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44 ZivildienstLeitsatz
Verletzung im Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung durch Feststellung des Nichteintretens der Zivildienstpflicht mangels Tauglichkeit des Wehrpflichtigen zum Zeitpunkt der Abgabe der Zivildiensterklärung. Wenn - wie im vorliegenden Fall - das Stellungsverfahren zum Zeitpunkt der Abgabe einer Zivildiensterklärung bereits eingeleitet war, führt eine am Sinn des Gesetzes orientierte Auslegung zur Annahme, die Zivildiensterklärung sei - zulässigerweise - als bedingt für den Fall abgegeben anzusehen, daß das Stellungsverfahren die Tauglichkeit zum Wehrdienst ergibt (vgl auch §5 Abs2 ZivildienstG idF der Novelle 1994).Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seiner Rechtsvertreter, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Der Beschwerdeführer hat sich am 15. Februar 1994 bei der Stellungskommission des Militärkommandos Wien der Stellung unterzogen. Vor endgültiger Entscheidung über seine Tauglichkeit zum Wehrdienst wurde er zu einer weiteren fachärztlichen Untersuchung verpflichtet. Das Ergebnis dieser Untersuchung wurde ihm mit Schreiben des Militärkommandos am 15. März 1994 mitgeteilt ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme"); aufgrund des Untersuchungsergebnisses sei von der Stellungskommission in Aussicht genommen, ihn für "tauglich" zu erklären.
b) Daraufhin brachte der Beschwerdeführer am 23. März 1994 beim Militärkommando Wien eine Zivildiensterklärung ein.
c) Mit Beschluß der Stellungskommission vom 25. April 1994 (zugestellt am 29. April 1994) wurde er als "tauglich" zum Wehrdienst befunden. Eine (neuerliche) Zivildiensterklärung gab er nicht ab.
2. Der Bundesminister für Inneres (BMI) erließ an ihn folgenden, mit 13. Juni 1994 datierten Bescheid:
"Gem. §5a Abs4 in Verbindung mit §5a Abs3 Z1 ZDG idF BGBl. Nr. 187/94 wird festgestellt:
Sie waren am Einbringungstag Ihrer Zivildiensterklärung vom 23.03.1994 nicht tauglich. Diese Erklärung hat daher Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen.
B e g r ü n d u n g
Gem. §2 Abs1 ZDG können taugliche Wehrpflichtige innerhalb eines Monats nach Abschluß des Stellungsverfahrens, in dem sie erstmals tauglich zum Wehrdienst befunden wurden, eine Zivildiensterklärung einbringen. Am Einbringungstag waren Sie nach Mitteilung des zuständigen Militärkommandos (noch) nicht tauglich.
Gem. §5a Abs3 Z1 ZDG ist in diesem Fall eine eingebrachte Zivildiensterklärung mangelhaft und ist daher gemäß §5a Abs4 ZDG die Zivildienstpflicht nicht eingetreten."
3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
4. Der BMI als jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der Verfassungsgerichtshof
hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Das durch §2 Abs1 iVm Abs2 Zivildienstgesetz 1986 - ZDG, BGBl. 679, idF der Novelle BGBl. 187/1994, (wie schon zuvor durch §2 Abs1 idF der Novelle BGBl. 675/1991) verfassungsgesetzlich verbürgte Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung hat zunächst zum Inhalt, daß die in dieser Norm umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Zivildienstpflicht und die damit verbundene Ausnahme von der Wehrpflicht von der Behörde richtig beurteilt werden; das genannte Recht wird aber auch dann verletzt, wenn grobe Verfahrensfehler dazu führen, daß eine nach §2 Abs1 ZDG abgegebene Erklärung von der Behörde als nicht rechtswirksam qualifiziert wird (vgl. VfGH 1.7.1993 B2069/92, S 7 f.; 4.3.1994 B1115/93, S 8).
2.a) Dem Einleitungssatz des - auf Verfassungsstufe stehenden - §2 Abs1 ZDG idF der Novelle 1994 zufolge kann der Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1990, der erstmals tauglich zum Wehrdienst befunden wurde, innerhalb eines Monats nach Abschluß des Stellungsverfahrens eine Zivildiensterklärung abgeben.
b) Personen, deren (dauernde) Untauglichkeit im Stellungsverfahren festgestellt wurde, dürfen nicht in das Bundesheer einberufen werden. Es wäre daher sinnlos, sie iS des ZDG von der Wehrpflicht auszunehmen. Aus diesen Erwägungen wäre es auch nicht sinnvoll zu erlauben, daß eine rechtswirksame Zivildiensterklärung bereits zu einem Zeitpunkt abgegeben wird, zu dem über die Erklärung noch längere Zeit nicht entschieden werden kann, weil der Betreffende noch nicht der Stellung zu unterziehen ist und daher seine (allfällige) Tauglichkeit zum Wehrdienst erst in fernerer Zukunft festgestellt werden kann.
Wenn aber - wie im vorliegenden Fall - das Stellungsverfahren zum Zeitpunkt der Abgabe einer Zivildiensterklärung bereits eingeleitet war, führt eine am Sinn des Gesetzes orientierte Auslegung zur Annahme, die Zivildiensterklärung sei - zulässigerweise - als bedingt für den Fall abgegeben anzusehen, daß das Stellungsverfahren die Tauglichkeit zum Wehrdienst ergibt (vgl. auch §5 Abs2 ZDG idF der Novelle 1994).
c) Der BMI gelangte - ausgehend von einer anderen, verfehlten Interpretation des Gesetzes - zum Ergebnis, die vom Beschwerdeführer abgegebene Zivildiensterklärung habe nicht dessen Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung bewirkt, weil die Abgabe verfrüht erfolgt sei. Dieses Ergebnis ist nach dem zuvor Gesagten unrichtig.
d) Der Beschwerdeführer wurde also durch den bekämpften Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt.
Der Bescheid war infolgedessen aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.
In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
ZivildienstEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1994:B1660.1994Dokumentnummer
JFT_10058988_94B01660_00