Entscheidungsdatum
08.09.2021Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
G315 2243051-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Bulgarien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.04.2021, Zl. XXXX :
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch kurz „BF“ genannt) ist bulgarischer Staatsangehöriger.
2. Am 31.08.2018 wurde er im Bundesgebiet festgenommen und mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zur Zahl XXXX am 02.09.2018 wegen des Verdachts des schweren, gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls in Untersuchungshaft genommen.
3. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 25.09.2018 wurde der sich damals im Stande der Untersuchungshaft befindende BF seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der gegenständlich belangten Behörde (in der Folge kurz „bB“), über eine in Aussicht genommene Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG und in eventu eines Schubhaftbescheides nach § 76 FPG im Falle einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung informiert und er weiters – unter Anführung von allgemeinen Fragen – aufgefordert, innerhalb von zehn Tagen ab Zustellung der Verständigung eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Die bB ist weiters davon ausgegangen, dass beim BF im Bundesgebiet weder familiäre, soziale oder berufliche Bindungen bestünden.
4. Am 08.10.2018 langte daraufhin eine mit 03.10.2018 datierte, handschriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers auf Deutsch beim Bundesamt ein.
Darin brachte der BF im Wesentlichen vor, sich bereits seit 1990 in Österreich aufzuhalten und ausschließlich hier die Schule besucht zu haben. Es würden auch seine beiden inzwischen geschiedenen Eltern, sein Bruder und seine Schwester in Österreich leben, wobei den Eltern und der Schwester bereits die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei. Er sei mit einer bulgarischen Staatsangehörigen verheiratet und habe mit dieser gemeinsam einen Sohn, der im Jahr 2007 geboren worden sei und dem ebenfalls die bulgarische Staatsbürgerschaft zukomme. Zuletzt habe er von 2013 bis 2018 durchgehend bei demselben Unternehmen in Österreich gearbeitet. Er beherrsche Deutsch in Wort und Schrift perfekt und würden ihn hinsichtlich des Sohnes Obsorge- und Unterhaltspflichten treffen. Seine Mutter sei krank und pflegebedürftig.
5. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.11.2018, XXXX , rechtskräftig am 20.11.2018, wurde der BF wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 130 Abs. 1 erster Fall und Abs. 2 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten, davon ursprünglich 12 Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehen, unter Anrechnung der Vorhaft verurteilt.
Am 28.12.2018 wurde er vorerst bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren aus der Haft entlassen.
Seitens des Bundesamtes wurden danach keine weiteren Maßnahmen gesetzt.
6. Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zur Zahl XXXX wurde der BF am 31.01.2019 neuerlich wegen des Verdachts des schweren, gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls sowie eines Vergehens gegen das Waffengesetz in Untersuchungshaft genommen.
7. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 21.02.2019 wurde der sich damals abermals im Stande der Untersuchungshaft befindende BF von Seiten der bB über eine in Aussicht genommene Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG und in eventu eines Schubhaftbescheides nach § 76 FPG im Falle einer neuerlichen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung informiert und er weiters – unter Anführung von allgemein gehaltenen Fragen – aufgefordert, innerhalb von zehn Tagen ab Zustellung der Verständigung eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Die bB ist dabei abermals (trotz der bereits aktenkundigen Stellungnahme des BF vom 03.10.2018) davon ausgegangen, dass beim BF im Bundesgebiet weder familiäre, soziale oder berufliche Bindungen bestünden.
8. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25.02.2019, XXXX , rechtskräftig am 25.02.2019, wurde der BF wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 und 2, 130 Abs. 1 und 2, 15 StGB und des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG unter Anrechnung der Vorhaft zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.
Weiters wurde sowohl die Probezeit bezogen auf die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe der ersten Verurteilung am 28.12.2018 sowie den bedingt nachgesehenen Strafteil jeweils auf fünf Jahre verlängert.
9. Am 05.03.2019 langte eine mit 28.02.2019 datierte, handschriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers auf Deutsch beim Bundesamt ein.
