TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/17 W171 2139324-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.11.2021
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Entscheidungsdatum

17.11.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwG-AufwErsV §1 Z3
VwG-AufwErsV §1 Z4
VwGVG §35 Abs3

Spruch


W171 2139324-4/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Marokko alias Algerien alias Tunesien, gegen die Anhaltung aufgrund des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.06.2019, Zl. XXXX , vom 30.06.2019 bis 08.07.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG iVm. § 1 Z. 3 und Z. 4 VwG-AufwErsV hat die beschwerdeführende Partei dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag auf Kostenersatz der beschwerdeführenden Partei wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste zu einem nicht bekannten Zeitpunkt - spätestens jedoch im November 2012 - als unbegleiteter Minderjähriger illegal nach Österreich ein und stellte am 14.11.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er angaben, den Namen XXXX zu führen, aus Algerien zu stammen und am XXXX geboren zu sein.

2. In der Folge wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.08.2013 der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 14.11.2012 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG abgewiesen. Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Staat Algerien gemäß § 8 AsylG abgewiesen. Unter einem wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Algerien ausgewiesen.

3. Am 13.08.2013 wurde der BF wegen Einbruchdiebstahls nach §§ 127, 129 Zi. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.

4. Die Beschwerde des BF gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.08.2013 wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 12.09.2014 gemäß §§ 3, 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren jedoch zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

5. Mit Urteil vom 22.05.2014 wurde der BF wegen schweren Raubes, unerlaubtem Umgang mit Suchtgiften, Nötigung und gewerbsmäßigem Diebstahl nach §§ 142 Abs. 1, 143 2. Fall StGB, §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 3 SMG, § 105 Abs. 1 StGB, §§ 127, 130 1. Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Das Strafausmaß wurde nach der Berufung des BF vom OLG am 23.09.2014 auf 28 Monate angehoben.

6. Am 13.11.2014 wurde der BF wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften und Suchtgifthandel nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Und 2. Fall, 24 Abs. 4 Z 2, 28a Abs. 1 5. Fall und 28a Abs. 2 Z 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt.

7. Mit Bescheid des BFA vom 20.07.2015 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig sei. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise des BF mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 2 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Diese Entscheidung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

8. Am 03.02.2016 stellte der BF aus dem Stand der Strafhaft neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.

9. Am 14.07.2016 wurde der BF wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, Abs. 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

10. Mit Bescheid des BFA vom 19.09.2016 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 03.02.2016 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde bestimmt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe. Der Bescheid blieb unbekämpft und erwuchs in Rechtskraft.

11. Am 21.09.2016 wurde der BF aus der Strafhaft in ein Polizeianhaltezentrum überstellt und mit Mandatsbescheid vom selben Tag die Schubhaft verhängt.

12. Am 07.10.2016 stellte der BF aus dem Stand der Schubhaft erneut einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom 25.10.2016 wurde der Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

13. Die Beschwerde gegen den Mandatsbescheid vom 21.09.2016 sowie die Anhaltung in Schubhaft wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.11.2016 als unbegründet abgewiesen.

14. Am 06.12.2016 wurde der BF aus der Schubhaft entlassen.

15. Am 14.08.2017 stellte der BF erneut einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 13.11.2017 gem. § 3 und § 8 AsylG als unbegründet abgewiesen, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung nach § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG erlassen und ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot verhängt. Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 13.11.2017 wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.01.2018 als unbegründet abgewiesen.

16. Mit Bescheid des BFA vom 23.01.2018 wurde über den BF gemäß § 77 Abs. 1 und 3 FPG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG ein gelinderes Mittel zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

17. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.02.2018 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 23.01.2018 als unbegründet abgewiesen.

18. Da der BF seiner Meldeverpflichtung nicht nachkam, wurde über ihn mit Bescheid vom 22.02.2018 die Schubhaft verhängt. Die Beschwerde gegen den Mandatsbescheid vom 22.02.2018 sowie die Anhaltung in Schubhaft wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.03.2018 als unbegründet abgewiesen.

