TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/27 I401 2008884-6

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.08.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

27.08.2021

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


I401 2008884-6/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 24.08.2021, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, beschlossen:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 22 BFA-VG rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text



Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Fremde, ein aus dem Bundesstaat Delta stammender, in Umunede geborener Staatsangehöriger von Nigeria, stellte am 29.01.2014 den ersten Antrag auf internationalen Schutz mit der Begründung, sein Vater sei bei einem Bombenanschlag der Boko Haram ums Leben gekommen. Mit Bescheid vom 10.02.2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria als unbegründet ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist und gewährte für die freiwillige Ausreise eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Mit Erkenntnis vom 04.12.2015, I406 2003978-1/9E, bestätigte das Bundesverwaltungsgericht diese Entscheidung.

Der Fremde kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach.

2. Am 04.03.2016 stellte der Fremde den zweiten Asylantrag, den er auf das Wesentlichste zusammengefasst damit begründete, er sei seit 2015 homosexuell und deswegen in Nigeria für einige Jahre im Gefängnis gewesen und von der Gesellschaft „gelyncht“ worden. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 20.05.2016 abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.11.2016, I409 2008884-2/3E, wegen entschiedener Sache als unzulässig zurückgewiesen und eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Asylgesetz nicht erteilt. Letztlich wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung nach Nigeria für zulässig erklärt. Dieses Erkenntnis wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13.12.2017, E 223/2017, behoben.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht am 30.05.2018 nahm der durch den MigrantInnenverein St. Marx vertretene Fremde per Fax vom 17.06.2018 seine Beschwerde betreffend die Nichtgewährung internationalen Schutzes hinsichtlich des Status des Asylberechtigen zurück. Zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Asyl sei er schlecht beraten gewesen. Wahr sei, dass er nicht homosexuell sei, er lebe vielmehr seit drei Jahren in einer Beziehung und es gebe Hochzeitsvorbereitungen.

Nach Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung am 29.11.2019 verkündete das Bundesverwaltungsgericht an diesem Tag das Erkenntnis mündlich und wies die Beschwerde (die Spruchpunkte II. bis IV. betreffend) mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der erste Spruchteil des Spruchpunktes III. wie folgt zu lauten hat: „Eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Asylgesetz 2005 wird nicht erteilt.“ Da kein Antrag auf schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses gestellt wurde, wurde das Erkenntnis am 27.12.2019, I409 2008884-2/32E, verkürzt ausgefertigt.

Der Fremde kam seiner Ausreiseverpflichtung erneut nicht nach.

3. Mit Bescheid des Bundeamtes vom 14.03.2017 wurde der Fremde gemäß § 19 AVG und § 46 Abs. 2a Fremdenpolizeigesetz (FPG) zum Zweck der Identitätsprüfung für den 24.03.2017 vorgeladen, wobei einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG aberkannt wurde. Mit Erkenntnis vom 04.04.2017, I416 2008884-3/4E, wies das Bundesverwaltungsgericht diese Beschwerde ab.

4. Mit Erkenntnis vom 23.12.2020, W150 2237827-1/3E, wurde die Beschwerde des Fremden gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 02.12.2020, mit dem dem Fremden gemäß § 46 Abs. 2a und 2b FPG aufgetragen wurde, zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes zum angegebenen Termin und Ort persönlich zu kommen, um an den notwendigen Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes mitzuwirken, mit der Maßgabe abgewiesen, dass „das Geburtsjahr des Beschwerdeführers im bekämpften Bescheid zu lauten hat: 1983“.

5. Mit Mandatsbescheid vom 08.07.2021 wurde über den sich seit diesem Zeitpunkt in Schubhaft befindenden Fremden gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Die gegen diesen Bescheid erhobene (Schubhaft-) Beschwerde ist beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

6. Der Fremde wurde am 22.07.2021 der Delegation in der nigerianischen Botschaft in Wien vorgeführt. Dabei wurde die Zusage der Ausstellung eines Heimreisezertifikates erteilt.

