Entscheidungsdatum
15.07.2021Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W186 1412798-4/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.01.2021, Zl. 516880508 – 201036715, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
II. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
1. Vorverfahren
Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 30.03.2010 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt:
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, seine Familie sei Anhänger des „Sant Ram Rahim Singh“, sein Vater sei einer seiner Chauffeure gewesen. Im Zuge von Auseinandersetzungen sei sein Vater erschossen worden. Der „Sant“ gehöre der Kongresspartei an. Seit die Akali Dal an der Macht sei, werde der BF von der Polizei verfolgt und schikaniert, sie habe den BF mehrmals mitgenommen und verprügelt. Deshalb habe er sein Heimatland verlassen.
Am 06.04.2010 wurde der BF vor dem ehemaligen Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen, wobei er die im Zuge seiner Erstbefragung vorgebrachten Fluchtgründe bestätigte.
Mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 06.04.2010 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 30.03.2010 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien abgewiesen und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen.
Begründend wurde ausgeführt, das Vorbringen des BF sei aufgrund seiner widersprüchlichen Angaben als nicht glaubhaft zu qualifizieren, zudem würde ihm eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offenstehen.
Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 07.06.2010 in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abgewiesen.
Der BF kehrte allerdings nach Österreich zurück und stellte am 15.10.2014 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt:
Dabei gab er an, seine alten Fluchtgründe seien nicht mehr aufrecht, er habe neue Gründe: Als er im Jänner 2013 nach Indien zurückgekehrt sei, habe er begonnen, als Makler zu arbeiten. Er sei beim Kauf eines Grundstücks betrogen worden und habe 5 Millionen indische Rupien verloren. Das Geld habe er sich ausgeborgt. Als seine Gläubiger ihr Geld wieder zurückverlangt hätten, der BF jedoch kein Geld gehabt und seine Schulden nicht zurückzahlen können habe, habe der BF das Land verlassen.
Am 27.07.2016 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen, wobei er die im Zuge seiner Erstbefragung vorgebrachten Fluchtgründe bestätigte. Der BF gab allerdings an, dass er von seinen Gläubigern auch bedroht worden sei.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.08.2016 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 15.10.2014 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig ist. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Begründend wurde ausgeführt, die seitens des BF vorgebrachten Fluchtgründe seien als nicht glaubhaft zu qualifizieren.
Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.02.2017 ohne Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung als unbegründet abgewiesen.
Am 19.07.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen: Dabei wurde ihm mitgeteilt, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei. Der BF wurde zudem darüber informiert, dass er in Schubhaft genommen werde und bei der indischen Botschaft um ein Heimreisezertifikat angesucht worden sei.
Der BF stellte am Ende dieser Einvernahme einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, weshalb am selben Tag seine Einvernahme vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgte:
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, er sei ein Sikh, welche ein unabhängiges Punjab-Khalistan fordern würden. Im Jahr 2020 werde es diesbezüglich eine Wahl geben. Die Anhänger würden von der indischen Regierung als Terroristen bezeichnet. Viele Sikhs aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien seien von der Regierung ohne Grund in Haft genommen worden, weil sie diese Bewegung unterstützt hätten. Aus diesem Grund sei das Leben des BF in Gefahr.
Am 25.07.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen:
Dabei gab er an, die Fluchtgründe aus dem Vorverfahren seien aufrecht und würden noch bestehen. Er habe allerdings auch neue Fluchtgründe: Im Jahr 2020 werde in Indien entschieden, ob es in Indien ein Khalistan geben würde. Alle Personen, die vom Ausland nach Indien zurückkehren würden, würden von der Regierung verhaftet und als Terroristen bezeichnet. Am 12.08.2018 werde in Großbritannien bekannt gegeben, wann diesbezüglich die Wahlen in Indien stattfinden würden. Drei Personen seien aus Italien, Deutschland und Großbritannien nach Indien zurückgekehrt und verhaftet bzw. gefoltert worden. Wenn der BF nach Indien zurückkehre, werde er auch verhaftet, weil er für die Khalistan Bewegung sympathisiere.
