Entscheidungsdatum
10.09.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G314 2226707-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des rumänischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2019, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes samt Durchsetzungsaufschub zu Recht:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) wurde mit dem Urteil des Landesgerichts für XXXX vom XXXX , XXXX , wegen Suchtgiftdelikten rechtskräftig zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) forderte ihn mit Schreiben vom XXXX .2019 auf, sich zur deshalb beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu äußern. Er erstattete keine Stellungnahme.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein mit vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.) und erteilte ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG einen einmonatigen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.). Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung begründet. Trotz seiner familiären Bindungen und des langjährigen Inlandsaufenthalts würden die öffentlichen Interessen an der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme schwerer wiegen als deren Auswirkungen auf die Lebenssituation des BF.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des BF, mit der er die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung und die Behebung des Aufenthaltsverbotes beantragt. Hilfsweise wird die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbotes begehrt. Die Beschwerde wird zusammengefasst damit begründet, dass der BF bereits seit acht Jahren in Österreich lebe und daher zum Daueraufenthalt berechtigt sei. Der aus diesem Grund anzuwendende strengere Gefährdungsmaßstab sei nicht erfüllt. Der BF werde nach der Haftentlassung wieder in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und Geschwistern leben. Seine Mutter sei rumänische Staatsangehörige; sein Vater stamme aus dem Libanon, wo der BF bis zur Einreise in das Bundesgebiet gelebt habe. Er habe keinen Bezug zu Rumänien, wo er sich nur 2011 für zwei Monate für Formalitäten im Zusammenhang mit dem Erwerb der Staatsangehörigkeit aufgehalten habe.
Das BFA legte die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens und einer Stellungnahme dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor und beantragte, sie als unbegründet abzuweisen. Der BF sei zwar nur ein Mal strafgerichtlich verurteilt worden, aber in den Jahren 2013 bis 2019 laut dem kriminalpolizeilichen Aktenindex vier Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten, sodass aufgrund der Steigerung des kriminellen Potentials, der eigenen Suchtgiftgewöhnung und des langen Tatzeitraums von einer hohen Wiederholungsgefahr auszugehen sei.
Am 05.08.2021 übermittelte der BF dem BVwG auftragsgemäß einen Bewährungshilfebericht, Einkommens- und Therapienachweise sowie Informationen zu seinen aktuellen Lebensumständen.
Feststellungen:
Der BF, ein am XXXX in der libanesischen Stadt XXXX geborener rumänischer Staatsangehöriger, hält sich seit XXXX 2011 kontinuierlich im Bundesgebiet auf, wo auch seine Eltern und Geschwister leben. Davor hatte die Familie im Libanon gelebt, wo der BF die Volks- und Hauptschule besucht, aber keine weiterführende Ausbildung abgeschlossen hatte. In Österreich absolvierte er ein Jahr lang eine polytechnische Schule. Die Muttersprache des BF ist Arabisch; er verfügt auch über Kenntnisse der deutschen, französischen, englischen und rumänischen Sprache. Er hat nie für einen nennenswerten Zeitraum in Rumänien gelebt; dort leben auch keine ihm nahestehenden Bezugspersonen.
Am XXXX .2013 wurde dem BF in Österreich eine Anmeldebescheinigung als Familienangehörigem ausgestellt. Eine 2015 begonnene Lehre brach er schon nach wenigen Monaten ab. Danach war er zwischen XXXX und XXXX 2016 sowie am XXXX .2017 und am XXXX .2019 als Arbeiter erwerbstätig; ansonsten bezog er immer wieder Arbeitslosen- oder Krankengeld bzw. Notstandshilfe.
Der BF konsumierte ab Juli 2013 immer wieder Suchtgift. Ab Sommer 2016 verkaufte er Cannabiskraut und Kokain. Im Sommer 2018 lernte er seine nunmehrige Lebensgefährtin, die in Österreich asylberechtigte syrische Staatsangehörige XXXX kennen. Er begann mit ihr eine romantische Beziehung und hörte auf, Kokain zu konsumieren. Gemeinsam mit XXXX konsumierte er jedoch weiterhin Cannabiskraut.
