TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/12 G314 2237593-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.01.2021
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Entscheidungsdatum

12.01.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
FPG §76
VwGVG §29 Abs5

Spruch


G314 2237593-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der rumänischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .10.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)       

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)       

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Am XXXX .02.2019 beantragte die Beschwerdeführerin (BF) bei dem durch die XXXX vertretenen Landeshauptmann XXXX die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung als Selbständige. Über diesen Antrag wurde bislang noch nicht entschieden.

Mit dem Schreiben vom XXXX .05.2020 informierte die XXXX das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 55 Abs 3 NAG darüber, dass bei der Beschwerdeführerin (BF) die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß § 51 NAG nicht vorlägen, und bat um Überprüfung einer möglichen Aufenthaltsbeendigung.

Mit Schreiben vom XXXX .05.2020 forderte das BFA die BF auf, sich zur beabsichtigten Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbots zu äußern und Fragen zu ihrem Aufenthalt in Österreich sowie zu ihrem Privat- und Familienleben zu beantworten.

Am XXXX .09.2020 teilte die XXXX dem BFA mit, dass die BF mittlerweile zwar krankenversichert sei, aber nach wie vor weder die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit noch ausreichender Existenzmittel nachgewiesen habe, sodass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Anmeldebescheinigung nicht vorlägen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die BF gemäß § 66 Abs 1 FPG iVm § 55 Abs 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde ihr gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Die Ausweisung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sie in Österreich nicht erwerbstätig sei und auch nicht nachgewiesen habe, dass es wahrscheinlich sei, dass sie eine Arbeit finden werde. Sie sei zwar krankenversichert, habe aber keinen Nachweis für ausreichende Existenzmittel erbracht. Sie halte sich seit weniger als fünf Jahren im Bundesgebiet auf. Das öffentliche Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens habe mehr Gewicht als ihre persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt in Österreich.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, den angefochtenen Bescheid zu beheben, in eventu eine mündliche Verhandlung durchzuführen und den Durchsetzungsaufschub zu verlängern. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Die BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass sie seit 2012 als XXXX in Österreich arbeite und an verschiedenen Orten XXXX im Rahmen einer XXXX versorgt habe. Zuletzt habe sie ihr Gewerbe aufgrund der Covid-19-Pandemie vorübergehend ruhend gestellt und im Juli 2020 wieder aufgenommen. Sie sei in Österreich krankenversichert, wohne unentgeltlich bei der betreuten Person und habe ein Einkommen von ca. EUR 1.500 pro Monat. Sie habe im Bundesgebiet nie Sozialhilfe an Anspruch genommen. Ihr komme daher ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu. Die BF sei durch ihre berufliche Tätigkeit mittlerweile in Österreich sozial verankert. Sie bemühe sich, Deutsch zu lernen, und sei unbescholten. Die Ausweisung verletze ihr Recht auf Achtung des Privatlebens iSd Art 8 EMRK. Das BFA habe die Pflicht zur amtswegigen Durchführung des Ermittlungsverfahrens verletzt, die Lebensumstände der rechtsunkundigen BF nur unzureichend ermittelt und ihr Recht auf Parteiengehör nicht gewahrt. Eine schriftliche Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme sei nicht ausreichend. Außerdem sei nicht anhand aktueller Länderfeststellungen geprüft worden, ob der BF in Rumänien eine Verletzung von Art 3 EMRK drohe. Die Beweiswürdigung sei mangelhaft. Zum Beweis für ihre selbständige Tätigkeit in Österreich und das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel beantragte die BF die Einvernahme der aktuell von ihr betreuten Person als Zeugin.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Die BF wurde am XXXX in der rumänischen Stadt XXXX geboren. Sie spricht Rumänisch. Sie hat keine signifikanten medizinischen Probleme und ist arbeitsfähig.