Am folgenden Tag, also am 23.07.2021 stellte der Fremde den dritten Antrag auf internationalen Schutz, den er bei der Erstbefragung damit begründete, dass sich seit dem letzten Antrag nicht viel geändert habe. Bei der ersten Antragstellung auf Asyl habe er bekannt gegeben, homosexuell zu sein. Wenn man in seiner Heimatstadt erführe, dass man homosexuell sei, laufe man Gefahr, umgebracht zu werden. Bei der Rückkehr würde man ihn aufgrund seiner Homosexualität töten.

Bei seiner am 29.07.2021 erfolgten Einvernahme durch das Bundesamt brachte der Fremde, befragt zu den Gründen der neuerlichen Antragstellung auf Zuerkennung internationalen Schutzes, zunächst vor, er habe „die Entscheidung des zweiten Asylverfahrens“ nie erhalten. Im Übrigen wiederholte er mehrmals, homosexuell zu sein. Sein Leben sei in seiner Heimat daher in Gefahr. Freiwillig werde er niemals nach Nigeria zurückkehren.

Der Fremde wurde am 06.08.2021 erneut vom Bundesamt einvernommen. Mit dem an diesem Tag mündlich verkündetem Bescheid hob das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden gemäß § 12a Abs 2 AsylG auf, wobei er ohne Beiziehung einer Rechtsvertretung einvernommen wurde. Das Bundesverwaltungsgericht behob diesen Bescheid mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 10.08.2021, I413 2008884-4/6E, gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG ersatzlos. Nach ausführlicher Begründung kam es zum Schluss, dass das Bundesamt dem Fremdem die Möglichkeit einer effektiven Vertretung durch den von ihm bevollmächtigten (namhaft gemachten) Verein genommen habe.

Bei der am 06.08.2021 erfolgten Einvernahme stand in erster Linie die (Nicht-) Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.11.2019 im Vordergrund. In der Folge stimmte der Fremde der Erklärung des Leiters der Amtshandlung, dass er die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides vom 20.05.2016 zurückgezogen habe, wobei ihm das Telefax (zu ergänzen: vom 17.06.2018, s. oben Punkt 2.) vorgehalten wurde, zu.

Von der nunmehr im Beisein seiner Rechtsvertretung am 24.08.2021 durchgeführten Einvernahme gebotenen Möglichkeit, zu den von ihm bei der Einvernahme am 06.08.2021 getätigten Angaben eine ergänzende Stellungnahme abzugeben, machte der Fremde keinen Gebrauch. Seine Rechtsvertretung legte dar, dass der Fremde bereits in Nigeria homosexuell veranlagt gewesen sei. Zur Lage in Nigeria sei auszuführen, dass eine große Welle der Gewalt, das heiße auch Gewalt seitens der staatlichen Kräfte, das Land überrolle. Rückkehrer hätten in der Vergangenheit bei Einreisen, sei es freiwillig ober mit Abschiebung, mit Repressalien zu rechnen. Die Homosexualität sei in Nigeria gesetzlich verboten und gesellschaftlich geächtet. Daher bestehe für den Fremden eine tatsächliche Gefährdung im Fall der Rückkehr wegen unabänderlicher persönlicher Eigenschaften. Es werde die ärztliche Begutachtung des Fremden aufgrund seines Bluthochdrucks beantragt, weil dieser „mutmaßlich“ ein Abschiebehindernis darstelle. Personen mit zu hohem Bluthochdruck dürften nicht fliegen und auch nicht mit dem Zug fahren.

Nach Abschluss der Vernehmung sowie nach Unterbrechung und Fortsetzung der Amtshandlung hob das Bundesamt mit dem am 24.08.2021 mündlich verkündeten Bescheid (neuerlich) den faktischen Abschiebeschutz des Fremden gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf.

Die Rechtsmittelbelehrung enthält den Hinweis, dass diese Beurkundung als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gelte und die Verwaltungsakten unverzüglich von Amts wegen dem Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung übermittelt würden und dies als Beschwerde gelte.

7. Mit dem am 25.08.2021 bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes eingelangten Schreiben übermittelte das Bundesamt den erstinstanzlichen Akt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die Vorlage des Aktes durch das Bundesamt gilt gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 bereits als Beschwerde.

