Entscheidungsdatum
29.09.2021Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W119 2178293-1/41E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA: Georgien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.10.2017, Zl 1129331701 – 161241677/BMI-BFA_OOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des bekämpften Bescheides gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. In Erledigung der Beschwerde gegen den Spruchpunkt III. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA VG auf Dauer unzulässig ist.
III. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 iVm § 10 Abs. 2 Z 3 IntG idgF wird gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 iVm § 10 Abs. 2 Z 3 IntG idgF XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
IV. In Erledigung der Beschwerde wird der Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, Staatsangehörige Georgiens, stellte am 11.09.2016 gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter (Zl W119 2178294) jeweils Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.
Anlässlich der am 12.09.2016 durchgeführten Erstbefragung nach dem AsylG gab die Beschwerdeführerin zunächst an, den Namen XXXX zu tragen und tschetschenische Staatsbürgerin zu sein. Auf Vorhalt des Ergebnisses einer VISA-Abfrage, gab die Beschwerdeführerin an, einen falschen Namen sowie falsche Staatsbürgerschaft – aus Angst in Österreich kein Asyl zu erhalten – angegeben zu haben. Tatsächlich heiße die Beschwerdeführerin XXXX . Einen Identitätsnachweis könne sie allerdings nicht vorlegen, da sie ihre Tasche samt den darin enthaltenen Dokumenten in einem Taxi (in Österreich) vergessen habe. Zu ihrem Fluchtgrund führt die Beschwerdeführerin aus, dass ihr Sohn wegen Terrorismus verfolgt worden sei. Aus diesem Grund sei sie ebenfalls belästigt worden. Die Beschwerdeführerin habe gemeinsam mit ihrer jüngeren Tochter am 17.08.2016 ihren Wohnort XXXX /Georgien mit dem Flugzeug Richtung Griechenland verlassen. In Griechenland sei die Beschwerdeführerin legal mittels eines am 04.08.2016 im griechischen Konsulat in Tbilisi (Tiflis) ausgestellten Aufenthaltstitels (Gültigkeitsdauer von 09.08.2016 bis 07.09.2016) eingereist. In Griechenland habe sie sich ca. zwei Wochen aufgehalten, bevor sie weiter nach Österreich gereist sei. Die Beschwerdeführerin spreche Georgisch, Tschetschenisch und Russisch und bekenne sich zum sunnitischen Islam. Die Beschwerdeführerin habe neben ihrer Tochter, die mit ihr mitgeflohen sei, noch zwei weitere Söhne: Ihr ältester Sohn lebe in der Türkei, der jüngere Sohn sei seit zwei Wochen in Deutschland aufhältig. In Österreich lebe der Bruder der Beschwerdeführerin, wobei sie keine genaue Adresse nennen könne.
Am 09.08.2017 gab die Beschwerdeführerin per E-Mail bekannt für die am 08.09.2017 vorgesehenen Einvernahme beim Bundesamt einen tschetschenischen Dolmetscher nicht zu akzeptieren, sondern ausschließlich einen georgischen Dolmetscher zu billigen.
Am 08.09.2017 wurde die Beschwerdeführerin beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) einvernommen und gab eingangs an, Georgierin zu sein, der Volksgruppe der Tschetschenen anzugehören und Muslimin zu sein. Sie beherrsche die Sprachen Georgisch, Tschetschenisch, Russisch und etwas Deutsch. Einen Identitätsnachweis könne die Beschwerdeführerin nicht vorlegen. Die Beschwerdeführerin sei seit 1985 verheiratet und habe vier Kinder. Ihre jüngere Tochter sei mit ihr geflohen, sodass sie keine eigenen Fluchtgründe aufweise. Im Übrigen vertrete die Beschwerdeführerin ihre Tochter im Asylverfahren. Ihr Ehegatte sei vor Jahren nach Grozny gegangen, sodass seit Jahren kein aufrechter Kontakt bestanden habe. Zurzeit sei der Ehegatte angeblich wieder nach Georgien zurückgekehrt. Wovon er seinen Lebensunterhalt bestreite, wisse die Beschwerdeführerin allerdings nicht. Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin eine Schwester, die in XXXX wohnhaft sei und zwei Brüder, wobei einer wohnhaft in XXXX und anerkannter Flüchtling in Österreich sei sowie einen weiteren Bruder, der sich in Gefangenschaft in XXXX befinde. Ihre Schwiegermutter wohne in XXXX . Die Beschwerdeführerin sei in Tbilisi (Tiflis) geboren und in XXXX aufgewachsen. Die letzten drei Jahre vor der Ausreise habe sie in XXXX gewohnt.
Ihren Heimatstaat habe die Beschwerdeführerin am 18. oder 19. August 2016 verlassen, wobei sie die letzte Nacht vor der Ausreise in Tbilisi (Tiflis) bei einem Bekannten verbracht habe. Den Reiseentschluss habe sie nach dem Tod ihres Onkels und durch die Tatsache, dass die Polizei mehrmals ihr Haus aufgesucht und nach ihrem Sohn, der in der Türkei lebe, gefragt habe, Mitte August gefasst. Das Fluchtziel sei ursprünglich Deutschland gewesen, da einer der Söhne der Beschwerdeführerin in Deutschland gewesen sei. Allerdings sei das Wichtigste gewesen, Georgien zu verlassen.
Die Beschwerdeführerin nehme regelmäßig Medikamente für das Herz und habe manchmal Kopfschmerzen. Die Medikamente habe sie aus Georgien mitgebracht. Von ihrem Hausarzt habe die Beschwerdeführerin Medikamente wegen eines grippalen Infekts erhalten. Die Beschwerdeführerin wurde vom Bundesamt aufgefordert, innerhalb von zwei Wochen Unterlagen bezüglich der angegebenen Beschwerden/Erkrankungen vorzulegen.
Die Beschwerdeführerin sei in ihrem Heimatstaat nicht politisch tätig gewesen, sondern nur ein einfaches Mitglied der nationalen Partei gewesen. Nach dem Regierungswechsel, im Dezember 2012, sei sie aufgrund der Parteimitgliedschaft gekündigt worden. Nach zwei Wochen, somit im Jänner 2013, sei sie allerdings auf Initiative der Mitbürger der Gemeinde wiedereingestellt worden.
Auf Nachfrage, ob die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Religionsbekenntnisses oder aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit jeweils Probleme in ihrem Heimatstaat gehabt hätte, verneinte sie dies.
Zu ihrer Schulbildung befragt, führte die Beschwerdeführerin aus, zehn Jahre lang eine Grundschule und anschließend ein Technikum in Tbilisi (Tiflis) absolviert zu haben. Die Beschwerdeführerin sei in der Zeit 2006 bis 2015 als Sachbearbeiterin beim Gemeindeamt tätig gewesen.
