TE Bvwg Beschluss 2021/9/22 W141 2243412-2

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Veröffentlicht am 22.09.2021
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Entscheidungsdatum

22.09.2021

Norm

AlVG §7
AVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §17
VwGVG §32

Spruch


W141 2243412-2/3Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Rebecca FIGL-GATTINGER und
Josef HERMANN, als Beisitzer über den Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 30.06.2021 abgeschlossenen Verfahrens des XXXX , geboren am XXXX , VN XXXX , vom 17.08.2021 und über die Beschwerde gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Huttengasse vom 11.03.2021, beschlossen:

A)

I. Dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 17.08.2021 wird stattgegeben.

II. Das Verfahren wird gemäß § 38 AVG iVm § 17 VwGVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Wien betreffend Entziehung eines Aufenthaltstitels zur Zahl XXXX ausgesetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice (AMS) Wien Huttengasse (in der Folge belangte Behörde genannt) vom 11.03.2021 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes vom 03.03.2021 gemäß § 7 AlVG mangels Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt keine Folge gegeben.

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer derzeit über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfüge und daher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe.

2. Gegen den Bescheid vom 11.03.2021 richtete sich die am 02.04.2021 bei der belangten Behörde eingelangte Beschwerde des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer führt begründend an, er sei syrischer Staatsangehöriger und habe für den in Brüssel ansässigen XXXX der XXXX gearbeitet und sei zuletzt in Besitz einer Rot-weiß-rot Karte gewesen. Dem Beschwerdeführer sei die – von der belangten Behörde – genehmigte Aufsplittung der Gehaltszahlung durch das Mutterunternehmen in Syrien und die in Belgien angesiedelte Tochterfirma vorgehalten worden und der Titel wegen behauptetem Nichtantritt der genehmigten Beschäftigung entzogen worden. Das Verfahren gegen die Aberkennung des Aufenthaltstitels sei beim Verwaltungsgerichtshof anhängig.

Der Beschwerdeführer führt weiters aus, die Tätigkeit für die Repräsentanz eines Luftverkehrsunternehmens iSd Warschauer Abkommens müsse ohne weitere Bescheinigung möglich sein und stehe der Beschwerdeführer daher diesem (Teil-)arbeitsmarkt zur Verfügung.

3. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.06.2021 wurde die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer am 03.03.2021 einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt habe. Dem Beschwerdeführer sei mit Bescheid der MA 35 vom 10.04.2019, bestätigt durch das Landesverwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis, mündlich verkündet am 09.11.2020, schriftlich ausgefertigt am 02.02.2021 der Aufenthaltstitel entzogen worden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe der Beschwerdeführer sohin über keinen Aufenthaltstitel in Österreich verfügt und sei daher der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden.

4. Am 20.08.2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ein.

Begründend wurde ausgeführt, die Grundlage der Abweisung der Beschwerde sei der Verlust des Aufenthaltsrechtes gewesen, das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes zur Aberkennung des Aufenthaltstitels sei vom Verwaltungsgerichtshof behoben worden und sei das Beschwerdeverfahren sohin wieder anhängig. Die Wiederaufnahmegründe des
§ 32 Abs. 1 Z 2 und Z 3 VwGVG seien sohin erfüllt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus.

1. Feststellungen (entscheidungswesentlicher Sachverhalt):

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.06.2021 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 11.03.2021 als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer am 03.03.2021 einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt habe. Dem Beschwerdeführer sei mit Bescheid der MA 35 vom 10.04.2019, bestätigt durch das Landesverwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis, mündlich verkündet am 09.11.2020, schriftlich ausgefertigt am 02.02.2021, der Aufenthaltstitel entzogen worden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe der Beschwerdeführer sohin über keinen Aufenthaltstitel in Österreich verfügt und sei daher der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden.

Das Erkenntnis des Landesverwaltungsgericht Wien, mündlich verkündet am 09.11.2020, schriftlich ausgefertigt am 02.02.2021, Zl. XXXX , betreffend Entziehung eines Aufenthaltstitels wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.07.2021, Ra 2021/22/0095, sohin nach Erlass des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes, infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, da das Landesverwaltungsgericht trotz Antrag auf Vollausfertigung der Entscheidung das Erkenntnis in gekürzter Form ausgefertigt habe. Eine nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof sei daher nicht möglich.

Die im oben angeführten Beschwerdeverfahren bestehende Vorfrage, ob der Wiederaufnahmewerber zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Arbeitslosengeld über einen aufrechten Aufenthaltstitel in Österreich verfügte und damit der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand, ist aufgrund der Behebung des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes durch den Verwaltungsgerichtshof nicht als abschließend geklärt anzusehen.

