TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/18 G314 2220548-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.10.2021
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Entscheidungsdatum

18.10.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch


G314 2220548-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des italienischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Lászlo SZABÓ, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A)       

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt I. zu lauten hat: „Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.“

B)       

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Nachdem der BF wegen Verstößen gegen das Suchtmittelgesetz zu einer Strafenkombination (bestehend aus einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe und einer unbedingt ausgesprochenen Geldstrafe) verurteilt worden war, forderte ihn das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Schreiben vom 12.03.2019 auf, sich binnen zwei Wochen zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern und konkrete Fragen zu beantworten. Dieses Schreiben wurde dem BF am 14.03.2019 zugestellt. Mit E-Mail vom 15.04.2019 wurde die Vollmacht des im Kopf genannten Rechtsvertreters bekanntgegeben und gleichzeitig eine Äußerung abgegeben. Der Aufforderung des BFA vom 17.04.2019, die Fragen der Behörde bis 01.05.2019 zu beantworten, kam der BF nicht nach.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein mit vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Dies wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung begründet. Das Verhalten des BF stelle eine Gefahr für die Grundinteressen der Gesellschaft dar, zumal er Suchtmittel auch an Dritte weitergegeben habe. Besonders verwerflich sei, dass er den Erwerb und Konsum von Suchtgift nach der Festnahme und Enthaftung im Juni 2018 bis zur Hauptverhandlung im Dezember 2018 fortgesetzt habe; von einem einmaligen Fehlverhalten könne nicht gesprochen werden. Ein Familienleben im Inland bestehe nicht, ob seines knapp zweijährigen Aufenthalts in Österreich sei jedoch damit zu rechnen, dass er private Kontakte und Freundschaften geknüpft habe. Aufgrund der Lebensumstände des BF und seines rechtswidrigen Verhaltens sei jedoch einem geordneten Fremdenwesen ein höherer Stellenwert einzuräumen als seinen sozialen Anbindungen zu Österreich.

Der BF erhob dagegen eine Beschwerde, mit der er die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung und die ersatzlose Aufhebung (gemeint ist wohl Behebung) des Aufenthaltsverbots anstrebt. Er begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass die Behörde seine persönlichen Verhältnisse und die näheren Tatumstände nicht gewürdigt habe. Er habe die Taten überwiegend zur Befriedigung der eigenen Sucht begangen. Er absolviere in Österreich eine Lehre, habe seit der Verurteilung nichts mehr mit der Kriminalpolizei zu tun und konsumiere auch keine Drogen mehr.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.

Feststellungen:

Der am XXXX in XXXX geborene BF, ein Staatsangehöriger Italiens, hat einen am XXXX .2016 ausgestellten Reisepass und einen am XXXX .2018 ausgestellten Personalausweis. Er absolvierte in Österreich ab XXXX 2017 eine Lehre zum XXXX . Er ist ledig und ohne Sorgepflichten, gesund und arbeitsfähig. Er beherrscht die deutsche Sprache.

Der BF war von XXXX .2017 bis XXXX .2018 mit Nebenwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet, von XXXX .2018 bis XXXX .2021 bestanden durchgehend Hauptwohnsitzmeldungen bei seinen Arbeitgebern. Am XXXX .2018 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt.

Von XXXX .2017 bis XXXX .2020 war der BF als Angestelltenlehrling versichert, von XXXX .2020 bis XXXX .2021 stand er in einem vollversicherten Arbeitsverhältnis. Von XXXX . bis XXXX .2020, von XXXX . bis XXXX .2020 und XXXX . bis XXXX .2020 bezog er Arbeitslosengeld.

Kurz nach dem Ende seines letzten Beschäftigungsverhältnisses in einem XXXX Hotel wurde der Hauptwohnsitz des BF abgemeldet; aktuell hält er sich nicht im Bundesgebiet auf.

