TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/18 I414 2231403-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.08.2021
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Entscheidungsdatum

18.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs5
AsylG 2005 §58 Abs8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I414 2231403-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch KOCHER & BUCHER Rechtsanwälte OG, Friedrichgasse 31, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.03.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.08.2021, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. 

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 09.01.2020 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.

Am 18.02.2020 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde statt.

Mit dem im Spruch genannten Bescheid wurde der Antrag vom 09.01.2020 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.), festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei (Spruchpunkt III.) und eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass zwar durchaus integrative Merkmale vorliegen würden, das private Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet jedoch dadurch gemindert werde, dass die Beschwerdeführerin nach dem Ablauf ihres Aufenthaltstitels im Bundesgebiet verblieben sei und dadurch die österreichische Rechtsordnung ignoriert habe, was die öffentliche Ordnung gefährde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen; der Beschwerdeführerin in Stattgebung der Beschwerde einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zuzuerkennen sowie in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin während ihres nunmehr sechsjährigen Aufenthaltes die deutsche Sprache perfekt erlernt habe, sich beruflich integriert habe und eine Rückkehrentscheidung zudem aufgrund der bestehenden Lebensgemeinschaft mit einem in Österreich aufhältigen bosnischen Staatsbürger unzulässig sei. Die Fortführung der Lebensgemeinschaft in Bosnien sei nicht möglich, da der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin ethnischer Serbe sei und die Familie der Beschwerdeführerin die Beziehung nicht tolerieren würde.

Am 29.05.2020 legte die belangte Behörde die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Mit Schriftsatz vom 21.07.2021 brachte der rechtsfreundliche Vertreter der Beschwerdeführerin einen Fristsetzungsantrag beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 03.08.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und der belangten Behörde eine öffentliche Verhandlung durch. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin wurde zeugenschaftlich einvernommen.

Mit Schreiben vom 09.08.2021 teilte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass die Beschwerdeführerin am 05.08.2021 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgereist ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen:

Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina.

Die Beschwerdeführerin ist ledig und kinderlos. Ihre Muttersprache ist bosnisch, sie spricht Deutsch auf Niveau B1.

Die Beschwerdeführerin leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen und ist arbeitsfähig.

Seit 19.09.2014 hält sich die Beschwerdeführerin – abgesehen von regelmäßigen Familienbesuchen in Bosnien – durchgehend in Österreich auf. Der Aufenthalt war zunächst aufgrund der ihr erteilten Aufenthaltsbewilligung „Studierender“ und zuletzt aufgrund einer mehrmals verlängerten Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ bis zum 06.10.2019 rechtmäßig. Da sie ihre Ausbildung nicht weiter betrieb, wurde der Aufenthaltstitel nicht mehr verlängert.

Seit rund fünf Jahren lebt die Beschwerdeführerin mit einem mittlerweile österreichischen Staatsangehörigen in einer Lebensgemeinschaft. Am 22.10.2020 heiratete die Beschwerdeführerin ihren Partner. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin erlangte im August 2020 die österreichische Staatsbürgerschaft. Der Ehegatte unterstützt die Beschwerdeführerin finanziell. Die Beschwerdeführerin ist bei ihm mitversichert.

In Österreich leben zwei Schwestern der Beschwerdeführerin mit deren Familien sowie ein Onkel, eine Tante und drei Cousinen. Außerdem bestehen private Anbindungen in Form eines Freundes- und Bekanntenkreises. In Bosnien leben die Eltern der Beschwerdeführerin.

In Österreich war die Beschwerdeführerin seit Beginn ihres Aufenthaltes annähernd durchgehend in mehreren Arbeitsverhältnissen zunächst geringfügig und später in Teilzeit beschäftigt. Zuletzt war sie von 22.12.2017 bis 30.09.2019 in einem Gastronomiebetrieb tätig, seither übt die Beschwerdeführerin keine Erwerbstätigkeit aus. Für den Fall eines Verbleibs im Bundesgebiet besteht ein Angestellten-Dienstvorvertrag mit ihrem bisherigen Arbeitgeber mit einer Brutto-Entlohnung von EUR 2.000,--.