Am XXXX .2019 wurde der BF festgenommen und ab XXXX .2019 in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde er rechtskräftig wegen der Vergehen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall iVm § 28a Abs 3 erster Fall SMG und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Ziffer 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG - bei einer möglichen Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren - zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt, wobei ein Strafteil von zehn Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Für die Dauer der Probezeit wurde die Bewährungshilfe angeordnet und dem BF die Weisung erteilt, sich einer Suchtgiftentwöhnungstherapie zu unterziehen. Ein durch den Suchtgifthandel erlangter Erlös von EUR 20.000 wurde für verfallen erklärt. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass der BF im Zeitraum XXXX 2016 bis XXXX .2019 Suchtgift in einer die Grenzmenge des § 28 b SMG übersteigenden Menge (700 g Cannabiskraut enthaltend 70 g Delta-9-THC und 200 g Kokain enthaltend 60 g Kokainbase) von verschiedenen Lieferanten erworben und gewinnbringend an diverse Abnehmer weiterverkauft hatte, wobei er an Suchtmittel gewöhnt war und die Straftaten vorwiegend deshalb beging, um sich für seinen eigenen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen. Zusätzlich hatte er im Zeitraum XXXX 2018 bis XXXX .2019 Cannabiskraut sowie im Zeitraum XXXX 2017 bis XXXX 2018 Kokain zum Eigenkonsum besessen, wobei am XXXX .2019 bei ihm 21 g Cannabiskraut sichergestellt wurden.
Bei der Strafbemessung wurde sein bislang ordentlicher Lebenswandel ebenso als mildernd gewertet wie die Tatbegehung teils nach Vollendung des 18., aber vor Vollendung des 21. Lebensjahres sowie das umfassende Geständnis; Erschwerungsgründe wurden im Zusammentreffen von mehreren Vergehen und dem langen Deliktszeitraum gesehen. Es handelt sich um die erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung des BF. Am XXXX .2020 wurde er unter Setzung einer dreijährigen Probezeit und Anordnung der Bewährungshilfe aus der Haft entlassen.
Nach der Haftentlassung lebte der BF zunächst wieder in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und Geschwistern in Graz. Seit XXXX 2021 lebt er in deren Nähe in einem gemeinsamen Haushalt mit XXXX und dem gemeinsamen, am XXXX geborenen Sohn, der wie er rumänischer Staatsangehöriger ist. Zwischen XXXX und XXXX 2020 absolvierte er die vom Gericht angeordnete Therapie bei einer Drogenberatungseinrichtung. Aufgrund seiner positiven Entwicklung und Abstinenz konnte die Therapie abgeschlossen und die entsprechende Weisung Anfang 2021 aufgehoben werden. Der BF wird weiterhin von der Bewährungshilfe betreut, mit der er verlässlich und kooperativ zusammenarbeitet.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Nach der Haftentlassung stand er von XXXX .2020 bis XXXX .2021 in einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis. Danach bezog er zunächst Arbeitslosengeld und seit XXXX .2021 Notstandshilfe. Er ist auf Arbeitssuche und bemüht sich im Hinblick auf den für verfallen erklärten Betrag um eine Schuldenregulierung.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten und dem Gerichtsakt des BVwG.
Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und Geburtsort des BF werden anhand der Angaben zu seiner Person in der Beschuldigtenvernehmung und im Strafurteil festgestellt. Eine Kopie des Datenblatts seines rumänischen Reisepasses sowie eines bis 2012 gültigen libanesischen Reisepasses liegt vor.
Der BF ist laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) seit XXXX 2011 mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet, ebenso seine Eltern und Geschwister. Es ist daher davon auszugehen, dass er sich seither im Wesentlichen kontinuierlich im Inland aufhält.
