TE Bvwg Beschluss 2021/10/18 W260 2243566-1

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Veröffentlicht am 18.10.2021
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Entscheidungsdatum

18.10.2021

Norm

ASVG §18a
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W260 2243566-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter in Erledigung der Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , XXXX , XXXX , gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Niederösterreich, vom 01.03.2020, GZ: HVBA 2805 140464, betreffend Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 01.03.2021 lehnte die belangte Behörde (im Folgenden: PVA) den Antrag der XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) vom 10.02.2020 auf freiwillige Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege ihrer behinderten Tochter, XXXX , geb. XXXX , dies ab 17.04.2018, ab. Begründend wurde darin ausgeführt, dass fachärztliche Begutachtungen ergeben hätten, dass die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin durch die Pflege ihres behinderten Kindes nicht überwiegend beansprucht werde.

2. Dagegen richtet sich die vorliegende, binnen offener Rechtsmittelfrist erhobene Beschwerde, in der zusammengefasst ausgeführt wurde, dass die Beschwerdeführerin nicht den Grund verstehe warum ihr Antrag abgelehnt worden sei, sie selbst sei psychisch krank.

3. Am 18.06.2021 einlangend, legte die PVA die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zur Entscheidung vor.

In einer beigefügten Stellungnahme wies die belangte Behörde auf die in diesem Verfahren bereits eingeholten medizinischen Gutachten, insbesondere auf die chefärztliche Stellungnahme vom 29.01.2021 (Beilage ./10) hin, in welcher ausdrücklich festgehalten wurde, dass aufgrund des festgestellten Leidenszustandes eine Selbstversicherung in die Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes XXXX nicht gerechtfertigt sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zu Grunde gelegt:

Die Beschwerdeführerin bezieht seit April 2018 für ihr behindertes Kind, XXXX , geb. XXXX , erhöhte Familienbeihilfe iSd § 8 Abs. 4 FLAG.

Mit Ärztlichem Gesamtgutachten vom 26.01.2021 und ergänzender Chefärztlicher Stellungnahme vom 29.01.2021 wurde festgestellt, dass das – nicht von der Schulpflicht befreite und auch nicht bettlägrige – Kind keiner ständigen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege bedürfe.

Ermittlungen und darauf basierende Feststellungen auf der hier maßgeblichen Rechtsgrundlage zu der entscheidungswesentlichen Frage, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin trotz Verneinung eines ständigen Betreuungs- und Pflegebedarfs überwiegend in Anspruch genommen wurde, traf die Behörde nicht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung, dass im beschwerdegegenständlichen Zeitraum erhöhte Familienbeihilfe iSd § 8 Abs. 4 FLAG bezogen wurde, gründet auf den von der Beschwerdeführerin vorgelegten und von der belangten Behörde eingeholten Unterlagen, die den Bezug erhöhter Familienbeihilfe ab April 1994 belegen. Dies lässt darauf schließen, dass für das Kind, dessen Behinderung unstrittig seit der Geburt besteht, auch schon vor diesem Zeitpunkt erhöhte Familienbeihilfe geleistet wurde. Schließlich wurde seitens des zuständigen Finanzamtes eingeräumt, über keine Unterlagen mehr zu verfügen, die dieser Annahme entgegenstehen.

Das Fehlen von Ermittlungen und Feststellungen zu Frage, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin trotz Verneinung eines ständigen Betreuungs- und Pflegebedarfs nicht auf andere Weise überwiegend in Anspruch genommen wurde, steht aufgrund der Aktenlage fest.

Weder die Behörde noch das von ihr eingeholte Gutachten haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche konkrete Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Betreuung des behinderten Kindes verrichtet wurden und welcher zeitliche Aufwand damit jeweils verbunden war, was an Hand der Regelungen des Bundespflegegeldgesetzes und der dazu ergangenen Einstufungsverordnung – EinstV, BGBl. II Nr. 37/1999, zu beurteilen gewesen wäre.

So hält das Ärztlichem Gesamtgutachten vom 26.01.2021 ausdrücklich fest, dass die Beurteilung der erforderlichen Pflegetätigkeiten ohne Bezugnahme zu den im Bundespflegegesetz und der Einstufungsverordnung angeführten Mindest-, Richt-, und Fixwerten erfolgte (siehe Ärztliches Gesamtgutachten vom 26.01.2021, Seite 6).

An dieser Stelle wird weiters beweiswürdigend darauf hingewiesen, dass im Ärztlichen Gesamtgutachten vom 26.01.2021 unter Punkt 9. lediglich auf die „somatoforme Schmerzstörung“ als Hauptdiagnose der XXXX eingegangen wird. In dem von der belangten Behörde vorgelegten Sachverständigengutachten vom 03.06.2020 führt das maßgebliche festgestellte Leiden „generalisierende Angststörung mit soziophoben Tendenzen“ mit einem Grad der Behinderung von 60%, zur Feststellung, dass XXXX „dauernd außerstande ist, sich selbst Unterhalt zu verschaffen“; auf den darin angeführten Befund Dr. XXXX betreffend Missbrauch wird hingewiesen (vgl. Sachverständigengutachten vom 03.06.2020, Seiten 2 und 4). Die Beschwerdeführerin bezieht eine erhöhte Familienbeihilfe. Das setzt eine erhebliche Behinderung ihrer Tochter voraus. Eine gänzliche Verneinung sämtlicher persönlicher Hilfe/Pflege und den in Punkt 8. ausgeführten Hinweis, wonach XXXX auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar wäre, wie im Ärztlichen Gesamtgutachten vom 26.01.2021 ausgeführt, bedarf auch in diesem Punkt jedenfalls einer näheren ergänzenden Auseinandersetzung.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. § 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des BVwG zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. § 414 Abs. 2 ASVG sieht in den in § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG aufgezählten Angelegenheiten die Entscheidung durch einen Senat unter Laienrichterbeteiligung vor, wenn dies von einer Partei beantragt wird. Im gegenständlichen Fall handelt es sich um eine derartige Angelegenheit (Z 1). Mangels eines derartigen Antrages liegt jedoch Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

3.2. Vorliegend gelangen folgende maßgebende Bestimmungen zur Anwendung:

§ 18a ASVG idF BGBl. I Nr. 2/2015:

„Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten
der Pflege eines behinderten Kindes

§ 18a. (1) Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.

(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der

1. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 2/2015)

2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder

3. eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a vorliegt.

(3) Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 wird jedenfalls dann angenommen, wenn und so lange das behinderte Kind

1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

(4) Die Selbstversicherung ist in dem Zweig der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz zulässig, in dem der (die) Versicherungsberechtigte zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Werden keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz nachgewiesen oder richtet sich deren Zuordnung nach der ersten nachfolgenden Versicherungszeit, so ist die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung der Angestellten zulässig.

(5) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den der (die) Versicherte wählt, frühestens mit dem Monatsersten, ab dem die erhöhte Familienbeihilfe (Abs. 1) gewährt wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der auf die Antragstellung folgt.

(6) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonates,

1. in dem die erhöhte Familienbeihilfe oder eine sonstige Voraussetzung (Abs. 1) weggefallen ist,

2. in dem der (die) Versicherte seinen (ihren) Austritt erklärt hat.

Ab dem erstmaligen Beginn der Selbstversicherung (Abs. 5) gelten die Voraussetzungen bis zum Ablauf des nächstfolgenden Kalenderjahres als erfüllt; in weiterer Folge hat der Versicherungsträger jeweils jährlich einmal festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung nach Abs. 1 gegeben sind. Der Versicherte ist verpflichtet, den Wegfall der erhöhten Familienbeihilfe dem Träger der Pensionsversicherung binnen zwei Wochen anzuzeigen.

(7) Das Ende der Selbstversicherung steht hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a gleich.“

§ 669 Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 125/2017:

„Schlussbestimmungen zu Art. 5 des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 3/2013 (78. Novelle):

§ 669. (1) bis (2) …

(3) Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a kann auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.

(4) bis (8) …“

3.3. Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Diese Voraussetzungen treffen im gegenständlichen Fall zu.

3.4. Die Beschwerde richtet sich (u.a.) gegen die mit der nicht erforderlichen ständigen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege begründete Abweisung des Antrages der Beschwerdeführerin auf freiwillige Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes.

Gemäß § 669 Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 125/2017 kann die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung iSd § 18a Abs. 1 ASVG auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit zwischen dem 1. Jänner 1988 und dem 31. Dezember 2012 die zum Zeitpunkt der Antragstellung (hier: 22.03.2020) geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt hätten, nachträglich beansprucht werden.

§ 669 Abs. 3 ASVG in der genannten Fassung stellt darauf ab, dass die betreffenden Personen die zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllen müssen, im vorliegenden Fall sohin die im § 18a ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2015 festgelegten Voraussetzungen. Auf die im zu erwerbenden Zeitraum der betreffenden Selbstversicherung früher in Geltung gestandenen Voraussetzungen für eine Selbstversicherung kommt es gemäß § 669 Abs. 3 ASVG nicht an (vgl. VwGH 05.06.2019 Ra 2019/08/0051).

Gemäß § 18a Abs. 1 ASVG (in der gegenständlich anzuwendenden Fassung des BGBl. I Nr. 2/2015) muss die Arbeitskraft überwiegend beansprucht werden, um den Anspruch anerkennen zu können.

Dies ist gemäß § 18a Abs. 3 Z 2 ASVG jedenfalls dann der Fall, solange das behinderte Kind während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist, oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf. Nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres setzt dies voraus, dass das behinderte Kind entweder dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

Die am XXXX geborene Tochter der Beschwerdeführerin ist unbestrittenermaßen nicht von der allgemeinen Schulpflicht befreit und augenscheinlich auch nicht bettlägrig.

Aus diesem Grund hatte die belangte Behörde daher im Wege eines Sachverständigengutachtens zu klären, ob (und in welchem Umfang) unter Berücksichtigung des Alters und der spezifischen Behinderung des Kindes dessen ständige Betreuung (auch außerhalb der Zeit des Schulbesuches) erforderlich war und ob bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteilwurde, benachteiligt oder gefährdet gewesen wäre (vgl. VwGH 16.11.2005, 2003/08/0261).

Mit dem Wort „jedenfalls“ im Einleitungssatz des § 18a Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 2/2015 hat der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck gebracht, dass neben den in Z 1 bis 3 aufgezählten, speziell für behinderte Kinder zugeschnittenen Kriterien eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft auch auf andere Weise gegeben sein kann (so auch Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 18a ASVG Rz 7/1, wonach die in Abs. 3 leg.cit. getroffenen Regelungen nicht mehr taxativ zu verstehen sind (so noch VwGH 99/08/0353, VwSlg 15.235 A), sondern gleichsam beispielhafte „Mindeststandards“ formulieren (arg „jedenfalls dann“), die – aber als solche wie bisher – als unwiderlegbare gesetzliche Vermutungen anzusehen sind (vgl. die ErläutRV zur Stammfassung dieser Bestimmung 324 BlgNR 17. GP 24 f.).

Insofern kann daher auch eine zeitliche Inanspruchnahme durch die Pflege in einem Ausmaß anspruchsbegründend wirken, das zwar nicht einer ständigen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege iSd § 18a Abs. 3 ASVG entspricht, aber dennoch eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft der pflegenden Person bewirkt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft bereits in einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 21 Stunden wöchentlich bzw. ab 90 Stunden monatlich (entspricht mehr als der halben Normalarbeitszeit) anzunehmen (vgl. VwGH 19.01.2017, Ro 2014/08/0084).

Wie die zeitliche Inanspruchnahme der Arbeitskraft in diesem Zusammenhang zu prüfen ist, hat der Verwaltungsgerichtshofes im zitierten Erkenntnis ebenfalls aufgezeigt:

Demnach ist an Hand der Regelungen des Bundespflegegeldgesetzes und der dazu ergangenen Einstufungsverordnung – EinstV, BGBl. II Nr. 37/1999, zu beurteilen, um welche Verrichtungen es sich dabei handelt und welcher zeitliche Aufwand damit jeweils verbunden ist. Da auf den auch für die Ermittlung des Pflegegelds maßgeblichen Pflegebedarf abzustellen ist, wird als Grundlage für die Beurteilung in der Regel ein bereits im Verfahren über die Zuerkennung oder Neubemessung des Pflegegelds eingeholtes – soweit noch aktuelles bzw. sonst entsprechendes – Sachverständigengutachten (§ 8 EinstV) dienen können. Erforderlichenfalls wird ein weiteres Gutachten einzuholen sein.

Die PVA unterließ jedoch jegliche Ermittlungstätigkeit, um an Hand der Einstufungsverordnung festzustellen, ob der Pflege- und Betreuungsaufwand der Beschwerdeführerin die maßgebliche Grenze von 90 Stunden monatlich überschritten hat.

In dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten wird hingegen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beurteilung der erforderlichen Pflegetätigkeiten ohne Bezugnahme zu den im Bundespflegegesetz und der Einstufungsverordnung angeführten Mindest-, Richt-, und Fixwerten erfolgte.

Dadurch hat die belangte Behörde keine für eine Entscheidung in der Sache nach § 28 Abs. 2 VwGVG ausreichenden brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinne des § 24 VwGVG bloß zu vervollständigen gewesen wären.

Dies berechtigt das Verwaltungsgericht, von einer Entscheidung in der Sache abzusehen und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen (vgl. VwGH 20.10.2015, Ra 2015/09/0088).

Auch Anhaltspunkte, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, liegen nicht vor. Dementsprechend war der angefochtene Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (s. dazu die in den rechtlichen Erwägungen zitierte VwGH-Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Pflege Selbstversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W260.2243566.1.00

Im RIS seit

08.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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