TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/15 W153 2187215-4

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Veröffentlicht am 15.11.2021
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Entscheidungsdatum

15.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch


W153 2187215-4/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.07.2020, Zl. 1100363000-200333509, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.09.2020, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA - Verfahrensgesetz (BFA-VG) stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 28.12.2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23.01.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht Beschwerde ein.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.06.2018, GZ XXXX , wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Am 17.09.2018 stellte der BF einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.06.2018 abgeschlossenen Verfahrens.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.10.2018, GZ XXXX , wurde der Antrag des BF auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unbegründet abgewiesen.

Am 29.06.2019 stellte der BF erneut einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.06.2018 abgeschlossenen Verfahrens.

Am 29.11.2019 zog der BF seinen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zurück.

Am 18.06.2018 wurde gegen den BF erstmals eine Festnahme gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG wegen unrechtmäßigen Aufenthalt erlassen.

Am 24.04.2019 wurde gegen den BF erneut ein Festnahmeauftrag für die Anordnung der Abschiebung erlassen. Der BF sollte mittels Charterabschiebung am 01.05.2019 nach Afghanistan überstellt werden.

Da der BF an seiner Meldeadresse nicht angetroffen wurde und seine Mitbewohner den Beamten mitteilten, dass dieser seit zwei Monaten nicht mehr dort lebe, wurde am 29.04.2019 durch das BFA die amtliche Abmeldung des BF beantragt.

Mit Schreiben der Gemeinde des BF vom 05.08.2019 wurde mitgeteilt, dass die Hauptwohnsitzmeldung des BF den Vorgaben des Meldegesetztes entspreche und eine amtliche Abmeldung daher nicht durchgeführt werde.

Am 27.08.2019 wurde gegen den BF erneut ein Festnahmeauftrag für die Anordnung der Abschiebung erlassen. Der BF sollte mittels Charterabschiebung am 03.09.2019 nach Afghanistan überstellt werden.

Da der BF an seiner Meldeadresse erneut nicht angetroffen wurde und seine Mitbewohner den Beamten mitteilten, dass dieser nach Frankreich verzogen sei, wurde am 02.09.2019 durch das BFA erneut die amtliche Abmeldung des BF beantragt.

Am 27.09.2019 wurde gegen den BF erneut ein Festnahmeauftrag für die Anordnung der Abschiebung erlassen. Der BF sollte mittels Charterabschiebung am 01.10.2019 nach Afghanistan überstellt werden.

Da der BF an seiner Meldeadresse erneut nicht angetroffen wurde und seine Mitbewohner den Beamten mitteilten, dass dieser nach Frankreich verzogen sei, wurde durch das BFA erneut die amtliche Abmeldung des BF beantragt.

Am 03.10.2019 wurde gegen den BF ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z 2 BFA-VG – Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen – erlassen.

Am 25.11.2019 wurde der BF von seiner Gemeinde abgemeldet, war bis 07.04.2020 unbekannten Aufenthalts und zur sofortigen Festnahme ausgeschrieben.

Am 10.04.2020 stellte der BF den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung fand am 11.04.2020 und die Einvernahmen vor dem BFA am 11.05.2020 und 20.05.2020 statt.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid des BFA vom 01.07.2020 wurde der Folgeantrag des BF hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA- VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.), sowie gemäß §53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein befristetes Einreiseverbot für die Dauer von drei Jahren erlassen (Spruchpunkt VII).

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde. Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass der BF nunmehr zum Christentum konvertiert sei.

