TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/13 I403 2246179-1

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Veröffentlicht am 13.09.2021
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Entscheidungsdatum

13.09.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
StGB §127
StGB §128 Abs1 Z4
StGB §129
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I403 2246179-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ungarn, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.08.2021, Zl. XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein zum betreffenden Zeitpunkt in Österreich nicht aufrecht gemeldeter ungarischer Staatsangehöriger, wurde am 17.12.2020 festgenommen und es wurde am 19.12.2020 Untersuchungshaft über ihn verhängt.

Mit „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ vom 12.03.2021, zugestellt am 16.03.2021, brachte die belangte Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, dem Beschwerdeführer zur Kenntnis, dass die Erlassung eines gegen ihn gerichteten Aufenthaltsverbotes geprüft werde, und bot ihm die Gelegenheit, eine Stellungnahme abzugeben. Der Beschwerdeführer kam dem nicht nach und gab keine Stellungnahme ab.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 30.06.2021, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer aufgrund des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung, der dauernden Sachentziehung und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 09.08.2021 wurde gemäß § 67 Absatz 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Absatz 3 Fremdenpolizeigesetz wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Absatz 3 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde sah die Vielzahl der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten und den Umstand, dass ihn weder das bereits in Ungarn erlittene Haftübel noch die Tatsache, dass er bei den ersten Straftaten noch in einem Beschäftigungsverhältnis stand, von der Begehung von Diebstählen abhalten konnte, als erschwerend an und ging zudem davon aus, dass der Beschwerdeführer keinerlei Bindungen zu Österreich aufweise, sondern nur zur Begehung von Straftaten einreiste und somit ein „Kriminaltourist“ sei.

Mit Schriftsatz vom 30.08.2021 wurde gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und moniert, dass keine Einvernahme erfolgt sei und der Beschwerdeführer das auf Deutsch verfasste Parteiengehör vom 12.03.2021 nicht verstanden habe. Der Beschwerdeführer bereue seine Taten sehr und wolle Österreich freiwillig verlassen. Die Behörde hätte sich einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen müssen, um von seiner „Gefährlichkeit“ ausgehen zu können. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nur ins Bundesgebiet eingereist sei, um hier Straftaten zu begehen, sei falsch, da die Behörde nicht wisse, warum er eingereist sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde die wirtschaftliche Situation des Beschwerdeführers heranziehe, um eine von ihm ausgehende Gefährdung zu behaupten. Die Milderungsgründe seien zudem nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 09.09.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Der 1977 geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Ungarn und somit EWR-Bürger. Er war zuletzt als Kraftfahrer tätig, allerdings seit Frühjahr 2020 aufgrund der Corona-Pandemie ohne Beschäftigung. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Grundstückes und eines Schrebergartens in XXXX , Ungarn, wo er geboren ist und vor seiner Verhaftung in einer Mietwohnung lebte.

Der Beschwerdeführer wurde in Ungarn am 15.11.2010 wegen Diebstahls unter Gewaltanwendung oder unter Einsatz von Waffen, schwerer Körperverletzung und Urkundenfälschung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 1 Jahr und 10 Monaten verurteilt.

