TE Vfgh Erkenntnis 2021/9/22 E1775/2020 ua

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Veröffentlicht am 22.09.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend einen Familie mit fünf minderjährigen Kindern von Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelnde Auseinandersetzung mit deren finanziellen Mitteln und Unterstützung durch am Herkunftsort Kabul lebende Familienangehörige; keine Bezugnahme auf aktuelle Länderberichte des UNHCR hinsichtlich des Bestehens einer internen Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif, insbesondere im Hinblick auf ein Unterstützungsnetzwerk

Spruch

I. Den Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird im Umfang der Gebührenbefreiung stattgegeben.

II. 1. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch die angefochtenen Erkenntnisse, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Die Erkenntnisse werden insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien die mit € 3.531,60 bestimmten Prozesskosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Tadschiken (Erstbeschwerdeführer, Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer) bzw der Paschtunen (Zweitbeschwerdeführerin) an und sind sunnitische Moslems. Der Erstbeschwerdeführer (geb. 1975) und die Zweitbeschwerdeführerin (geb. 1980) sind traditionell verheiratet. Sie sind die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer (geb. 2014, 2018, 2007, 2008 und 2009).

2. Der Erstbeschwerdeführer ist in Afghanistan (Kabul Stadt) geboren und aufgewachsen. Bis kurz vor seiner Ausreise war er Beamter beim Nationalen Sicherheitsdienst. Drei Schwestern, fünf Brüder und die Mutter des Erstbeschwerdeführers leben in Kabul. Die Zweitbeschwerdeführerin stammt ebenfalls aus der Stadt Kabul. Ihre Mutter, drei Schwestern und ein Bruder leben in Laghman, weitere Verwandte in Kabul. Die Beschwerdeführer lebten bis zu ihrer Ausreise nach Österreich 2015 in Kabul. Die Dritt-, Fünft-, Sechst- und Siebtbeschwerdeführer wurden in Afghanistan geboren, der Viertbeschwerdeführer in Österreich.

3. Nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet stellten der Erst- bis Sechstbeschwerdeführer (die mj. Kinder durch ihre gesetzlichen Vertreter) am 21. Mai 2016 Anträge auf internationalen Schutz. Der Viertbeschwerdeführer kam am 3. Oktober 2018 in Österreich zur Welt, seine gesetzlichen Vertreter stellten am 23. Oktober 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer begründete seinen Antrag damit, dass er beim nationalen Sicherheitsdienst gearbeitet habe und an einer Verhaftung mehrerer Taliban beteiligt gewesen sei, weswegen er bedroht worden sei. Die Zweitbeschwerdeführerin bezog sich auf die Fluchtgründe ihres Mannes. Auch für die minderjährigen Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

4. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27. März 2019 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus abgewiesen, ihnen jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei; für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

5. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. März 2020, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27. November 2019, abgewiesen.

5.1. Das Bundesverwaltungsgericht begründet die abweisenden Entscheidungen hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus mit der mangelnden Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens.

5.2. In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stellt das Bundesverwaltungsgericht in allen angefochtenen Erkenntnissen fest, dass den Beschwerdeführern eine Rückkehr nach Kabul bzw Neuansiedlung in Herat oder Mazar-e Sharif möglich und zumutbar sei. In Kabul hätten sie in einem Eigentumshaus gelebt und verfügten durch Mieteinnahmen über sofortige finanzielle Mittel, was ihre Versorgung sicherstelle. Bei einer Rückkehr nach Kabul hätten die Beschwerdeführer eine sofortige Wohnmöglichkeit in ihrem Eigentumshaus oder könnten zudem zumindest vorübergehend bei Angehörigen oder im Gasthaus, das ein Bruder des Erstbeschwerdeführers verwalte, unterkommen. In Herat und Mazar-e Sharif stehe ihnen durch die Mieteinnahmen ein Startkapital und laufendes Einkommen zur Verfügung, zudem komme ihnen auch dort finanzielle Unterstützung durch die Angehörigen zugute.

6. Gegen diese Entscheidungen richtet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse beantragt wird.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Verwaltungsakten vorgelegt; beide haben von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

A. Soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seinen Entscheidungen jeweils hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:

2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

2.2. Insbesondere bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74).

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche konkrete Rückkehrsituation Familien mit minderjährigen Kindern tatsächlich vorfinden werden (vgl zB VfGH 21.9.2017, E2130/2017 ua; 25.9.2018, E1463/2018 ua). Dabei reicht die Begründung, dass diese auf den Schutz und die Fürsorge ihrer Eltern vertrauen können, nicht aus (VfGH 13.3.2019, E1480/2018 ua). Es bedarf Ermittlungen hinsichtlich der Frage, ob das im Herkunftsstaat bestehende Familiennetzwerk tatsächlich willens und auch in der Lage ist, die Familie zu unterstützen (vgl VfGH 12.3.2019, E2314/2018 ua).