Zu Spruchpunkt A):

1. Feststellungen:

Zu dem unter Punkt I. dargestellten Verfahrensgang wird ergänzend festgestellt:

Der aus dem Bundesstaat Delta stammende, in Umunede geborene Fremde ist nigerianischer Staatsangehöriger, gehörte der Volksgruppe der Igbo an und bekennt sich zum christlichen Glauben. Seine Muttersprache ist Igbo. Er spricht auch fließend Englisch. Mit seinen Deutschkenntnissen ist er in der Lage, sich im Alltagsleben auf einfachem Niveau verständlich zu machen. Er ist ledig und hat keine Kinder. Er ging in Nigeria sechs Jahre in die Grundschule. Seinen Lebensunterhalt bestritt er in der Heimat als Taxifahrer. Durch seine seit 20.08.2019 in Österreich ausgeübte Tätigkeit als Verkäufer der Straßenzeitung „Megaphon“ erwarb er zusätzlich Berufserfahrung. Eine Selbsterhaltungsfähigkeit des Fremden ist nicht gegeben. Seine Identität steht nicht fest.

Im Herkunftsstaat leben (zumindest) seine Mutter und eine Schwester des Fremden; insbesondere zu seiner Schwester pflegt er regelmäßigen Kontakt. In Österreich leben keine Verwandten von ihm und es bestehen keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Er ist gesund und erwerbsfähig. Er leidet zwar an „etwas zu hohem Blutdruck“, gegen den er Medikamente einnimmt, nicht jedoch an, jedoch liegen ansonsten keine behandlungsbedürftigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, die einer Rückführung des Fremden in den Herkunftsstaat entgegenstünden. Er ist nicht an „Covid-19“ erkrankt.

Obwohl gegen ihn rechtskräftig Rückkehrentscheidungen erlassen wurden, kam er seinen Ausreiseverpflichtungen nicht nach, sondern verblieb unrechtmäßig in Österreich (bzw. im Schengenraum).

Der Fremde ist strafgerichtlich unbescholten.

Er ist seit 01.04.2014 mit Hauptwohnsitz in der Steiermark gemeldet, wobei er in der Zeit vom 30.07.2014 bis 29.02.2016 bei einer karitativen Einrichtung als obdachlos und vom 09.05.2017 bis 11.12.2018 nicht mit einem Wohnsitz im Bundesgebiet gemeldet war. Vom 08.07. bis 21.07.2021 befand er sich im Polizeianhaltezentrum G und befindet sich seit 22.07.2021 im Anhaltezentrum V.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Fremde in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde oder werden wird.

Er weist kein schützenswertes Privat- oder Familienleben in Österreich auf. Er leidet an keinen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ist arbeitsfähig.

Wie aus den umfangreichen, vom Bundesamt in den Vorverfahren sowie im gegenständlichen Verfahren getroffenen aktuellen Länderfeststellungen zu Nigeria hervorgeht, liegt für den Fremden bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr einer Verletzung der Artikel 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nicht vor.

Auch ist für den Fremden als Zivilperson im Fall einer Rückkehr keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes zu erwarten. Ebenso wird er im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Für den Fremden besteht zwar eine keine einfache Lebenssituation, insbesondere, was die Möglichkeiten für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit betrifft, sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, jedoch kann er im Fall seiner Rückkehr mit der Unterstützung durch seine in Nigeria lebenden Familienangehörigen, so durch seine Mutter und/oder seine Schwester, mit der er Kontakt hat, - zumindest vorübergehend - rechnen.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch die Einsichtnahme in den Akt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor diesem und in die Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts zu W150 2237827-1, W250 2233099-1, I406 2003978-1, I409 2008884-2, I416 20008884-3, I413 2008884-4 und insbesondere in den das „Schubhaft-Verfahren“ betreffenden Gerichtsakt zu G313 2245663-1 sowie in das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria Beweis erhoben. Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Strafregister der Republik Österreich, dem Betreuungsinformationssystem (GVS) und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (AJ-Web) eingeholt.

Da der Fremde bisher keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte oder wollte, steht seine Identität nicht fest.

Die Feststellungen zur Person, der Herkunft sowie zu den Lebensumständen des Fremden gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben vor dem Bundesamt im Rahmen seiner Asylverfahren, wie auch die Feststellung, dass er an Hypertonie erkrankt, nicht jedoch an lebensbedrohlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet. Damit ist bei ihm die Arbeitsfähigkeit gegeben, was sich auch im Verkauf der Straßenzeitung „Megaphon“ über einen längeren Zeitraum manifestiert.