19. Am 07.03.2018 stellte der BF einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

20. Am 08.05.2018 wurde der BF wegen gefährlicher Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt.

21. Mit Bescheid des BFA vom 07.02.2019 wurde der Antrag vom 07.03.2018 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

22. Am 11.04.2019 beantragte der BF die freiwillige Rückkehr nach Marokko.

23. Am 13.04.2019 versuchte der BF in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen und wurde von der deutschen Polizei der österreichischen Polizei übergeben.

24. Mit Mandatsbescheid vom 14.04.2019 wurde über den BF die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

25. Am 10.05.2019 wurde gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben, dieses Verfahren ist zu XXXX am Bundesverwaltungsgericht anhängig.

26. Am 13.05.2019 wurde der BF aus der Schubhaft entlassen und über ihn das gelindere Mittel der Unterkunftnahme in der im Bescheid angeführten Unterkunft verhängt.

27. Mit Schreiben vom 15.05.2019 teilte das BFA mit, dass sich der BF nicht an seine Meldeverpflichtung gehalten habe.

28. Am 21.06.2019 und am 25.06.2019 wurde der BF in einem Zug nach Italien aufgegriffen.

29. Am 30.06.2019 wurde der BF festgenommen. Mit Mandatsbescheid vom 30.06.2019 wurde über den BF die gegenständliche Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Dabei wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF vermutlich marokkanischer Staatsbürger und nicht im Besitz eines Reisedokuments sei. Er verschleiere seine wahre Identität. Er habe bisher fünf unbegründete Asylanträge gestellt. Er sei bereits fünf Mal durch ein österreichisches Gericht verurteilt worden. Der BF verweigere die Ausreise aus Österreich und habe versucht, illegal nach Italien auszureisen. Aus seinem bisherigen Verhalten ergebe sich zwingend das Risiko des Untertauchens bzw. der illegalen Weiterreise. Soziale Bindungen oder sonstige wirtschaftliche Anknüpfungspunkte hätten nicht festgestellt werden können. Die Behörde gehe daher von Fluchtgefahr im Sinne des § 76 FPG aus und sei die Anordnung der Schubhaft notwendig, da der Sicherungszweck durch die Verhängung eines gelinderen Mittels alleine nicht erreicht werden könne. Darüber hinaus sei die Haft auch verhältnismäßig, da den öffentlichen Interessen (öffentliche Ordnung, wirtschaftliches Wohl) ein höherer Stellenwert zuzumessen gewesen sei, als den persönlichen Interessen des BF. Aus den angegebenen Gründen sei die Verhängung der Schubhaft notwendig und rechtmäßig.

30. Am 05.07.2019 langte die gegenständliche Beschwerde gegen die laufende Schubhaft bei Gericht ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF seine Identität nicht verschleiere. Er habe bereits in einem früheren Verfahren eine Kopie seines marokkanischen Reisepasses vorgelegt. Im November 2016 seien der Behörde die richtigen Identitätsdaten per Mail übermittelt worden. Der BF habe um freiwillige Rückkehr ersucht und wirke daher am Verfahren mit. Der BF sei nicht nach Italien ausgereist, sondern freiwillig wieder nach Wien zurückgekehrt. Die gegenständliche Schubhaft sei unverhältnismäßig, da der BF an einer Angststörung und Depression leide. Für den BF sei noch immer kein Heimreisezertifikat ausgestellt worden, was bedeute, dass die Behörde nicht darauf hingewirkt habe oder die Vertretungsbehörde unkooperativen sei. Bei ordnungsgemäßer Verfahrensführung hätte die Abschiebung des BF nach Verbüßung seiner Strafhaft erfolgen können, weshalb sich die Schubhaft als nicht verhältnismäßig darstelle. Aufgrund der bestehenden Ausreisebereitschaft hätte die Behörde ein gelinderes Mittel verhängen müssen. Es wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung für rechtswidrig zu erklären, auszusprechen, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung des BF nicht vorliegen würden, und der Behörde den Ersatz der Aufwendungen aufzuerlegen.