Die Ausbildung des BF im Libanon und in Österreich sowie seine Muttersprache ergeben sich aus der Beschuldigtenvernehmung vom XXXX .2019. Da er bis zum 15. Lebensjahr im Libanon lebte und bei seinen Einvernahmen Arabischdolmetscher beigezogen wurden, ist (trotz der offenbar von seiner Mutter abgeleiteten rumänischen Staatsangehörigkeit) Arabisch als seine Muttersprache festzustellen. Weitere Sprachkenntnisse gehen aus der erkennungsdienstlichen Evidenz hervor. Aufgrund des langjährigen Inlandsaufenthalts und der hier ausgeübten Erwerbstätigkeit ist von zumindest grundlegenden Deutschkenntnissen auszugehen.
Es ist glaubhaft, dass sich der BF nie für einen längeren Zeitraum in Rumänien aufhielt, zumal sein Vater aus dem Libanon stammt, wo der BF vor der Einreise in das Bundesgebiet lebte und die Schule besuchte. Es liegen keine Beweisergebnisse dafür vor, dass er in Rumänien Angehörige oder andere Bezugspersonen hat.
Die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung ist im Fremdenregister (IZR) dokumentiert. Die Erwerbstätigkeit des BF im Inland, der Bezug von Arbeitslosen- und Krankengeld sowie von Notstandshilfe gehen aus dem Versicherungsdatenauszug hervor.
Der Suchtgiftkonsum und -handel des BF wird anhand seiner Angaben gegenüber der Polizei festgestellt, wobei er den Konsum von Cannabis ab 2016 und den Konsum von Kokain zwischen Sommer 2017 und Sommer 2018 zugab. Aus dem kriminalpolizeilichen Aktenindex (der Informationen über die wegen des Verdachts einer vorsätzlich begangenen, von Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich strafbaren Handlung an die Staatsanwaltschaften erstatteten Abschlussberichte der Kriminalpolizei enthält, aber keine abschließende Auskunft darüber bietet, ob und wie die angezeigten Vorfälle erledigt wurden), geht eine erste Anzeige gegen den BF wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften im XXXX 2013 hervor, wobei die Staatsanwaltschaft im XXXX 2014 gemäß § 38 Abs 3 SMG endgültig von der Verfolgung zurücktrat. 2017 folgten zwei weitere Anzeigen wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF ab XXXX 2013 – zumindest zeitweise – Suchtgift konsumierte.
Die Beziehung zwischen dem BF und XXXX ergibt sich aus seinen Angaben bei den polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen und aus dem Zwischenbericht des Bewährungshelfers vom XXXX .2021, aus dem auch die Geburt des gemeinsamen Sohnes hervorgeht. Aus dem ZMR ergibt sich, dass der BF, seine Lebensgefährtin und sein Sohn an derselben Adresse mit Hauptwohnsitz gemeldet sind, was den behaupteten gemeinsamen Haushalt belegt. Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus von XXXX werden anhand von ZMR und IZR festgestellt, ebenso die Staatsangehörigkeit des Sohnes des BF.
Die Festnahme des BF, die Verhängung der Untersuchungshaft und der Vollzug des unbedingten Strafteils gehen aus den aktenkundigen Vollzugsinformationen hervor.
Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, seiner strafgerichtlichen Verurteilung und den Strafzumessungsgründen basieren auf dem Strafurteil sowie auf dem polizeilichen Abschlussbericht und den Beschuldigtenvernehmungen. Die Rechtskraft der Verurteilung und die bedingte Entlassung gehen aus dem Strafregister hervor. Anhaltspunkte für weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF bestehen nicht, zumal seine Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt wurde. Der Tatzeitraum betreffend den Cannabiskonsum des BF wurde im Strafurteil erst ab XXXX 2018 angenommen, weil zuvor Anzeigen gegen ihn nach dem SMG gemäß § 35 SMG (Rücktritt von der Verfolgung) erledigt worden waren (siehe Seite 4 des Strafurteils).
