetreten, da man davon ausgehen kann, dass es der BF ohne Krankheit möglich gewesen wäre, etwas mehr als 2 ECTS pro Semester zusätzlich zu absolvieren, die ihr für den Abschluss in neun Semestern fehlten. Es besteht eine sachliche Beziehung zwischen der nachgewiesenen Krankheit und der eingetretenen Studienverzögerung.
Darüber hinaus war die Teilzeitbeschäftigung nicht der Wirtschaftlichkeit, sondern der Herstellung einer Alltagsstruktur geschuldet, um aus den gewohnten Mustern der psychischen Erkrankung auszubrechen und wurde aufgrund der Empfehlung der behandelnden Ärzte aufgenommen.
Die Voraussetzungen für eine Nachsicht von der Studienzeitüberschreitung sind daher insgesamt erfüllt, weshalb der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet ist, da die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Studienverzögerung nicht maßgeblich auf die Krankheit zurückzuführen ist. Der angefochtene Bescheid ist daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts zu beheben.
3.2.4. Zur Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde
3.2.4.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat - liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor - das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
3.2.4.2. In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
3.2.4.3. Verfahrensgegenständlich hat die belangte Behörde – abgesehen von den Ermittlungen zur Studienzeitüberschreitung – im Lichte des unter Pkt. 3.2.4.2. zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich des Vorliegens der (sonstigen) Anspruchsvoraussetzungen auf Gewährung von Studienbeihilfe „jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen“.
Da die belangte Behörde – wie bereits unter Pkt. 3.2.1. ausgeführt - zu Unrecht zum Ergebnis gelangte, dass die Studienzeitüberschreitung nicht maßgeblich aufgrund der Krankheit der BF verursacht wurde und dass die BF daher die Voraussetzungen für den Erhalt einer Studienbeihilfe nicht erfülle, erfolgte diese Unterlassung im Sinne einer möglichst ökonomischen und effizienten Verfahrensführung auch aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Dennoch erachtet das Bundesverwaltungsgericht eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde für geboten.
Der Verwaltungsgerichtshof leitet zwar aus § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG einen „prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte“ ab (VwGH 20.12.2017, Ra 2017/10/0116 mit Verweis auf VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063), bringt darin aber auch zum Ausdruck, dass eine Zurückverweisung dann – und nur dann - in Betracht kommt, wenn es sich um „Ermittlungslücken“ in einem größeren Ausmaß handelt. Verfahrensgegenständlich liegen derartige Ermittlungslücken vor, da hinsichtlich der für die Feststellung des Anspruchs auf Studienbeihilfe ganz zentralen Voraussetzungen gemäß § 6 StudFG Themenbereiche wie insbesondere der „sozialen Bedürftigkeit“ – wenn auch wie dargelegt aus nachvollziehbaren Erwägungen – keine Ermittlungen stattgefunden haben. Darüber hinaus müsste auch die Höhe der Studienbeihilfe und die zumutbaren Unterhalts- und Eigenleistungen ermittelt werden.
Es kann – aufgrund der unmittelbaren „Sachnähe“ und Vertrautheit der belangten Behörde zur Materie der zu erledigenden Angelegenheit - auch nicht gesagt werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. In einer Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis daher der Vorzug zu geben. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
3.2.4.4. Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die vorliegende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts stützt sich in den wesentlichen Fragen, insbesondere zur Frage der Kausalität von Krankheit und Studienzeitüberschreitung, auf eine gefestigte im Beschluss zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Berufstätigkeit Ermittlungspflicht Gesundheitszustand Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung psychische Erkrankung Studienbeihilfe Studienzeitüberschreitung VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W254.2239904.1.00Im RIS seit
21.01.2022Zuletzt aktualisiert am
21.01.2022