Darin brachte der BF im Wesentlichen gleichlautend wie schon in seiner Stellungnahme vom 03.10.2018 vor, sich bereits seit 1990 in Österreich aufzuhalten und ausschließlich hier die Schule besucht zu haben. Eine Lehre zum Maler und Anstreicher habe er im ersten Lehrjahr abgebrochen. Es würden auch seine beiden inzwischen geschiedenen Eltern, sein Bruder und seine Schwester in Österreich leben, wobei den Eltern und der Schwester bereits die österreichische Staatsbürgerschaft zukomme. Er sei mit einer bulgarischen Staatsangehörigen verheiratet und habe mit dieser gemeinsam einen Sohn, der im Jahr 2007 geborenen wurde und dem ebenfalls die bulgarische Staatsbürgerschaft zukomme und in Österreich ein Gymnasium besuche. Zuletzt habe der BF von 2013 bis 2018 durchgehend bei demselben Unternehmen in Österreich gearbeitet, weise aber auch zuvor erhebliche Beschäftigungszeiten auf. Es würden ihn hinsichtlich seiner Familie Unterstützungs- und Unterhaltspflichten treffen.
Der BF trat seine Strafe am 25.02.2019 an, ihm wurde in der Folge ab April 2019 jedoch ein Strafaufschub gemäß § 39 SMG bis 01.03.2021 gewährt. Er befand sich von 11.04.2019 bis 10.10.2019 in stationärer Entzugstherapie.
10. Bereits am 28.07.2020 wurde der Beschwerdeführer wieder festgenommen und mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30.07.2020, XXXX , wurde über ihn erneut die Untersuchungshaft verhängt.
11. Am 20.08.2020 langte bei der bB ein Schreiben des Magistrats der Stadt Wien vom 17.08.2020 gemäß § 55 Abs. 3 NAG ein, wonach die bB um Überprüfung des unionsrechtlichen Niederlassungsrechtes des BF ersucht wurde. Diesem sei nämlich am 08.03.1999 eine „Anmeldebescheinigung“ ausgestellt worden.
12. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23.10.2020, XXXX , rechtskräftig am 23.10.2020, wurde der BF wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 130 Abs. 1 erster Fall und Abs. 2 zweiter Fall, 15 StGB unter Anrechnung der Vorhaft zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt.
Weiters wurde sowohl die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe der ersten Verurteilung am 28.12.2018 sowie der bedingt nachgesehene Strafteil widerrufen.
Der BF trat seine Strafe am 23.10.2020 an, insgesamt errechnetes Strafende ist der 18.07.2024.
13. Am 15.01.2021 langte eine Anfrage der Strafvollzugsanstalt bei der bB hinsichtlich beabsichtigter aufenthaltsbeendender Maßnahmen ein.
Die bB gab daraufhin ihre Absicht zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes bekannt.
14. Mit einer neuerlichen Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 07.04.2021 wurde der sich im Stande der Strafhaft befindende BF seitens der bB über eine in Aussicht genommene Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG informiert und er neuerlich unter Anführung von allgemeinen Standardfragen aufgefordert, innerhalb von vierzehn Tagen ab Zustellung der Verständigung eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.
Die bB stellte dabei zusammengefasst fest, der BF sei seit mindestens 11.09.2002 im Bundesgebiet mit Hauptwohnsitz gemeldet, seit 08.03.1999 verfüge er über eine „Anmeldebescheinigung“. Er sei zuletzt von 03.10.2013 bis 10.09.2018 erwerbstätig gewesen und lägen mittlerweile gegen den BF drei rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen vor. Um jedoch den Sachverhalt hinsichtlich der beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Lichte der persönlichen Verhältnisse beurteilen zu können, werde er Beantwortung näher ausgeführter Fragen ersucht.
Im Rahmen dieser allgemeinen Aufforderung wurden jedoch vor dem Hintergrund der bereits zwei Mal erfolgten Stellungnahmen des BF vom 03.10.2018 sowie 28.02.2019 und seinem dortigen Vorbringen, insbesondere zu der dort angeführten langen Aufenthaltsdauer seit 1990 (daher seit seinem sechsten Lebensjahr), den massiven familiären Bindungen zu teilweise österreichischen Staatsangehörigen, seiner in Österreich lebenden Ehefrau und dem gemeinsamen Sohn und den langjährigen Beschäftigungszeiten keinerlei konkrete Feststellungen zur Aufenthaltsdauer, sozialversicherten Dienstverhältnissen und den vorgebrachten familiären Bindungen und deren näherer Ausgestaltung getroffen bzw. darauf basierend auch keine entsprechend konkreten Fragen gestellt, deren Beantwortung durch den BF solche Feststellungen allenfalls erst ermöglicht hätten.