Am Ende der Einvernahme wurde mittels mündlich verkündetem Bescheid hinsichtlich des BF der faktische Abschiebeschutz aufgehoben.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.11.2018 wurde festgestellt, dass der mündlich verkündete Bescheid des Bundesamtes vom 25.07.2018 rechtmäßig ist und die Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes vorliegen.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 19.05.2019 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 19.07.2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig ist. Es wurde keine Frist für eine freiwillige Ausreise gesetzt sowie gegen den BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Begründend wurde ausgeführt, es habe kein neuer entscheidungserheblicher Sachverhalt festgestellt werden können.
Gegen diesen Bescheid wurde kein Rechtsmittel erhoben, weshalb er am 07.06.2019 in Rechtskraft erwuchs.
2. Gegenständliches Verfahren
Der BF kehrte trotz aufrechtem Einreiseverbot erneut nach Österreich zurück und stellte am 21.10.2020 einen weiteren Folgeantrag auf internationalen Schutz. Am folgenden Tag wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt:
Dabei gab der BF an, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht bleiben würden. Letztes Jahr habe sein Cousin väterlicherseits auf Facebook einen Beitrag, in dem es um die Khalistan Bewegung ging, mit „Hoch lebe Khalistan“ kommentiert. Daraufhin sei die Polizei zu ihm nach Hause gekommen und habe gefragt, wo sich der BF befinde. Sein Cousin sei beschuldigt worden, eine Frau belästigt zu haben, weshalb er von der Polizei mitgenommen worden, in Untersuchungshaft gebracht und gefoltert worden sei. Der BF werde gesucht, weil er ebenfalls für die Khalistan Bewegung sympathisiere und diese Ansicht in Beiträgen und Posts kundtue.
Am 09.12.2020 wurde der BF vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen, wobei er jedoch das fluchtauslösende Ereignis deutlich anders darstellte:
Der BF gab an, dass sich sein Cousin für eine Partei namens „Sikh für Justice“ anmelden habe wollen, die in Indien verboten sei. Die Polizei habe von dieser Anmeldung erfahren und den Bruder des BF festgenommen. Der Cousin habe dann bei der Polizei den Namen des BF angegeben. Die Medien hätten davon erfahren und den Cousin freigelassen. Die Polizei wisse, dass der BF seinen Cousin zur Anmeldung angestiftet habe, weshalb sie ihn suchen würde. Es gebe sogar im Internet eine Seite, wo man dies sehen könnte. Anschließend gab der BF nochmals explizit an, dass er seine Fluchtgründe aus dem Vorverfahren aufrecht halte.
Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes vom 07.01.2021 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 21.10.2020 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Zudem wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde ausgeführt, der BF habe keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen vorgebracht bzw. würde das Vorbringen aufgrund massiver Ungereimtheiten keinen „glaubhaften Kern“ aufweisen. Auch der Verwaltungsgerichtshof gehe davon aus, dass ein später gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden könne.
Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 21.01.2021 fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde, in welcher im Wesentlichen unrichtige Feststellungen, die Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurden: Eine inhaltliche Prüfung des Fluchtvorbringens des BF hätte nicht unterbleiben dürfen. Der bloße Verweis darauf, dass der BF seine Fluchtgründe schon im Vorverfahren angeben hätte müssen, könne nicht ausreichend sein, den vorliegenden Asylantrag ohne Prüfung abzulehnen. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, warum das Bundesamt davon ausgehe, das Fluchtvorbringen würde keinen „glaubhaften Kern“ aufweisen. Weiters habe der BF jeglichen familiären und sozialen Bezug zu Indien verloren, weshalb eine Rückkehr unzulässig sei.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in der Beschwerde auch eine unrichtige Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen Österreichs und dem Recht des BF auf Familien- bzw. Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK sowie die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gerügt wurde, obwohl der verfahrensgegenständliche Bescheid keine entsprechenden Spruchpunkte beinhaltet.
Am 26.01.2021 wurde die Beschwerde inklusive der mit ihr in Bezug stehenden Verwaltungsakte dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen und Beweiswürdigung
Die unter Punkt I. als Verfahrensgang dargelegten Ausführungen werden als Feststellungen der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt. Diese ergeben sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt.
2. Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchteil A) Abweisung der Beschwerde
2.1. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 leg.cit. findet.