Der BF wurde am XXXX .2018 kurzfristig in Verwahrungshaft genommen und am darauffolgenden Tag wieder auf freien Fuß gesetzt. In der Folge wurde er mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , als junger Erwachsener wegen der Vergehen des Suchtgifthandels (§ 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 3 erster Fall SMG) und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG) zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen á EUR 4 (insgesamt EUR 960) kombiniert mit einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe, die unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde, verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig, nachdem das Oberlandesgericht XXXX der Berufung des BF mit dem Urteil vom XXXX , XXXX , nicht Folge gegeben hatte. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF zwischen XXXX 2017 und XXXX .2018 im Großraum XXXX vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge (8,29 Grenzmengen) anderen überlassen hat, wobei er selbst an Suchtmittel gewöhnt war und die Taten vorwiegend deshalb beging, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, indem er im Verlauf mehrerer Teilhandlungen insgesamt zumindest 300 g Cannabiskraut (36 g THC bzw. 1,8 Grenzmengen), 300 g Cannabisharz (7,5 g THC bzw. 0,37 Grenzmengen), 75 g Kokain (60 g reines Cocain bzw. 4 Grenzmengen), 20 g MDMA (15 g reines MDMA bzw. 1,5 Grenzmengen) und 35 g Speed (6,23 g reines Amphetamin und Methamphetamin bzw. 0,62 Grenzmengen) an verschiedene Abnehmer gewinnbringend verkauft hat. Zusätzlich hat er zwischen XXXX .2018 und XXXX .2018 THC-haltiges Cannabis zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen. Bei der Strafbemessung kamen die bisherige Unbescholtenheit des BF, sein volles und reumütiges Geständnis, die Sicherstellung eines geringen Teils des Suchtgifts (das der BF bei seiner Festnahme bei sich hatte bzw. vor einer Polizeikontrolle aus dem Fenster warf) und die Tatbegehung im Alter unter 21 als Milderungsgründe zum Tragen. Erschwerend wirkten sich das Zusammentreffen von mehreren Vergehen, der lange Tatzeitraum, das mehrfache Überschreiten der Grenzmenge, die Tatwiederholung (in Bezug auf das Vergehen des Suchtgifthandels) und die Erfüllung mehrerer Begehungsformen (in Bezug auf das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften) sowie die Begehung während anhängigen Verfahrens aus. Die Fortsetzung des Cannabiskonsums nach der Enthaftung war aufgrund der Gewöhnung des BF an Suchtmittel nicht als besonders verwerflich zu werten. Einer zur Gänze bedingt nachgesehenen Sanktion stand der Suchtgifthandel in Bezug auf mehr als das Achtfache der Grenzmenge über einen langen Tatzeitraum entgegen. Angesichts der gerichtlichen Unbescholtenheit des BF wurde der Vollzug einer Freiheitsstrafe gerade noch nicht für erforderlich befunden, sodass mit der Umwandlung eines viermonatigen Teils der als schuld- und tatangemessen angesehenen neunmonatigen Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe das Auslangen gefunden wurde. Das sichergestellte Suchtgift wurde eingezogen. Gemäß § 5 Z 6 lit a iVm § 19 Abs 2 JGG wurde vom Verfall abgesehen, weil dies den BF unbillig hart treffen würde. Die unbedingt verhängte Geldstrafe wurde am 14.10.2019 vollzogen.

Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der Akten des Verwaltungsverfahrens und des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG, insbesondere aus dem Strafurteil sowie den Informationen aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Strafregister, dem Versicherungsdatenauszug und dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR).

Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit des BF gehen aus dem Strafurteil hervor. Deutschkenntnisse sind aufgrund seiner Herkunft aus XXXX plausibel und stehen im Einklang mit seiner Lehrausbildung und Beschäftigung in XXXX .

Die Feststellungen zu Ausbildung und Erwerbstätigkeit des BF folgen seinen Angaben in der Äußerung vom 15.04.2019 und der Beschwerde. Seine familiären Verhältnisse ergeben sich aus den Angaben zu seiner Person im Strafurteil vom XXXX . Es gibt keine aktenkundigen Anhaltspunkte für Sorgepflichten, gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit.

Aus dem ZMR gehen die Wohnsitze des BF in Österreich hervor, aus dem Versicherungsdatenauszug die Zeiten seiner Lehre, der anschließenden Erwerbstätigkeit und des Bezugs von Arbeitslosengeld. Eine Zusammenschau der Abfragen ergibt, dass der Wohnsitz des BF kurz nach dem Ende seines letzten Beschäftigungsverhältnisses abgemeldet wurde. Da aktuell keine Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet besteht, ist davon auszugehen, dass sich der BF nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

Die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung ist im IZR eingetragen.

Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des BF in Österreich, den zugrundeliegenden Taten und den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafurteil vom XXXX , der Rechtsmittelentscheidung vom XXXX und dem Strafregister, aus dem insbesondere auch der Vollzug der Geldstrafe hervorgeht. Im erstinstanzlichen Strafurteil wurde die Fortsetzung des Cannabiskonsums nach der Festnahme noch als besonders verwerflich gewertet (worauf auch der angefochtene Bescheid Bezug nimmt). Diese Ansicht wurde im Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom XXXX jedoch dahingehend relativiert, dass zwar die Begehung während eines anhängigen Verfahrens einen Erschwerungsgrund bildet, aber im Hinblick auf die Gewöhnung des BF an Suchtmittel keine besondere Verwerflichkeit vorlag. Letzterer Ansicht ist beizupflichten, zumal schon die Heranziehung des § 28a Abs 3 SMG zeigt, dass der BF selbst süchtig war und „nur“ Beschaffungskriminalität vorlag, worauf die Beschwerde berechtigterweise hinweist.