15. Am 19.04.2021 langte bei der bB ein weiteres Mal ein mit 15.04.2021 datiertes, handschriftliches und auf Deutsch verfasstes Schreiben des BF ein.
In diesem Schreiben schilderte der BF erneut wie bisher – mit einigen Ergänzungen in Details – sein Privat- und Familienleben in Österreich.
16. Mit dem gegenständlich angefochtenen und im Spruch angeführten Bescheid der bB vom 28.04.2021, dem BF durch persönliche Übergabe am 03.05.2021 zugestellt, wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von vier Jahren erlassen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs. 3 BFA-VG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).
Im Bescheid wurde unter anderem festgestellt, dass der BF gemäß seinen Angaben in der schriftlichen Stellungnahme bereits 1990 zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei. Jedenfalls würden aber seit 11.09.2002 amtliche Wohnsitzmeldungen im Bundesgebiet vorliegen. Es sei auch am 10.02.1999 ein Antrag auf Ausstellung einer „Anmeldebescheinigung auf Familiengemeinschaft ausgenommen unselbstständiger Erwerb“ gestellt und dem BF am 08.03.1999 ausgestellt worden. Der BF sei verheiratet, habe einen minderjährigen Sohn und sei zuletzt beschäftigungslos gewesen. Er habe in Österreich Volks- und Hauptschule absolvierte und eine Lehre begonnen, aber nicht abgeschlossen. Er habe „etwa vom Jahr 2013 bis ins Jahr 2018“ durchgehend gearbeitet, davor habe er etwa vom Jahr 2010 bis ins Jahr 2013 und dann wieder von 2019 bis 2020 Arbeitslosengeld bezogen. Er sei im Bundesgebiet inzwischen drei Mal strafgerichtlich verurteilt worden und befinde sich in Strafhaft. In Österreich würden auch die Eltern und Geschwister leben, wobei die Eltern und die Schwester bereits österreichische Staatsangehörige wären. Ob der BF noch über Anknüpfungspunkte in Bulgarien verfüge, habe nicht festgestellt werden können.
Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen auf die „Aktenlage“ und die aktenkundigen Strafurteile verwiesen. Insbesondere die Feststellungen zur Aufenthaltsdauer und Privat- und Familienleben würden sich neben den Angaben des Beschwerdeführers in seinen Stellungnahmen aus den fremdenrechtlichen Abfragen, Sozialversicherungs- und Meldedaten ergeben.
17. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz der bevollmächtigten Rechtsvertretung des BF vom 27.05.2021, am selben Tag beim Bundesamt einlangend, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge allenfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben; in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbotes wesentlich verkürzen; in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und das Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen.
Begründend wurde im Wesentlichen ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren der bB moniert und ausgeführt, die bB habe den BF trotz seines Vorbringens nie persönlich befragt noch hätte er die Möglichkeit gehabt, ausführlich zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes seine persönliche Situation und sein Vorbringen darzulegen. Die bB habe ihre amtswegige Pflicht zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht erfüllt. Die bB habe sich mit seinem Vorbringen unzureichend auseinandergesetzt und sei das Aufenthaltsverbot rechtswidrig.
Darüber hinaus wurde im Wesentlichen auf eine der Beschwerde beigefügte handschriftliche Stellungnahme des BF verwiesen, aus welcher unter anderem hervorgeht, dass er bereits im Jahr 2003 von einer rechtswidrigen Abschiebung betroffen gewesen sei und diese beim EGMR erfolgreich angefochten habe ( XXXX gegen Österreich). Er habe im Wesentlichen sein ganzes Leben in Österreich verbracht und habe in Bulgarien keine Bezüge mehr.
18. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der bB vorgelegt und sind am 04.06.2021 eingelangt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter I. getroffenen Ausführungen.
Das Bundesamt hat weder konkrete Feststellungen zum Privat- und Familienleben des BF getroffen noch entsprechende Feststellungen zur Aufenthaltsdauer und zur Beurteilung, ob dem BF allenfalls in Österreich bereits ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht oder der verstärkte Ausweisungsschutz nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG iVm Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG zukäme.
2. Beweiswürdigung:
Der für die Zurückverweisung relevante Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Parteien grundsätzlich nicht beanstandeten Aktenlage fest.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF. BGBl. I 2018/57, geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
3.2. Zurückverweisung
3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit. nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:
* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
* Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters mit Erkenntnis vom 10.09.2014, Ra 2014/08/0005 die im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, angeführten Grundsätze im Hinblick auf Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschlüsse des Verwaltungsgerichtes gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG nochmals bekräftigt und führte ergänzend aus, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinn des § 24 VwGVG zu vervollständigen sind.
Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.02.2017, Ra 2015/11/0089 betonte dieser weiters das Interesse der Rechtsunterworfenen an einer raschen Entscheidung und führte dazu aus, dass es nicht zu erkennen sei, weshalb es nicht im Interesse der Raschheit gelegen sein sollte, wenn das Verwaltungsgericht – ausgehend freilich von einer zutreffenden Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage – selbst die notwendige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens veranlasst und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt feststellt.
3.2.2. Rechtliche Grundlagen:
Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:
„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“
Der mit „Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern“ betitelte § 52 NAG lautet:
„§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;
2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
4. Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder
5. sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,
a) die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,
b) die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder
c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.
(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“
Der mit „Anmeldebescheinigung“ betitelte § 53 NAG lautet:
„§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.
(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:
1. nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;
2. nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;
3. nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;
4. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;
5. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung;
6. nach § 52 Abs. 1 Z 4: ein Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;
7. nach § 52 Abs. 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates der Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen.“
Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet:
„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.
(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.
(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie
1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;
2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder
3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;
Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.
(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.
(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn
1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;
2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder
3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“
Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate“ betitelte § 55 NAG lautet:
„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.
(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.
(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“
Der mit „Allgemeine Regel für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen“ betitelte Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 („Freizügigkeitsrichtlinie“ oder „Unionsbürgerrichtlinie“) lautet:
„(1) Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft.
(2) Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.
(3) Die Kontinuität des Aufenthalts wird weder durch vorübergehende Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr, noch durch längere Abwesenheiten wegen der Erfüllung militärischer Pflichten, noch durch eine einzige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Niederkunft, schwere Krankheit, Studium oder Berufsausbildung oder berufliche Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat berührt.
(4) Wenn das Recht auf Daueraufenthalt erworben wurde, führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zu seinem Verlust.“
Artikel 27 („Allgemeine Grundsätze“) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 („Freizügigkeitsrichtlinie“ oder „Unionsbürgerrichtlinie“) lautet:
„(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.
(2) Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
(3) Um festzustellen, ob der Betroffene eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, kann der Aufnahmemitgliedstaat bei der Ausstellung der Anmeldebescheinigung oder - wenn es kein Anmeldesystem gibt - spätestens drei Monate nach dem Zeitpunkt der Einreise des Betroffenen in das Hoheitsgebiet oder nach dem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet gemäß Artikel 5 Absatz 5 gemeldet hat, oder bei Ausstellung der Aufenthaltskarte den Herkunftsmitgliedstaat und erforderlichenfalls andere Mitgliedstaaten um Auskünfte über das Vorleben des Betroffenen in strafrechtlicher Hinsicht ersuchen, wenn er dies für unerlässlich hält. Diese Anfragen dürfen nicht systematisch erfolgen. Der ersuchte Mitgliedstaat muss seine Antwort binnen zwei Monaten erteilen.
(4) Der Mitgliedstaat, der den Reisepass oder Personalausweis ausgestellt hat, lässt den Inhaber des Dokuments, der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit aus einem anderen Mitgliedstaat ausgewiesen wurde, ohne jegliche Formalitäten wieder einreisen, selbst wenn der Personalausweis oder Reisepass ungültig geworden ist oder die Staatsangehörigkeit des Inhabers bestritten wird.“
Artikel 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG („Freizügigkeitsrichtlinie“ oder „Unionsbürgerrichtlinie“) lautet:
„(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.“
Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:
„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“
Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:
„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere
1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.
(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“
Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
§ 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 enthält zwar nur zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet (bzw. im Fall von Minderjährigen). Es muss aber angenommen werden, das hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern (arg. a minori ad maius) auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG idF FrÄG 2011 vorgesehene Maßstab – der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG 2005 idF FrÄG 2011 angesiedelt ist – heranzuziehen ist. Dies gebietet im Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie eine unionsrechtskonforme Interpretation, weil das Aufenthaltsverbot eine Ausweisungsentscheidung im Sinn der Richtlinie beinhaltet. Zum gleichen Ergebnis führt eine verfassungskonforme Interpretation, weil die Anwendung eines weniger strengen Maßstabes für Aufenthaltsverbote als bloße Ausweisungen sachlich nicht zu rechtfertigen wäre. Für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die das Recht auf Daueraufenthalt genießen, bestimmt Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, dass eine Ausweisung nur aus „schwerwiegenden“ Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, wobei zwar auch hier gemäß Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie auf das persönliche Verhalten abzustellen ist, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, insgesamt aber ein größeres Ausmaß an Gefährdung verlangt wird. Diese Vorgaben der Unionsbürgerrichtlinie wurden im FPG insofern umgesetzt, als nach dessen § 66 Abs. 1 idF FrÄG 2011 die Ausweisung von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen, die bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nur dann zulässig ist, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181).