31. Der BF wurde am 08.07.2019 aus der Schubhaft entlassen und ihm mittels einer Wohnsitzauflage aufgetragen, in einer Einrichtung in XXXX Unterkunft zu nehmen.

32. Das BFA gab am 09.07.2019 eine Stellungnahme ab, in der es im Wesentlichen den Verfahrensgang wiedergab und ausführte, dass die Ausstellung eines Heimreisezertifikats bei der marokkanischen Botschaft immer wieder urgiert werde. Sobald ein Heimreisezertifikat ausgestellt sei, werde der BF erneut festgenommen und nach Marokko abgeschoben. Der BF habe durch das bereits gesetzte Verhalten deutlich gezeigt, dass ohne fremdenpolizeiliche Maßnahmen eine Abschiebung nicht erfolgreich abgeschlossen werden könne. Abschließend wurde Kostenersatz im gesetzlich vorgesehenen Ausmaß beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person und zum Verfahren:

1.1. Der BF reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 14.11.2012 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Er stellte vier Folgeanträge, die abgewiesen bzw. wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Gegen den BF bestand eine aufrechte Rückkehrentscheidung und ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot.

1.2. Er ist nicht österreichischer Staatsbürger und daher Fremder im Sinne des § 2 Absatz 4 FPG. Seine Identität steht nicht fest, er ist vermutlich marokkanischer Staatsangehöriger.

1.3. Dem BF wurden in Folge eines Unfalls im Dezember 2016 beide Beine unterhalb der Knie amputiert. Ihm wurden zwei perfekt sitzende Beinprothesen angepasst. Er ist in der Lage, sich ohne Zuhilfenahme von Krücken oder dritten Personen selbständig fortzubewegen. Er litt an keinen nennenswerten gesundheitlichen Einschränkungen und befand sich von 30.06.2019 bis 08.07.2019 in Schubhaft.

1.4. Der BF wurde in Österreich bereits fünf Mal strafrechtlich verurteilt.

1.5. Der BF ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger in Bezug auf ein darauf basierendes Aufenthaltsrecht im Inland.

Zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Gegen den BF liegt eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung vor.

2.2. Der BF verfügt über keine gültigen Reisedokumente

2.3. Zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft war eine Abschiebung innerhalb einer zumutbaren und gesetzmäßigen Zeitspanne möglich.

2.4. Der BF war hafttauglich.

Zum Sicherungsbedarf:

3.1. Der BF versuchte seine Abschiebung nach Marokko durch eine illegale Ausreise nach Deutschland am 13.04.2019 zu verhindern. Er versuchte weiters am 21.06.2019 und am 25.06.2019 nach Italien auszureisen.

3.2. Er stellte vier Folgeanträge, zwei davon im Stande der Schubhaft und einen im Stande der Strafhaft.

3.3. Gegen den BF bestand eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme.

3.4. Er war nicht gewillt nach Marokko auszureisen.

3.5. Der BF war nicht kooperationswillig und auch nicht vertrauenswürdig.

3.6. Über den BF wurde nach seiner Entlassung aus der Schubhaft am 13.05.2019 das gelindere Mittel der Wohnsitzauflage verhängt. Er kam dieser Auflage nicht nach.

3.7. Über den BF wurde nach seiner Entlassung aus der gegenständlichen Schubhaft am 08.07.2019 erneut das gelindere Mittel einer Wohnsitzauflage verhängt. Dieser Auflage kam der BF jedoch nur wenige Wochen nach und wurde am 11.09.2019 von der Einrichtung abgemeldet.