Mit Schreiben vom 27.07.2020 brachte das BFA eine Stellungnahme zur Beschwerde des BF ein. Darin wurde ausgeführt, dass die Beschwerde im überwiegenden Teil Sachverhalten aus dem Vorverfahren behandle. Die Angaben des BF zu seinen und den Berufen seiner Eltern würden im Widerspruch zu seinen diesbezüglichen Angaben im Vorverfahren stehen.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.08.2020, GZ. W153 2187215-4/3Z, wurde der Beschwerde des BF die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.09.2020 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF sowie dessen Rechtsvertretung teilnahmen. Der BF wurde zu seiner Person, seinen Konversion und seiner Integration befragt. Es wurde ihm Gelegenheit gegeben, alle Gründe umfassend darzulegen. Die Taufpatin des BF wurde zeugenschaftlich einvernommen. Der BF legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor. Dem BF wurde aufgetragen dem Bundesverwaltungsgericht Bescheid zu geben, ob er sich um ein Studentenvisum bemühen werde und wie viel Zeit er dafür benötige.

Mit Schreiben vom 28.09.2020 brachte der BF eine Stellungnahme ein. Er führte aus, dass er am 09.11.2020 einen Termin bei der afghanischen Botschaft habe, um sich eine Tazkira ausstellen zu lassen.

In seinem Schreiben vom 16.11.2020 führte der BF aus, dass er bei der afghanischen Botschaft gewesen sei. Er habe seine Dokumente abgegeben und das Formular für die Erlangung einer Tazkira ausgefüllt und diese an einen Bekannten nach Afghanistan geschickt. Der Bekannte müsse die Dokumente nun persönlich zur Behörde in Kabul bringen. Es könne nicht gesagt werden, wie lange die Ausstellung der Tazkira noch dauert.

Am 24.05.2021 brachte der BF erneut eine Stellungnahme ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF sich durchgehen bemüht habe, einen Reisepass zu bekommen. Er warte nun auf einen Termin, um den Reisepass abzuholen. Er engagiere sich nach wie vor in seiner Kirchengemeinde, sei nach wie vor aktiv beim Roten Kreuz und habe ein Gewerbe angemeldet. Die Einvernahme seiner Pfarrerin wurde beantragt.

Am 30.08.2021 brachte der BF seine Tazkira und seinen Reisepass in Vorlage. Es wurde ausgeführt, dass der BF offen zu seinem Glauben stehe und in der Tazkira „Christ“ aufscheine. Der BF nehme am kirchlichen Leben seiner Gemeinde teil und leiste ehrenamtliche Tätigkeiten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.

Der volljährige BF stellte 28.12.2015 nach illegaler Einreise in Österreich erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher rechtskräftig abgelehnt wurde.

Nunmehr stellte der BF am 10.04.2020 gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara/Sadat an. Er stammt aus der Provinz Maidan Wardak und verfügt über eine zwölfjährige Schulbildung. Berufsbedingt bzw. zwecks Studium, das er nicht abgeschlossen hat, lebte der BF bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in Kabul. Er ist ledig. Seine Familie lebte zum Zeitpunkt seiner Ausreise im Maidan Wardak. Nunmehr lebt zumindest die Mutter in Pakistan, mit der er in Kontakt steht. Der BF verfügt auch aufgrund seines langen beruflichen Aufenthaltes in Kabul über soziale Kontakte. Ein Freund war ihm zuletzt auch bei der Beschaffung seiner Reisedokumente behilflich.

Der BF ist arbeitsfähig. Er spricht Deutsch auf Niveau C1, hat eine Studienberechtigung und bemüht sich um eine Gewerbeberechtigung. Seit Rechtskraft des Vorverfahrens haben sich keine relevanten Änderungen in seinem Privatleben ergeben.

Grundsätzlich hat das Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung festgestellt, dass sein neues Vorbringen keine Neuerungen darstellt, da sie sich auf bereits vor Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.06.2018 bestehende Tatsachen stützt bzw. eine nachträgliche Konversion zum Christentum keinen glaubhaften Kern aufweist.

Nunmehr muss jedoch aufgrund der aktuellen Ereignisse die Lage in Afghanistan und somit das Vorbringen des BF neu beurteilt werden.

Die im angefochtenen Bescheid vom Juli 2020 getroffenen Feststellungen über die Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Allfällige Auswirkungen des im Frühjahr erfolgten Abzuges der Koalitionstruppen und Sicherheitskräfte und der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 konnten somit im angefochtenen Bescheid nicht berücksichtigt werden.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt des Bundesamtes sowie in den Gerichtsakt.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF ergeben sich insbesondere durch die aktuellen Reisedokumente.