Seit XXXX 2012 ist die BF immer wieder im Bundesgebiet als XXXX mit einer entsprechenden Gewerbeberechtigung erwerbstätig und versorgt pflegebedürftige Personen im Rahmen einer XXXX . Während der Betreuungsverhältnisse war sie jeweils auch als gewerblich selbständig Erwerbstätige sozialversichert, und zwar vor dem aktuellen Betreuungsverhältnis zuletzt bis Ende Oktober 2018. Zwischen März und Juli 2019 absolvierte sie in Rumänien eine Ausbildung zur Krankenpflegerin.

Seit 2012 ist die BF mit Unterbrechungen an verschiedenen Adressen im Bundesgebiet mit Nebenwohnsitz gemeldet. Zwischen XXXX 2015 und XXXX 2017 bestand eine Hauptwohnsitzmeldung. Aktuell ist sie seit XXXX mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet. Seit XXXX 2019 besteht zusätzlich eine Nebenwohnsitzmeldung bei der Person, die die BF aktuell im Rahmen einer XXXX versorgt.

Im Juli 2020 zeigte die BF die Wiederaufnahme ihres zuvor als ruhend gemeldeten Gewerbes an. Seither ist sie auch wieder selbständig als XXXX im Bundesgebiet erwerbstätig und sozialversichert. Für die XXXX erhält sie ca. EUR 1.500 pro Monat.

Die BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten und hat keine wesentlichen Verstöße gegen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit zu verantworten.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsaktes des BVwG.

Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsangehörigkeit der BF ergeben sich widerspruchsfrei aus dem Akteninhalt und sind insbesondere im Zentralen Melderegister (ZMR), im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) und im Versicherungsdatenauszug ersichtlich. Rumänische Sprachkenntnisse sind angesichts der Herkunft der BF und der in Rumänien absolvierten Ausbildung plausibel.

Es sind keine Hinweise auf gravierende gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit der BF aktenkundig, zumal sie in einem arbeitsfähigen Alter ist und aktuell einer regelmäßigen Erwerbsarbeit nachgeht.

Die Feststellungen zur Erwerbstätigkeit der BF und zu ihrer Gewerbeberechtigung basieren auf den Versicherungsdaten, dem Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria (GISA) und den mit der Beschwerde vorgelegten Unterlagen (Kontoauszüge, Rechnungen, Gewerberegisterauszug, Anzeige an die Gewerbebehörde vom XXXX .2020, Nachweise der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge). Das Abschlusszeugnis für die Krankenpflegerausbildung wurde ebenfalls mit der Beschwerde vorgelegt.

Da das Vorbringen der BF zu der aktuell von ihr ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit und den dabei erzielten Einkünften anhand der vorhandenen Unterlagen verifiziert werden konnte, ist die dazu beantragte Einvernahme der von ihr betreuten Person entbehrlich und kann somit unterbleiben.

Die festgestellten Wohnsitzmeldungen der BF beruhen auf dem ZMR.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF geht aus dem Strafregister hervor. Anhaltspunkte für Verstöße gegen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit sind nicht aktenkundig.

Rechtliche Beurteilung:

Als rumänische Staatsangehörige ist die BF EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG. Ihre Ausweisung setzt gemäß § 66 Abs 1 erster Satzteil FPG voraus, dass ihr aus den Gründen des § 55 Abs 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, außer sie ist auf Arbeitssuche und hat begründete Aussicht, eingestellt zu werden.

Gemäß § 51 Abs 1 Z 1 NAG sind EWR-Bürger auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind.

§ 55 NAG („Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechtes für mehr als drei Monate“) lautet:

„(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs 3 und 54 Abs 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs 2 oder § 54 Abs 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Die BF ist im Bundesgebiet seit XXXX 2020 wieder selbständig erwerbstätig, sodass die Voraussetzungen des § 51 Abs 1 Z 1 NAG erfüllt sind. Ihr kommt somit ein drei Monate übersteigendes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu, sodass ihre Ausweisung nicht zu Recht erfolgte. Dies bedingt auch die Gegenstandslosigkeit des ihr gewährten Durchsetzungsaufschubes. Beide Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids sind daher in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben.

Da im vorliegenden Fall bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit dieser Entscheidung, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen.

Schlagworte

gekürzte Ausfertigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2237593.1.00

Im RIS seit

16.04.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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