Zu ihrem Fluchtgrund befragt, führte sie aus, zum einen von ihren Cousins sehr unter Druck gesetzt worden zu sein. Sie sei eine kurze Beziehung zu einem Mann, der Georgier und Christ gewesen sei, eingegangen. Die Beziehung habe im Jahr 2012 begonnen und acht Monate lang gedauert. Als ihre Cousins davon erfahren hätten, seien sie der Meinung gewesen, dass dies unsittlich sei. Ihre Cousins seien zur Beschwerdeführerin in die Arbeitsstelle gekommen, um sie zum Haus, in dem ursprünglich die Großmutter der Beschwerdeführerin gelebt habe, zu bringen. Dort sei sie von ihnen geschlagen und beschimpft worden, wobei ihr zwei Zähne ausgeschlagen worden sein. Die Cousins seien entsetzt darüber gewesen, dass die Beschwerdeführerin eine Beziehung zu einem Christen eingegangen sei. Dies habe sich im November 2014 abgespielt. Die Beschwerdeführerin sei ein zweites Mal von ihren Cousins bedroht worden: Dabei sei sie zu einer christlichen Kirche, welche sich im Wald befunden habe, gebracht und anschließend geschlagen worden. Ihr sei mit dem Tod gedroht worden, für den Fall, dass sie nochmals eine Beziehung zu einem Christen eingehen sollte. Ein zusätzlicher Verwandter sei dabei gewesen und habe die Cousins der Beschwerdeführerin zu beruhigen versucht, indem er auf den stattfindenden Ramadan hingewiesen habe – die Cousins sollten schließlich warten bis der Ramadan vorbei sei. Der Großcousin väterlicherseits habe schließlich verhindert, dass der Beschwerdeführerin mit einem Messer die Kehle aufgeschnitten wurde. Der Onkel der Beschwerdeführerin sei anlässlich der Beziehung sehr wütend gewesen und habe diese als eine Schande bezeichnet. Als der besagte Onkel verstorben sei, sei die Beschwerdeführerin für seinen Tod verantwortlich gemacht worden, da der Onkel angeblich aus Kummer einen Herzinfarkt erlitten habe. Die Cousins seien ebenfalls für den Verlust ihrer Arbeitsstelle verantwortlich gewesen. Die Beschwerdeführerin sei manchmal bei ihrer Schwester oder ihrer Tante geblieben. Als die Schwiegermutter und Schwägerin der Beschwerdeführerin von der Beziehung erfahren hätten, sei sie von diesen ebenfalls beschimpft worden. Darüber hinaus hätten sie behauptet, dass ihre mitgereiste Tochter nicht von ihrem Ehegatten sei, sodass die Gewalt ebenfalls auf ihre Tochter übertragen worden sei. Der in Österreich wohnhafte Bruder der Beschwerdeführerin sei ebenfalls von den Cousins unter Druck gesetzt worden, er solle seine Schwerster „im Griff“ bekommen. Der Bruder wisse allerdings nichts von der außerehelichen Beziehung der Beschwerdeführerin. In XXXX seien bereits zwei junge Frauen wegen Ehebruchs ermordet worden.
Zum anderem sei die Beschwerdeführerin von der Polizei immer wieder über den Aufenthaltsort ihres ältesten Sohnes befragt worden. Die von der Beschwerdeführerin gegebene Antwort, er sei in der Türkei, sei für die Polizei nicht ausreichend gewesen. Ihrem Sohn sei vorgeworfen worden, Terrorist zu sein und der Beschwerdeführerin wiederum vorgeworfen seinen genauen Aufenthaltsort zu kennen, diesen aber zu verheimlichen. Die Polizei habe ihm angekreidet, nicht in der Türkei zu leben, sondern in Syrien zu kämpfen. Der Beschwerdeführerin sei vorgeworfen worden, aufgrund der Tatsache, dass sie zwei Mal in der Türkei gewesen sei, über die Türkei weiter nach Syrien gereist zu sein, um dort ihren Sohn zu treffen. Ihr Sohn wohne allerdings mit seiner Familie in XXXX in der Türkei. Darüber hinaus sei ebenfalls der jüngere Sohn der Beschwerdeführerin, darüber befragt worden, da sie gemeinsam die Reise in die Türkei angetreten hätten. Die Polizei sei im Jahr 2016 zwei Mal bei der Beschwerdeführerin gewesen, im Mai und im Juli 2016. Davor sei die Polizei nie bei ihr gewesen.
Die Beschwerdeführerin habe nicht gewollt, dass ihrer Tochter von diesen Problemen erfahre, sodass ihre Tochter den tatsächlichen Hintergrund der Flucht auch nicht kenne. Aus diesem Grund habe die Beschwerdeführerin bei der Erstbefragung, bei der auch ihre Tochter anwesend gewesen sei, nicht alle Gründe nennen können.
Auf die Frage, weshalb die Beschwerdeführerin nicht in Griechenland geblieben sei, vor allem da sie dort leicht Schutz vor möglichen Verfolgern hätte finden können, gab sie an, dass in Österreich ihr Bruder leben würde und dass die Menschen in Österreich humaner seien. Für den Fall, dass der Bruder der Beschwerdeführerin von der Affäre erfahren hätte, wäre sie in Österreich trotzdem in Sicherheit.
Für den Fall einer allfälligen Rückkehr nach Georgien befürchte die Beschwerdeführerin wieder Gewalt zu erfahren. Durch die ihr aufgebürdete Schuld am Tod des Onkels, befürchte die Beschwerdeführerin Gewalt in noch größerem Ausmaß zu erfahren, bzw. getötet zu werden. Darüber hinaus fürchte die Beschwerdeführerin, dass ihre Tochter zwangsverheiratet werde. Es sei tschetschenische Tradition, dass, sobald eine junge Frau reif sei, sie ebenfalls zu verheiraten sei. Die ältere Tochter der Beschwerdeführerin sei bereits durch die Schwiegermutter zwangsverheiratet worden. Ihre jüngere Tochter solle außerdem verheiratet werden, da behauptet worden sei, sie sei nicht die Tochter vom Ehegatten der Beschwerdeführerin – durch die Zwangsheirat sollte dies verheimlicht werden. Ihre Tochter habe von all den Vorwürfen nichts mitbekommen und die Beschwerdeführerin habe ihr auch nichts sagen wollen.
In der gleichen Einvernahme führte die Tochter der Beschwerdeführerin zu den Fluchtgründen aus:
„F: Wissen Sie, warum Sie nach Österreich gereist sind?
A: Ja. Ein bisschen, nicht ganz.
F: Erzählen Sie mir was Sie wissen.
A: Meine Mama hat gesagt, wir gehen von Georgien weg, sie erzählt später warum. Es war, weil immer Menschen zu uns gekommen sind.
F: Haben Sie diese Menschen gesehen?
A: Ja. Aber ich habe sie nicht gekannt.
F: Wie waren diese Menschen angezogen?
A: Normal.
F: So wie ich? Hemd oder T-Shirt, Jeans?
A: Ja.“ (Niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt vom 08.09.2017, S.3f)
Zu ihrem Leben in Österreich befragt, brachte die Beschwerdeführerin zusammenfassend vor, regelmäßig mit einer Deutschlehrerin die Sprache zu lernen. Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin bereits einen Werte- und Orientierungskurs sowie einen Kurs für Reinigungsarbeiten als Vorbereitung zum Dienstleistungscheck absolviert. Sie befinde sich in der Grundversorgung. Darüber hinaus arbeite sie viermal im Monat als Reinigungskraft. Ihre Tochter besuche die Neue Mittelschule und habe bereits einen Vorbereitungskurs Kinderbetreuung als Vorbereitung zum Dienstleistungscheck absolviert. Für die Zukunft wünsche sich die Beschwerdeführerin Deutsch zu lernen, zu arbeiten, sich gut zu integrieren und vor allem ihre Ruhe zu haben.
Ergänzend legte die Beschwerdeführerin eine Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs vom 14.06.2017, eine Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeit einer Pfarrkirche vom 01.09.2017, eine Kursbestätigung für ein Seminar (Reinigungsarbeiten in Privathaushalten im Rahmen des Dienstleistungsschecks) vom 12.06.2017 sowie eine Bestätigung über Integrationsbemühungen vom 25.09.2017, vor.
Am 17.09.2017 und 21.09.2017 übermittelte die Beschwerdeführerin eine Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeit vom 15.09.2017 sowie eine ärztliche Bestätigung vom 19.09.2017.
In einem ärztlichen Befundbericht vom 29.09.2017 wurde festgehalten dass die Beschwerdeführerin an keiner körperlichen Erkrankung, sondern an einer Reihe von Befindlichkeitsstörungen leide. Daraus ergebe sich unter Umständen die bedarfsweise Einnahme einer jeweils kompensierenden Medikation (z.B. Schmerzmittel), allerdings kein Erfordernis nach einer Dauermedikation oder nach regelmäßigen fachärztlichen Kontrollen. Die Diagnose einer Herzkrankheit könne weder aus der vorliegenden medizinischen Dokumentation, noch aus der vorgelegten Medikation oder Anamnese und der klinischen Untersuchung entnommen werden.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 13.10.2017, Zl 1129331701-161241677/BMI-BFA_OOE_RD, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV) und gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 FPG gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V). Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht glaubhaft sei und eine Verfolgung der Beschwerdeführerin in Georgien nicht festgestellt werden könne. Zu einem sei der angeführte Fluchtgrund im Zusammenhang mit der Beziehung zu einem Christen in zeitlicher Hinsicht nicht mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in Einklang zu bringen. Die Beziehung sei laut der Aussage der Beschwerdeführerin im Jahr 2012 gewesen, die in diesem Zusammenhang stehende Misshandlung durch die Cousins hingegen erst im Jahr 2014. Darüber hinaus sei auch das Vorbringen bezüglich der Verfolgung durch die Polizei aufgrund des Terrorverdachtes gegen den Sohn der Beschwerdeführerin kein Glauben zu schenken, da die Beschwerdeführerin hierzu widersprüchliche Angaben machte. Zunächst führte sie an „immer wieder“ von der Polizei belästigt worden zu sein. In der weiteren Befragung hingegen erklärte sie, die Polizei sei lediglich zwei Mal bei ihr gewesen um sich nach dem Sohn zu erkundigen.