Vor seiner Inhaftierung im Bundesgebiet am 18.12.2020 hatte der Beschwerdeführer keinen Wohnsitz im Bundesgebiet, vielmehr begab er sich ab Anfang 2020 nur zu dem Zweck nach Österreich, um hier Einschleich- und Einbruchsdiebstähle zu begehen, laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft insgesamt 134. Der Beschwerdeführer begab sich jeweils in unterschiedliche Wohngebiete in Österreich und entwendete in erster Linie Fahrräder, vor allem teure E-Bikes und Mountainbikes. Er hat laut Urteil gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt EUR 50.000,-- übersteigenden Wert teils durch Einbruch gestohlen und zwar unter anderem am 01.02.2020 ein Kleinkraftrad im Wert von EUR 2.400,-, im Zeitraum vom 07.02.2020 bis zum 09.02.2020 fünf Fahrräder (darunter E-Bikes, Mountainbikes), im Zeitraum vom 28.02.2020 bis zum 29.02.2020 sechzehn Fahrräder (darunter E-Bikes, Mountainbikes) und verschiedene Werkzeuge (darunter Akku-Kettensäge, elektrische Heckenschere), im Zeitraum vom 04.05.2020 bis zum 05.05.2020 unter anderem acht Fahrräder, im Zeitraum vom 09.05.2020 bis zum 10.05.2020 unter anderem eine Wasserpumpe, Rubbellose im Wert von EUR 455,- und vier Fahrräder, im Zeitraum vom 22.05.2020 bis zum 23.05.2020 einen E-Scooter, vier Fahrräder und Gartengeräte, im Zeitraum vom 28.05.2020 bis zum 29.05.2020 unter anderem neun Fahrräder, im Zeitraum vom 02.06.2020 bis zum 03.06.2020 sechs Fahrräder, im Zeitraum vom 12.06.2020 bis zum 13.06.2020 einen E-Scooter und acht Fahrräder, im Zeitraum vom 02.07.2020 bis zum 03.07.2020 verschiedene Elektrogeräte und fünf Fahrräder, im Zeitraum vom 06.07.2020 bis zum 12.07.2020 verschiedene Werkzeuge und Elektrogeräte, im Zeitraum vom 11.07.2020 bis zum 12.07.2020 fünf Fahrräder, im Zeitraum vom 21.07.2020 bis zum 22.07.2020 verschiedene Gartenwerkzeuge und acht Fahrräder, im Zeitraum vom 30.07.2020 bis zum 31.07.2020 drei Fahrräder, im Zeitraum vom 30.07.2020 bis zum 01.08.2020 einen E-Scooter und vier Fahrräder, im Zeitraum vom 30.07.2020 bis zum 01.08.2020 ein Fahrrad, im Zeitraum vom 05.08.2020 bis zum 19.08.2020 einen Benzinrasenmäher, im Zeitraum vom 06.08.2020 bis zum 07.08.2020 sieben Fahrräder und verschiedene Gartengeräte, im Zeitraum vom 08.08.2020 bis zum 12.08.2020 ein Mountainbike, im Zeitraum vom 10.08.2020 bis zum 11.08.2020 fünf Fahrräder und Werkzeug, im Zeitraum vom 13.08.2020 bis zum 14.08.2020 zwei E-Scooter, ein Hoverboard, einen Laptop im Wert von EUR 2.086,90, und sechs Fahrräder, im Zeitraum vom 20.08.2020 bis zum 21.08.2020 elf Fahrräder und verschiedene Gartengeräte, im Zeitraum vom 27.08.2020 bis zum 28.08.2020 zwei E-Scooter und zwölf Fahrräder, im Zeitraum vom 30.08.2020 bis zum 31.08.2020 ein Fernsehgerät, zwei Fahrräder und einen Akku-Rasenmäher, am 31.08.2020 ein E-Bike im Wert von EUR 2.500,-- sowie im Zeitraum vom 22.10.2020 bis zum 23.10.2020 vier Fahrräder und verschiedene Geräte. Daneben hat er Urkunden, über die er nicht verfügen dürfte, mit dem Vorsatz, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, unterdrückt, zB Kennzeichen eines Kleinmotorrads und eine Bankomatkarte. Insgesamt hat der Beschwerdeführer damit allein mehr als 130 Fahrräder gestohlen und war er bewusst immer wieder in andere Regionen Österreichs gefahren, um seinen Straftaten nachzugehen.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 30.06.2021, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer aufgrund des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls, teils durch Einbruch, sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung, der dauernden Sachentziehung und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt. Mildernd wurden das reumütige Geständnis und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben war, gewertet, erschwerend dagegen die einschlägige Vorstrafe in Ungarn, der lange Deliktszeitraum, die Opfermehrheit, die mehrfache Qualifikation des § 129 StGB, das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und die hohe Schadenssumme.

Der Beschwerdeführer wurde darüber hinaus dazu verurteilt, Privatbeteiligten des Strafverfahrens insgesamt 71.472,56 Euro zu zahlen. Andere Privatbeteiligte wurden auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine maßgeblichen privaten sowie über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Er war hier nie wohnhaft oder berufstätig. Der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers liegt in Ungarn.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister (IZR), dem zentralen Melderegister und dem Strafregister eingeholt.

Die Feststellungen hinsichtlich den seiner strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden strafbaren Handlungen sowie den Erwägungen des Strafgerichts zur Strafbemessung ergeben sich aus der im Akt enthaltenen, gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichts XXXX vom 30.06.2021, Zl. XXXX .