Die Beschwerdeführerin reiste am 05.08.2021 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich ohne entscheidungserhebliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt des vorgelegten Behördenaktes.

Die Feststellungen basieren auf den vorliegenden Beweismitteln, insbesondere auf den plausiblen und schlüssigen Angaben der Beschwerdeführerin in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag, in der niederschriftlichen Einvernahme vom 18.02.2020, in der Beschwerde, auf den von ihr vorgelegten Dokumenten und auf die am 03.08.2021 durchgeführte Verhandlung. Es liegen keine entscheidungserheblichen Widersprüche vor.

Die Volljährigkeit und Identität der Beschwerdeführerin ist durch die im Akt einliegende Kopie ihres bosnischen Reisepasses belegt.

Die Beschwerdeführerin gab an, verheiratet und kinderlos zu sein. Bosnischkenntnisse der Beschwerdeführerin sind aufgrund ihrer Herkunft, der in Bosnien verbrachten Jahre ihrer Kindheit und der dort verbrachten Schulzeit plausibel. Ihre Deutschkenntnisse konnten aufgrund der vorgelegten Kursbestätigung vom 10.02.2015 festgestellt werden. Außerdem konnte die Einvernahme der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde am 10.02.2020 problemlos auf Deutsch, ohne Beiziehung eines Dolmetschers, geführt werden und merkte die belangte Behörde dabei auch an, dass die Beschwerdeführerin ausgezeichnet Deutsch spricht (AS 217). Ebenfalls im Rahmen der mündlichen Verhandlung konnte sich der Richter davon überzeugen, dass die Beschwerdeführerin ausgezeichnet Deutsch spricht (Niederschrift Seite 12).

Die Beschwerdeführerin gab an, an einer Erkrankung der Brust zu leiden und deshalb seit rund einem Jahr in Behandlung zu sein. Sie legte dazu Befundberichte der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Graz vom 23.09.2019, 24.09.2019, 08.10.2019 und 24.10.2019 vor. Dabei konnte lediglich eine fibrocystische Mastopathie sowie eine Galaktorrhoe festgestellt werden, wobei es sich um keine lebensbedrohlichen Erkrankungen handelt, weshalb die entsprechende Feststellung zu treffen war. Aus der Zusammenschau mit dem erwerbsfähigen Alter der Beschwerdeführerin und dem vorgelegten Arbeitsvorvertrag gründet in weiterer Folge die Feststellung der Arbeitsfähigkeit. Darüber hinaus brachte sie im Rahmen der Verhandlung vor, dass sie sich gesund fühle und derzeit keine Medikamente einnehme und arbeitsfähig sei (Niederschrift Seite 4).

Die Feststellungen zur Einreise nach Österreich und zu den erteilten Aufenthaltstiteln gründen auf der Einsichtnahme in das Fremdenregister sowie das Zentrale Melderegister. Die Beschwerdeführerin gab im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 18.02.2020 an, dass sie die Schule nicht weiter besuchen konnte. In der Verhandlung brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie seit ca. 2014 durchgehend im Bundesgebiet aufhältig sei. Sie habe zuerst Geografie studiert, da sie jedoch die Deutschprüfung nicht bestanden habe, habe sie in der Folge die Höhere Technische Lehranstalt (HTL) für Berufstätige besucht. Nach geraumer Zeit habe sie gemerkt, dass die schulische Ausbildung zur Bautechnikerin nicht passend für sie sei und habe daher die Ausbildung abgebrochen.

Aus den Angaben der Beschwerdeführerin ergeben sich die Feststellungen zu ihrer Lebensgemeinschaft mit einem mittlerweile österreichischen Staatsangehörigen. Aus der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister gründet die Feststellung, dass erst seit 24.04.2020 ein gemeinsamer Wohnsitz besteht. Aufgrund der vorliegenden Heiratsurkunde ergeht hervor, dass sie seit dem 22.10.2020 verheiratet ist. Der Ehegatte gab in der Verhandlung an, dass er im August 2020 die österreichische Staatsbürgerschaft erworben habe. Dass die Beschwerdeführerin finanziell von ihrem Ehegatten unterstützt wird, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin sowie ihres Ehegatten. Die Feststellung, wonach die Beschwerdeführerin bei ihrem Ehegatten sozialversichert ist, ergibt sich aus dem Sozialversicherungsauszug und den glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin sowie deren Ehegatten.