Im Aufenthaltsbeendigungsverfahren, in dem verbindlich über das Weiterbestehen der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht entschieden wird, ist für die Vergangenheit in Bezug auf den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nicht (jedenfalls) vom Vorliegen dieser Voraussetzungen auszugehen; vielmehr hat die Behörde (das BFA) in diesem Verfahren eigenständig zu beurteilen, bis zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht vorgelegen sind und ob ausgehend davon bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben worden ist (vgl. VwGH 04.10.2018, Ra 2017/22/0218, mit Verweis auf VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0191).
3.2.3. Fallbezogen ergibt sich daraus:
Die bB hat es gegenständlich nicht nur unterlassen, den Sachverhalt hinreichend zu ermitteln, sondern auch, diesen ausreichend festzustellen und zu begründen:
So stellt die bB zwar im angefochtenen Bescheid fest – bzw. legt im Verfahrensgang und in der Beweiswürdigung dar – dass der BF beginnend mit dem „Jahr 1990“ im Bundesgebiet lebte und hier seine gesamte Schulbildung absolvierte, erstmals jedoch Wohnsitzmeldungen des BF im Bundesgebiet ab dem Jahr 2002 vorlagen, stellt jedoch die konkrete Aufenthaltsdauer – welche bei einem Aufenthalt ab 1990 über dreißig Jahre betragen würde – an keiner Stelle fest. Das Bundesamt stützt sich trotz des wiederholten Vorbringens des Beschwerdeführers, er lebe seit seinem sechsten Lebensjahr in Österreich, nur auf einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister, wobei bekanntermaßen viele Wohnsitzmeldungen aus weiter zurückliegenden Zeiten dort nicht erfasst und bei der jeweiligen Wohnortgemeinde ermittelt werden müssten.
Weiters verweist die bB zur Berufstätigkeit des BF im Bundesgebiet lediglich auf seine letzte Beschäftigung im Bundesgebiet, ohne sich mit den übrigen Beschäftigungs- und Sozialversicherungszeiten des BF im Bundesgebiet (aktenkundigem Sozialversicherungsdatenauszug vom 07.04.2021 erstmals seit 28.10.2002) auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen.
Zu den Sozialversicherungsdaten des BF wird der Vollständigkeit halber auch auf die ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) verwiesen, wonach schon das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle, sofern dieses Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln kann (vgl. VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049, mit Verweis auf VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 12 mwN). In Bezug auf die Ausübung geringfügiger Beschäftigungen hielt der VwGH zudem fest, dass – um als "Arbeitnehmer" im Sinn des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zu gelten - lediglich eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" ausgeübt werden muss, die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine "völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit" handelt. Die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer erhält, ist ebenso wenig von alleiniger Bedeutung wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Arbeitsverhältnisses (siehe auch dazu im Einzelnen VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 13, mwN).
Die bB hätte – im Sinne der oben zitierten Judikatur des VwGH vom 04.10.2018 zu Zahl Ra°2017/22/0218 – vor dem Hintergrund der Wohnsitzmeldungen des BF in Österreich, seinen Sozialversicherungszeiten und seiner Behauptungen, seit 1990 im Bundesgebiet aufhältig zu sein – jedenfalls nähere Ermittlungen zum Aufenthalt des BF in Österreich, allenfalls unter dessen Einvernahme oder einer zeugenschaftlichen Befragung vornehmen müssen. In weiterer Folge hätte die bB im Falle des Feststellens eines mehr als fünfjährigen, rechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet iSd §§ 51 ff NAG beurteilen müssen, ob der BF allenfalls bereits ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG erworben hat oder Umstände vorliegen, die ein solches ausschließen. Im Fall des BF wäre in weiterer Folge auch noch zu prüfen, ob er sich die letzten zehn Jahre vor der Erlassung des Aufenthaltsverbotes iSd einschlägigen Judikatur im Bundesgebiet aufgehalten hat.
