TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/7 L515 2244319-1

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Veröffentlicht am 07.09.2021
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Entscheidungsdatum

07.09.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
StVO 1960 §29b

Spruch


L515 2244319-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hermann LEITNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER sowie den fachkundigen Laienrichter RR Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen die Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesens - Sozialministeriumsservice, XXXX , vom 26.05.2021, OB: XXXX , betreffend Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde hinsichtlich der beantragten Zusatzeintragung wird gemäß § 28 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 stattgegeben und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" und die Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b StVO vorliegen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundesverfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

I.1. Die beschwerdeführende Partei („bP“) ist im Besitz eines Behindertenpasses (festgestellter Grad der Behinderung [„GdB“] 50 v.H.) mit zeitlich befristeten Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung liegt vor“. Sie beantragte am im Akt ersichtlichen Datum unter Beifügung eines Befundkonvolutes (neuerliche) die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung.

I.2. In der Folge wurde am 12.12.2020 ein ärztliches Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Anästhesie und Allgemeinmedizin erstellt (Begutachtung am 21.10.2020). Die "Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" erachtete die medizinische Sachverständige als vorliegend.

I.3. Mit Schreiben vom 14.12.2020 wurde der bP das eingeholte Gutachten zur Kenntnis gebracht und ihr die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern. Am 31.12.2020 ersuchte die bP um Fristerstreckung für eine Stellungnahme und ärztliche Befunde. Am 26.02.2021 legte die bP ein ärztliches Befundkonvolut vor.

Sie übermittelte einen ärztlichen Entlassungsbericht vom 01.02.2021, eine psychiatrische Stellungnahme vom 16.02.2021, wonach es der bP auf Grund ihrer Angststörung mit Klaustrophobie nicht möglich sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen sowie ein fachärztliches Attest eines FA für Orthopädie und orthopädische Chirurgie vom 16.02.2021, wonach die bP in ihrer täglichen Mobilität und Lebensführung eingeschränkt sei.

Nach der psychiatrischen Stellungnahme vom 16.02.2021 gab es zahlreiche Therapieversuche, einschließlich Psychopharmaka, zuletzt 2019 mit Escitalopram 5 – 10 mg, welche jedoch wegen der Nebenwirkungen abgesetzt werden musste. Die psychotherapeutischen Ansätze in der Vergangenheit brachten kurzzeitig Besserung erzielten jedoch keinen nachhaltigen Effekt.

I.4. Im darauf von einem FA für Neurologie und Allgemeinmediziner erstellten ärztlichen Gutachten vom 22.04.2021 (Begutachtung 20.04.2021) erachtete der medizinische Sachverständige die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel neuerlich als vorliegend. Im Wesentlichen ging der Gutachter von nachfolgendem Sachverhalt aus:

„…
Derzeitige Beschwerden:

Der Antragsteller berichtet, dass er schon seit vielen Jahren Angst in engen Räumen hätte. Er vermeidet darüber hinaus auch öffentliche Verkehrsmittel, da er dies nicht aushalten würde. Beim Autofahren vermeidet er längere Tunnelstrecken. Maximal einen Kilometer könne er mit dem Auto in einem Tunnel zurücklegen.

Er war früher diesbezüglich im Psychotherapie, seit längerer Zeit bereits nicht mehr. Es ist keine nicht medikamentöse Therapie etabliert, aktuell hat er am Abend Mirtazapin, das allerdings zu Miktionsstörung führt. Zuvor gab es mit anderen Medikamenten Therapieversuche, die er allerdings ebenfalls nicht vertragen hat.

Er beklagt darüber hinaus beidseits Schulterschmerzen, Knieschmerzen beidseits sowie Rücken- und Nackenschmerzen. Im Rücken stahlen die Schmerzen auch zeitweilig in das linke Bein aus. Schmerzen bestehen darüber hinaus im Vorfußbereich. Hier wurde er diesbezüglich mit Einlagen versorgt. Er nimmt täglich Schmerzmedikamente ein, diese sind allerdings auf der aktuellen Medikamentenverschreibung vom Hausarzt nicht enthalten. Weiters beklagt er einen Tinnitus.

