TE Vfgh Beschluss 2021/6/22 G101/2021

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Veröffentlicht am 22.06.2021
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Index

37/02 Kreditwesen

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
FinanzmarktaufsichtsbehördenG §3
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Unzulässigkeit der Anfechtung von Bestimmungen des FinanzmarktaufsichtsbehördenG betreffend den Ausschluss der Haftung für die Tätigkeit bzw Aufsicht der FMA wegen des bestehenden Klagswegs vor den Zivilgerichten

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Antrag begehren die einschreitenden Parteien, der Verfassungsgerichtshof möge

"1. §3 Abs1 Satz 2 FMABG idF BGBl I Nr 37/2018 (eingeführt durch BGBl I Nr 136/2008) 'Schäden im Sinne dieser Bestimmung sind solche, die Rechtsträgern unmittelbar zugefügt wurden, die der Aufsicht nach diesem Bundesgesetz unterliegen.' als verfassungswidrig aufheben.

2. §3 Abs5 FMABG idF BGBl I Nr 37/2018 (eingeführt durch BGBl I Nr 33/2005) 'Die von den der Aufsicht unterliegenden Unternehmen bestellten Abschlussprüfer sind nicht Organe im Sinne des §1 Abs1 AHG, es sei denn, dass sie im gesonderten Auftrag der FMA für diese Prüfungen nach den in §2 genannten Bundesgesetzes durchführen. Gleiches gilt für die Prüfungsorgane gesetzlicher Prüfungsorgane gesetzlich zuständiger Prüfungseinrichtungen.' als verfassungswidrig aufheben".

II. Antragsvorbringen

1. Die antragstellenden Parteien seien Kunden der Commerzialbank Mattersburg und hätten auf Grund einer schuldhaften und rechtswidrigen Aufsichtspflichtverletzung der Finanzmarktaufsichtsbehörde (in der Folge: FMA) sowie des der FMA zuzurechnenden Bank- und Abschlussprüfers einen Schaden erlitten. Die angefochtenen Bestimmungen in §3 Abs1 und Abs5 FMABG würden die "Ersatzfähigkeit der Schäden der Antragsteller, die durch Verfehlungen der FMA verursacht wurden," ausschließen.

2. Zur unmittelbaren und aktuellen rechtlichen Betroffenheit durch die angefochtenen Bestimmungen führen die antragstellenden Parteien aus, §3 Abs1 dritter Satz und §3 Abs5 FMABG bewirkten "jeweils einzeln als auch in ihrer Gesamtheit", dass den antragstellenden Parteien die Möglichkeit genommen werde, "erfolgreich eine Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich wegen schuldhaft rechtswidriger Verletzung der Aufsichtspflichten der FMA geltend zu machen". Die angefochtenen Bestimmungen entfalteten diese Wirkung gegenüber den antragstellenden Parteien "direkt" und "ohne weiteres Zutun".

Ein zumutbarer anderer Weg zur Geltendmachung verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen stehe den antragstellenden Parteien nicht zu, weil im Hinblick auf die antragstellenden Parteien kein gerichtliches Verfahren anhängig sei. Das Bestreiten des Rechtsweges sei für die antragstellenden Parteien mit einer außergewöhnlichen Härte wirtschaftlicher Art verbunden, weil die antragstellenden Parteien wegen der Insolvenz der Commerzialbank Mattersburg einen Großteil ihrer Ersparnisse verloren hätten. Die Überprüfung der angefochtenen Bestimmungen erst im Zuge eines Zivilverfahrens sei mit einem erheblichen Kostenrisiko und einer erheblichen Zeitverzögerung für die antragstellenden Parteien verbunden. Das Prozesskostenrisiko sei zwar bei einer Vielzahl der antragstellenden Parteien durch entsprechende Rechtsschutzversicherungen oder Prozessfinanzierungsverträge gemildert; es stehe allerdings noch nicht fest, ob es tatsächlich zu einem Musterprozess kommen und auch die Deckungssumme einzelner Rechtsschutzversicherungen in Anbetracht des Umfangs eines allfälligen Zivilverfahrens ausreichen werde. Es sei für die antragstellenden Parteien somit unzumutbar, kostenintensive und langwierige Zivilprozesse anzustrengen, ohne Rechtssicherheit im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen zu haben.

3. In der Sache bringen die antragstellenden Parteien – mit näherer Begründung – vor, der Ausschluss von Schadenersatzansprüchen gemäß §3 Abs1 und Abs5 FMABG verstoße gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK sowie Art17 GRC, gegen Art23 B-VG sowie gegen das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG.

III. Rechtslage

§3 des Bundesgesetzes über die Errichtung und Organisation der Finanzmarktaufsichtsbehörde (Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz – FMABG), BGBl I 97/2001 idF BGBl I 37/2018, lautet (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Haftung für die Tätigkeit der FMA

§3. (1) Für die von Organen und Bediensteten der FMA in Vollziehung der in §2 genannten Bundesgesetze zugefügten Schäden, einschließlich Schäden gemäß §29 Abs1 DSG 2018, haftet der Bund nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes – AHG, BGBl Nr 20/1949. Schäden im Sinne dieser Bestimmung sind solche, die Rechtsträgern unmittelbar zugefügt wurden, die der Aufsicht nach diesem Bundesgesetz unterliegen. Die FMA sowie deren Bedienstete und Organe haften dem Geschädigten nicht.

(2) Die FMA hat bei ihrer Tätigkeit nach pflichtgemäßem Ermessen alle nach den Umständen des Einzelfalls erforderlichen, zweckmäßigen und angemessenen Aufsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Sie hat dabei auf die Wahrung der Finanzmarktstabilität zu achten. Sie kann bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben die Prüfungsberichte der Abschlussprüfer und Organe der ihrer Aufsicht unterliegenden Unternehmen sowie die Prüfungsberichte der Oesterreichischen Nationalbank im Rahmen ihrer gesetzlichen Prüfungsbefugnisse nach dem BWG zu Grunde legen, es sei denn, dass sie begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Prüfungsberichte oder an der Fachkunde oder Sorgfalt der Prüfer hat oder solche Zweifel bei entsprechender Sorgfalt hätte haben müssen. Gleiches gilt für die Prüfungsberichte der von der FMA selbst beauftragten Prüfer hinsichtlich der Prüfungshandlungen gemäß den in §2 genannten Bundesgesetzen.

(3) Hat der Bund einem Geschädigten den Schaden gemäß Abs1 ersetzt, so kann er von den Organen oder Bediensteten der FMA Rückersatz nach den Bestimmungen des AHG begehren.

(4) Die FMA hat den Bund im Amtshaftungs- und Rückersatzverfahren nach den Abs1 und 2 in jeder zweckdienlichen Weise zu unterstützen. Sie hat insbesondere alle Informationen und Unterlagen, die das Amtshaftungs- oder Rückersatzverfahren betreffen, zur Verfügung zu stellen sowie dafür zu sorgen, dass der Bund das Wissen und die Kenntnisse der Organe und Bediensteten der FMA über die verfahrensgegenständlichen Aufsichtmaßnahmen in Anspruch nehmen kann.

(5) Die von den der Aufsicht unterliegenden Unternehmen bestellten Abschlussprüfer sind nicht Organe im Sinne des §1 Abs1 AHG, es sei denn, dass sie im gesonderten Auftrag der FMA für diese Prüfungen nach den in §2 genannten Bundesgesetzen durchführen. Gleiches gilt für die Prüfungsorgane gesetzlich zuständiger Prüfungseinrichtungen.

(6) Ein auf bundesgesetzlicher Regelung beruhender Ersatzanspruch aus Handlungen der FMA, ihrer Bediensteten oder ihrer Organe, die im Rahmen der Verordnung (EU) Nr 1024/2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, ABl. Nr L 287 vom 29.10.2013 S. 63, tätig werden, ist in folgenden Fällen ausgeschlossen:

1. Handlungen in Vollziehung einer Weisung oder Erfüllung eines Auftrages der Europäischen Zentralbank;

2. Handlungen in Vorbereitung oder Durchführung von Entscheidungen der Europäischen Zentralbank;

3. Zusammenarbeit, Informationsaustausch oder sonstige Unterstützung der Europäischen Zentralbank.

(7) Ein auf bundesgesetzlicher Vorschrift beruhender Ersatzanspruch aus Handlungen der FMA, ihrer Organe oder ihrer Bediensteten sowie Handlungen der Abwicklungsbehörde oder ihrer Bediensteten, die im Rahmen der Verordnung (EU) Nr 806/2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr 1093/2010, ABl. Nr L 225 vom 30.07.2014, S. 1, tätig werden, ist in folgenden Fällen ausgeschlossen:

1. Handlungen aufgrund einer Weisung des Ausschusses gemäß §2 Z18a BaSAG;

2. Handlungen in Vorbereitung oder Durchführung von Beschlüssen des Ausschusses gemäß §2 Z18a BaSAG;

3. Handlungen im Bereich Zusammenarbeit, Informationsaustausch oder sonstige Unterstützung des Ausschusses gemäß §2 Z18a BaSAG."

IV. Erwägungen

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden sind.

Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

Nicht jedem Normadressaten kommt aber die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potenziell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

2. Es ist nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes grundsätzlich zumutbar, den Klagsweg zu beschreiten, im gerichtlichen Rechtsstreit Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften vorzubringen und vor dem zur Entscheidung berufenen Gericht die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages beim Verfassungsgerichtshof anzuregen (vgl zB VfSlg 8979/1980, 8890/1980, 9394/1982, 9695/1983, 9926/1984, 10.445/1985, 10.785/1986, 11.551/1987, 11.759/1988, 11.890/1988, 12.046/1989, 12.775/1991, 16.653/2002, 18.777/2009) oder aus Anlass der Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des Gerichtes in erster Instanz einen Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG zu stellen (zB VfGH 11.6.2018, G91/2018).

Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist der Partei in einem solchen Fall nur bei Vorliegen besonderer außergewöhnlicher Umstände das Recht zur Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages gemäß Art140 Abs1 litc B-VG eingeräumt (vgl VfGH 12.10.2016, G269/2016 ua). Andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (zB VfSlg 8312/1978, 19.674/2012; vgl auch VfGH 19.2.2016, V150/2015 ua; 12.10.2016, G269/2016 ua).

3. Im vorliegenden Fall steht den antragstellenden Parteien ein zumutbarer (anderer) Weg zur Geltendmachung ihrer verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen zur Verfügung:

3.1. Wie die antragstellenden Parteien selbst einräumen, steht es ihnen im Hinblick auf den behaupteten (Amtshaftungs-)Anspruch auf Schadenersatz offen, den Klagsweg vor den ordentlichen Zivilgerichten zu beschreiten. Im Zuge dieses Zivilverfahrens könnten die antragstellenden Parteien verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen – durch Anregung eines Gerichtsantrages beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG oder durch Stellung eines Parteiantrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG – an den Verfassungsgerichtshof herantragen.

3.2. Anders als die antragstellenden Parteien meinen, machen das Prozesskostenrisiko sowie die Verfahrensdauer diesen Weg im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch nicht grundsätzlich unzumutbar (siehe insbesondere VfSlg 18.777/2009). Die Antragsteller haben zudem keine besonderen Umstände geltend gemacht, die eine ausnahmsweise Unzumutbarkeit der Bestreitung des Gerichtsweges begründen würden.

4. Der Antrag ist daher bereits aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Bankenaufsicht, VfGH / Individualantrag, VfGH / Weg zumutbarer, Amtshaftung, Subsidiaritätsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G101.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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