Der mehrjährige Schulbesuch und die vor seiner Ausreise aus Nigeria ausgeübte Tätigkeit als Taxifahrer ergeben sich aus dem Beschwerdeverfahren zu I406 2003978-1.

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Unbescholtenheit und zu den Zeiten, in denen der Fremde mit Hauptwohnsitz in der Steiermark, als obdachlos und ohne aufrechtem Wohnsitz im Bundesgebiet gemeldet war sowie dass er sich im Polizeianhaltezentrum G befand und er sich seit 22.07.2021 im Anhaltezentrum V. befindet, fußen auf dem Strafregisterauszug der Republik Österreich und dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister jeweils vom 25.08.2021.

Dass der Fremde über rudimentäre Deutschkenntnis verfügt, beruht auf den von ihm bei der niederschriftlichen Einvernahme am 29.07.2021 getätigten Angaben, er spreche „etwas Deutsch“ (vgl. die Niederschrift des Bundesamtes vom 24.08.2021)

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Fremden wurden dem „Länderinformationsblatt“ zu Nigeria entnommen. Bezüglich der Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat wurden sowohl Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie beispielsweise dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen, wie zB der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, herangezogen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Die Länderfeststellungen, welche das Bundesamt seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, zeigen keine entscheidungswesentliche Verschlechterung der allgemeinen Situation in Nigeria im Vergleich zur vorangehenden in Rechtskraft erwachsenen materiellen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.12.2019.

Im gesamten Verfahren sind keine Umstände bekannt geworden, die diesen Feststellungen zur Lage in Nigeria entgegenstünden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur anzuwendenden Rechtslage:

3.1.1. § 12a Abs. 1 und 2 AsylG 2005 (in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017) samt Überschrift lauten:

„Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen

§ 12a. (1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn

1.       gegen ihn eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG erlassen wurde,

2.       kein Fall des § 19 Abs. 2 BFA-VG vorliegt,

3.       im Fall des § 5 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt und sich seit der Entscheidung gemäß § 5 die Umstände im zuständigen anderen Staat im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit maßgeblich verschlechtert haben, und

4.       eine Abschiebung unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK (§ 9 Abs. 1 bis 2 BFA-VG) weiterhin zulässig ist.

(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1.       gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2.       der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3.       die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.“

Der mit „Entscheidungen“ überschriebene § 22 Abs. 10 AsylG 2005 (in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016) lautet:

„Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.“

3.1.2. § 22 BFA-Verfahrensgesetz (in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013) lautet:

„Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

§ 22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.“

3.1.3. Voranzustellen ist, dass der Fremde einen weiteren Asyl- bzw. einen Folgeantrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 gestellt hat und kein Fall des § 12a Abs. 1 Asylgesetz 2005 vorliegt.

Das Vorliegen einer aufrechten Rückkehrentscheidung ist notwendiges Tatbestandselement des § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht, es sei denn, es wurde ein darüber hinaus gehender Zeitraum gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG festgesetzt.

Eine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts ist nicht eingetreten. Den zweiten Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes stützte der Fremde darauf, seit 2015 homosexuell, wegen seiner sexuellen Orientierung verfolgt worden, einige Jahre im Gefängnis gewesen und von der Gesellschaft „gelyncht“ worden zu sein. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. hat der Beschwerdeführer - wie oben dargelegt - zurückgezogen. Durch die am 17.06.2018 erfolgte Zurücknahme der Beschwerde durch den vom Fremden bevollmächtigten MigrantInnenverein St. Marx betreffend die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigen steht fest, dass dem Fremden in Nigeria keine asylrelevante Verfolgung wegen seiner homosexuellen Neigungen droht. Darüber hinaus besteht gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG.