Da das Bundesamt mit dem angefochtenen Bescheid den Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz zurückgewiesen hat, ist Gegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0198, mwN).
Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht entweder im Falle des Vorliegens entschiedener Sache das Rechtsmittel abzuweisen oder im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung den zurückweisenden Bescheid aufzuheben, wodurch eine neuerliche Zurückweisung des Antrages in Bindung an die Auffassung des Verwaltungsgerichtes wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG jedenfalls unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt.
Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Bestimmung (z. B. VwGH 25.04.2007, 2004/20/0100; 30.6.2005, 2005/18/0197; 25.4.2002, 2000/07/0235) liegen verschiedene "Sachen" im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. In Bezug auf wiederholte Asylanträge muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann.
Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Asylwerbers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinanderzusetzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. Eine neue Sachentscheidung ist aber nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes, sondern, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben, ausgeschlossen.
Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (vgl. VwGH 25. 4. 2002, 2000/07/0235; VwGH 15. 10. 1999, 96/21/0097; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 83 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur). Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben (nochmals) zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. VwGH 25. 4. 2002, 2000/07/0235; VwGH 15. 10. 1999, 96/21/0097). Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 9. 9. 1999, 97/21/0913; und die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 90 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).
Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken“ behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).
Ein Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise – für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status – auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrags nach dem Asylgesetz 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).
Das Bundesamt ist zu Recht vom Vorliegen der „Identität der Sache“ ausgegangen, da der BF sich einerseits in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt vom 09.12.2020 explizit auf seine Fluchtgründe aus dem Vorverfahren stützt, über die bereits rechtskräftig negativ abgesprochen worden ist. Andererseits weisen die im Zuge dieser Einvernahme getätigten sonstigen Fluchtgründe des BF keinen glaubhaften Kern auf, weshalb eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages unterbleiben konnte. In diesem Zusammenhang kann der Ansicht des Bundesamtes gefolgt werden, wonach aufgrund der eklatanten Widersprüche zwischen den Angaben des BF im Zuge seiner Erstbefragung vom 22.10.2020 und seinen Angaben im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 09.12.2020 von einem gesteigerten und somit nicht glaubhaften Fluchtvorbringen auszugehen sei. An dieser Stelle sei erwähnt, dass der BF im gegenständlichen Verfahren bereits seinen vierten Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dieser Umstand wirkt sich erheblich auf die persönliche Glaubwürdigkeit des BF aus, zumal sämtlichen bisherigen Anträgen auf internationalen Schutz in der Vergangenheit nicht Folge gegeben wurde. Aus diesem Grund liegen keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen vor, die zu einer inhaltlich anderslautenden Entscheidung führen könnten.
Im gesamten Verfahren gibt es zudem keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine maßgebliche Änderung der Sachlage in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eingetreten ist. Der in der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 07.01.2021 vorgebrachten Ansicht, wonach der BF jeglichen familiären und sozialen Bezug zu Indien verloren habe, weshalb eine Rückkehr unzulässig sei, kann keinesfalls gefolgt werden.
Zusammengefasst ist das Bundesamt somit zu Recht vom Vorliegen der „Identität der Sache“ ausgegangen, weil das Vorbringen keine neuen entscheidungsrelevanten Tatsachen sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aufzuzeigen vermag. Der in der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 07.01.2021 vorgebrachten Ansicht, wonach die Zurückweisung des Antrags zu Unrecht erfolgt sei, kann somit keinesfalls gefolgt werden.
Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides war daher im Ergebnis als unbegründet abzuweisen.
2.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides
Vorab ist festzuhalten, dass das Bundesamt im vorliegenden Fall gemäß § 59 Abs. 5 FPG zutreffend keine neuerliche Rückkehrentscheidung erließ, weil gegenüber dem BF mit Bescheid des Bundesamtes vom 19.05.2019 nicht nur eine Rückkehrentscheidung, sondern auch ein damit verbundenes Einreiseverbot in der Dauer von drei Jahren erlassen worden war: Sofern nämlich eine mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung besteht, bedarf es in einer nachfolgenden Verfahrenshandlung nach dem AsylG 2005 – wie hier im Rahmen eines weiteren Folgeantrags – keiner neuerlichen Rückkehrentscheidung, wenn keine Änderung des für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbots relevanten Sachverhaltes vorliegt (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082; auf diese Entscheidung wird im Folgenden noch näher einzugehen sein).