Mit Verfahrensanordnung vom 16.10.2017 wurde der Beschwerdeführerin die Organisation Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater zur Seite gestellt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsberater mit Schriftsatz vom 10.11.2017 vollinhaltlich Beschwerde, in der ausgeführt wurde, dass das Bundesamt nicht ausreichend die Länderberichte – speziell zur Lage der Frauen sowie zum Thema „Religiöse Gruppen“ und „Ethnische Minderheiten“ – berücksichtig habe. Daraus gehe hervor, dass die Anwendung gesetzlicher Regelungen gegen Diskriminierung von Frauen und gegen häusliche Gewalt – die weit verbreitet sei – nicht ausreichend gewährleistet sei. Darüber hinaus seien Anzeigen von Vorfällen häuslicher Gewalt immer noch zu selten. Dies resultiere aus der Angst vor Vergeltung und Stigmatisierung, sowie aufgrund des mangelnden Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden und in die bestehenden Schutzmechanismen für Gewaltopfer. Dass Mädchen früh zu einer Eheschließung gedrängt werden würden, komme ebenfalls oft vor. Die Länderinformationen zu den Themen „Religiöse Gruppen“ und „Ethnische Minderheiten“ sei von der Erstbehörde als „nicht verfahrensrelevant“ bezeichnet worden und somit für die Entscheidungsfindung nicht herangezogen worden. Dies zeige vor allem, dass das Bundesamt verkannt habe, welche Rolle der Umstand spiele, dass die Beschwerdeführerin ein Mitglied der tschetschenischen Volksgruppe sei und sich ihre Probleme gerade aufgrund des Konfliktes zwischen der sehr strengen und konservativen religiösen Haltung ihrer tschetschenischen Familie und der eher liberalen Haltung der georgischen Mehrheitsbevölkerung ergeben hätten. Durch diese Themenbereiche sei nämlich das Vorbringen der Beschwerdeführerin weiter untermauert worden. Das Bundesamt habe somit nicht der Anforderungen des amtswegigen Ermittlungsverfahrens gemäß § 18 Abs 1 AsylG genügt. Darüber hinaus sei das erlassene Einreiseverbot für die Dauer von fünf Jahren weder begründet worden noch verhältnismäßig. Eine Subsumtion der betreffenden gesetzlichen Regelung sei vom Bundesamt nicht erfolgt. Die Beschwerdeführerin befürchte eine Verletzung von Art 2 und 3 EMRK, die im Falle einer Rückkehr nach Georgien ernsthaft zu befürchten sei, und um die Effektuierung des völlig überzogenen Einreiseverbotes hintanzuhalten, um Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG. Darüber hinaus ergänzte die Beschwerdeführerin, dass ihr Ehemann inzwischen nach XXXX zurückgekehrt sei, sodass sie im Falle einer Rückkehr befürchte von ihm zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.12.2017 wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Mit Schreiben vom 12.05.2020 übermittelte die Beschwerdeführerin ein Konvolut an Integrationsunterlagen:
- Zeugnis zur Integrationsprüfung (Niveau A2) vom 06.11.2019
- Bestätigung einer Pfarrkirche über eine ehrenamtliche Tätigkeit vom 01.09.2017
Darüber übermittelte die Beschwerdeführerin mit demselben Schreiben ebenfalls Integrationsunterlagen für ihre Tochter:
- Teilnahmebestätigung am Pflichtschulabschluss-Lehrgang vom 31.01.2020
- Schulbesuchsbestätigung der Neuen Mittelschule vom 07.07.2017
- Zertifikat „Finanzführerschein BASIC“ vom 05.02.2019
- Kursbestätigung zum E-Learning Kurs „Verkaufstricks“ vom 08.01.2019
- Kursbestätigung zu „Kinderbetreuung im Rahmen des Dienstleistungsschecks“ vom 21.07.2017
Am 04.06.2020 übermittelte die Beschwerdeführerin weitere Integrationsunterlagen:
- Empfehlungsschreiben des österreichischen Roten Kreuzes vom 10.03.2020
- Empfehlungsschreiben vom Mai 2020, samt Kopien der Dienstleistungsschecks (als Reinigungs- und Haushaltshilfe) für den Zeitraum Jänner 2018 bis März 2020
Am 18.06.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der ein Vertreter des Bundesamtes teilnahm.
Die Beschwerdeführerin führte zur Frage über ihrem gesundheitlichen Zustand aus, zur Unterstützung ihres Herzens Medikamente einzunehmen, darüber hinaus sei sie allerdings gesund.
Zu ihren Fluchtgründen führt die Beschwerdeführerin aus, dass die Gründe der Asylantragsstellung seit Erhalt des angefochtenen Bescheides gleichgeblieben seien. Die Beschwerdeführerin führte weiters aus, dass ihre Muttersprache Tschetschenisch sei und sie darüber hinaus auch Georgisch, Russisch und ein bisschen Deutsch spreche. Sie sei Tschetschenin und sunnitische Muslimin. Nachdem die Tochter der Beschwerdeführerin den Verhandlungssaal verlassen hatte, führte die Beschwerdeführt aus, in Tiflis geboren worden zu sein. Als sie zwei Jahre alt gewesen sei, sei sie in das XXXX gezogen und dort aufgewachsen. Zu Ihrer Schulbildung befragt, führt sie aus, zehn Jahre lang die Schule absolviert zu haben und zwar eine Mittelschule und anschließend eine technische berufsbildende Schule mit der Fachrichtung Büroorganisation und Leitung. In der Zeit 1992 bis 1994 sei sie im Gemeinderat des Dorfes tätig gewesen. Anschließend sei sie mit ihrer Familie nach Tschetschenien gezogen. Nachdem der erste Krieg in Tschetschenien ausgebrochen sei, sei sie wieder nach Georgien übersiedelt und zwei Jahre lang in einer Bibliothek tätig gewesen. Als sich die Lage in Tschetschenien wieder beruhigt habe, sei die Beschwerdeführerin neuerlich nach Tschetschenien gegangen. Nachdem der zweite Krieg in Tschetschenien ausgebrochen sei, sei die Beschwerdeführerin zurück nach Georgien gezogen. In der Zeit von 2006 bis 2015 sei sie im Gemeinderat ihres Heimatdorfes tätig gewesen. Ende 2014 habe es allerdings Probleme gegeben, sodass sie gezwungen gewesen sei ihre Arbeit aufzugeben. Dies sei gleichzeitig ihre letzte Anstellung in ihrem Heimatstaat gewesen. Im Jahr 2016 sei die Beschwerdeführerin ausgereist, wobei sie bis zu ihrer Ausreise in ihrem Heimatdorf gelebt habe. Die letzten Wochen vor der Ausreise habe sie allerdings bei ihrer Schwester oder ihrer Tante verbracht. Diese seien in benachbarten Dörfern wohnhaft. Die letzten zwei Wochen sowie die letzte Nacht vor der Ausreise habe die Beschwerdeführerin in Tiflis bei einer Freundin aus der Studienzeit verbracht. Auf Vorhalt der Richterin, die Beschwerdeführerin habe vor dem Bundesamt angegeben, in der letzten Nacht vor der Ausreise bei einem Bekannten gewohnt zu haben, führte die Beschwerdeführerin aus, sie sei bei einer Freundin gewesen. Nachdem, was ihr zugestoßen sei, wäre sie nicht zu einem Mann gegangen.