Es liegen keine Anhaltspunkte für weitere Integrationsbemühungen oder konkrete Anknüpfungen des BF im Bundesgebiet vor. Er weist auch keine weiteren strafgerichtlichen Verurteilungen und keine Verwaltungsstrafen auf.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den BF als EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe z.B. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Hier hat sich der BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten noch das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben, das gemäß § 53a NAG idR (von hier nicht maßgeblichen Ausnahmefällen abgesehen) einen fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt. Der Erwerb des Daueraufenthaltsrechts ist schon deshalb zu verneinen, weil der BF bereits ganz kurz nach der Einreise nach Österreich Suchtgiftdelikte beging, sodass unter Berücksichtigung seiner strafgerichtlichen Verurteilung von einer Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit iSd § 55 Abs 3 NAG auszugehen ist, die dem Fortbestand des Aufenthaltsrechts gemäß § 51 Abs 1 NAG und somit dem Erlangen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 53a NAG entgegen steht (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra 2019/21/0247). Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.

Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, der Gesundheit und der Moral) berührt. Der BF wurde in Österreich kurz nach der Einreise straffällig und beging über einen längeren Zeitraum qualifizierte Suchtgiftdelikte zur Befriedigung seiner eigenen Sucht; diese sogar noch, nachdem er in diesem Zusammenhang in Verwahrungshaft genommen worden war.

Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich (nach dem allfälligen Vollzug einer Haftstrafe) in Freiheit wohlverhalten hat (siehe etwa VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Der VwGH hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (siehe z.B. VwGH 26.05.2021, Ra 2021/01/0159).

Angesichts der qualifizierten Suchtgiftdelinquenz (gewinnbringender Handel mit großen Suchtgiftmengen über einen langen Zeitraum) und der daraus ableitbaren, durch die eigene Sucht noch verstärkten Wiederholungsgefahr ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF dem Grunde nach nicht zu beanstanden.

Der BF hat kein Familienleben in Österreich. Die hier geknüpften sozialen und beruflichen Kontakte begründen vor dem Hintergrund seiner Straffälligkeit ein vergleichsweise geringes persönliches Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet, zumal er sich mittlerweile gar nicht mehr im Inland aufhält. Da das Aufenthaltsverbot nur für das österreichische Bundesgebiet gilt, ist das wirtschaftliche Fortkommen des BF in anderen Mitgliedstaaten nicht eingeschränkt. Aufgrund seiner Ausbildung und Berufserfahrung wird es ihm auch möglich sein, in seinem Herkunftsstaat oder in anderen EU-Staaten einen adäquaten Arbeitsplatz zu finden. Er kann den Kontakt zu in Österreich lebenden Freunden und Bekannten, die er während seines Aufenthalts gefunden hat, auch bei Besuchen außerhalb des Bundesgebiets sowie über Kommunikationsmittel wie Telefon und Internet aufrecht halten.

Da das Strafgericht angesichts erheblicher Milderungsgründe vom Vollzug einer Freiheitsstrafe absehen und mit einer kombinierten Sanktion im unteren Drittel des Strafrahmens (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren gemäß § 28a Abs 3 SMG) das Auslangen fand und gegen den BF keine weiteren straf- oder verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionen verhängt wurden, ist die Dauer des Aufenthaltsverbots (auch unter Berücksichtigung seines geringen Alters und des Wohlverhaltens in Freiheit seit der Verurteilung) auf zwei Jahre zu reduzieren, zumal dem BF auch keine besonders verwerfliche Einstellung anzulasten ist. Ein Aufenthaltsverbot in dieser reduzierten Dauer ist notwendig, aber auch ausreichend, um der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung wirksam zu begegnen. Eine umfassende Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG ergibt, dass der mit dem verkürzten Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privatleben des BF auch verhältnismäßig ist. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist in diesem Sinn in teilweiser Stattgebung der Beschwerde abzuändern.

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Vor diesem gesetzlichen Hintergrund ist Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden, zumal sich der BF nicht mehr im Bundesgebiet befindet.

Da ein eindeutiger Fall vorliegt und der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten, zumal der BF kein neues oder den getroffenen Feststellungen entgegenstehendes Tatsachenvorbringen erstattet hat.

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot EU-Bürger Herabsetzung individuelle Verhältnisse Interessenabwägung Milderungsgründe Privat- und Familienleben Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2220548.1.00

Im RIS seit

19.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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