Entscheidungsdatum
06.12.2021Norm
AVG §68 Abs1Spruch
W255 2242970-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Julian MOTAMEDI, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , vom 08.04.2021, GZ XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) beantragte am 22.10.2018 die Zuerkennung von Pflegegeld.
1.2. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , vom 29.11.2018, GZ XXXX , wurde der Antrag der BF vom 22.10.2018 abgelehnt. Begründend wurde dies damit, dass die BF der Krankenversicherung in Rumänien zugehörig sei und daher dieser Staat (Rumänien) für pflegebedingte Leistungen zuständig sei. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
1.3. Die BF beantragte mit Schreiben vom 23.03.2021, eingelangt bei der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , am 07.04.2021, neuerlich die Zuerkennung von Pflegegeld.
1.4. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , vom 08.04.2021, GZ XXXX , wurde der Antrag der BF vom 07.04.2021 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) zurückgewiesen. Dies wurde damit begründet, dass der Antrag der BF auf Pflegegeld vom 22.10.2018 mit Bescheid der PVA vom 29.11.2018 rechtskräftig abgelehnt worden sei und der Antrag vom 07.04.2021 erneut die sachliche Behandlung der bereits mit Bescheid vom 29.11.2018 entschiedenen Sache zum Gegenstand habe. Da weder eine Änderung in den für die Beurteilung als maßgeblich erachteten Umständen, noch in der maßgebenden Rechtslage eingetreten sei, stehe einer neuerlichen Sachentscheidung daher die Rechtskraft des Bescheides vom 29.11.2018 entgegen.
1.5. Gegen den unter Punkt 1.4. genannten Bescheid der PVA richtet sich die von der BF fristgerecht erhobene Beschwerde vom 10.05.2021. Darin brachte die BF vor, dass die Pensionsversicherungsanstalt verkannt habe, dass die BF zwischenzeitlich, seit 04.06.2019, gemäß § 3a Abs. 2 Z 3 BPGG österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sei, da sie über eine Anmeldebescheinigung verfüge. Daraus würde sich eine Inländergleichstellung ergeben. Die BF beantrage daher
1. allenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen und
2. den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu
3. den angefochtenen Bescheid nach berichtigender Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dahingehend abzuändern, dass festgestellt werde, dass der BF Pflegegeld zuerkannt werde, in eventu
4. den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen.
1.6. Mit Schreiben vom 01.06.2021 legte die Pensionsversicherungsanstalt die gegenständliche Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor und führte aus, dass die Ablehnung des Antrages der BF auf Zuerkennung von Pflegegeld vom 22.10.2018 mit Bescheid vom 29.11.2018 erfolgt sei, da die BF der Krankenversicherung in Rumänien zugehörig sei und dieser Staat auch für pflegebedingte Leistungen zuständig gewesen sei. § 3a BPGG bestimme, dass Pflegegeldwerber, die nicht eine der in § 3 Abs. 1 und Abs. 2 BPGG angeführten Grundleistungen (z.B. eine österreichische Pension) beziehen, nur dann Anspruch auf Pflegegeld hätten, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hätten und nach der Verordnung EG Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit nicht ein anderer Mitgliedstaat für Pflegeleistungen zuständig sei. Erhalte eine Person eine Rente nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates (hier: Rumänien) und hätte sie dort Anspruch auf Sachleistungen, so habe sie bei einem Wohnort in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat Anspruch auf Sachleistungen im Wohnmitgliedstaat (hier: Österreich) gegenüber dem Träger des Wohnortes nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften. Bei den Sachleistungen habe sie Anspruch nach österreichischem Recht gegenüber dem österreichischen Träger und könne dieser gegenüber dem zuständigen rumänischen Träger die erbrachten Leistungen verrechnen. Gemäß Art. 29 iVm. Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gelte dies aber nicht für Geldleistungen. Geldleistungen seien vielmehr vom zuständigen Träger des Mitgliedstaates zu gewähren, in dem der zuständige Träger seinen Sitz habe und der die Kosten für den Rentner in dessen Wohnmitgliedsstaat gewährten Sachleistungen zu tragen habe. Geldleistungen aus der Kranken- oder Pflegeversicherung seien somit vom rumänischen Träger zu erbringen. Da die BF im damaligen Entscheidungszeitpunkt (29.11.2018) allein der rumänischen Krankenversicherung unterlegen sei, habe gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § Abs. 2 BPGG kein Anspruch auf österreichisches Pflegegeld bestanden, sodass der Antrag damals abgewiesen worden sei. In diesem entscheidenden Punkt, nämlich, dass nur eine rumänische, nicht aber eine österreichische Krankenversicherung bestehe, habe sich aber nichts geändert. Aus diesem Grund sei der zurückweisende Bescheid zu Recht ergangen. Die Pensionsversicherungsanstalt beantrage daher die Abweisung der Beschwerde und die Bestätigung der zurückweisenden Entscheidung der Pensionsversicherungsanstalt.
1.7. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.11.2021 wurde die BF aufgefordert, zwecks Klärung des Sachverhalts zehn Fragen des Bundesverwaltungsgerichts zu beantworten.
1.8. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.11.2021 wurde die Pensionsversicherungsanstalt aufgefordert, zwecks Klärung des Sachverhalts fünf Fragen des Bundesverwaltungsgerichts zu beantworten.
1.9. Mit Schreiben vom 09.11.2021 beantwortete die Pensionsversicherungsanstalt die mit Schreiben vom 02.11.2021 übermittelten Fragen des Bundesverwaltungsgerichts und führte neuerlich aus, dass die BF (nur) über eine rumänische Krankenversicherung verfüge, weshalb es sich bei Rumänien um den für die BF zuständigen Mitgliedstaat handle.
1.10. Mit Schreiben vom 16.11.2021 beantwortete die BF die mit Schreiben vom 02.11.2021 übermittelten Fragen des Bundesverwaltungsgerichts. Darin führte sie unter anderem aus, dass sie in Österreich über eine Anmeldebescheinigung und Krankenversicherungsschutz bei der SVS verfüge, während sie in Rumänien derzeit nicht krankenversichert sei.
2. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
2.1. Feststellungen:
2.1.1. Die BF ist am XXXX geboren und rumänische Staatsangehörige.
2.1.2. Die BF war von 10.04.2013 bis 07.02.2019 mit Nebenwohnsitz in Österreich gemeldet und ist seit 07.02.2019 mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet.
2.1.3. Die BF verfügt über eine Anmeldebescheinigung, die ihr am 04.06.2019 von der Bezirkshauptmannschaft XXXX ausgestellt wurde.
2.1.4. Die BF bezieht in Österreich keine Pensionsleistung.
2.1.5. Die BF bezieht seit 05.07.2017 eine Sozialversicherungspension in Rumänien, die eine Krankenversicherung beinhaltet.
2.1.6. Die BF war in Österreich von 07.04.2014 bis 30.04.2016 gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG in der Krankenversicherung pflichtversichert. Sie ist als Ehegattin von XXXX , SVNR: XXXX , bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS), krankenversichert (Mitversicherung). Es kann im gegenständlichen Verfahren nicht festgestellt werden, ob die BF der SVS im Zuge der Beantragung der Mitversicherung bekannt gegeben hat, dass sie in Rumänien über eine Sozialversicherungspension, die eine Krankenversicherung beinhaltet, verfügt, die SVS in Kenntnis darüber war/ist oder nicht sowie, ob diese Information seitens der SVS gegebenenfalls bei der Entscheidung über den (Mit)Versicherungsschutz mitberücksichtigt wurde oder nicht.
2.1.7. Am 22.10.2018 stellte die BF einen Antrag auf Gewährung des Pflegegeldes nach dem BPGG. Darin führte sie ihre Leiden an, aufgrund derer Pflegebedarf bestehe („Alzheimer, Demenz, Epilepsie, dauerbettlägrig, unfähig zu sprechen“), und gab an, dass sie keine pflegebedingte Leistung im Ausland beziehe. Zudem gab sie an, dass sie eine „reguläre Alterspension“ aus dem „Ausland“ beziehe. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , vom 29.11.2018, GZ XXXX . Begründend wurde dies damit, dass die BF der Krankenversicherung in Rumänien zugehörig sei und daher dieser Staat für pflegebedingte Leistungen zuständig sei. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
2.1.8. Am 07.04.2021 stellte die BF den gegenständlichen Antrag auf Gewährung des Pflegegeldes nach dem BPGG. Darin führte sie ihre Leiden an, aufgrund derer Pflegebedarf bestehe („Alzheimer, Demenz, Epilepsie, dauerbettlägrig, unfähig zu sprechen“), und gab an, dass sie keine pflegebedingte Leistung im Ausland beziehe. Zudem gab sie an, dass sie eine „reguläre Alterspension“ aus dem „Ausland“ beziehe. Dieser Antrag wurde mit verfahrensgegenständlichem Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , vom 08.04.2021, GZ XXXX , wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Dies wurde damit begründet, dass der Antrag der BF auf Pflegegeld vom 22.10.2018 mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 29.11.2018 rechtskräftig abgelehnt worden sei und der Antrag vom 07.04.2021 erneut die sachliche Behandlung der bereits mit Bescheid vom 29.11.2018 entschiedenen Sache zum Gegenstand habe. Da weder eine Änderung in den für die Beurteilung als maßgeblich erachteten Umständen noch in der maßgebenden Rechtslage eingetreten sei, stehe einer neuerlichen Sachentscheidung daher die Rechtskraft des Bescheides vom 29.11.2018 entgegen. Dies insbesondere deshalb – so die Pensionsversicherungsanstalt –, da die BF in Rumänien, nicht aber in Österreich krankenversichert sei.
2.2. Beweiswürdigung:
2.2.1. Die Feststellungen zum Geburtsdatum und der Staatsangehörigkeit der BF (Punkt 2.1.1.) stützen sich auf die Anmeldebescheinigung der BF, die Einsichtnahme in die Daten des Dachverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, die E-Card der BF und die Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister.
2.2.2. Die Feststellungen zu den Wohnsitzmeldungen der BF (Punkt 2.1.2.) stützen sich auf das Zentrale Melderegister.
2.2.3. Die Feststellungen zur Anmeldebescheinigung (Punkt 2.1.3.) stützen sich auf die von der BF mit Schreiben vom 16.11.2021 in Kopie übermittelte Anmeldebescheinigung mit der Zahl: XXXX .
2.2.4. Die Feststellung, dass die BF in Österreich keine Pensionsleistung bezieht (Punkt 2.1.4.), stützt sich auf die diesbezüglich übereinstimmenden Angaben der BF im Antrag auf Zuerkennung von Pflegegeld und ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 16.11.2021.
2.2.5. Die Feststellung, dass die BF seit 05.07.2017 eine Sozialversicherungspension in Rumänien bezieht (Punkt 2.1.5.), stützt sich auf den Pensionsbescheid XXXX der Bezirkspensionskassa XXXX , des Ministeriums für Arbeit, Familie und Sozialschutz, Rumänische Pensionskasse, vom 06.09.2017, samt beglaubigter Übersetzung in deutscher Sprache. Die Feststellung, dass diese Sozialversicherungspension auch eine Krankenversicherung umfasst (Punkt 2.1.5.), stützt sich auf das gegenseitige Informationssystem für soziale Sicherheit der EU (MISSOC), demzufolge Rentner in Rumänien gemäß Abschnitt VIII des Gesetzes Nr. 95/2006 von April 2006, veröffentlicht im Amtsblatt Nr. 372 vom 28. April 2006, neu veröffentlicht im Amtsblatt Nr. 652 vom 28. August 2015, Anspruch auf Sachleistungen aus der Krankenversicherung haben.
2.2.6. Die Feststellungen zur Krankenversicherung der BF in Österreich (Punkt 2.1.6.) stützen sich auf die Einsichtnahme in die Daten des Dachverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger und die Angaben der BF in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 16.11.2021. Die Negativfeststellungen basieren darauf, dass dem gegenständlichen Richter der diesbezügliche Verwaltungsakt der SVS nicht vorliegt und die rechtliche Beurteilung der Frage, ob damals seitens der BF tatsächlich die Voraussetzungen für eine Mitversicherung in Österreich vorgelegen sind, nicht in seinen Zuständigkeitsbereich im gegenständlichen Beschwerdeverfahren fallen.
2.2.7. Die Feststellungen zum ersten Verfahren anlässlich des Antrages auf Zuerkennung von Pflegegeld vom 22.10.2018 (Punkt 2.1.7.) stützen sich auf den Antrag vom 22.10.2018 und den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 29.11.2018.
2.2.8. Die Feststellungen zum gegenständlichen Verfahren anlässlich des Antrages auf Zuerkennung von Pflegegeld vom 07.04.2021 (Punkt 2.1.8.) stützen sich auf das von der BF ausgefüllte und eingereichte Antragsformular, den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 08.04.2021 sowie den Vorlagebericht der Pensionsversicherungsanstalt vom 01.06.2021.
2.3. Rechtliche Beurteilung:
2.3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da gegenständlich nichts Derartiges vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
2.3.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
2.3.3. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht die Rechtskraft einer Entscheidung einem neuerlichen Antrag entgegen, wenn keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vorliegt und in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten ist (VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122). Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die „entschiedene Sache“, also durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Identität der Sache als eine der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 68 Abs. 1 AVG ist dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, der dem rechtskräftigen Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat. Im Übrigen ist bei der Überprüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich verändert hat, vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne dass dabei dessen sachliche Richtigkeit nochmals zu ergründen wäre, weil die Rechtskraftwirkung ja gerade darin besteht, dass die von der Behörde entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Eine andere fachliche Beurteilung unverändert gebliebener Tatsachen berührt die Identität der Sache nicht. In Bezug auf die Rechtslage kann nur eine Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften selbst bei der Frage, ob Identität der Sache gegeben ist, von Bedeutung sein, nicht aber eine bloße Änderung in der interpretativen Beurteilung eines Rechtsbegriffs oder einer Rechtsvorschrift bei unverändertem Normenbestand (VwGH 24.06.2014, Ro 2014/05/0050).
Erst nach Erlassung des Bescheides hervorgekommene Umstände, die eine Unrichtigkeit des Bescheides dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern bilden lediglich unter den Voraussetzungen des § 69 AVG einen Wiederaufnahmegrund (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Im Folgeantragsverfahren können – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben (VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089).
2.3.4. Das Bundesverwaltungsgericht hat fallbezogen somit zu prüfen, ob die belangte Behörde aufgrund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zum Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Verfahren (Antrag auf Zuerkennung von Pflegegeld) keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307).
Maßstab der Rechtskraftwirkung bildet die Entscheidung, mit der zuletzt in der Sache entschieden wurde (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783), im vorliegenden Fall somit der rechtskräftige Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 29.11.2018, GZ XXXX .
2.3.5. Fallgegenständlich stellte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid fest, dass sich weder an der Rechtslage noch am entscheidungswesentlichen Sachverhalt etwas geändert habe. Dies insbesondere deshalb, da die BF ausschließlich in Rumänien, nicht aber in Österreich über einen Krankenversicherungsschutz verfüge.
Dabei übersieht die BF, dass die BF als Ehegattin von XXXX , SVNR: XXXX , im Rahmen der Mitversicherung bei der SVS krankenversichert ist. Unbeschadet dessen, ob die Voraussetzungen für die Mitversicherung tatsächlich vorgelegen sind bzw. vorliegen, sind somit neue Tatsachen entstanden, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen. Zudem verfügt die BF – anders als vor Erlassung des rechtskräftigen Bescheides der Pensionsversicherungsanstalt vom 29.11.2018 – nunmehr über eine aufrechte Hauptwohnsitzmeldung und Anmeldebescheinigung in Österreich.
2.3.6. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Änderung des Vorbringens nur dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann, und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich – wenn auch nicht zwingend – ist (VwGH 24.03.2011, 2007/07/0155).
2.3.7. Gemäß § 3a Abs. 1 BPGG besteht Anspruch auf Pflegegeld nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auch ohne Grundleistung gemäß § 3 Abs. 1 und 2 für österreichische Staatsbürger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, sofern nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. Nr. L 166 vom 30.04.2004 S. 1, zuletzt berichtigt ABl. Nr. L 204 vom 04.08.2007 S. 30, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 1372/2013, ABl. Nr. L 346 vom 20.12.2013 S. 27 nicht ein anderer Mitgliedstaat für Pflegeleistungen zuständig ist.
Die Berücksichtigung der in Rede stehenden Sachverhaltsänderungen (Krankenversicherung, Anmeldebescheinigung und Hauptwohnsitzmeldung in Österreich) kann im Rahmen einer Sachentscheidung in Folge einer allenfalls geänderten Beurteilung des Vorliegens der Zuständigkeit des Mitgliedstaates gemäß der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Relevanz entfalten. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides ist daher möglich.
2.3.8. Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen, so ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag würde demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).
Der Beschwerde war daher stattzugeben, der angefochtene Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , vom 08.04.2021, GZ XXXX , aufzuheben und der belangten Behörde die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Für das fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides der verfahrensgegenständliche Antrag der BF auf Zuerkennung von Pflegegeld vom 07.04.2021 wieder unerledigt ist und über diesen von der belangten Behörde neuerlich, nämlich meritorisch abzusprechen ist (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter Pkt. II.3. zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes,); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
geänderte Verhältnisse Hauptwohnsitz Krankenversicherung Mitgliedstaat Mitversicherung PflegegeldEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W255.2242970.1.00Im RIS seit
11.01.2022Zuletzt aktualisiert am
11.01.2022