[…]

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1) Klaustophopie, ADHS, bipolare affektive Störung

2) Koronare Herzkrankheit, Z.n. 3-fach Bypass

3) Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule

4) Leichte Abnützung der li. Hüfte

5) Funktionseinschränkung beider Schultern

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Im Vergleich zum Vorgutachten ist es zwischenzeitlich zu einer Schulteroperation linksseitig gekommen. Es liegt auch ein orthopädischer Facharztbefund vor, der die Leiden einstuft und beschreibt inkl. Wirbelsäulenbeschwerden. Bezüglich der Klaustrophobie liegt ein psychiatrisch-fachärztlicher Befund vor.

Nachuntersuchung 02/2023 - weil Verlaufskontrolle

[…]

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Die Mobilität ist durch die Wirbelsäulenbeschwerden nicht erheblich eingeschränkt. Hilfsmittel werden nicht verwendet. Eine kurze Wegstrecke von 400 Meter kann selbstständig und ohne Hilfe zurückgelegt werden. Bezüglich des psychischen Leidens liegst zwar eine neuer psychiatrisch-fachärztlicher Befund vor, unverändert ist allerdings keine ausreichende Therapie vorliegend. Es wird aktuell lediglich Mirtazapin am Abend mit geringer Dosis eingenommen, darüber hinaus besteht auch keine Psychotherapie. Die therapeutischen Reserven sind nicht ausgeschöpft.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten? Es liegt keine Erkrankung des Immunsystems vor.

Gutachterliche Stellungnahme:

Bezüglich der körperlichen Beschwerden liegt keine eingeschränkte Wegstrecke vor. Ebenso ist eine ausreichende Standfestigkeit sowie die Möglichkeit zur Selbstabsicherung während des Transportes gegeben. Bezüglich der angegebenen Klaustrophobie sind die Therapiereserven erneut nicht ausgeschöpft.

…“

Der bP wurde nicht die Möglichkeit eingeräumt, sich zum Gutachten zu äußern.

I.5. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 26.05.2021 wurde der am 13.08.2020 bei der bB eingelangte Antrag der bP abgewiesen; die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" liegen nicht vor. Das ärztliche Sachverständigengutachten vom 01.05.2021 wurde dem Bescheid beigefügt.


I.6. Mit E-Mail vom 04.07.2021 erhob die bP Beschwerde gegen die Nichteintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Sie habe sich schon vor 20 Jahren einer Psychotherapie und medikamentösen Behandlung wegen der Klaustrophobie unterzogen. Am 04.12.2019 sei sie in der Straßenbahn bei der Endstation eingesperrt worden. 2018 sei die Bahn in einem Tunnel zum Stehen gekommen. Dies sei eine für sie schwer auszuhaltende Belastung, weshalb sie um neuerliche Feststellung ihrer Belastung ersuche. Es könne ihr in ihrem Alter von 69 Jahren niemand vorschreiben, eine Therapie zu machen, welche sie schon versucht, aber nichts genützt habe. Die Medikamente habe sie nicht vertragen. Bis zur endgültigen Klärung ihres Ansuchens ersuche sie um die Ausstellung eines vorläufigen Behindertenpasses (gemeint wohl „befristete Zusatzeintragung“).

I.7. Mit Schreiben vom 13.07.2021 erfolgte die Beschwerdevorlage, welche am selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht einlangte.

I.8. Die Beratung und Abstimmung im nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte am 6.8.2021 und beschloss der Senat, der Beschwerde stattzugeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.0.    Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die bP ist österreichischer Staatsangehöriger und an der im Akt ersichtlichen Adresse im Inland wohnhaft.

1.2. Der maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem beschriebenen Verfahrensgang, woraus sich zusammengefasst ergibt, dass die bP an Klaustrophobie leidet und deswegen in der Vergangenheit in ihren Behindertenpass die Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vorgenommen wurde. Ebenso erhielt sie einen Ausweis gem. § 29b StVO. Die bP musste in der Vergangenheit eine medikamentöse Therapie wegen Unverträglichkeit abbrechen und führe eine psychotherapeutische Behandlung zu keiner nachhaltigen Besserung.

In Bezug auf ihren psychischen Zustand trat keine Besserung ein.


2.0. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte der bB und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der oben unter Punkt II.1. festgestellter Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

Die weiteren Feststellungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister sowie die sonstigen relevanten Unterlagen.

2.2. Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

Die Ausführungen der bB stellten sich als tragfähig dar und stellen die nachfolgenden Überlegungen lediglich Konkretisierungen bzw. Abrundungen der behördlichen Ausführungen dar.

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Ebenso kann die Partei Sachverständigengutachten erfolgreich bekämpfen, ohne diesem auf gleichem fachlichem Niveau entgegentreten zu müssen, wenn es Widersprüche bzw. Ungereimtheiten im Gutachten aufzeigt (vgl. z. B. VwGH vom 20.10.2008, GZ 2005/07/0108).

Einleitend weist das ho. Gericht –zum wiederholten Male- darauf hin, dass es sich bei der Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel um eine von der Behörde bzw. dem Gericht und nicht vom medizinischen Sachverständigen zu klärende Rechtsfrage handelt. Der medizinische Sachverständige hat sich auf die Tatsachenfrage der konkreten Auswirkungen der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf den Gesundheitszustand der bP bzw. die Frage, ob und inwieweit unter welchen gesundheitlichen Risiko die bP im Lichte ihres psychischen und/der psychischen überhaupt in der Lage ist, ein öffentliches Verkehrsmittel zu sicher betreten, sich hierin sicher befördern zu lassen und es auch sicher wieder zu verlassen.

Im gegenständlichen Fall steht aufgrund der vorhandenen Gutachten und der seitens der bP vorgelegten medizinischen Bescheinigungsmitteln, mit denen sie dem Gutachten auf gleichem fachlichem Niveau entgegentrat fest, dass sie an Klaustrophobie leidet und sie deshalb nicht in der Lage ist, öffentliche Verkehrsmittel ohne erhebliche psychische Beeinträchtigungen zu benützen. Ebenso steht im gegenständlichen Fall aufgrund der vorgelegten Befundlage fest, dass die bP in der Vergangenheit bemüht war, eine medikamentöse Behandlung durchzuführen, welche jedoch aufgrund der Unverträglichkeit der Medikamente abgebrochen werden musste. Letztlich steht auch, fest, dass psychotherapuetische Maßnahmen zu keiner nachhaltigen Besserung führten.

Wenn im ursprünglichen Gutachten vom 9.4.2018 die Befristung mit dem Umstand, dass eine Besserung des Gesundheitszustandes durch Ausschöpfung der –im Gutachten nicht näher bezeichneten- therapeutischen Maßnahmen möglich ist, ist festzuhalten, dass diese Besserung dem Wortlaut des Gutachtens folgend, bloß als möglich, nicht jedoch als wahrscheinlich bezeichnet wurde.

Seitens des ho. Gerichts stellt sich pauschale die Ausführung des Sachverständigen im Gutachten vom 22.4.2021 wonach [b]ezüglich der angegebenen Klaustrophobie … die Therapiereserven erneut nicht ausgeschöpft [sind], als nicht schlüssig dar, zumal sich aus diesem Ausführungen nicht entnehmen lässt, welche konkreten weiteren –für die bP mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verträglichen- medikamentösen oder –trotz der Erfolglosigkeit in der Vergangenheit- weitere psychotherapeutische Maßnahmen über die bloße Möglichkeit hinausgehend, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer Besserung des Gesundheitszutandes der bP führen könnten. Ebenso ergeben sich aus dem Gutachten keine Ausführungen, in welchem konkreten Umfang mit solchen Besserungen zu rechnen wäre, bzw. wie sich diese in Bezug auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken würden.