In ihrem Heimatdorf habe die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter, ihrer Schwägerin sowie ihren Kindern in einem Haus gewohnt. Bezüglich der bislang vorgebracht Angaben zu ihren Angehörigen habe sich nicht viel geändert: Ihr älterer Bruder sei zwischenzeitig aus der Gefangenschaft entlassen worden und lebe aktuell in Russland; der letzte lebende Onkel sei im Jahr 2016 verstorben. Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin eine Schwester in XXXX und eine Tante, die in einem benachbarten Dorf lebe. Die Beschwerdeführerin halte weiterhin den Kontakt zu ihren Kindern, ihrer Schwester sowie zu zwei ehemaligen Kolleginnen aufrecht.
Die Beschwerdeführerin führte aus, dass sie standesamtlich weiterhin verheiratet sei, aber von ihrem Ehemann getrennt lebe. Nach tschetschenischer Tradition gelte man, sobald man länger als drei Monate nicht mehr zusammenlebe, bereits als geschieden. Einige Monate nach ihrer Ankunft in Österreich habe man ihr erzählt, dass ihr Ehemann wieder nach Georgien zurückgekehrt sei. Sie habe allerdings keinen Kontakt zu ihm.
Zu ihren Kindern befragt, führt die Beschwerdeführerin aus, dass der älteste Sohn in der Türkei lebe. Der jüngere Sohn sei vor etwa einem Jahr aus Deutschland nach Georgien abgeschoben und anschließend ebenfalls in die Türkei gegangen. Die ältere Tochter lebe in XXXX in Georgien, habe vier Kinder und sei Hausfrau. Sie sei mit XXXX Jahren verheiratet worden.
Zu ihrem Fluchtgrund befragt, führte die Beschwerdeführerin aus, im Jahr 2012 einen Georgier, der gleichzeitig Christ gewesen sei, kennengelernt zu haben. Der Kontakt bestand über acht Monate. Am 22.11.2014 seien die Cousins der Beschwerdeführerin zu ihr in die Arbeit gekommen, um sie zu einem leer stehenden Haus, welches ursprünglich ihren Großeltern gehört habe, zu bringen. Dort sei sie geschlagen worden, wobei ihr dabei zwei Zähne ausgeschlagen worden seien. Die Beschwerdeführerin wisse nicht, wie die Cousins von ihrem Verhältnis erfahren hätten. Sie habe das Verhältnis allerdings abgestritten. Die Beschwerdeführerin sei anschließend eine Woche Zuhause gewesen und habe nicht vor die Türe gehen können. Nach dem erfolgten Übergriff durch die Cousins habe ebenfalls der „Horror“ Zuhause begonnen: Die Beschwerdeführerin sei von ihrer Schwiegermutter sowie der Schwägerin beschuldigt worden, dass ihre Tochter nicht von ihrem Ehemann sei. Die Tochter sei aus diesem Grund Zuhause und in der Schule geschlagen worden. Auf nochmalige Nachfrage, gab die Beschwerdeführerin an, die Tochter sei von der Schwiegermutter und Schwägerin geschlagen worden, die Cousins hingegen hätten ihrer Tochter nichts angetan.
Zuvor habe die Beschwerdeführerin bereits Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt, da sie ihren Sohn in der Türkei besucht habe. Die Besuche seien im Jahr 2013 und 2015 gewesen. Die Polizei habe der Beschwerdeführerin hingegen unterstellt, in Syrien und nicht in der Türkei gewesen zu sein. Darüber hinaus habe es ebenfalls Probleme aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit gegeben.
Gewisse Zeit habe die Beschwerdeführerin Ruhe seitens der Cousins gehabt. Allerdings im Juli 2016 sei sie von ihnen in eine Kirche im Wald gebracht worden. Dort sei sie nochmals geschlagen worden. Einer der Cousins habe ein Messer gezogen und erklärt die Beschwerdeführerin „abschlachten und als Opfer darbringen“ zu wollen. Ein anderer Cousin habe auf den Ramadan hingewiesen und erklärt, dass es besser wäre die Beschwerdeführerin nach Ramadan zu opfern, da sie befürchtet hätten sich schuldig zu machen. Anschließend sei sie von diesem Cousin, der verhindert habe, dass sie umgebracht worden sei, nach Hause gebracht worden. Nach erfolgter Rückübersetzung, merkte der Rechtsvertreter an, dass die Beschwerdeführerin angegeben habe „ein anderer weiter entfernter Verwandter“, habe erklärt, dass die Cousins warten und die Beschwerdeführerin noch nicht umbringen sollten. Am 02. oder 03. August 2016 sei der Onkel (Bruder ihres Vaters) gestorben, wobei die Beschwerdeführerin für seinen Tod verantwortlich gemacht worden sei. Die Beschwerdeführerin sei dann einige Tage bei ihrer Tante gewesen und anschließend nach Tiflis gegangen. Eine Freundin habe ihr dort geholfen ein Visum zu erhalten.
Auf die Frage, weshalb die Beschwerdeführerin nicht bereits nach dem ersten Übergriff ausgereist sei, führte diese aus, davon ausgegangen zu sein, die Cousins überzeugt zu haben, indem sie die Beziehung abgestritten habe. Sie sei einige Zeit von ihnen in Ruhe gelassen worden, dann sei es aber wieder losgegangen. Im Jahr 2016 hätten die Cousins erklärt, „alles untersucht zu haben“ und nun zu wissen, dass die Beschwerdeführerin „schuldig“ sei. Weshalb die Beschwerdeführerin nicht nach Tiflis gehen habe könne, erklärte sie dahingehend, dass die Flucht nach Tiflis ihre Cousins nicht aufgehalten hätte, sie zu finden und umzubringen. Nach dem der Onkel gestorben sei, seien die Cousins besonders aggressiv gewesen und es wäre für sie kein Problem gewesen, die Beschwerdeführerin in Tiflis ausfindig zu machen.
Auf die Frage, weshalb die Beschwerdeführerin sich von der Polizei bedrängt gefühlt habe – dass die Polizei nach Verdächtigen suche, sei üblich und hinzunehmen – führte die Beschwerdeführerin aus, die Polizei habe ihr nicht geglaubt. Die Beschwerdeführerin habe schließlich mit Sicherheit gewusst, dass sich ihr Sohn nicht in Syrien, sondern in der Türkei befinde. Die Beschwerdeführerin habe sich bedrängt gefühlt, da die Polizei Druck ausgeübt habe. Die Polizei habe sie schließlich bedroht, falls sie nicht die Wahrheit sage, ihr und ihrem jüngeren Sohn Drogen unterzuschieben. Zu dieser Zeit habe es einige junge Männer aus dem XXXX gegeben, die sich Terroristen angeschlossen hätten, ihr Sohn sei allerdings nicht dabei gewesen. Die Polizei sei erstmals im Mai 2016 und dann im Juli 2016 – kurz bevor die Beschwerdeführerin von ihren Cousins geschlagen worden sei – bei der Beschwerdeführerin gewesen.
Auf Frage der Richterin, weshalb die Beschwerdeführerin nicht nach dem ersten Übergriff im Jahr 2014 die Polizei kontaktiert habe, gab die Beschwerdeführerin an, gewusst zu haben, dass die Polizei nichts dagegen unternehmen würde und sie nicht beschützt hätte. Dies sei aufgrund des Verhältnisses zu ihrer ethnischen Minderheit. Zusätzlich habe sich die Beschwerdeführerin bedroht gefühlt und ihr sei von ihren Cousins angehalten worden, nicht zu Polizei zu gehen. Darüber hinaus habe man ihr gesagt, dass es sinnlos sei eine Anzeige zu erstatten, da viele Cousins beteiligt und alle gegen sie gewesen seien. Weshalb die Beschwerdeführerin nicht zu einer Polizeistelle, beispielweise außerhalb des XXXX habe gehen können, begründete sie damit, dies sei aus den gleichen Gründen nicht möglich gewesen: Sie habe Angst vor ihren Cousins gehabt und sogar die Polizisten aus der Hauptstadt hätten der Beschwerdeführerin nicht geholfen. Es habe Fälle gegeben, in denen die Polizei den Bewohnern Drogen untergeschoben habe. Auf Vorhalt, die Beschwerdeführerin habe angegeben, dass ihre Cousins ihren in Österreich wohnhaften Bruder bedrängt hätten, die Beschwerdeführerin zu „züchtigen“, führte sie aus, dass ihre Cousins ihren Bruder angerufen hätten und ihm gesagt hätten: „Wenn er ein Mann wäre, würde er seine Schwerster umbringen“. Mittlerweile habe der Bruder seine Telefonnummer geändert, sodass keine Kontaktaufnahme durch die Cousins mehr möglich sei. Ihr Bruder wäre selbstverständlich in der Lage diese Anrufe bei einer Einvernahme zu bezeugen. Die Beschwerdeführerin wolle allerdings nicht, dass der Bruder alles erfahre, was die Beschwerdeführerin erzählt habe. Sie habe schließlich versucht ihn zu überzeugen, dass sie keine außereheliche Beziehung gehabt habe. Auch ihrer Tochter habe sie davon nichts erzählt, sondern erst nach ihrem ersten „Interview“. Es sei ihr schließlich peinlich gewesen.
