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66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;Norm
ASVG §40 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der U in G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 2. August 1994, Zl. 5-226 Gu 95/6-94, betreffend eine "Vorfrage für die Feststellung der Beitragsgrundlage bzw. Beitragspflicht" (mitbeteiligte Partei: Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef Pongratz-Platz 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Am 23. Oktober 1991 richtete die Beschwerdeführerin folgendes Schreiben an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse:
"Beitragsnummer ..., Vorschreibung 9/91
Betreffend der bei mir am 18.10.1991 eingelangten Beitragsvorschreibung für den Beitragszeitraum 1.9.91 - 30.9.91 teile ich mit, daß die Beiträge für Herrn Michael V., Vers.Nr. ... in falscher Höhe festgesetzt wurden.
Zur Begründung verweise ich auf die am 30.9.1991 eingereichte Lohn- und Gehaltsänderungsmeldung, aus der hervorgeht, daß Herr V. für den Beitragszeitraum 9/91 Bruttobezüge von insgesamt S 5.310,-- erhalten hat. Dabei ist zu beachten, daß für den 18.9.1991 gemäß § 8 Abs. 1 AngG ein Teilentgelt von 50 % berechnet wurde.
Zur weiteren Erläuterung weise ich darauf hin, daß Herr V. querschnittgelähmt ist und unter anderem an einer Mastdarmlähmung leidet. Die auf diese Mastdarmlähmung zurückzuführenden tageweisen Krankenstände sind den Arbeits- und Entgeltsbestätigungen vom 27.8.1991 bzw. 26.9.1991 zu entnehmen. Ich ersuche daher um Berichtigung der Vorschreibung 9/91."
Dieser Eingabe folgte am 18. Februar 1992 ein weiteres Schreiben der Beschwerdeführerin an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse:
"Beitragsnummer ..., Bescheidausfertigung gemäß § 410 Abs. 1 Z. 7 ASVG
Bezugnehmend auf mein bis heute nicht erledigtes Schreiben vom 24.10.1991 (gemeint: das Schreiben vom 23. Oktober 1991) betreffend Beitragsvorschreibung für den Zeitraum 1.9.91 - 30.9.91 ersuche ich gemäß § 410 Abs. 1 Z. 7 ASVG um Festsetzung der Beiträge mittels klagsfähigen Bescheid.
Wie bereits mehrfach mitgeteilt, hatte mein Dienstnehmer seinen Anspruch gemäß § 8 Abs. 2 AngG auf volle Fortzahlung seines Entgeltes bereits verbraucht. Aus diesem Grunde war für den Krankenstand vom 18.9.1991 nur mehr 50 % Entgeltfortzahlung zu leisten. Die diesbezügliche Änderungsmeldung habe ich am 30.9.1991 fristgerecht eingebracht. Trotzdem wurden mir die Beiträge für September 1991 ohne Berücksichtigung dieser Meldung in voller Höhe vorgeschrieben. Da auch mein Schreiben vom 24.10.91 bisher unerledigt blieb, ersuche ich um möglichst umgehende Ausstellung des Bescheides über die Beitragsfestsetzung."
Am 29. April 1993 richtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - in Beantwortung u.a. der Schreiben vom 23. Oktober 1991 und vom 18. Februar 1992 - ein Schreiben an die Beschwerdeführerin. In diesem Schreiben legte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Rechtsansicht dar, der betroffene Dienstnehmer der Beschwerdeführerin habe gemäß § 8 Abs. 1 AngG einen Entgeltfortzahlungsanspruch für
42 Kalendertage und davon bis zum 18. September 1991 nur 39 Tage verbraucht gehabt, sodaß ein Anspruch auf Fortzahlung des vollen und nicht nur des halben Entgeltes auch für den 18. September 1991 gegeben gewesen wäre. Ein Krankenstand des Dienstnehmers an diesem Tag sei bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse aber nicht "vorgemerkt". "Aus diesem Grund" sei "eine Beitragsrückverrechnung nicht möglich".
Die Beschwerdeführerin antwortete mit Schreiben vom 4. Mai 1993. Darin erläuterte sie, der Anspruch des betroffenen Dienstnehmers, welcher nur mit (durchschnittlich)
20 Wochenstunden teilzeitbeschäftigt sei, auf Fortzahlung des vollen Entgelts sei am 18. September 1991 bereits verbraucht gewesen und der Dienstnehmer sei an diesem Tag nicht zur Arbeit erschienen. Da der Beschwerdeführerin die gesundheitlichen Probleme des Dienstnehmers bekannt seien, habe sie keine ärztliche Bestätigung des ihr gegenüber angegebenen Grundes der Dienstverhinderung (Folgen der Mastdarmlähmung) verlangt. Da die Beschwerdeführerin zur Erkenntnis gelangt sei, daß das "wiederholte Erläutern" ihres Rechtsstandpunktes zu keinem Ergebnis führe, sie aber auch nicht bereit sei, Beiträge zu zahlen, die sie ihres Erachtens nicht schulde, habe sie (soweit es diesen Dienstnehmer betrifft) am 18. Februar 1992 gemäß § 410 Abs. 1 Z. 7 ASVG "um Ausfertigung eines Bescheides betreffend Beiträge" für den Zeitraum vom 1. September 1991 bis zum 30. September 1991 ersucht, um diese Rechtsfragen im Instanzenzug endgültig abzuklären. Diesem Ansuchen sei bisher nicht entsprochen worden. Die Beschwerdeführerin sei nicht bereit, "die vorgeschriebenen Beiträge vor entsprechender Bescheiderteilung zu bezahlen".