Im Lichte des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens geht das ho. Gericht letztlich in dubio davon aus, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der nach wie vor bestehenden Klaustrophobie zu schweren psychischen Beeinträchtigungen bei der bP führen und eine Verbesserung dieses Zustandes gegenwärtig durch medikamentöse bzw. therapeutische Maßnahmen nicht wahrscheinlich ist.

3.0. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:

- Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF

- Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF

- Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idgF

- Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010 idgF

- Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF

- Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF

- Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF

Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.

3.2. Gemäß Art. 130 Abs 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1.       gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; …

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.


Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

In Anwendung des Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG iVm § 45 Abs 3 BBG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes in der zugrundeliegenden Beschwerdeangelegenheit begründet und fällt die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache jenem Richtersenat zu, der unter Berücksichtigung der zitierten Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dafür vorgesehen ist. Der erkennende Senat ist daher in diesem Beschwerdeverfahren zuständig.

3.3. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.


Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Bezugnehmend auf die zitierten Bestimmungen waren die unter Pkt. 3.1. im Generellen und die unter Pkt. 3.2. ff im Speziellen angeführten Rechtsgrundlagen für dieses Verfahren in Anwendung zu bringen.

3.4. Gemäß § 1 Abs 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Gemäß § 47 BBG ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.


Gemäß § 1 Abs. 2 Z 3 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

Gemäß § 1 Abs. 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 2 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Dem VwGH zufolge kommt es für die Berechtigung der zusätzlichen Eintragung in den Behindertenpass hinsichtlich der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren (VwGH vom 22.10.2002, GZ 2001/11/0258).


Die bP kann sich zwar im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen und ist das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300 - 400 m zu Fuß aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ebenso gegeben wie das Überwinden üblicher Niveauunterschiede und die sichere Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel. Gemäß den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, ist eine erhebliche Einschränkung psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen nur bei Vorliegen der Krankheitsbilder Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr als gegeben anzusehen. Nach der psychiatrischen Stellungnahme vom 16.02.2021 gab es zahlreiche Therapieversuche, einschließlich Psychopharmaka, zuletzt 2019 mit Escitalopram 5 – 10 mg, welche jedoch wegen der Nebenwirkungen abgesetzt werden musste. Die psychotherapeutischen Ansätze in der Vergangenheit brachten kurzzeitig Besserung erzielten jedoch keinen nachhaltigen Effekt. Nach Ansicht des ärztlichen Sachverständigen wäre davon auszugehen, dass die therapeutischen Reserven nicht ausgeschöpft sein sollen, zumal die bP ihren eigenen Angaben zur Folge aktuell lediglich Mirtazapin am Abend mit geringer Dosis einnimnt und auch keine Psychotherapie besteht. Es wird hier jedoch auf die Ausführungen in der Beweiswürdigung verwiesen, woraus sich ergibt, dass sich das medizinische Gutachten in diesem Punkt als nicht schlüssig darstellte.

In Entsprechung des festgestellten Sachverhalts geht das ho. Gericht davon aus, dass die bP aktuell die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, somit die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung in den Behindertenpass vorliegen und liegen auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Ziff. 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idgF - und wie bereits erwähnt damit die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung - bei der bP vor.

3.5. Eine Verhandlung konnte unterblieben, weil der Beschwerde stattgegeben wurde.

3.6. Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030)


Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Diesbezüglich ist die vorliegende und im gegenständlichen Erkenntnis zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Darüber stellt sich der anzuwendende Gesetzestext als eindeutig dar und stellten sich im gegenständlichen Fall in erster Linie Fragen der Tatsachenfeststellung und der Beweiswürdigung, sowie Fragen an die Anforderungen an ein schlüssiges Gutachten.

Auf Grundlage der obigen Ausführungen war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behindertenpass öffentliche Verkehrsmittel Parkausweis Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L515.2244319.1.00

Im RIS seit

05.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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