TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/23 G314 2215893-1

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Veröffentlicht am 23.09.2021
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Entscheidungsdatum

23.09.2021

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
FPG §46
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §29 Abs5

Spruch


G314 2215893-1/16E

GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DES AM 08.09.2021 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des irakischen Staatsangehörigen XXXX (auch: XXXX ), geboren am XXXX , vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , Außenstelle XXXX vom XXXX .2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.09.2021 zu Recht erkannt:

A)       Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahin abgeändert, dass es in Spruchpunkt IV. zu lauten hat: „Gemäß § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG ist eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 55 Abs 2 iVm Abs 1 und 58 Abs 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung“ iSd § 54 Abs 1 Z 2 AsylG erteilt“ und die Spruchpunkte V. und VI. ersatzlos behoben werden. Die Spruchpunkte I. bis III. bleiben unverändert.

B)       Die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers (BF) im Irak wegen seiner Konversion zum Christentum wurde nicht glaubhaft gemacht. Voraussetzung dafür wäre, dass anzunehmen ist, dass er nach der Rückkehr in den Irak religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Wesentlich ist somit, ob er bei weiterer Ausübung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. VwGH 21.04.2021, Ra 2021/18/0155). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Obwohl der BF an einer umfangreichen Taufvorbereitung teilgenommen hat, konnte er den Anstoß für seinen Konversionsprozess nicht nachvollziehbar schildern und (auch gemessen an seinem vergleichsweise geringen Bildungsstand) nur sehr rudimentäre und oberflächliche Angaben zu Inhalten des christlichen Glaubens und Glaubensgrundsätzen machen. So war ihm etwa die Existenz des Alten Testaments offenbar völlig unbekannt. Aus dem zeitlichen Ablauf ergibt sich, dass er sich insbesondere nach der Abweisung seines ersten Asylantrags ernsthaft mit der Möglichkeit einer Konversion zum Christentum befasst hat. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass es ihm in erster Linie um die soziale Einbindung in eine Gruppe der lokalen Kirchengemeinde und um die Erfüllung des Wunsches seiner nunmehrigen Ehefrau geht. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher nicht zu beanstanden.

Es ist dem BF, einem relativ jungen, gesunden Mann mit Arbeitserfahrung in verschiedenen Branchen ohne besondere Vulnerabilitäten auch zumutbar, nach XXXX zurückzukehren. Ihm droht dort keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention, ebenso wenig würde diese für ihn als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen. Die Sicherheits- und Versorgungslage in seiner Herkunftsregion ist nicht so schlecht, dass die Rückkehr für den BF aus diesem Grund unzumutbar wäre. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher ebenfalls rechtskonform.

Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 AsylG bestehen nicht, sodass auch Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden ist.

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, durch die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen. Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß § 58 Abs 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ (die gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG berechtigt) zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und die Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird (Z 2).

Der BF hat weder Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt noch übt er eine Erwerbstätigkeit aus. Daher ist ihm aufgrund der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Der BF hält sich seit 2015 kontinuierlich im Bundesgebiet auf und ist mit einer Österreicherin verheiratet, mit der er in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt. Er hat grundlegende Deutschkenntnisse erworben, betätigt sich ehrenamtlich und hat einen österreichischen Freundes- und Bekanntenkreis. Demgegenüber sind seine Bindungen an den Irak, wo er keine ihm nahestehenden Bezugspersonen mehr hat, deutlich gelockert. Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK geboten ist, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen der Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Angesichts der außerordentlichen Integrationsbemühungen des BF und des Familienlebens mit seiner österreichischen Ehefrau greift eine Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig in sein Recht gemäß Art 8 EMRK ein. Er ist strafgerichtlich unbescholten und hat sich keine Verstöße gegen die öffentliche Ordnung zuschulden kommen lassen. Der Umstand, dass ihm sein unsicherer Aufenthaltsstatus stets bewusst sein musste, relativiert zwar das Gewicht des Privat- und Familienlebens im Inland, hat aber vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass diesem überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes persönliches Interesse nicht zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen kann.

In teilweiser Stattgebung der Beschwerde ist im Ergebnis eine Rückkehrentscheidung gegen den BF auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig zu erklären und ihm jeweils gemäß § 58 Abs 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung“ gemäß § 54 Abs 1 Z 2 AsylG iVm § 55 Abs 1 AsylG zu erteilen. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids ist insoweit abzuändern, die Spruchpunkte V. und VI. haben als Folge dieser Entscheidung ersatzlos zu entfallen.

Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zuzulassen, weil es sich bei der Beweiswürdigung und bei der Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK um typische Einzelfallbeurteilungen handelt, bei der sich das BVwG im Rahmen der Rechtsprechung des VwGH bewegte, und keine erheblichen, über den Einzelfall hinausreichenden Rechtsfragen zu lösen hatte.

Diese gekürzte Ausfertigung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 08.09.2021 verkündeten Erkenntnisses ergeht gemäß § 29 Abs 5 VwGVG, weil innerhalb der zweiwöchigen Frist kein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs 4 VwGVG gestellt wurde.

Schlagworte

gekürzte Ausfertigung Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2215893.1.00

Im RIS seit

30.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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