Zur familiären/sozialen Komponente:

4.1. Der BF ging keiner legalen Erwerbstätigkeit nach.

4.2. Er hat keine Familienangehörigen in Österreich.

4.3. Der BF war in Österreich weder beruflich, noch sozial integriert.

4.4. Er verfügte in Österreich nicht über einen gesicherten Wohnsitz.

4.5. Der BF verfügte über kein bekanntes Vermögen im Inland und verfügt auch nicht über wesentliche Barmittel zum Selbsterhalt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person und zum Verfahrensgang (1.1.-1.5.):

Die Feststellungen zum Verfahrensgang und zur Person des BF ergeben sich im Wesentlichen aus dem unstrittig gebliebenen Akteninhalt, (1.3.). Der BF trat in Österreich unter den zahlreichen im Spruch angeführten Alias-Identitäten auf. Eine Kopie eines marokkanischen Reisepasses liegt im Akt auf, allerdings ist diese Kopie von so schlechter Qualität, dass sich daraus die Identität des BF nicht zweifelsfrei ableiten lässt.

Der BF wurde im Stande der Schubhaft von einem Arzt untersucht und für hafttauglich befunden. Es bestehen daher diesbezüglich keine Zweifel an der prinzipiellen Gesundheit des BF. Die Feststellung zur Beinamputation des BF ergibt sich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.02.2018, XXXX . Im Verfahren wurden keine ärztlichen Befunde vorgelegt, die auf eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung schließen lassen würden. Im Rahmen des zweiten Aufenthalts des BF in Schubhaft ab 22.02.2018 holte das Bundesverwaltungsgericht einen Befund und Gutachten des zuständigen Amtsarztes ein. Aus diesem Gutachten vom 01.03.2018 geht hervor, dass der BF an einer Anpassungsstörung und einer depressiven Reaktion litt, der psychische und psychopathologische Status präsentierten sich aber als unauffällig. Der Amtsarzt ging von einer weiteren Haftfähigkeit des BF aus. Aus diesem Grund wurde mit Erkenntnis vom 01.03.2018 auch die Beschwerde gegen die Verhängung der Schubhaft abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft weiterhin vorlagen. Dem Beschwerdeschriftsatz lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, dass sich der Gesundheitszustand des BF seit der Entscheidung vom 01.03.2018 wesentlich verschlechtert hätte.

Hinsichtlich der Feststellung zu 1.4. darf auf den im Akt erliegenden Strafregisterauszug verwiesen werden.

2.2. Zu den Voraussetzungen der Schubhaft (2.1.-2.4.):

Die Feststellung zu 2.1. begründet sich auf die Angaben im vorliegenden Verwaltungsakt.

Aus dem Akt ergibt sich, dass für den BF kein Reisedokument vorliegt und daher die Erlangung eines Heimreisezertifikates angestrebt werden muss (2.2.). Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass der BF noch am 13.05.2019 der marokkanischen Botschaft zur Identitätsfeststellung vorgeführt wurde. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats wurde von der Behörde laufend urgiert. Die grundsätzliche Möglichkeit einer HRZ-Ausstellung bestand. Zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung konnte von der realistischen Möglichkeit einer Abschiebung innerhalb der maximal zulässigen Anhaltedauer ausgegangen werden.

Hinsichtlich der Hafttauglichkeit (2.4.) des BF wird darauf verwiesen, dass sich kein gegenteiliges substantiiertes Vorbringen in der Beschwerde findet und nach den Angaben in der Anhaltedatei, in Zusammensicht mit dem polizeiamtsärztlichen Gutachten vom 30.06.2019 (AS 178) und den Angaben des BF bei seiner Befragung am 30.06.2019, er habe zwei Beinprothesen, sonst sei er gesund (AS 184), von der Hafttauglichkeit des BF auszugehen war.

2.3. Zum Sicherungsbedarf (3.1.-3.7.):

Die Feststellung zu 3.1. basiert auf dem Informationsgehalt des behördlichen Aktes. Die Einreiseverweigerung der Bundesrepublik Deutschland vom 13.04.2019 liegt im Akt auf. Das Vorbringen in der Beschwerde, wonach der BF irrtümlich einen Zug nach Deutschland bestiegen habe, vermag angesichts des bisherigen Verhaltes des BF nicht zu überzeugen. Der BF brachte vor, er habe nach Innsbruck fahren wollen, begründete dieses Vorhaben jedoch nicht. Dass der BF tatsächlich nach Deutschland ausreisen wollte, ergibt sich daraus, dass er schon kurze Zeit später zwei Mal versuchte, nach Italien auszureisen. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der Einvernahme des BF vom 30.06.2019, die im Akt XXXX aufliegt.