Bestätigungen über die Absolvierung der gerichtlich angeordneten Entwöhnungstherapie wurden vorgelegt. Der Zwischenbericht des Bewährungshelfers belegt die gute Zusammenarbeit mit dem BF sowie dessen Bemühen um Arbeitsplatz und Schuldenregulierung.
Es gibt keine aktenkundigen Anhaltspunkte für schwerwiegende medizinische Probleme des BF. Seine Arbeitsfähigkeit folgt daraus, aus seinem erwerbsfähigen Alter und der zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit. Es ist glaubhaft, dass die Suche nach einem Arbeitsplatz aktuell durch die Covid-19-Situation erschwert ist.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den BF als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa bei der Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren) kann es gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des*der Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des*der Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).
Der BF hält sich mittlerweile seit ungefähr zehn Jahren im Bundesgebiet auf, hat jedoch nicht das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben, das gemäß § 53a NAG idR (von hier nicht maßgeblichen Ausnahmefällen abgesehen) einen fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt. Ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten eines Unionsbürgers kann nämlich dazu führen, dass diesem in Österreich kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht (als Grundlage für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts) zukommt. Das ist aber nur dann der Fall, wenn vom Vorliegen einer "Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" iSd § 55 Abs 3 NAG auszugehen ist, was wiederum voraussetzt, dass das persönliche Verhalten des Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (siehe VwGH 05.02.2021, Ra 2020/21/0439). Der BF hat ab Mitte 2013 Suchtgift konsumiert und ab Sommer 2016 Cannabiskraut und Kokain in großer Menge gewinnbringend verkauft, um seinen eigenen Suchtgiftkonsum zu finanzieren. Dieses Verhalten steht dem Erwerb des Daueraufenthaltsrechts entgegen. Daher ist nicht (wie in der Beschwerde vorgebracht) der in § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab anzuwenden, sondern der nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs 1 FPG.
Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Gemäß § 9 BFA-VG ist (u.a.) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, das in das Privat- und Familienleben eingreift, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration
(Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.
Obwohl die vom BF begangene Suchtgiftdelinquenz die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet, ist der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in sein Privat- und Familienleben - insbesondere aufgrund der damit einhergehenden Trennung von seiner in Österreich asylberechtigten Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kleinkind sowie der fehlenden Bindungen zu seinem Herkunftsstaat Rumänien - nicht verhältnismäßig. Dazu kommt, dass der BF nur ein Mal strafgerichtlich verurteilt wurde, wobei dem Erstvollzug generell eine erhöhte spezialpräventive Wirkung zuzubilligen ist. Durch sein Wohlverhalten seit der bedingten Entlassung, das erkennbare Bemühen um einen ordentlichen Lebenswandel und die erfolgreich absolvierte Entwöhnungstherapie wird die Wiederholungsgefahr so weit reduziert, dass das persönliche Interesse des BF an einem Verbleib angesichts der starken privaten und familiären Bindungen das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiegt, sodass von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes abzusehen ist. Die nunmehrige Beschäftigungslosigkeit des BF steht dem nicht entgegen, weil sie offenbar (auch) der angespannten Arbeitsmarktsituation infolge der Covid-19-Pandemie geschuldet ist und es ihm davor gelungen war, bereits kurz nach der Haftentlassung einen Arbeitsplatz zu finden.
Das in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids erlassene Aufenthaltsverbot ist daher nicht rechtskonform. Dies bedingt zugleich die Gegenstandslosigkeit des dem BF gewährten Durchsetzungsaufschubes. Beide Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids sind daher in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben.
Da im vorliegenden Fall bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG.
Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zuzulassen, weil das BVwG keine grundsätzlichen Rechtsfragen im Sinne dieser Gesetzesstelle zu lösen hatte.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Gefährdungsprognose Interessenabwägung Privat- und Familienleben VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2226707.1.00Im RIS seit
17.12.2021Zuletzt aktualisiert am
17.12.2021