Die Beschwerdeführerin habe sonst keinerlei Probleme mit den Behörden, den Gerichten oder Polizei in ihrem Heimatstaat gehabt. Sie habe sich zwar nie politisch engagiert, allerdings sei sie einfaches Mitglied der nationalistischen Partei in Georgien gewesen. Anlässlich des Regierungswechsels im Jahr 2012 sei sie aufgrund ihrer Parteimitgliedschaft entlassen worden. Allerdings sei sie kurze Zeit später durch den Einsatz der Dorfbewohner wieder angestellt worden. In Österreich sei sie politisch nicht tätig.
In Österreich habe die Beschwerdeführerin keine direkten Drohungen erhalten, noch seien Übergriffe gegen sie erfolgt. Gegenüber ihrem Bruder hätten die Cousins allerdings erklärt, dass nun kein Visum für die Einreise nach Österreich erforderlich sei und sie einreisen könnten. Dies sei allerdings nur angedroht worden, bislang sei niemand gekommen. Weder die Beschwerdeführerin noch der Bruder seien in diesem Zusammenhang zur Polizei gegangen, da sie glaubten, dass sich die Cousins sowieso nicht trauen würden nach Österreich einzureisen. Die Beschwerdeführerin fühle sich in Österreich sicher und von der Polizei beschützt. Weiters führte die Beschwerdeführerin aus, dass ihre Tochter vor kurzem von unbekannten Tschetschenen beschimpft worden sei. Damit wolle die Beschwerdeführerin darauf aufmerksam machen, dass selbst in Österreich solche Drohungen ausgestoßen werden würden. Auf die Frage der Richterin, dass, wenn die Cousins angegeben hatten, es leicht sei nach Österreich zu kommen, diese allerdings bislang nicht gekommen seien, die Beschwerdeführerin davon ausgehe, dass sie in Tiflis gesucht werden würde, führte die Beschwerdeführerin aus, dass zwischen Österreich und Tiflis „Welten“ liegen würden. In Österreich könne man sich an jeden Polizisten wenden und würde Hilfe erhalten. Für den Fall, dass auch ihr Bruder die Wahrheit über das Verhältnis der Beschwerdeführerin erfahren würde, würde er ihr in Österreich nichts tun.
Ein weiterer Grund für die Flucht der Beschwerdeführerin sei die Tatsache gewesen, dass sie fürchtete, ihre Tochter werde zwangsverheiratet werden. Ihre Tochter wisse nichts davon, dass sie mit 14 Jahren verheiratet werden solle. Es wurde offen in Anwesenheit der Beschwerdeführerin darüber gesprochen und ihr direkt gesagt. Allerdings sei nie ein konkreter Name genannt worden.
Ergänzend führt die Beschwerdeführerin aus, dass, als ihre ältere Tochter verheiratet worden sei, sie dies in der Arbeit erfahren habe. Sie sei unverzüglich zur Polizei gegangen und habe ihre Tochter zurückholen wollen. Die Polizei erklärte, dass es um Traditionen der Volksgruppen gehe und da keine Einmischung seitens der Polizei erfolge. Dies sei ihr persönlich gesagt worden. Dies solle zum Ausdruck bringen, dass die Polizei in Georgien in solchen Situation nichts unternehme. Sie sei von der Polizei zum Ältestenrat des Dorfes geschickt worden. Die Beschwerdeführerin sei allerdings nicht zu diesem gegangen, da es keinen Sinn ergeben hätte. Die Schwiegermutter und Schwägerin der Beschwerdeführerin hätten ihre Tochter von Zuhause „weggegeben“. Nach den Regeln hätte es somit nichts gebracht und sie sei nicht in der Lage überhaupt etwas zu unternehmen. Die Beschwerdeführerin habe ihre Tochter vor dieser Heirat retten wollen, sie sei schließlich eine gute Schülerin gewesen. Die Zwangsverheiratung habe sich folgendermaßen zugetragen: Ihre Tochter sei nach der Schule auf dem Nachhauseweg gewesen. Ein Auto sei stehengeblieben und die Tochter sei einfach in das Auto hineingeschubst und mitgenommen worden. Als ihr Sohn zu der Familie gegangen sei, die die Tochter mitgenommen habe, habe diese behauptet, das Einverständnis der Schwiegermutter sowie der Schwägerin der Beschwerdeführerin erhalten zu haben. Aus diesem Grund habe auch der Sohn in dieser Hinsicht nichts mehr ändern können. Die Tochter sei zu diesem Zeitpunkt XXXX Jahre alt gewesen. Schließlich sei es nicht so, dass die Heirat immer derart ablaufe. In gewissen Familien sei allerdings immer noch diese Art der Heirat üblich. Im Falle einer allfälligen Rückkehr nach Georgien, könne ebenfalls die jüngere Tochter das gleiche Schicksal erleiden. Schließlich habe die Schwiegermutter sie bereits im Alter von 14 Jahren verheiraten wollen. Ihre Tochter habe ursprünglich nicht nach Österreich kommen wollen. Sie habe geweint und die Situation sei sehr stressig für sie gewesen. Die Beschwerdeführerin habe ihr schließlich nicht die Wahrheit sagen wollen, es wäre für die Tochter sehr schwer erträglich gewesen wäre. Aus diesem Grund habe die Beschwerdeführerin ihr Verhältnis zu einem Christen bei der Erstbefragung vor der Polizei verschwiegen. Ihre Tochter sei dabei gewesen und sie habe deswegen nichts sagen können. Nachdem die Beschwerdeführerin außerdem erfahren habe, dass es ein ausführliches „Interview“ geben wird, habe sie schließlich nicht alle Fluchtgründe genannt.
Für den Fall einer allfälligen Rückkehr nach Georgien fürchte die Beschwerdeführerin umgebracht zu werden. Dies sei ihr bereits angedroht worden. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass sie geflohen sei, seien die Cousins in der Lage „das noch mehr zu Stande zu bringen“. Die Beschwerdeführerin verweise in diesem Zusammenhang auf Frauenmorde aus ähnlichen Gründen in XXXX , die vor fünf oder sechs Jahren stattgefunden hätten. Beide Frauen habe die Beschwerdeführerin persönlich gekannt. Weshalb die georgische Polizei gerade sie als Tschetschenin nicht schützen sollte, führte die Beschwerdeführerin aus, dass es immer schon so gewesen sei. Es gäbe bereits viele Fälle, tschetschenische Frauen seien nicht geschützt. Ob es Berichte über diese Vorfälle gäbe, wisse die Beschwerdeführerin allerdings nicht. Die Richterin trägt auf, innerhalb einer Frist von 14 Tagen diesbezügliche Unterlagen vorzulegen (Medienberichte, länderkundliche Berichte, etc.). Die Beschwerdeführerin verwies darauf, dass wahrscheinlich keine Berichte vorhanden sein würden, da die Polizei in solchen Fällen nichts unternehme und somit auch nichts an die Öffentlichkeit gelange.
Im Zuge der Erstbefragung habe die Beschwerdeführerin eine andere Identität angegeben, weshalb sie sich entschuldigen wolle. Es sei ein großer Fehler gewesen. Als sie sich in Athen befand, habe sie eine Georgierin getroffen, die ihr zugeredet und erklärt habe, dass sie auf keinen Fall ihre Identität bekannt geben solle, da sie ansonsten abgeschoben werde.