Diese Feststellungen und die daran geknüpfte rechtliche Beurteilung ihrerseits sind nämlich wiederum die rechtliche Voraussetzung (Vorfrage) dafür, welcher Gefährdungsmaßstab bei Erlassung eines konkreten Aufenthaltsverbotes im gegenständlichen Fall anzuwenden wäre, wovon in weiterer Folge auch dessen grundsätzliche Zulässigkeit abhängt bzw. abhängen kann.
Vor diesem Hintergrund hat es die bB zur Gänze verabsäumt, sich mit der tatsächlichen Dauer des Aufenthalts in Österreich und dessen rechtlicher Qualität sowie mit dem sich daraus konkret ergebenden Gefährdungsmaßstab bei der Prüfung eines Aufenthaltsverbots auseinanderzusetzen.
Diesbezüglich haben keinerlei weitere Ermittlungen stattgefunden und wurde insbesondere auch im Rahmen der dritten Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme nicht durch entsprechend präzise und individuelle Fragen darauf hingewirkt, dass durch Beantwortung dieser Fragen durch den BF auch konkrete Feststellungen, etwa zur Aufenthaltsdauer des BF im Bundesgebiet, getroffen werden können.
Auch hat die bB keinerlei weiteren Ermittlungen zu den allfälligen Aufenthaltstiteln des Beschwerdeführers in Österreich vor dem Beitritt Bulgariens zur Europäischen Union mit 01.01.2007 durchgeführt und auch die Angabe des zuständigen Magistrats, der BF verfüge seit 08.03.1999 über eine „Anmeldebescheinigung“ nicht hinterfragt und zumindest den entsprechenden Akt der Niederlassungsbehörde eingeholt.
Das Bundesamt verkennt dabei auch die Relevanz der tatsächlichen Aufenthaltsdauer (welche bei über dreißig Jahren zu liegen scheint, wenn das Vorbringen des BF stimmt) und deren Rechtmäßigkeit bezogen auf die rechtlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts von über drei Monaten bzw. auch eines allenfalls erworbenen Daueraufenthaltsrechtes des BF für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und setzt sich – schon mangels entsprechender Ermittlungen und Feststellungen zu Aufenthaltsdauer und allenfalls erworbenen Aufenthaltsrechten im Bundesgebiet – in weiterer Folge auch gar nicht mit dem im konkreten Fall anzuwendenden Gefährdungsmaßstab für ein allfälliges Aufenthaltsverbot auseinander.
Die bB hätte sohin iSd. §§ 51 und 52 NAG iVm. § 53a NAG alle relevante Sachverhalte zu ermitteln gehabt. Die bB hat jedoch die notwendige Ermittlungen unterlassen bzw. überhaupt keine Ermittlungen durchgeführt. Sie hätte daher nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgehend dürfen.
In diesem Zusammenhang ist zudem festzuhalten, dass die äußerst mangelhaften Ermittlungen der bB zur Aufenthaltsdauer und Aufenthaltsrecht auch im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes nach Art. 8 EMRK von Relevanz sind, zumal der Beschwerdeführer seinen Angaben nach bereits in einem Verfahren vor dem EGMR gegen Österreich wegen unverhältnismäßig langer Dauer eines gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes im Verhältnis zu Art. 8 EMRK Recht bekommen hat (vgl. dazu EGMR vom 22.03.2007, Bsw1638/03, M. gegen Österreich). Auch diesbezüglich wären entsprechende Ermittlungen bzw. Erhebungen bei den zuständigen Behörden für eine Beurteilung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes indiziert.
In diesem Zusammenhang ist ebenso festzuhalten, dass die bB auch hinsichtlich des in Österreich lebenden Kindes bzw. der Ehefrau und den übrigen langjährig in Österreich lebenden, teilweise bereits über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügenden, Familienangehörigen keine konkreten Ermittlungen dahingehend durchgeführt hat (etwa zumindest durch entsprechende Fragestellung im schriftlichen Parteiengehör), wie oft der BF Kontakt zu diesen hat, ob und konkret welche Unterhalts- oder Unterstützungspflichten vorliegen und wenn ja, in welchem konkreten Ausmaß. Die Behörde hat es auch zu hinterfragen unterlassen, ob den Familienangehörigen eine gemeinsame Rückke