Daraufhin erließ die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - nach Einholung von "Rechtsmeinungen" sowohl der Handelskammer Steiermark als auch der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark - den erstinstanzlichen Bescheid vom 30. September 1993, dessen Spruch wie folgt lautete:
"Gemäß § 410 Abs. 1 Z. 7 in Verbindung mit §§ 44 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2, 49 Abs. 1, 54 Abs. 1 ASVG in der geltenden Fassung sowie gemäß § 62 AlVG wird festgestellt, daß (die Beschwerdeführerin) verpflichtet ist, für den Dienstnehmer V., Versicherungsnummer ..., für die Beitragszeiträume August 1991 und September 1991 die allgemeinen Beiträge, Sonderbeiträge und Nebenumlagen auf Basis des ihm gebührenden hundertprozentigen Entgeltanspruches zu entrichten.
In einem wird grundsätzlich festgestellt, daß in weiterer Folge bei der Ermittlung des Entgeltfortzahlungsanspruches für Beitragszeiträume, in welchen Herr V. arbeitsunfähig erkrankt war, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nach Kalendertagen berechnet wird."
Begründend wurde ausgeführt, nach der anzuwendenden Berechnungsmethode seien sowohl ein Krankenstand des betroffenen Dienstnehmers im August 1991 als auch die krankheitsbedingte Dienstverhinderung am 18. September 1991 - die nicht in Zweifel gezogen werde - "noch vom vollen Entgeltanspruch gedeckt". Die "Beitragsvorschreibung für die Beitragszeiträume August 1991 und September 1991 in der Höhe des vollen gebührenden Entgeltes" (gemeint: auf der Grundlage dieses Entgeltes) sei "daher zu Recht" erfolgt. Aus näher dargelegten Gründen sei "weiters festzuhalten", daß auch für die ab Oktober 1991 folgenden Beitragszeiträume sämtliche beim betroffenen Dienstnehmer "eingetretenen Arbeitsunfähigkeiten infolge Krankheit auf Basis von Kalendertagen berücksichtigt werden" würden.
In ihrem Einspruch gegen diesen Bescheid legte die Beschwerdeführerin erneut die Gründe für ihre Rechtsansicht dar, daß die Dauer des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung nach § 8 AngG nicht nach der von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse angewandten Berechnungsmethode, sondern in Arbeitstagen zu berechnen sei. Für den Krankenstand im August 1991 seien die Beiträge in voller Höhe geleistet worden, diese Dienstverhinderung sei "nicht Gegenstand des Verfahrens". Für die Dienstverhinderung am 18. September 1991 habe nur mehr ein Krankenentgelt im halben Ausmaß gebührt, weshalb am 30. September 1991 eine entsprechende Änderungsmeldung für den Beitragszeitraum September 1991 eingereicht worden sei. Die Beiträge für September seien aber ohne Beachtung dieser Meldung in voller Höhe vorgeschrieben worden. Die Beschwerdeführerin ersuche "um Aufhebung des Bescheides vom 30. September 1993 und um Herabsetzung der bisherigen Vorschreibung entsprechend der Änderungsmeldung vom 30. September 1991".
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde diesem Einspruch gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit §§ 413 Abs. 1 und 414 ASVG keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid "vollinhaltlich bestätigt", wobei der Gegenstand der Entscheidung im Rubrum mit "Berechnung der Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruches gemäß § 8 Abs. 1 AngG für Herrn V. als Vorfrage für die Feststellung der Beitragsgrundlage bzw. Beitragspflicht, Einspruch" bezeichnet wurde. Begründend wurde ausgeführt, es "interessiere" nur die näher behandelte Rechtsfrage, wie der Begriff "Woche" im Sinne des § 8 Abs. 1 AngG zu interpretieren sei. Da die Einspruchsbehörde in bezug auf die Beantwortung dieser Rechtsfrage die Ansicht der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse teile, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach Abtretung durch den Verfassungsgerichtshof von der Beschwerdeführerin ergänzte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - erwogen hat:
§ 410 Abs. 1 ASVG lautet in den hier wesentlichen Teilen:
"Der Versicherungsträger hat in Verwaltungssachen, zu deren Behandlung er nach § 409 berufen ist, einen Bescheid zu erlassen, wenn er die sich aus diesem Bundesgesetz in solchen Angelegenheiten ergebenden Rechte und Pflichten von Versicherten und von deren Dienstgebern oder die gesetzliche Haftung Dritter für Sozialversicherungsbeiträge feststellt und nicht das Bescheidrecht der Versicherungsträger in diesem Bundesgesetz ausgeschlossen ist. Hienach hat der Versicherungsträger in Verwaltungssachen insbesondere Bescheide zu erlassen:
...
7. wenn der Versicherte oder der Dienstgeber die Bescheiderteilung zur Feststellung der sich für ihn aus diesem Gesetz ergebenden Rechte und Pflichten verlangt."
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin die bescheidmäßige Festsetzung der für September 1991 zu leistenden Beiträge beantragt. Ein bloßer Beitragsgrundlagenbescheid war unter diesen Umständen nicht zulässig (vgl. dazu das Erkenntnis vom 19. März 1987, Zl. 86/08/0239, unter Hinweis auf die Erkenntnisse vom 13. Dezember 1984, Zl. 83/08/0118, vom 20. Juni 1985, Zl. 85/08/0015, und vom 11. Dezember 1986, Zl. 86/08/0147; seither etwa die Erkenntnisse vom 3. Juli 1990, Zl. 88/08/0138, vom 24. März 1992, Zl. 89/08/0360, vom 17. November 1992, Zl. 92/08/0060, vom 22. Juni 1993, Zl. 92/08/0256, vom 17. Jänner 1995, Zl. 94/08/0248, und vom 23. Jänner 1996, Zl. 95/08/0262). Der erstinstanzliche Bescheid vom 30. September 1993 entsprach aber auch nicht den Anforderungen an einen Beitragsgrundlagenbescheid. Er enthielt keine betragsmäßige Feststellung der Beitragsgrundlagen für bestimmte Zeiträume, sondern "Feststellungen" darüber, wie eine bestimmte Rechtsfrage bei der Ermittlung der Beitragsgrundlagen ("Basis" der Beitragsentrichtung) für die Beitragszeiträume August und September 1991 sowie bei der "Ermittlung des Entgeltfortzahlungsanspruches" des betroffenen Dienstnehmers "in weiterer Folge" zu lösen sei. Eine derartige als Rechtsgutachten in Bescheidform zu wertende "Feststellung" bloßer Elemente der Ermittlung der Höhe der Beitragsgrundlage wäre auch dann nicht zulässig, wenn einem Beitragsgrundlagenbescheid deshalb nichts entgegenstünde, weil ein Bescheid über die Verpflichtung zur Zahlung konkreter Beiträge - anders als im vorliegenden Fall - nicht begehrt wurde (vgl. dazu das Erkenntnis vom 19. März 1987, Zl. 86/08/0239; zur Rechtswidrigkeit derartiger Einspruchsbescheide in Fällen, in denen in erster Instanz Beitragsgrundlagen festgestellt wurden, die Erkenntnisse vom 19. März 1987, Zl. 86/08/0103, und vom 20. Oktober 1992, Zl. 91/08/0110; zur Unzulässigkeit spruchmäßiger Feststellungen über einzelne Rechtsfragen in Fällen, in denen ein Beitragsbescheid zu erlassen war, etwa die Erkenntnisse vom 13. Dezember 1984, Zl. 83/08/0118, vom 20. Juni 1985, Zl. 85/08/0015, vom 21. Dezember 1993, Zl. 93/08/0120, und vom 23. Jänner 1996, Zl. 95/08/0262; in diesem Zusammenhang zu Fällen, in denen sich Einspruchsbescheide nach erstinstanzlichen Entscheidungen über ziffernmäßig bestimmte Beiträge auf Aussprüche über die Lösung einzelner Rechtsfragen beschränkten, die im Erkenntnis vom 19. März 1987, Zl. 86/08/0239, dazu zitierten Erkenntnisse und das Erkenntnis vom 20. Oktober 1992, Zl. 90/08/0024). Auf die Frage, inwieweit ein Beitragsgrundlagenbescheid für die Zeiträume vor und nach dem September 1991, auf den sich der Antrag der Beschwerdeführerin bezog, in Frage kam, braucht daher nicht eingegangen zu werden.
In Erledigung des Einspruches der Beschwerdeführerin hätte die belangte Behörde die aufgezeigte Rechtswidrigkeit wahrnehmen und gemäß § 66 Abs. 4 AVG mit der Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides vorgehen müssen.
Durch die Verabsäumung dieser Vorgangsweise hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Auf den Ersatz der entrichteten Stempelgebühren besteht im Hinblick auf § 110 Abs. 1 ASVG kein Anspruch.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995080005.X00Im RIS seit
20.11.2000