Die Feststellungen zu den in Österreich lebenden Familienangehörigen sowie zum Bekannten- und Freundeskreis gründen auf der vorgelegten Liste von in Österreich lebenden Verwandten (AS 129) sowie auf den zahlreich vorgelegten Unterstützungsschreiben von Freunden und Bekannten (AS 49 ff) und den glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin im Rahmen der Verhandlung. Dass ihre Eltern in Bosnien und Herzegowina leben, gab die Beschwerdeführerin im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme an (AS 217). Darüber hinaus gab die Beschwerdeführerin an, dass sie regelmäßig zu ihren in Bosnien lebenden Eltern Kontakt habe.

Aus dem eingeholten Sozialversicherungsauszug ergeben sich die Beschäftigungsverhältnisse der Beschwerdeführerin. Aus der Vorlage des Angestellten-Dienstvorvertrages ergibt sich die diesbezügliche Feststellung.

Die Feststellung, wonach die Beschwerdeführerin das österreichische Bundesgebiet am 05.08.2021 verlassen hat, ergibt sich aus der von der belangten Behörde übermittelten Urkunde.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit gründet auf dem einholten Auszug aus dem Strafregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides):

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Republik Bosnien und Herzegowina und somit Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

Gemäß § 55 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist.

§ 58 AsylG regelt das Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß §§ 55 ff AsylG. Gemäß § 58 Abs. 5 AsylG sind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG persönlich beim BFA zu stellen. Gemäß § 58 Abs. 8 AsylG hat das BFA im verfahrensabschließenden Bescheid über die Zurück- oder Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG abzusprechen. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG und § 52 Abs. 3 FPG ist die Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG grundsätzlich mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA gleichzeitig mit einer Rückkehrentscheidung festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, durch die in das Privat- oder Familienleben eines oder einer Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthalts in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen. Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Bei der Beurteilung, ob die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin geboten ist, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit ihren gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Dabei muss ein Ausgleich zwischen dem Interesse der Beschwerdeführerin auf Fortsetzung ihres Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden werden. In die gebotene Gesamtbeurteilung sind alle gemäß Art 8 EMRK relevanten Umstände seit ihrer Einreise einzubeziehen.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt zeigt, dass sich die Beschwerdeführerin seit rund sechs Jahren kontinuierlich im Bundesgebiet aufhält, wobei einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren nach der Rechtsprechung des VwGH für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (siehe zuletzt etwa VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0191). Der Inlandsaufenthalt der Beschwerdeführerin war zunächst für rund fünf Jahre lang rechtmäßig. Da sie die entsprechenden schulischen Leistungen nicht mehr erbrachte, musste der Beschwerdeführerin bereits 2019 bewusst gewesen sein, dass ihr kein Aufenthaltstitel mehr erteilt werden wird. Spätestens seit Ende 2019 ist ihr Aufenthalt nicht mehr rechtmäßig, weil die Beschwerdeführerin nach dem Ablauf der Gültigkeitsdauer ihres Aufenthaltstitels und nach Ablauf des sichtvermerkfreien Aufenthaltes im Inland verblieb, obwohl ihr keine weitere Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde. Weder Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 AsylG noch die Beschwerde gegen die Entscheidung darüber begründen ein Aufenthalts- oder Bleiberecht (vgl. §§ 58 Abs. 13 AsylG, 16 Abs. 5 BFA-VG).

Die Beschwerdeführerin lebt seit etwa fünf Jahren in einer Beziehung mit einem mittlerweile österreichischen Staatsangehörigen. Seit Jänner 2020 – im Melderegister eingetragen seit Mai 2020 - besteht ein gemeinsamer Haushalt und sie wird von ihrem Ehegatten auch finanziell unterstützt. Die Beschwerdeführerin heiratete ihren Partner am 22.10.2020. Bei der Gewichtung der für die Beschwerdeführerin sprechenden Umstände des Privat- und Familienlebens wird maßgeblich relativierend einbezogen, dass die Beschwerdeführerin sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste; das gleiche gilt für ihren Ehegatten. Seit Ablauf ihres Aufenthaltstitels ist ihr Aufenthalt unrechtmäßig. Zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einem mittlerweile österreichischen Staatsangehörigen war der Beschwerdeführerin und ihrem Ehegatten in evidenter Weise der unrechtmäßige Aufenthalt klar. Das öffentliche Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme wiegt daher schwer, zumal sowohl die Beschwerdeführerin als auch ihr Ehegatte nicht von einem Verbleib in Österreich ausgehen konnten. Es liegt zwar ein Familienleben vor, jedoch aufgrund der obigen Ausführungen ist dieses nicht schützenswert. Darüber hinaus wird angemerkt, dass die Beschwerdeführerin vor wenigen Wochen aus dem Bundesgebiet nachweislich ausgereist ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ist das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Bindungen („marriage-based relationships") beschränkt, sondern erfasst auch andere faktische Familienbindungen („de facto family ties"), bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben. Zur Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründet, stellt der EGMR auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen ab, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006). Im Lichte dieser Rechtsprechung ist durch den gemeinsamen Wohnsitz, die Dauer der Beziehung und die finanzielle Unterstützung der Beschwerdeführerin durch ihren Lebensgefährten von einer familiären Bindung auszugehen, wobei es für die durchzuführende Interessenabwägung nicht entscheidungswesentlich auf die Unterscheidung zwischen Familien- und Privatleben ankommt (vgl. VwGH 27.04.2020, Ra 2020/21/0121).

Unter Privatleben iSd Art 8 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR das Netzwerk persönlicher, sozialer und ökonomischer Beziehungen zu verstehen, die das Privatleben eines jeden Menschen ausmachen. Der Grad der Integration manifestiert sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schul- und Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen. Zugunsten der Beschwerdeführerin sind dabei ihre guten Deutschkenntnisse, die Sozialkontakte, die sie während ihres Aufenthalts im Inland geknüpft hat, insbesondere ihre Freundschaften mit in Österreich lebenden Personen und ihre hier aufhältigen Schwestern mit deren Familien, die Anknüpfungen aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit sowie die hier begonnenen, aber nicht abgeschlossenen Ausbildungen zu berücksichtigen. Diese Umstände werden jedoch dadurch relativiert, dass die Beschwerdeführerin sie in Kenntnis ihres unsicheren Aufenthaltsstatus begründete, zumal sie angesichts der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen (siehe oben) nicht von einer Erlaubnis zu einem nicht bloß vorübergehenden Verbleib im Bundesgebiet ausgehen durfte. Gerade der gemeinsame Wohnsitz mit ihrem Ehegatten wurde erst im Jänner 2020 – eingetragen im Melderegister seit April 2020 -, also zu einem Zeitpunkt als die angefochtene Rückkehrentscheidung bereits erlassen war, begründet. Die Beschwerdeführerin kann den Kontakt zu ihren im Bundesgebiet lebenden Bezugspersonen auch ohne die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels durch wechselseitige Besuche in Österreich (insbesondere im Rahmen zulässiger visumfreier Aufenthalte), in Bosnien und Herzegowina oder in anderen Staaten sowie über diverse Kommunikationsmittel (Telefon, Brief, Internet) aufrecht halten. Auch die Fortsetzung der Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehegatten in Bosnien und Herzegowina liegt nahe. Die vorgebrachten Schwierigkeiten bei einer Rückkehr nach Bosnien aufgrund des Umstandes, dass die Eltern der Beschwerdeführerin mit der Beziehung aufgrund verschiedener Ethnien nicht einverstanden sind, begründen keine wesentliche Verstärkung der Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich. Der belangten Behörde ist in ihren Ausführungen diesbezüglich beizutreten, dass es der Beschwerdeführerin und ihrem Ehegatten möglich sein wird, sich auch ohne die Unterstützung ihrer Eltern in ihrem gewohnten Umfeld in Bosnien (erneut) zurechtzufinden. Darüber hinaus wird angemerkt, dass die Beschwerdeführerin Anfang Oktober 2021 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgereist ist.

Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin nach dem vorgelegten Arbeitsvorvertrag einen Arbeitsplatz in Aussicht hat, ist zwar ein Anhaltspunkt für ihre Integrationsbemühungen (vgl. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005), belegt aber ihre künftige Selbsterhaltungsfähigkeit nicht, zumal sie nun schon seit längerem keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgeht.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (vgl. VwGH 19.04.2012, 2011/01/0253). Abgesehen von ihrem unrechtmäßigen Aufenthalt sind keine Verstöße gegen die öffentliche Ordnung aktenkundig.

Dem persönlichen Interesse der Beschwerdeführerin an einer Fortsetzung ihres Privat- und Familienlebens in Österreich steht das große öffentliche Interesse am geordneten Vollzug fremdenrechtlicher Vorschriften gegenüber. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt dabei im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu.

Unter den genannten Gesichtspunkten überwiegt im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung - insbesondere aufgrund der aufrechten Bindungen der Beschwerdeführerin zu ihrem Herkunftsstaat, ihres fünf Jahre überschreitenden Inlandsaufenthalts und des Verbleibs im Bundesgebiet nach dem Ablauf der Gültigkeitsdauer ihres letzten Aufenthaltstitels - das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin geboten ist. Da sie vor ihrem Aufenthalt in Österreich 20 Jahre lang in Bosnien und Herzegowina lebte, über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, gesund und arbeitsfähig ist, ist davon auszugehen, dass ihr keine großen Hindernisse bei der Wiedereingliederung begegnen werden. Wie umseits bereits ausgeführt wurde, wird es ihr auch jedenfalls möglich sein, die Beziehung zu einem österreichischen Staatsangehörigen fortzuführen.

Es wird der Beschwerdeführerin auch möglich sein, für einen neuerlichen, über den visumfreien Aufenthalt hinausgehenden Aufenthalt in Österreich, z.B. zur Familienzusammenführung aufgrund der Ehe oder zu Ausbildungszwecken (etwa zur beabsichtigten Wiederaufnahme des Studiums oder der Schulausbildung), von Bosnien und Herzegowina aus einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG zu stellen. Es ist ihr zumutbar, einen allfälligen neuerlichen Aufenthalt im Bundesgebiet nach den gesetzlichen Vorgaben des NAG von ihrem Herkunftsstaat aus zu legalisieren.

In einem Verfahren nach § 55 AsylG ist eine amtswegige Prüfung gemäß § 57 AsylG nicht vorgesehen (VwGH 27.07.2017, Ra 2017/02/0007), sodass die Behörde zu Recht keine solche Prüfung vornahm.

Die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Aufenthaltsberechtigung liegen nicht vor, sodass gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist. Die Gründe, warum diese nicht auf Dauer unzulässig ist, decken sich mit den Überlegungen zur Abweisung des Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG.

Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids ist somit als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würden oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs. 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs. 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs. 3).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Bosnien und Herzegowina zulässig; konkrete Hinweise auf eine Unzulässigkeit liegen nicht vor. Die Beschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig und wird daher in der Lage sein, in ihrer Heimat, wieder für ihren Lebensunterhalt aufzukommen, ohne in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten, allenfalls auch mit Hilfe ihrer dort lebenden Eltern. Außerdem ist eine weitere Unterstützung durch ihren Lebensgefährten nicht ausgeschlossen. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen könnte, liegt aktuell in Bosnien und Herzegowina - auch bei Berücksichtigung der schwierigen wirtschaftlichen Lage dort - jedenfalls nicht vor. Die vorgebrachten Schwierigkeiten aufgrund der verschiedenen Ethnien der Beschwerdeführerin und ihres Lebenspartners bieten keinen Grund für die Annahme einer drohenden Verletzung der durch die EMRK geschützten Rechte.

Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides bedarf aus diesen Gründen ebenso keiner Korrektur.

3.3. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Derartige „besondere Umstände“ wurden vom Beschwerdeführer nicht dargetan und sind auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Zudem handelt es sich bei der durchzuführenden Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK um eine typische Einzelfallbeurteilung, die im Allgemeinen nicht reversibel ist.

Schlagworte

Abschiebung Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK freiwillige Ausreise Frist illegaler Aufenthalt Integration Interessenabwägung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I414.2231403.1.00

Im RIS seit

22.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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