Auf Vorhalt des Vertreters der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe im Zuge der mündlichen Verhandlung angegeben, in ihrer Heimat aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit immer wieder Probleme mit der Polizei gehabt zu haben, führte die Beschwerdeführerin aus, sie habe nur gesagt mit der Polizei Probleme gehabt zu haben, seitdem sie in der Türkei gewesen sei. Davor habe sie allerdings keine Probleme gehabt. Sie habe damit gemeint, dass die Untätigkeit der Polizei generell ein Problem sei. Auf nochmaligen Vorhalt des Vertreters der belangten Behörde, dass dies nichts mit der Volksgruppenzugehörigkeit zu tun habe, gab die Beschwerdeführerin an:
BehV: Das hat aber nichts mit der Volksgruppenzugehörigkeit zu tun.
BF: Das kann sein, in dem Fall. Ich sah wie es anderen Angehörigen meiner Volksgruppe ging und sie hätten mir niemals geholfen.
BehV: Ich stelle fest, dass Sie in der Einvernahme vom 08.09.2017 zu Protokoll gegeben haben, dass sie kein Problem aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit in Ihrer Heimat gehabt hätten.
BF: Das hätte ich nie gesagt. Wie hätte ich das behaupten sollen? (OZ 17, S. 14.)
Auf die Frage weshalb die Beschwerdeführerin nicht überlegt habe einfach nur an das andere Ende von Georgien zu ziehen, führt die Beschwerdeführerin aus, dass man sie überall in Georgien gefunden hätte. Georgien sei nicht sehr groß, sodass es leicht sei jemanden in Georgien zu finden. Vor allem hätte man in Georgien „alles“ mit ihr machen können – sie entführen und sie irgendwo umbringen. Sie hätte sich schließlich in Georgien nicht verstecken können. Außerdem sei sie in den letzten zwei Wochen vor ihrer Ausreise nur Zuhause „gesessen“.
Zum ausgesprochenen fünfjährigen Einreiseverbot hielt die Richterin fest, dass die Verhängung des Einreiseverbotes ausschließlich auf die Rückführungsrichtlinie gestützt worden sei. Es sei zunächst keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt worden, da die aufschiebende Wirkung aberkannt worden sei. Die aufschiebende Wirkung sei durch das Bundesverwaltungsgericht allerdings zuerkannt worden, somit sei der Grund für das Einreiseverbot weggefallen. Darüber hinaus sei unsubstantiiert im Bescheid vermerkt gewesen, dass aufgrund einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die Erlassung des Einreiseverbotes dringend notwendig sei, allerdings sei keine diesbezüglich nähere Begründung erfolgt. Die Richterin hält darüber hinaus fest, dass sie keine Gründe sehe, die in der Zwischenzeit dazugekommen wären.
Zu ihrem Leben in Österreich führte die Beschwerdeführerin aus, seit der letzten Befragung beim Bundesamt zwei weitere Sprachprüfungen (Niveau A1 und A2) sowie die Integrationsprüfung abgelegt zu haben. Sie sei darüber hinaus freiwillig und unentgeltlich in einem Laden tätig gewesen. Sie habe ebenfalls an einer Flurreinigung teilgenommen und helfe regelmäßig in der Kirche sowie bei allen Festen in ihrer Heimatgemeinde mit. Alle zwei Wochen arbeite sie bereits seit zwei, vielleicht sogar drei Jahre als Reinigungskraft. Im Rahmen des Dienstleistungsschecks verdiene sie € 50,- pro Monat. Sie lebe mit ihrer Tochter zusammen. Ihre Tochter absolviere derzeit den Hauptschulabschluss. Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin einen in Österreich wohnhaften Bruder. Er sei verheiratet und habe eine eigene Familie. Der Bruder besuche sie ein oder zwei Mal im Monat. Die Beschwerdeführerin sei allerdings von niemandem finanziell abhängig. Sie sei kein Mitglied in einem Verein. Allerdings kenne sie bereits sehr viele Dorfbewohner. Sie gehe gerne mit ihnen spazieren und erhalte von ihnen verschiedene Pflanzensetzlinge. Sobald die Beschwerdeführerin im Besitz einer Arbeitserlaubnis sei, würde sie sofort eine Arbeit aufnehmen. Sie habe zwar keine konkrete Einstellungszusage, allerdings wisse sie, dass sie in einem Altersheim arbeiten könne. Man benötige dafür nur die Absolvierung eines Kurses, der einige Monate dauere. Falls sie die Chance bekäme, würde sie diese Tätigkeit gerne ausüben. Die Beschwerdeführerin habe sich bei einem Altersheim bereits bezüglich einer Arbeit erkundigt. Auf Nachfrage gab die Beschwerdeführerin an, sich für den betreffenden Kurs nicht angemeldet zu haben, da ihr gesagt worden sei, die Anmeldung könne ohne Bescheid nicht vorgenommen werden. Die Beschwerdeführerin beabsichtige zusätzlich einen Deutschkurs (Niveau B1) zu absolvieren.
Die Beschwerdeführerin sei in Österreich unbescholten und weder Zeugin noch Beteiligte in einem Gerichts- oder sonstigen Verfahren.
Sie habe bereits versucht eine Arbeit zu bekommen, allerdings ohne Dokumente und Erlaubnis ginge es nicht. Von der Möglichkeit sich als Asylwerber für die saisonale Arbeit zur Verfügung zu stellen, habe sie keine Kenntnis gehabt.
Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurden dem Rechtsberater der Beschwerdeführerin die Länderfeststellungen zur Situation in Georgien (Gesamtaktualisierung am 02.09.2019, Stand 16.03.2020) übergeben, wozu diesem eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt wurde. Die Richterin hielt fest, dass bis dato keine Berichte zur Situation von Frauen aus dem Rayon Achmeta, insbesondere dem XXXX sowie Berichte zur speziellen Situation der Volksgruppe der Tschetschenen erhältlich seien.
Mit Schriftsatz vom 03.07.2020 wurde eine Stellungnahme eingebracht, um die in der Verhandlung vorgebrachten Ausführungen (Frauenmorde aufgrund des Ehebruchs) mit entsprechenden Berichten und Unterlagen zu untermauern. Zum Thema der religiösen Radikalisierung im XXXX legte die Beschwerdeführerin Ausschnitte aus dem Bericht „Understanding Why Youth Fight In The Middle East – The Case Of Pankisi“ vom Juli 2019 vom Center For Social Sciences. Zusammenfassend lasse sich festhalten, dass in XXXX seit den 1990ern eine religiöse Transformation des Islam im Gange sei. Ein Leben, wie zu Zeiten des Propheten Mohammad gelte schließlich als Idealvorstellung. Damit einher gehe die Vorstellung, dass die strengen Sitte- und Verhaltensregeln aus jener Zeit einzuhalten seien auch wenn sie jenen des Staates entgegenstehen. Vor allem die Rolle der Frau werde immer mehr in dieses traditionelle und zuvor bereits längst überwundene Rollenverständnis zurückgedrängt. Dass ein Fehlverhalten einer Frau, bzw. das Handeln gegen den Willen ihres Mannes durch ihren Mann (in Abwesenheit eines solchen) durch andere männliche Familienmitglieder bestraft werden solle, sei in diesem konservativen Umfeld gelebte Praxis. Wo durch den Koran bereits Regeln vorgegeben werden, solle es keine Einmischung der Polizei oder der staatlichen Gerichte geben. Diese Ausschnitte ließen erkennen, aus welchen Umfeld die Beschwerdeführerin stamme, welche Rolle die „Frauen“ spielen und welche untergeordnete Rolle hier die staatlichen Polizeibehörden einnehmen.
Ergänzend legte die Beschwerdeführerin folgende Integrationsunterlagen vor:
- Einstellzusage eines Gasthofes vom 03.07.2020
- Dienstleistungsschecks vom 01.07.2020
- Unterstützungszusage einer Initiative vom 30.06.2020
- Empfehlungsschreiben des Roten Kreuzes vom 02.07.2020
- Stellungnahme des in Österreich wohnhaften Bruders der Beschwerdeführerin vom 01.07.2020.