Gemäß § 57 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt (Z 1), zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).
Gemäß § 58 Abs. 1 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,
4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder
5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
Eine Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gem. § 57 AsylG 2005 ist im Falle des BF ausgeschlossen. Es sind im gesamten Verfahren weder Umstände hervorgebracht worden, die eine Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels rechtfertigen würden, noch sind derartige Umstände amtswegig hervorgetreten.
Allerdings hätte das Bundesamt eine amtswegige Prüfung eines Aufenthaltstitels gem. § 57 AsylG 2005 nicht vornehmen dürfen, da der vierte Antrag des BF auf internationalen Schutz nicht abgewiesen, sondern zurückgewiesen worden ist, weshalb die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Z 2 nicht erfüllt sind. Da die Beschwerde auch gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gerichtet ist, hat das Bundesverwaltungsgericht darüber abzusprechen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber die amtswegige Prüfung der Erteilung des Aufenthaltstitels erkennbar der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorgeschaltet wissen will. Da in der vorliegenden Fallkonstellation keine Rückkehrentscheidung erfolgt, steht die amtswegige Prüfung der Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ anlasslos im Raum. Dieses Ergebnis scheint insbesondere deshalb systemwidrig, weil ein Fremder einen Aufenthaltstitel nach § 57 Abs. 1 AsylG 2005 auch selbst beantragen kann, die amtswegige Prüfung also gar nicht erforderlich scheint.
Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides war daher im Ergebnis ersatzlos zu beheben.
2.3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Beschwerdeverhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Nach Abs. 4 leg.cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts Anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in Bezug auf § 41 Abs. 7 AsylG 2005 in der Fassung bis 31.12.2013 unter Berücksichtigung des Art. 47 iVm. Art. 52 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union (im Folgenden: GRC) ausgesprochen, dass das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde erklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC steht, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde. Hat die beschwerdeführende Partei hingegen bestimmte Umstände oder Fragen bereits vor der belangten Behörde releviert oder sind solche erst nachträglich bekannt geworden, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich, wenn die von der beschwerdeführenden Partei bereits im Verwaltungsverfahren oder in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen - allenfalls mit ergänzenden Erhebungen - nicht aus den Verwaltungsakten beantwortet werden können, und insbesondere, wenn der Sachverhalt zu ergänzen oder die Beweiswürdigung mangelhaft ist (VfGH 14.03.2012, U 466/11-18, U 1836/11-13).
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des VfGH vom 12.03.2012, Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, sind im gegenständlichen Fall erfüllt, zumal in der Beschwerde der Beurteilung durch den angefochtenen Bescheid auch nichts Konkretes entgegengehalten wird, womit der erste Tatbestand des § 21 Abs. 7 BFA-VG erfüllt ist.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchteil B) Zulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
In diesem Sinne kommt im gegenständlichen Fall der Frage der Auslegung des § 58 Abs. 1 AsylG 2005 grundsätzliche Bedeutung zu: So ist – soweit ersichtlich – durch den Verwaltungsgerichtshof bislang nicht geklärt, ob eine amtswegige Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Abs. 1 AsylG 2005 auch dann zu erfolgen hat, wenn ein Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird und keine neuerliche Rückkehrentscheidung zu erlassen ist.
Das Bundesverwaltungsgericht verneint dies in der vorliegenden Entscheidung unter Bezugnahme auf den Wortlaut des § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 und der erkennbaren Intention des Gesetzgebers, die amtswegige Prüfung der Erteilung des Aufenthaltstitels vor der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorzunehmen, welche im konkreten Fall jedoch aufgrund des aufrechten Einreiseverbotes gegen den BF zu Recht nicht vorgenommen worden ist.
Schlagworte
Amtswegigkeit Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Folgeantrag Identität der Sache Prozesshindernis der entschiedenen Sache res iudicata Revision zulässig RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W186.1412798.4.00Im RIS seit
29.10.2021Zuletzt aktualisiert am
29.10.2021