Aus dem nunmehrigen Vorbringen ergibt sich kein gegenüber dem Vorfahren geänderter Sachverhalt im Sinn neuer zu beachtender Fluchtgründe. Der Fremde hielt sein bisher getätigtes Vorbringen, wegen seiner sexuellen Orientierung verfolgt worden zu sein, unverändert aufrecht. Einen neuen asylrelevanten Fluchtgrund machte er damit nicht geltend. Auch die Situation in Nigeria hat sich seit den vorangegangenen Entscheidungen nicht entscheidungswesentlich geändert. Sein diesbezügliches Vorbringen blieb vage und allgemein gehalten, wenn er zur Lage in Nigeria darlegt, dass eine große Welle der Gewalt, auch durch staatliche Kräfte, das Land überrolle, Rückkehrer bei Einreisen mit Repressalien zu rechnen hätten. Seinem Argument, die Rückkehr nach Nigeria sei nicht möglich, weil die Homosexualität in Nigeria gesetzlich verboten und gesellschaftlich geächtet sei, ist entgegen zu halten, dass er selbst eingestand, nicht homosexuell zu sein.

Im vorangegangenen Verfahren hat das Bundesamt bereits ausgesprochen, dass der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keiner realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes bestehen würde (§ 50 FPG). In der Begründung des Bescheides des Bundesamtes wird ausgeführt, dass der Fremde keine Gefährdung seiner Person glaubhaft machen konnte. Es sei nicht anzunehmen, dass er im Falle einer Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein würde. Auch aus der allgemeinen Situation im Heimatland bzw. der zu erwartenden Rückkehrsituation alleine ließe sich eine solche nicht ableiten.

Auch gibt es dafür, dass dem Fremden im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (zur „Schwelle“ des Art. 3 EMRK vgl. das Erk. VwGH vom 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte, zumal der Fremde an „etwas erhöhtem“ Bluthochdruck erkrankt ist und er dagegen Medikamente einnimmt, er aber an keiner schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung bzw. akut lebensbedrohlichen Krankheit leidet. Jenes sehr außergewöhnliche Ausmaß an Leidenszuständen, wie es in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für das Vorliegen eines Abschiebehindernisses nach Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit gesundheitlichen Problemen gefordert wird, ist im vorliegenden Fall nicht hervorgekommen. Der Fremde ist auch nicht an Covid-19 erkrankt.

Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum der Fremde seinen Lebensunterhalt nach seiner Rückkehr nicht bestreiten können sollte.

Auch von einer „Aufenthaltsverfestigung" allein aufgrund des bisherigen Aufenthaltes des Fremden im Bundesgebiet kann schon deshalb keine Rede sein, weil er sich spätestens mit rechtskräftiger Abweisung seines ersten Antrages auf internationalen Schutz und der damit verbundenen Anordnung zur Ausreise, seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein musste. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen. Grundsätzlich ist nach negativem Ausgang des Asylverfahrens - infolge des damit einhergehenden Verlustes des vorläufig während des Verfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt und sofern kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht - der rechtmäßige Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247 mwN).

Die Interessen des Fremden sind somit bereits dadurch erheblich gemindert, dass sein Aufenthalt seit 2014 lediglich auf rechtskräftig negativ erledigte Asylanträge zurückzuführen war (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 mwN). Beruht der bisherige Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten (insbesondere bei ungerechtfertigten Verbleib im Bundesgebiet und Vereitelung von aufenthaltsbeende Maßnahmen) [VwGH 02.10.1996, 95/21/0169]), relativiert dies die ableitbaren Interessen des Asylwerbers nämlich wesentlich (VwGH 28.06.2007, 2006/21/0114; 30.08.2007, 2006/21/0246).

Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Umstände bekannt geworden, die es nahelegen würden, dass, bezogen auf den Fremden, ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

Der Fremde führt in Österreich kein im Sinne des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben. Er hat auch keine Integrationsbemühungen von maßgeblicher Intensität an den Tag gelegt.

Der neuerliche Antrag bzw. Folgeantrag des Fremden auf internationalen Schutz vom 23.07.2021 wird voraussichtlich zurückzuweisen sein, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist.

Somit sind die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 gegeben, sodass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtswidrig war.

Da § 22 Abs. 10 AsylG 2005 dies ausdrücklich vorsieht, war die vorliegende ohne Durchführung einer Verhandlung zu treffende Entscheidung nicht mit Erkenntnis, sondern mit Beschluss zu erledigen.

Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an eine Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Da die in der vorliegenden Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen klar sind und keiner Auslegung bedürfen, geht das Bundesverwaltungsgericht nicht vom Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG aus.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung faktischer Abschiebeschutz faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag Identität der Sache Privat- und Familienleben real risk reale Gefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I401.2008884.6.00

Im RIS seit

26.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten