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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revision des A A in W, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 2021, W107 2179147-1/31E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 14. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 24. Oktober 2017 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 11. August 2021 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl und subsidiärem Schutz erachtete das Bundesverwaltungsgericht als nicht gegeben. Bei seiner Beurteilung stellte es tragend (auch) auf die Feststellungen zur Situation im Heimatland des Revisionswerbers ab. Ob der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten angesichts der Straffälligkeit des Revisionswerbers Ausschlussgründe entgegenstünden, hat das Verwaltungsgericht nicht geprüft.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Vorlage derselben samt der Verfahrensakten sowie nach Einleitung des Vorverfahrens - es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision ist, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, zulässig und begründet.
7 Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts stellt sich bereits in Bezug auf die Frage, ob dem Revisionswerber nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen war, als in sich widersprüchlich begründet dar. Das Bundesverwaltungsgericht stellte ausdrücklich fest, der Revisionswerber habe während der Zeit seines Schulbesuches nachmittags als Schweißer in einer Militärschule gearbeitet. Mit 18 Jahren sei er „zur Polizei“ gegangen. Er habe dann im (afghanischen) Innenministerium gearbeitet und sei für Verwaltungsangelegenheiten im Bereich der Logistik zuständig gewesen. „Später“ sei er nach Helmand geschickt worden, wo er als Kommandant eines Stützpunktes gearbeitet habe.
8 Demgegenüber stufte das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner beweiswürdigenden Überlegungen das gesamte Vorbringen des Revisionswerbers - einschließlich jenes zu der Tätigkeit als Kommandant in Helmand und zu den dortigen Geschehnissen (Angriff durch die Taliban auf den Stützpunkt; Schusswechsel, den nur der Revisionswerber und ein weiterer Unteroffizier überlebt habe; Aufgabe des Stützpunktes durch den Revisionswerber; Vorwurf seitens seines Vorgesetzen, den Stützpunkt „verkauft“ zu haben), die zur Flucht aus dem Heimatland geführt hätten - als unglaubwürdig ein (sh. angefochtenes Erkenntnis S. 81 und 82).
9 Aus den rechtlichen Überlegungen wiederum scheint sich zu ergeben, dass das Bundesverwaltungsgericht (zumindest) von der Richtigkeit der Angaben des Revisionswerbers, als Polizist gearbeitet zu haben, ausgegangen sein dürfte. Eine solche Tätigkeit, wie sie der Revisionswerber ausgeübt habe, nämlich „im Büro Verwaltungstätigkeit“, sei - so das Verwaltungsgericht erkennbar in Bezug darauf, ob der Revisionswerber als Person anzusehen sei, die unter ein besonderes „Risikoprofil“ falle - aber nicht mit jener eines Polizisten „an hoher verantwortlicher Stelle“ gleichzusetzen.
10 Dieser Begründungsmangel, der dazu führt, dass dem angefochtenen Erkenntnis nicht einwandfrei zu entnehmen ist, ob der Revisionswerber überhaupt und gegebenenfalls in welcher Position als Polizist in seinem Heimatland - im Besonderen, ob und gegebenenfalls mit welchen Aufgaben in Helmand als Kommandant eines Stützpunktes - tätig gewesen sei, erweist sich schon deshalb für das Verfahrensergebnis als relevant, weil es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen hat, aktuelle Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Revisionswerbers zu treffen.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Asylbehörde bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. etwa VwGH 24.2.2021, Ra 2021/19/0017; 12.5.2021, Ra 2020/18/0275, jeweils mwN).
12 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich für seine Feststellungen zur Situation in Afghanistan (und damit auch dazu, ob der Revisionswerber wegen seiner Tätigkeit unter ein bestimmtes „Risikoprofil“ fällt, das zu einer asylrelevanten Verfolgung führen könnte) auf das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 01.04.2021“ gestützt. Der Revisionswerber verweist zu Recht darauf, dass sich seit Herausgabe dieses Länderinformationsblattes die Situation in Afghanistan in maßgeblicher Weise verändert hatte, sodass das Bundesverwaltungsgericht im Fall der Berücksichtigung aktueller - in der Revision näher bezeichneter und im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses auch dem Bundesverwaltungsgericht zugänglicher - Berichte (im Besonderen lagen im Entscheidungszeitpunkt bereits diverse weitere, auf aktuelle Ereignisse in Afghanistan Bezug nehmende Informationen der Staatendokumentation vor; vgl. etwa zu der von ihr herausgegebenen Kurzinformation vom 2. August 2021 VfGH 24.9.2021, E 3115/2021) zu anderen Feststellungen und aufgrund dieser auch zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte kommen können.
13 Somit hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung (schon) in Bezug auf die Frage, ob dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen war, mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit. c VwGG - zur Gänze, weil die rechtlich von der Verweigerung der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abhängenden Aussprüche ihre Grundlage verlieren - aufzuheben.
14 Die Zuerkennung von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 15. November 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200373.L00Im RIS seit
06.12.2021Zuletzt aktualisiert am
13.12.2021