Ebenso ergibt sich aus dem Akt, dass der BF mehrere Folgeanträge aus dem Stande der Schubhaft und der Strafhaft stellte (3.2.). Hinsichtlich der Feststellung 3.3. darf auf die Ausführungen zu 2.1. verwiesen werden. Die bestehende Rückreiseunwilligkeit hat der BF selbst durch seine beabsichtigte Ausreise nach Deutschland und seine Folgeantragstellung kundgetan (3.4.).

Im Rahmen einer Gesamtsicht des bisherigen Verhaltens des BF ergibt sich für das Gericht klar, dass der BF auch nicht kooperationsbereit bzw. vertrauenswürdig war. Die versuchte Ausreise nach Deutschland, die Folgeantragstellungen sowie die Missachtung der Wohnsitzauflage zeigten klar, dass er nicht gewillt war, mit den Behörden zu kooperieren und der Rückkehrentscheidung nach Marokko Folge zu leisten bzw. es auch nicht möglich schien, den BF mit anderen, schonenderen Mitteln zu einer rechtskonformen Ausreise aus Österreich bzw. dem Schengenraum zu bewegen. Daran vermag auch die Beantragung der freiwilligen Ausreise des BF nichts zu ändern, da er nach Entlassung aus der Schubhaft am 13.05.2019 die Wohnsitzauflage nicht befolgte und untertauchte. Dass im Fall das BF die Verhängung eines gelinderen Mittels nicht in Frage kam, ist dadurch eindrucksvoll belegt. Hinzu kommt, dass der BF während seines sechsjährigen Aufenthalts in Österreich fünf Mal straffällig wurde. Das Haftübel war nicht geeignet, den BF von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Dies spricht zusätzlich gegen eine Vertrauenswürdigkeit des BF.

Dass der BF auch nach der Entlassung aus der gegenständlichen Schubhaft die Wohnsitzauflage nur kurze Zeit befolgte, ergibt sich aus dem Bescheid des BFA zur fünften Verhängung von Schubhaft über den BF ab 23.09.2019. Dies wurde vom BF auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.01.2020, XXXX , bestätigt.

2.4. Familiäre/soziale Komponente (4.1.-4.5.):

Die Feststellung unter 4.1 ergeben sich aus seinen Angaben in den Vorverfahren, an deren Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.

Der BF hat laut eigenen Angaben keine Familienangehörigen in Österreich, dies ergibt sich aus seiner Einvernahme vom 14.04.2019. Aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) ergibt sich auch, dass der BF zum Zeitpunkt der Entscheidung über keinen gesicherten Wohnsitz verfügt hat. Darüber hinaus hat das Verfahren nicht ergeben, dass der BF anderweitig in Österreich einen festen Wohnsitz haben könnte. Die Feststellung zu 4.5. gründet sich auf die Eintragung hinsichtlich der Barmittel die für den BF im Polizeianhaltezentrum in Verwahrung genommen worden sind. Das seinerzeitige Guthaben betrug Euro 217,51.

2.5.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen. Von einer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden. Der BF hat diesbezüglich im Übrigen nicht dargelegt, weshalb er die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung für opportun ansieht. Wie oben ausgeführt, widersprach das Vorbringen in der Beschwerde, der BF führe eine Beziehung und könne bei seiner Lebensgefährtin Unterkunft nehmen, sowohl den bisherigen Angaben des BF als auch den Meldedaten des ZMR.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft:

3.1.1. Gesetzliche Grundlage:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der

Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

Zur Judikatur:

3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, „dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig“(VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, „weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese ’Einstellungsänderung’ durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfeststellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessene Verzögerung zu erblicken).“ (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