Seine Beschäftigungs- und Vermögensverhältnisse in Ungarn ergeben sich ebenso wie seine Vorstrafe in Ungarn aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 04.03.2021, Zl. XXXX und dem Urteil vom 30.06.2021, Zl. XXXX . Dass der Beschwerdeführer nach Österreich reiste, um hier Diebstähle zu begehen, ergibt sich aus der genannten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft und dem Umstand, dass er im Bundesgebiet bis zu seiner Inhaftierung nicht gemeldet war.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zum Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Zu den Rechtsgrundlagen:

Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG idgF BGBl. I Nr. 146/2020 lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.“

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg. cit. als EWR-Bürger jener Fremde, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist. Der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger von Ungarn ist sohin EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG idgF BGBl. I Nr. 146/2020 lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“

3.1.2. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war aus folgenden Gründen abzuweisen:

Da der Beschwerdeführer aufgrund seiner ungarischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich des § 67 FPG fällt und die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit mehr als fünf bzw. mehr als zehn Jahren nicht erfüllt ist, gelangt für ihn fallgegenständlich der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG zur Anwendung.

Gegen den Beschwerdeführer als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 FPG sohin zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet wäre.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 27.04.2020, Ra 2019/21/0367, mwN).

Gegenständlich wurde der Beschwerdeführer durch ein österreichisches Strafgericht rechtskräftig aufgrund des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung, der dauernden Sachentziehung und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt, wobei der Umstand, dass er über keine berufliche oder soziale Verankerung in Österreich verfügt, den Schluss nahelegt, dass er bereits mit dem vorgefassten Ziel, Diebstähle zu begehen, in das Bundesgebiet eingereist ist. Auch aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ergibt sich, dass der Beschwerdeführer ab Anfang 2020 gezielt zur Begehung von Straftaten nach Österreich einreiste. Soweit in der Beschwerde moniert wird, dass diese Feststellung falsch sei, weil die Behörde nicht wisse, warum der Beschwerdeführer tatsächlich eingereist sei, übersieht sie die im Akt enthaltene Anklageschrift, die auf dem Geständnis des Beschwerdeführers beruht, und wird zudem unterlassen darzulegen, aus welchem anderen Grund der Beschwerdeführer ins Bundesgebiet eingereist sein sollte. Bindungen zum Bundesgebiet bzw. zu hier lebenden Personen wurden auch in der Beschwerde nicht behauptet.

Wenngleich das Bundesverwaltungsgericht weder die seitens des Strafgerichts im Rahmen der Strafbemessung ins Treffen geführten Milderungsgründe (das reumütige umfassende Geständnis des Beschwerdeführers; zudem der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben war) noch den Umstand, dass es sich um die erste Verurteilung des Beschwerdeführers in Österreich handelt, verkennt, so ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer seine Taten über einen langen Zeitraum beging (und nur durch die Festnahme an weiteren Taten gehindert wurde) und eine Vielzahl an Menschen schädigte. Es handelt sich nicht um ein einmaliges Fehlverhalten, sondern um eine gezielt gegen das Vermögen österreichischer Bürger gerichtete kriminelle Energie hohen Ausmaßes.

Auch ist ein etwaiger positiver Gesinnungswandel eines Straftäters nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. zuletzt VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0184, mwN). Da sich der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt jedoch nach wie vor in Strafhaft befindet, ist gegenständlich auch noch keine längere Phase des Wohlverhaltens gegeben, welche nahelegen würde, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet fortan keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit mehr darstellen würde. Dem Argument in der Beschwerde, dass der Beschwerdeführer seine Taten bereue und die belangte Behörde sich in einer persönlichen Einvernahme von seinem Gesinnungswandel hätte überzeugen müssen, ist daher nicht zu folgen. Im Übrigen stellte die belangte Behörde zu Recht fest, dass auch das Verbüßen einer Freiheitsstrafe in Ungarn vor ca. zehn Jahren den Beschwerdeführer nicht davon abhielt, erneut straffällig zu werden.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich auch der Erwägung der belangten Behörde an, dass die wirtschaftliche Situation des Beschwerdeführers nach seiner Haftentlassung nicht einfach sein wird und er somit wiederum in Versuchung geraten könnte, sich durch Vermögensdelikte ein Einkommen zu sichern. Aufgrund seiner zahlreichen Straftaten hat der Beschwerdeführer gegenüber seinen Opfern alleine aus dem Strafprozess Schulden in Höhe von über 70.000 Euro; weitere könnten auf dem Zivilrechtsweg folgen.

Aufgrund des erhobenen Sachverhaltes kann der belangten Behörde in ihrer Einschätzung, wonach davon auszugehen sei, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich durch einen weiteren Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet wäre, somit nicht entgegengetreten werden. Der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG ist im Fall des Beschwerdeführers daher erfüllt.

Bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes kann jedoch ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eines Fremden iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss anhand der Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG überprüft werden, ob im vorliegenden Fall ein Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Beschwerdeführers gegeben ist.

Im vorliegenden Fall führt der Beschwerdeführer in Österreich kein iSd Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben. Auch eine soziale oder berufliche Integration ist nicht gegeben, hatte er doch (abgesehen von seiner aktuellen Inhaftierung) nie in Österreich gewohnt oder gearbeitet und liegen keine sonstigen Bindungen vor. Vielmehr war er nur zur Begehung von Straftaten ins Bundesgebiet eingereist, so dass das öffentliche Interesse an der Verhinderung eines weiteren Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet besonders hoch erscheint. Dieser „Kriminaltourismus“ rechtfertigt in einer Zusammenschau mit der Vielzahl an Delikten und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer sich auch nach seiner ersten Haftstrafe nicht von der Begehung von Straftaten abhalten ließ, auch die von der belangten Behörde verhängte zulässige Höchstdauer des Aufenthaltsverbotes von zehn Jahren, zumal sich der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in sein Privatleben in engen Grenzen hält. Auch im Beschwerdeverfahren wurde kein substantiiertes sachbezogenes Vorbringen erstattet, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.

3.2. Zur Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubes und zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, geht vom Beschwerdeführer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus. Anhand seines schwerwiegenden strafrechtswidrigen Fehlverhaltens zeigte er unzweifelhaft, dass er nicht gewillt war, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Es ist der belangten Behörde daher beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zum Schutz der Bevölkerung erforderlich und dringend geboten ist. Insbesondere aufgrund des Umstandes, dass er immer wieder mit dem vorgefassten Ziel, Diebstähle zu begehen, in das Bundesgebiet eingereist ist, besteht die reale Gefahr, dass er unmittelbar nach seiner Haftentlassung wieder Straftaten begehen könnte.

Weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs. 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG sind somit zu beanstanden, sodass die Beschwerde auch in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen war.

4. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Der maßgebende Sachverhalt wurde vom BFA abschließend ermittelt. Die wesentlichen Feststellungen, insbesondere zu den vom Beschwerdeführer in Österreich begangenen strafbaren Handlungen sowie zu seinen persönlichen Verhältnissen blieben unbestritten. Tatsächlich blieben alle im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen (so auch, dass der Beschwerdeführer in Österreich kein Familienleben führt und über keine maßgebliche berufliche oder soziale Integration in Österreich verfügt; dass sich sein Lebensmittelpunkt in Ungarn befindet) unwidersprochen. Unter diesen Umständen hätte selbst ein positiver persönlicher Eindruck zu keinem anderen Ergebnis geführt. Somit lag kein klärungsbedürftiger Sachverhalt vor (vgl. VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/002).

Dem Beschwerdevorbringen, dass ein persönlicher Eindruck zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, da der Beschwerdeführer seine Taten sehr bereue, ist nicht zu folgen, da ein Gesinnungswandel sich auf das Wohlverhalten nach Haftentlassung zu stützen hat, der Beschwerdeführer aber noch inhaftiert ist. Ein Gesinnungswandel hätte daher nicht festgestellt werden können, zumal die lapidare Behauptung, der Beschwerdeführer bereue seine Taten sehr, angesichts des bereits erfahrenen Haftübels in Ungarn und der Vielzahl an Straftaten auch nicht substantiiert erscheint. Wenn in der Beschwerde zudem kritisiert wird, dass der Beschwerdeführer das Parteiengehör nicht verstanden habe, da er des Deutschen nicht mächtig sei, wird darauf verwiesen, dass es sich dabei um die Amtssprache in Österreich handelt, die im Parteienverkehr zu verwenden ist und dass es auch in der Beschwerde unterlassen wurde, aufzuzeigen, welche Punkte der Beschwerdeführer in einem Parteiengehör, sei es schriftlich oder mündlich, vorgebracht hätte, welche eine andere Entscheidung denkmöglich gemacht hätten.

Im vorliegenden Fall konnte daher, in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, eine mündliche Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Angemessenheit Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung - Entfall Diebstahl Durchsetzungsaufschub EU-Bürger EWR-Bürger Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Gewerbsmäßigkeit Haft Haftstrafe Interessenabwägung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen schwere Straftat Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Unionsbürger Urkundenunterdrückung Verbrechen Vergehen Verhältnismäßigkeit Vermögensdelikt Wiederholungsgefahr Wiederholungstaten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2246179.1.00

Im RIS seit

03.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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