Der BF gab bei seinem neuen Asylantrag an, dass die alten Fluchtgründe aufrecht bleiben. Zusätzlich sei er aber zum Evangelischen Glauben konvertiert und seine Probleme in der Heimat würden dadurch noch größer werden. Eine Konvertierung sei in Afghanistan ein Grund zur Hinrichtung.

Faktum ist, dass sich der BF erst nach der negativen Entscheidung seines ersten Asylantrages begonnen hat, sich für das Christentum zu interessieren. Er konnte nicht glaubwürdig entkräften, dass dies kein Zufall war, zumal er immer bekräftigte alles zu tun, um nicht nach Afghanistan zurückkehren zu müssen. Er hat sich auch erfolgreich einer Ausweisung entzogen und hat während seines illegalen Aufenthaltes versucht durch eine rasche Taufe Fakten zu schaffen, die eine Rückkehr nach Afghanistan verhindern. So hat er auf die Frage, warum er eigentlich dem evangelischen und nicht dem katholischen Glauben beigetreten sei, obwohl seine Vertrauensperson und Patin römisch-katholisch ist, angegeben, dass er damals als er von den Zeugen Jehovas weggegangen sei, ein bisschen etwas im Internet gesucht und etwas zu Martin Luther gefunden hätte. Dies ist ein Indiz, dass er eben krampfhaft eine Kirche gesucht habe, die den BF rasch tauft.

Der BF wurde dann am 14.07.2019 evangelisch getauft. Er konnte auch nicht plausibel darlegen, warum er erst Monate nach der Taufe einen neuerlichen Asylantrag gestellt hat und auch beim Wiedereinsetzungsantrag im Juni 2019 keine Angaben über seine Konversion gemacht hat. Diesbezüglich führte der BF in der mündlichen Verhandlung aus, dass er vor seiner Taufe und der erneuten Antragstellung versucht habe, möglichst viel Beweismaterial für seinen Erstantrag zu sammeln. Es sei eine Ungerechtigkeit gewesen und er habe den Richter überzeugen wollen, dass er nicht gelogen habe. Er habe immer gehofft, dass er aufgenommen habe. Auch auf die explizite Frage, weshalb er im Zuge seines Wiederaufnahmeantrages vom 29.06.2019 – und somit lediglich rund zwei Wochen vor seiner Taufe am 14.07.2019 – seine Konversion nicht erwähnt habe, führte der BF aus, dass er gehofft habe, dass seinem Erstantrag Folge gegeben werde. Er habe dann gesehen, dass er keine andere Chance habe, als dass er angebe, Christ geworden zu sein, um in Österreich bleiben zu können.

Da der BF im Zuge der mündlichen Verhandlung grundsätzlich seine Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise bekundet hat, wurde ihm eine Frist zur Besorgung von Reisedokumenten gewährt. Aufgrund der Covid-19 Pandemie und der Verzögerungen, da seine Taskira wegen seines Religionsbekenntnis geändert werden musste, hat sich die Ausstellung der Reisedokumente verzögert.

Nunmehr hat sich durch die veränderten Machtverhältnisse in Afghanistan der Sachverhalt im Vergleich zur letzten rechtskräftigen Entscheidung wesentlich verändert. Diese Feststellung beruht auf den aktuellen Länderberichten zur Lage im Herkunftsstaat.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Wie sich aus den aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan (abgerufen aus ecoi-net, Stand 16.09.2021, Version 5) ergibt, hat sich die Sicherheitslage in dem Land in der jüngeren Vergangenheit massiv verschlechtert. Die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif wurden von den Taliban eingenommen (vgl. etwa zu Herat: https://www.bbc.com/news/world-asia-58184202; https://orf.at/stories/3224653/; zu Mazar-e Sharif: https://www.bbc.com/news/world-asia-58213848; https://orf.at/stories/3224887/). Sämtliche Provinzen Afghanistans werden von den Taliban kontrolliert (vgl. https://www.longwarjournal.org/mapping-taliban-control-in-afghanistan).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Zudem folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung an eine behördliche Entscheidung (VwGH vom 24.05.2016, Ra 2016/03/0050, mwN; 13.09.2016, Ro 2015/03/0045; vgl. weiters VwGH vom 08.08.2018, Ra 2017/04/0112; 20.09.2018, Ra 2017/09/0043).