3.1.3. Der BF reiste illegal nach Österreich ein, stellte im Inland bisher insgesamt fünf Anträge auf internationalen Schutz und wurde im Zeitraum 2012 bis 2019 fünf Mal straffällig. Er verfügte über keinen gesicherten Wohnsitz, kein nennenswertes Vermögen um sich selbst zu erhalten, ist weder beruflich noch sozial in Österreich integriert und hat keine Familienangehörigen im Inland. Er ist, wie oben näher ausgeführt, nicht rückreisewillig und nicht kooperativ. Durch die Stellung mehrerer weiterer Asylanträge (Folgeanträge), der versuchten illegalen Weiterreise nach Deutschland bzw. Italien und der wiederholten Missachtung der Wohnsitzauflage zeigte der BF, dass er in keiner Weise gewillt ist, die Entscheidungen der Republik Österreich hinsichtlich seiner Rückkehr zu akzeptieren. Auf Grund dieser Verhaltensweisen ist er als rückreiseunwillig anzusehen. Das Gericht sieht es hier als unzweifelhaft an, dass aufgrund der eben erörterten Merkmale im gegenständlichen Fall jedenfalls aus gutem Grunde davon ausgegangen werden kann, dass hinsichtlich des BF ausreichender Sicherungsbedarf besteht. Dies zeigt sich besonders deutlich daran, dass der BF mittels des über ihn verhängten gelinderen Mittels nicht am Untertauchen gehindert werden konnte. Die Behörde ist daher zu Recht vom Bestehen von Fluchtgefahr ausgegangen.

3.1.4. Darüber hinaus ist die Verhältnismäßigkeit der Inschubhaftnahme nach Ansicht des erkennenden Gerichtes ebenso gegeben. Betrachtet man die Interessen des BF an den Rechten seiner persönlichen Freiheit in Bezug auf seine familiären bzw. sozialen Verhältnisse zeigt sich, dass der Gewichtung des öffentlichen Interesses ein weitaus höherer Stellenwert zuzuschreiben war. Das Gericht geht in einer Gesamtschau nicht davon aus, dass der BF nennenswerte Kontakte im Inland tatsächlich knüpfen hatte können, die hier wesentlich ins Gewicht fallen. Nennenswerte soziale Kontakte wurden auch in der Beschwerdeschrift nicht vorgebracht und sind auch in den bisherigen Verfahren nicht hervorgekommen. Der BF hat durch die Missachtung der fremdenrechtlichen Bestimmungen und der in der Vergangenheit begangenen mannigfaltigen Straftaten gegen geltende Gesetze des Landes verstoßen und damit zum Ausdruck gebracht, dass er ganz klar keine Unterordnung unter das im Inland bestehende Rechtssystem beabsichtigt. Er hat versucht die österreichischen Behörden durch Angabe einer veränderten Identität zu täuschen und sich sohin rechtswidrig einen Aufenthalt in Österreich zu verschaffen. Durch die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot hat die Republik Österreich nach Ansicht des Gerichts aber ausreichend klar dargestellt, dass ein Verbleib des BF im Inland rechtlich nicht gedeckt ist und auch eine Wiederkehr des BF nicht gewünscht wird. Daraus lässt sich sohin auch ein erhöhtes Interesse der Öffentlichkeit an einer gesicherten Außerlandesbringung des BF klar erkennen. Dem gegenüber wiegen die persönlichen Interessen des BF weit weniger schwer als das öffentliche Interesse einer baldigen gesicherten Außerlandesbringung des BF. Aus dem Akteninhalt in Verbindung mit dem Beschwerdeschriftsatz ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass den BF die Haftsituation über das übliche Ausmaß hinaus belastet hätte. Das Gericht kommt daher zu dem Schluss, dass im Hinblick auf die durchzuführende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Fehlenden sozialen Verankerung trotz einer angeschlagenen Gesundheit des BF die öffentlichen Interessen an der Sicherung der kommenden Abschiebung die persönlichen Interessen überwiegen. Das erkennende Gericht geht daher – wie oben angeführt – von einer Verhältnismäßigkeit der Verhängung der Schubhaft aus. Der BF verfügte über keinen gültigen Reisepass, sodass davon auszugehen war, dass eine Effektuierung der Abschiebung nur nach Erhalt eines Heimreisezertifikates durchführbar sein werde. Die Behörde ging zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft zu Recht von einer Möglichkeit der Erlangung eines Heimreisezertifikates zur Außerlandesbringung des BF aus.