2.4. In seiner rechtlichen Beurteilung geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass nach den aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul auf Grund der derzeitigen Sicherheitslage, der Menschenrechte und der humanitären Lage generell nicht verfügbar sei, was laut Verfassungsgerichtshof "insbesondere für eine Familie mit vier minderjährigen Kindern" grundsätzlich auch gelte, wenn es sich um die Heimatstadt handle. Lediglich besondere, außergewöhnliche Umstände bzw Einschätzungen anderer internationaler Organisationen könnten einen gegenteiligen Schluss zulassen. Bei gemeinsamer Betrachtung der UNHCR-Richtlinien aus August 2018 und der EASO Country Guidance aus Juni 2019 müssten bei Fehlen eines familiären Netzwerks am Neuansiedlungsort jedenfalls ausreichend finanzielle Mittel vorhanden sein, um bei Familien mit Kindern eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar erscheinen zu lassen. Diese geforderten Umstände lägen hier vor, dies vor allem unter Berücksichtigung, dass die Familie nach übereinstimmenden Aussagen über ein Eigentumshaus in Kabul sowie dass sie durch Mieteinnahmen auch über ein Startkapital verfüge.

2.4.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt zwar fest, dass Familienangehörige der Beschwerdeführer in Kabul lebten und ihnen dort laut übereinstimmenden Aussagen von Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin ein Eigentumshaus sofort zur Verfügung stehe und sie durch Mieteinnahmen über ein Startkapital verfügten. Übereinstimmende Aussagen zum Eigentumshaus und damit zur Wohnversorgung liegen jedoch nicht vor, da die Zweitbeschwerdeführerin der das Eigentumshaus betreffenden Annahme in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten und der Erstbeschwerdeführer zum Haus nicht befragt worden ist. Für diese Feststellung des Bundesverwaltungsgerichtes liegen somit keine ausreichenden Beweisergebnisse vor. Mit Blick auf eine siebenköpfige Familie mit fünf minderjährigen Kindern hätte es weiterer Feststellungen zur Frage bedurft, ob die in Kabul lebenden Angehörigen willens und in der Lage sind, die Beschwerdeführer tatsächlich zu unterstützen.

2.4.2. Damit unterlässt es das Bundesverwaltungsgericht nicht nur, sich ausreichend mit der Frage auseinanderzusetzen, welche besonderen, außergewöhnlichen Umstände in Anbetracht des in den Länderberichten dargelegten Befundes, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist, im konkreten Fall einen gegenteiligen Schluss zuließen – dies vor dem Hintergrund des Falles auch, obwohl es sich bei Kabul nicht um eine innerstaatliche Fluchtalternative, sondern um den Herkunftsort der Beschwerdeführer handelt (vgl zB VfGH 28.11.2019, E3478/2019 ua; 27.11.2019, E1295/2019 ua; 3.10.2019, E490/2018 ua). Ferner verabsäumt es das Bundesverwaltungsgericht, hinreichend zu ermitteln, ob die Beschwerdeführer tatsächlich über ausreichend finanzielle Mittel verfügen und somit nicht auf ein familiäres Netzwerk angewiesen sind, bzw ob ihre Angehörigen gegebenenfalls willens und in der Lage sind, sie tatsächlich zu unterstützen. Da es somit die Ermittlung in einem entscheidenden Punkt unterlassen hat, hat es seine Entscheidungen bereits aus diesem Grund mit Willkür belastet (vgl zB VfGH 28.11.2019, E3478/2019 ua; 3.10.2019, E490/2018 ua; 12.3.2019, E2314/2018 ua).

2.5. Ferner übersieht das Bundesverwaltungsgericht auch in Bezug auf die Prüfung der innerstaatlichen Schutzalternative für die Städte Herat und Mazar-e Sharif, dass laut UNHCR-Richtlinien eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk hat, welches willens und in der Lage ist, sie tatsächlich zu unterstützen. Einzige Ausnahme davon sind alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne besondere Gefährdungsfaktoren (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018, S 124 f.; vgl zu deren Indizwirkung zB VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533 mwN). Dies trifft jedoch auf die siebenköpfige Familie mit fünf minderjährigen Kindern jedenfalls nicht zu (vgl VfGH 9.12.2020, E3048/2019 ua), zumal auch deren finanzielle und familiäre Situation, wie festgestellt, unzureichend ermittelt wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch aus diesem Grund seine Erkenntnisse mit Willkür belastet, indem es den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht mit aktuellen Länderberichten in Bezug gesetzt und damit die erforderliche Prüfung, ob im konkreten Fall im Hinblick auf die beschwerdeführende Familie in den Städten Herat und Mazar-e Sharif ein entsprechendes Unterstützungsnetzwerk vorhanden ist, unterlassen hat.

2.6. Soweit sich die Entscheidungen auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw die Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise beziehen, sind sie daher schon aus diesen Gründen aufzuheben.

B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären die gerügten Rechtsverletzungen aber im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

3. Demgemäß wurde beschlossen, von der Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtenen Erkenntnisse, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen werden, in dem durch ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Erkenntnisse sind daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Den Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung ist stattzugeben.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Beträgen ist Umsatzsteuer in Höhe von € 588,60 und ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 763,– enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag zuzusprechen. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen; die beschwerdeführenden Parteien genießen Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO.

Schlagworte

Asylrecht / Vulnerabilität, Kinder, Verhandlung mündliche, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E1775.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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