Die Beschwerdeführerin verwies weiters darauf, dass mit dem bereits vorliegenden Einkommen und dem konkret in Aussicht stehende Einkommen die Möglichkeit bestehe, den Unterhalt für sich und ihre Tochter auch ohne soziale Unterstützung durch den Staat zu finanzieren.
Mit Schreiben vom 11.01.2021 wurde die Beschwerdeführerin vom Ergebnis der Beweisaufnahme (Anfragebeantwortung zu Frauen in Pankisital, Zwangsverheiratung, Schutzmöglichkeit; Länderreport Georgien; aktuelles Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl) verständigt, wobei ihr eine dreiwöchige Frist für die Stellungnahme eingeräumt worden sei.
Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführerin ebenfalls mit Schreiben vom 11.01.2021 im Rahmen ihrer gesetzlichen Mitwirkungs- und Verfahrensförderungspflicht (§§ 15, 18 AsylG, § 39 Abs 2a AVG) aufgetragen binnen einer Frist von drei Wochen die im Schreiben angeführten Fragen zu beantworten.
Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungssauschusses vom 14. 01. 2021 wurde gegenständlicher Verwaltungsakt der Richterin Mag. SCHREY LL.M. abgenommen und der erkennenden Richterin zugewiesen.
Mit Schriftsatz vom 20.01.2021 wurde eine diesbezügliche Stellungnahme eingebracht, in der die Beschwerdeführerin auf diverse Videos in den sozialen Netzwerken verwies, welche die Situation der Frauen und die diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin bekräftigen würden. Ergänzend legte die Beschwerdeführerin weitere Integrationsunterlagen vor:
- Integrationsbestätigung einer Initiative vom 01.02.2021
- Teilnahmebestätigung zum Pflichtschulabschluss-Lehrgang 31.01.2021 sowie das Zeugnis über den Pflichtschulabschluss ihrer Tochter vom 14.01.2021
- Einstellungszusage einer Gemeinde vom 27.01.2021
Am 11.05.2021 übermittelte die Beschwerdeführerin weitere Integrationsschreiben und zwar zahlreiche Empfehlungsschreiben, eine Unterstützungserklärung durch den Bruder der Beschwerdeführerin sowie Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten.
Am 24.08.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der ein Vertreter des Bundesamtes nicht teilnahm. Die Beschwerdeführerin legte zunächst ein Schreiben des in Österreich wohnhaften Bruders, ein Empfehlungsschreiben sowie die Kopie eines Dienstleistungsschecks vor.
Die Beschwerdeführerin führte aus, dass sich ihre beiden Söhne aktuell in der Türkei aufhalten würden. Der jüngere sei in Deutschland gewesen und nach Georgien abgeschoben worden. Anschließend sei er zu seinem Bruder in die Türkei gegangen. Zu ihrem Ehemann habe die Beschwerdeführerin keinen Kontakt. Sie habe regelmäßigen Kontakt zu ihrer älteren Tochter sowie zu ihrer Schwester und wisse deswegen, dass sich ihr Ehemann aktuell in Georgien aufhalte.
Auf Vorhalt der Richterin, es wäre laut der Anfragenbeantwortung der Staatendokumentation vom 04.08.202 für die Beschwerdeführerin möglich gewesen sich im Zusammenhang der geplanten Zwangsverheiratung ihrer Tochter an die Polizei zu wenden, führte diese aus, dass ihre älteste Tochter erst XXXX Jahre alt gewesen sei, als sie entführt worden sei. Sie habe diesen Mann nicht heiraten wollen. Die Beschwerdeführerin habe sich damals an die Polizei gewendet. Die meisten Polizisten seien Georgien und verstünden die Sitten der tschetschenischen Minderheit nicht. Die Polizei habe schließlich der Beschwerdeführerin erklärt, es sei bei ihnen üblich derartige Angelegenheiten untereinander durch den Ältestenrat zu regeln. Grundsätzlich bringe die Einbringung des Ältestenrates viel, sobald es um Familienrecht, wie z.B. Sorgerechtsstreitigkeiten, gehe. Allerdings im konkreten Fall sei es keine richtige Entführung gewesen, da keine Familie mehr das Mädchen zurückhaben wolle, da das Mädchen nicht mehr „ehrbar“ sei. Ihr Ruf sei schließlich ruiniert. Ihre ältere Tochter sei eine sehr gute Schülerin gewesen und habe eine vielversprechende Zukunft vor sich gehabt, allerdings sei ihre Berufskarriere damit ruiniert gewesen. Diese liebe ihren Ehemann zwar nicht, allerdings wäre sie einem Rufmord ausgesetzt für den Fall, dass sie ihren Ehemann verlassen würde. Die Beschwerdeführerin habe den Ältestenrat nicht aufgesucht, da es bislang keinen einzigen Fall gegeben habe, in dem der Ältestenrat dagegen entschieden habe. Der Ältestenrat denke schließlich, es sei eine große Schande für die Familie sei, die Tochter wieder zurückzuholen. Die Beschwerdeführerin sehe durch die Polizei keinen ausreichenden Schutz für sich und ihre Familie. Die Beschwerdeführerin befürchte, dass ihrer jüngeren Tochter ebenfalls eine derartige Zwangsheirat drohe. Ihre Schwiegermutter habe sich immer gewünscht, dass die Töchter möglichst schnell von der Familie wegkommen. Sie sei sehr glücklich gewesen, als die ältere Tochter bereits „unter der Haube“ gewesen sei. Es sei wichtig gewesen, dass zweite Mädchen, die jüngere Tochter der Beschwerdeführerin, ebenfalls loszuwerden. Ob es bereits konkrete Pläne bzw. einen konkreten Mann bereits gegeben habe, könne die Beschwerdeführerin nicht sagen. Als sie ihre Schwiegermutter darauf angesprochen habe, habe sie keine Antwort erhalten. Für den Fall, dass es bereits Pläne gegeben habe, habe die Schwiegermutter derart versteckt gehandelt, wie dies bei der älteren Tochter der Fall gewesen sei. Für die Beschwerdeführerin bestehe nach wie vor Gefahr, dass auch ihre jüngere Tochter zwangsverheiratet werde.
Zu ihrem Leben in Österreich führte die Beschwerdeführerin aus, die Integrationsprüfung absolviert zu haben. Darüber hinaus habe sie diverse Kochkurse und Reinigungsschulungen besucht. Sie verfüge über eine Arbeitsplatzzusage und habe eine neue freiwillige Arbeit in einem Schloss gefunden. Sie habe aktuell keinen Partner. Die Beschwerdeführerin pflege regelmäßigen und intensiven Kontakt zu ihrem in Österreich wohnhaften Bruder, er besuche sie mind. zweimal pro Woche. Darüber hinaus unterstütze er sie ebenfalls finanziell. Er habe zwar eine eigene Familie, allerdings komme er nie mit leeren Händen zu der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter. Er habe sogar ein Schreiben an das Gericht verfasst, in dem er die finanzielle Verantwortung übernehme. Er sei seit 2010 in Österreich anerkannter Flüchtling.
Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurden dem Rechtsberater der Beschwerdeführerin die Länderfeststellungen zur Situation in Georgien (Gesamtaktualisierung am 02.12.2020) sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 04.08.2020 zu Georgien übergeben, wozu diesem eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt wurde.
Am 03.09.2021 übermittelte die Beschwerdeführerin eine Bestätigung über ein Vorstellungsgespräch.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist georgische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an und bekennt sich zu sunnitisch-muslimischen Glauben. Sie spricht Georgisch, Tschetschenisch, Russisch und Deutsch. Am 11.09.2016 stellte sie gemeinsam mit ihrer Tochter jeweils Anträge auf internationalen Schutz. Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest.
Die Beschwerdeführerin wurde in Tbilisi (Tiflis) geboren und wuchs in XXXX auf. Sie besuchte zehn Jahre lang eine Grundschule und absolviert anschließend ein Technikum in Tbilisi (Tiflis). In der Zeit 2006 bis 2015 war sie als Sachbearbeiterin beim Gemeindeamt tätig.
Die Beschwerdeführerin ist seit 1985 verheiratet, wobei sie seit längerer Zeit getrennt leben. Sie haben vier gemeinsame Kinder: zwei Söhne und zwei Töchter. Im Herkunftsland leben die ältere Tochter, die Schwester, eine Tante, die Schwiegermutter, die Schwägerin und einige Cousins der Beschwerdeführerin. Darüber hinaus ist ebenfalls der (noch) Ehemann der Beschwerdeführerin wieder in Georgien aufhältig. Zwei Söhne der Beschwerdeführerin leben in der Türkei. Die jüngere Tochter ist gemeinsam mit der Beschwerdeführerin geflüchtet und lebt seit der Einreise nach Österreich durchgehend mit ihr im gemeinsamen Haushalt. Zu ihren Kindern sowie zu ihrer Tante besteht weiterhin ein aufrechter Kontakt. Im Bundesgebiet hat die Beschwerdeführerin einen Bruder samt Familie, mit dem regelmäßiger Besuchskontakt, aber keine Haushaltsgemeinschaft und auch kein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Der Bruder unterstützt zwar die Beschwerdeführerin, aber nicht derart, dass ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis begründet wäre.
Die Beschwerdeführerin ist seit der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz durchgehend im Bundesgebiet gemeldet. Die Beschwerdeführerin ist in Österreich unbescholten und erwerbsfähig.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach sie von ihren Cousins aufgrund der Beziehung zu einem Christen misshandelt und bedroht wurde, hat sich als nicht glaubhaft erwiesen, ebenso wie das Vorbringen, wonach sie von der Polizei bedroht und bedrängt worden sei. Einer bestehenden Bedrohung ihrer Tochter durch eine Zwangsverheiratung wird ebenfalls kein Glauben geschenkt.
Die Beschwerdeführerin ist im Fall ihrer Rückkehr nach Georgien keiner Verfolgung ausgesetzt.
In Österreich lebt die Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Tochter. Sie befindet sich in der Grundversorgung und übt daneben einige Tätigkeiten im Rahmen des Dienstleistungsschecks aus. Die Beschwerdeführerin absolvierte die Integrationsprüfung (Sprachniveau A2) und spricht sehr flüssig und verständlich Deutsch. Sie beabsichtigt die Absolvierung eines Deutschkurses auf B1 Niveau. Darüber hinaus absolvierte die Beschwerdeführerin den Werte- und Orientierungskurs sowie ein Seminar über Reinigungsarbeit in privaten Haushalten. Daneben übte die Beschwerdeführerin mehrere ehrenamtliche Tätigkeiten aus. Aktuell engagiert sie sich in der Pflege und Betreuung der Außeranlage des Oö Landespflege- und Betreuungszentrum. Die Beschwerdeführerin konnte auch zwei Einstellungszusagen vorlegen. Langfristig strebt die Beschwerdeführerin die Aufnahme der Tätigkeit in einem Altersheim an. Die Bemühungen der Beschwerdeführerin äußern sich insbesondere in den vorgelegten Empfehlungsschreiben. Diese spiegeln das Bemühen und Engagement der Beschwerdeführerin sowohl die deutsche Sprache zu erlernen als auch ihre Integration voran zu treiben. Die Beschwerdeführerin konnte schon zahlreiche sozialen Kontakte in ihrer Dorfgemeinde knüpfen und wird von ihren Mitmenschen besonders geschätzt.
Insgesamt weist die Beschwerdeführerin in Österreich Integrationsmerkmale in sprachlicher, und gesellschaftlicher Hinsicht auf.
Allgemeine Länderinformation der Staatendokumentation, Stand 02.12.2020
2 Covid 19
Letzte Änderung: 01.12.2020
Georgien hat die Verbreitung von COVID-19 im Frühling 2020 durch strenge Maßnahmen weitgehend eingedämmt. Nachdem im Sommer 2020 die strengen Regeln aufgehoben, die Einreisebestimmungen an den Grenzen gelockert und Inlandstourismus beworben wurde, kam es ab Ende August 2020 zu einem exponentiellen Anstieg der positiven Tests. Bis Mitte September 2020 stieg die Zahl der täglichen positiven Testergebnisse von niedrigen zweistelligen Zahlen auf etwa 150 (Eurasianet 18.9.2020) und um Mitte Oktober auf ungefähr 1000 (Jam 16.10.2020). Gegen Ende November 2020 lag die tägliche Zahl positiver Tests um die 4.000 und die der Verstorbenen an oder mit SARS-CoV-2 bei 35-50 Personen (Agenda 26.11.2020; vgl. WOM 30.11.2020). COVID-19-Infektionen kommen in allen Regionen des Landes vor; und es kommt landesweit zu unkontrollierter Übertragung von COVID-19 (USEMB 30.11.2020a).
Tagesaktuelle Zahlen zu bestätigten Infektionen, Genesungen, Todesfällen und Hospitalisierungen werden von der Regierung auf der Webseite https://stopcov.ge/en/ veröffentlicht (Stop-CoV.ge o.D.).
Aufgrund der steigenden Zahlen wurden mit Wirkung vom 28.11.2020 unter anderem folgende Beschränkungen landesweit, vorerst bis 31.1.2021, in Kraft gesetzt: Während der nächtlichen Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr sind öffentliche und private Verkehrsbewegungen, einschließlich zu Fuß gehen, sowie der Aufenthalt im öffentlichen Raum nicht gestattet. Der öffentliche Überlandverkehr einschließlich Bahn, Bus und Kleinbus ist ganztägig eingestellt. Reisen in Kleinfahrzeugen (einschließlich Taxis) sind – außerhalb der nächtlichen Ausgangssperre – zulässig. Es herrscht eine Tragepflicht von Gesichtsmasken im Freien sowie in allen geschlossenen öffentlichen Räumen. Personen über 70 Jahren wird empfohlen, zu Hause zu bleiben (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).
Für die Großstädte Tiflis, Batumi, Kutaissi, Rustawi, Poti, Sugdidi und Telawi sowie die Wintersportorte Bakuriani, Gudauri, Goderdzi und Mestia gelten zusätzlich u.A. folgende Einschränkungen: Der innerstädtische öffentliche Verkehr ist vollständig eingestellt. Geschäfte sind geschlossen, mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften, Apotheken, Hygieneprodukten und Kiosken für Printmedien. Agrarmärkte, Schönheitssalons, Friseurläden und Zentren für ästhetische Medizin sind weiterhin in Betrieb. Kindergärten sind geschlossen, Schulen und Universitäten bieten ausschließlich Fernlehre an (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).
Für die Periode Neujahr-Weihnachten (24.12.2020 bis 15.1.2021) werden einzelne Beschränkungen gelockert (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).
Die Einschränkungen von Linienflügen nach Georgien wurden mit 1.11.2020 gelockert, seither sind auch wieder Linienflüge nach Tiflis ex Wien erlaubt (GCAA 21.10.2020). Diese Flüge werden Stand Ende November 2020 einmal wöchentlich von Georgian Airways durchgeführt (F24 30.11.2020; vgl. VIE 30.11.2020).
Bei der Einreise aus dem Ausland müssen sich georgische Staatsangehörige sowie ihre Familienangehörigen für 8 Tage in Selbstisolation begeben, wenn sie an der Grenzübertrittsstelle einen negativen PCR-Test nicht älter als 72 Stunden vorweisen können. Sollte ein solcher Test nicht vorgewiesen werden, wird eine obligatorische Quarantäne verhängt (MoF o.D.; vgl. StopCoV.ge o.D.) und die Person wird in eine Quarantänezone verbracht (StopCoV.ge o.D.). In den Wintersportorten Bakuriani, Gudauri, Goderdzi und Mestia werden Hotels ausschließlich als Quarantäne- oder COVID-Unterkünfte betrieben (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).
Trotz der Zugangsbeschränkungen unterstützt die georgische Regierung die separatistische Region Abchasien bei der Bekämpfung von COVID-19 materiell und fachlich. Auch die Behandlung von abchasischen COVID-19-Patienten in Kern-Georgien wurde ermöglicht (CW 27.11.2020; vgl. Jam 16.10.2020). Internationale Hilfe in Südossetien ist auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschränkt. Die georgische Zentralregierung hat Zchinwali ebenfalls humanitäre Hilfe angeboten, aber der Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt (CW 27.11.2020). Dennoch werden auch COVID-Patienten aus Südossetien in Georgien behan