3.1.5. Die Anordnung eines gelinderen Mittels führte nicht zu einer ausreichenden Sicherung der Durchführbarkeit einer konkreter werdenden Abschiebung. Wie oben ausgeführt, missachtete der BF unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Schubhaft am 13.05.2019 das gelindere Mittel und nahm nicht an der genannten Adresse Unterkunft, wodurch er für die Behörden erneut nicht greifbar war. Auch nach der Entlassung aus der gegenständlichen Schubhaft am 08.07.2019 befolgte er die Wohnsitzauflage nur wenige Wochen, um sich dann erneut von seiner zugewiesenen Unterkunft zu entfernen und unterzutauchen. Der gute Wille der belangten Behörde wurde durch die wiederholte Missachtung der Wohnsitzauflage mehr als überstrapaziert. Der BF war nicht willig in seine Heimat zurückzukehren. Unter Berücksichtigung aller Umstände ist die Behörde daher zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Anordnung gelinderer Mittel das Auslangen nicht gefunden werden könnte, was durch den BF nach Entlassung aus der Schubhaft auch zum wiederholten Mal eindrucksvoll bewiesen wurde.

3.1.6. Die gegenständlich verhängte Schubhaft erwies sich daher auch als „ultima ratio“. Auf Grund des zuvor Ausgeführten ergibt sich, dass sowohl Sicherungsbedarf, als auch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit gegeben waren und die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht als erfolgversprechend zu beurteilen war. In diesem Sinne ist auch das Kriterium der „ultima ratio“ im vorliegenden Schubhaftverfahren gegeben.

3.1.7. Von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung des BFA festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüberhinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

3.1.8. Der Verfassungsgerichtshof hat sich (anlässlich von Beschwerden gegen Entscheidungen des Asylgerichtshofes) mit der EU-Grundrechte-Charta (GRC) ausführlich in den Entscheidungen zu U 466/11-18 und U 1836/11-13, beide vom 14. März 2012 auseinandergesetzt. Auf das Wesentliche zusammengefasst gilt demnach in Verfahren, in denen Unionsrecht eine Rolle spielt, die EU-Grundrechte-Charta wie die Verfassung und sind Grundrechte, die durch diese EU-Charta garantiert sind, gleichsam verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, die vor dem Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden können. Der Verfassungsgerichtshof brachte aber im Zuge dieser Entscheidungen auch zum Ausdruck, dass er vor dem Hintergrund der in diesen Entscheidungen zitierten Rechtsprechung des EGMR weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des nunmehr durch § 21 Abs. 7 BFA-VG ersetzten und gleichlautenden § 41 Abs. 7 AsylG 2005 hegt, noch habe der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung in den Anlassfällen einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Demnach steht das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde.

Das BFA hat die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt und das Bundesverwaltungsgericht teilt die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung.

Zu Spruchpunkt II. und III. – Kostenbegehren

Da die Verwaltungsbehörde vollständig obsiegte, steht ihr nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz ihrer Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen. Der Antrag des BF auf Kostenersatz war daher abzuweisen.

Zu Spruchpunkt B. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in den übrigen Spruchpunkten war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einreiseverbot Fluchtgefahr Folgeantrag gelinderes Mittel Gesundheitszustand Identität Kostenersatz Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Ultima Ratio Untertauchen Verhältnismäßigkeit Wohnsitzauflage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W171.2139324.4.00

Im RIS seit

03.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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