„Entschiedene Sache“ iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Werden nur Nebenumstände modifiziert, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, so ändert dies nichts an der Identität der Sache. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes – nicht bloß von Nebenumständen – kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. z.B. VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2007, 2004/20/0100). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und hat sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht geändert, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen. Stützt sich ein Asylantrag auf einen Sachverhalt, der verwirklicht worden ist, bevor das Verfahren über einen (früheren) Antrag beendet worden ist, so steht diesem (zweiten) Antrag die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Soweit nicht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder das Bundesasylamt, sondern der Asylgerichtshof oder das Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig entschieden hat, ist Maßstab nicht ein Bescheid, sondern die Entscheidung dieses Gerichtes.

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH vom 29.06.2011, U 1533/10; VwGH vom 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

Gegenüber neu entstandenen Tatsachen (novae causae supervenientes; vgl. VwGH 20.2.1992, 91/09/0196) fehlt es an der Identität der Sache; neu hervorgekommene Tatsachen (oder Beweismittel) rechtfertigen dagegen allenfalls eine Wiederaufnahme iSd § 69 Abs. 1 Z 2 AVG bzw. des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG (wegen nova reperta; zur Abgrenzung vgl. zB VwGH 4.5.2000, 99/20/0192; 21.9.2000, 98/20/0564; 24.8.2004, 2003/01/0431; 4.11.2004, 2002/20/0391), bedeuten jedoch keine Änderung des Sachverhaltes iSd § 68 Abs. 1 AVG. Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes ausgeschlossen, sondern auch dann, wenn dasselbe Begehren auf Tatsachen und Beweismittel gestützt wird, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben (VwGH 30.9.1994, 94/08/0183 mwN; 24.8.2004, 2003/01/0431; 17.9.2008, 2008/23/0684).

Zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen iSd § 18 Abs. 1 AsylG 2005 - kann die Behörde jedoch nur durch eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes berechtigt und verpflichtet werden, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls sie festgestellt werden kann - zu einem anderen Ergebnis als das erste Verfahren führen kann (VwGH vom 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN, zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 18 Abs. 1 AsylG 2005, nämlich § 28 Asylgesetz 1997 BGBl. I 76; 17.9.2008, 2008/23/0684; weiters VwGH vom 06.11.2009, 2008/19/0783).

Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den diese positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der (neuerliche) Asylantrag zulässig ist, mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Antragstellers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben ihre Ermittlungen, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH vom 09.03.2015, Ra 2015/19/0048; 25.02.2016, Ra 2015/19/0267; 12.10.2016, Ra 2015/18/0221; 24.05.2018, Ra 2018/19/0187 und 27.11.2018, Ra 2018/14/0213). Wird in einem neuen Asylantrag eine Änderung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides (Vorerkenntnisses) einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen und berechtigt die Behörde dazu, ihn zurückzuweisen (VwGH 4.5.2000, 99/20/0192).

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken“ behauptet; vgl. VwGH vom 20.03.2003, Zl. 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH vom 07.06.2000, Zl. 99/01/0321).

Auch wenn das Vorbringen des Folgeantrages in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den Behauptungen steht, die im vorangegangenen Verfahren nicht als glaubwürdig beurteilt worden sind, schließt dies nicht aus, dass es sich um ein asylrelevantes neues Vorbringen handelt, das auf seinen "glaubhaften Kern" zu beurteilen ist. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der neu behaupteten Tatsachen von Bedeutung sein, macht eine neue Beweiswürdigung aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar unzulässig, etwa in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden. "Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem rechtskräftigen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit" (VwGH vom 25.04.2007, 2005/20/0300 und 13.11.2014, Ra 2014/18/0025; vgl. weiters VwGH 26.09.2007, 2007/19/0342).

Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nichts anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtskräftigen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Bei der Prüfung, ob Identität der Sache vorliegt, ist vom rechtskräftigen Vorbescheid (Vorerkenntnis) auszugehen, ohne seine sachliche Richtigkeit - nochmals - zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. zB VwGH 15.10.1999, 96/21/0097; 25.4.2002, 2000/07/0235).

Ob ein neuerlicher Antrag wegen geänderten Sachverhaltes zulässig ist, darf nur anhand jener Gründe geprüft werden, welche die Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht hat; in der Berufung (jetzt: Beschwerde) gegen den Zurückweisungsbescheid dürfen derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (vgl. zB VwSlg. 5642 A/1961; 23.5.1995, 94/04/0081; 15.10.1999, 96/21/0097; 4.4.2001, 98/09/0041; 25.4.2002, 2000/07/0235). Allgemein bekannte Tatsachen hat das Bundesasylamt jedoch als Spezialbehörde von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. VwGH 7.6.2000, 99/01/0321; 29.6.2000, 99/01/0400; 15.9.2010, 2008/23/0334 mwN; 15.12.2010, 2007/19/0265).

"Sache" des Beschwerdeverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, das Verwaltungsgericht darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Verwaltungsbehörde den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Das Verwaltungsgericht darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.05.1995, 93/08/0207; 07.10.2010, 2006/20/0035; 18.12.2014, Ra 2014/07/0002). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.06.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (vgl. Filzwieser/Frank/ Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11., K17.).

Eine Aufhebung der Zurückweisung eines Antrags, weil das Verwaltungsgericht wie hier der Meinung ist, dass die Zurückweisung zu Unrecht erfolgt ist, ist zwar keine Aufhebung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, löst aber gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, das Verfahren über den Antrag durchzuführen (vgl. dazu etwa VwGH 04.07.2019, Zl. Ra 2017/06/0210, Rz 21). Gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG sind die Behörden - wenn das Verwaltungsgericht wie im vorliegenden Fall den angefochtenen Bescheid aufhebt - verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Das bedeutet, dass bei der Erlassung der Ersatzentscheidung die Verwaltungsbehörden und auch das Verwaltungsgericht selbst an die vom Verwaltungsgericht in seinem aufhebenden Erkenntnis geäußerte Rechtsanschauung gebunden sind. Eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage. Die schon vor der Erlassung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft der Entscheidung erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört (vgl. dazu etwa VwGH 19.09.2017, Ra 2017/20/0045).

Wie bereits oben ausgeführt ging das Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren grundsätzlich davon aus, dass das ursprüngliche Fluchtvorbringen des BF bereits im Vorverfahren als nicht glaubwürdig erachtet wurde und das neue Vorbringen des BF – seine nachträgliche Konvertierung zum Christentum –keinen glaubhaften Kern aufweist.

Zum Entscheidungszeitpunkt haben sich nunmehr durch die Machtübernahme durch die Taliban die Verhältnisse in Afghanistan wesentlich geändert und daher ist die Situation in Ihrer Gesamtheit neu zu beurteilen. Im vorliegenden Fall kann insbesondere nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der BF im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan nicht mit großer Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.

Angesichts des geänderten Sachverhaltes kann sohin nicht von einer entschiedenen Sache gesprochen werden, weshalb die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz jedenfalls aus heutiger Sicht nicht gerechtfertigt ist. Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren den Antrag auf internationalen Schutz einer meritorischen Prüfung zu unterziehen haben.

Da dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt ist, erstmals inhaltlich zu entscheiden, war der angefochtene Bescheid zu beheben.

Im Hinblick auf die oben genannten Ausführungen haben auch die übrigen Spruchpunkte des Bescheides keinen Bestand mehr und sind daher ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung entschiedene Sache Voraussetzungen Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W153.2187215.4.00

Im RIS seit

14.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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