Ein Wiederaufnahmegrund liegt daher vor.

Das Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht betreffend Entzug des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte- sonstige Schlüsselkräfte“ ist daher noch nicht abgeschlossen.

Der Beschwerdeführer hat zudem beim Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, am 04.05.2020 einen Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte- sonstige Schlüsselkräfte“ gestellt. Das Verfahren ist ebenfalls noch nicht abgeschlossen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt, insbesondere dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.06.2021, dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshof vom 27.07.2021, Ra 2021/22/0095, und den eigenen Angaben des Wiederaufnahmewerbers.

Dass die Vorfrage, ob der Wiederaufnahmewerber zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Arbeitslosengeld über einen aufrechten Aufenthaltstitel in Österreich verfügte und damit der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand, aufgrund der Behebung der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes, mündlich verkündet am 09.11.2020, schriftlich ausgefertigt am 02.02.2021, Zl. XXXX , nicht abschließend geklärt ist, steht aufgrund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.07.2021, Ra 2021/22/0095 fest.

Die Feststellungen zu den offenen Verfahren stehen aufgrund der Aktenlage unstrittig fest.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Die entsprechende Anordnung einer Senatszuständigkeit enthält § 56 Abs. 2 AlVG, wonach das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat entscheidet, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer.

Gemäß § 7 BVwGG bestehen die Senate aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Ist in Materiengesetzen die Mitwirkung fachkundiger Laienrichter an der Rechtsprechung vorgesehen, sind diese anstelle der Mitglieder nach Maßgabe der Geschäftsverteilung als Beisitzer heranzuziehen.

Die Anordnung einer Senatszuständigkeit enthält § 56 Abs. 2 AlVG, wonach das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat entscheidet, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer.

Gemäß § 9 Abs. 1 BVwGG leitet und führt der Vorsitzende eines Senates das Verfahren bis zur Verhandlung. Die dabei erforderlichen Beschlüsse bedürfen keines Senatsbeschlusses.

In der gegenständlichen Rechtssache obliegt somit die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Senat.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg. cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren, angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 32 Abs. 2 ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.

Das Bundesverwaltungsgericht hat folglich mit Beschluss zu entscheiden.

Hinsichtlich der Beschlüsse (§ 31 VwGVG) ist zwischen verfahrensleitenden und nicht-verfahrensleitenden Beschlüssen zu differenzieren. Verfahrensleitende Beschlüsse kann der Vorsitzende alleine fassen, sofern sie nicht auch verfahrensbeendend sind. Darüber hinaus kann der Vorsitzende auch nicht-verfahrensleitende Beschlüsse, die nicht-verfahrensbeendende Beschlüsse sind, alleine fassen (vgl. Fister/Fuchs/Sachs Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 9 BVwGG, Anm. 3).

Zu A):

1. Entscheidung in der Sache:

I. Zum Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens:

§ 32 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet:

㤠32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder

4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Vorheriger Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.“

Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens ist, dass die das seinerzeitige Verfahren abschließende Entscheidung mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr anfechtbar, also formell rechtskräftig ist. Die Zulässigkeit und auch die Erhebung von Rechtsmitteln bei den Höchstgerichten hindern, selbst wenn der Beschwerde oder der Revision aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, nicht den Eintritt der formellen Rechtskraft (VwGH 16.09.1980, 1079/79; 23.02.2012, 2010/07/0067; 28.02.2012, 2012/05/0026).

Voraussetzung für die Stattgabe des Wiederaufnahmeantrags nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG 2014 ist insbesondere, dass die neuen Tatsachen oder Beweismittel ohne Verschulden der Partei nicht schon im wiederaufzunehmenden Verfahren geltend gemacht werden konnten (vgl. VwGH 10.11.2020, Ra 2020/01/0195, mwN). Hat die Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht, obwohl ihr dies bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit möglich gewesen wäre, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (vgl. VwGH 1.7.2020, Ra 2017/06/0102; 24.6.2015, 2012/10/0243; jeweils mwN; VwGH 05.02.2021, Ra 2020/19/0432).

Der Wiederaufnahmewerber hat den Grund, auf den sich das Wiederaufnahmebegehren stützt, in seinem Antrag aus eigenem Antrieb konkretisiert und schlüssig darzulegen. Sein Antrag kann nur dann zur Wiederaufnahme führen, wenn er Tatsachen vorbringt, auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft, dass sie im wiederaufzunehmenden Verfahren zu einem anderen Bescheid geführt hätten (vgl. zu § 69 Abs. 1 Z 2 AVG VwGH 19.2.2014, 2013/08/0275; 26.4.2013, 2011/11/0051, mwN; zur Übertragbarkeit der zu § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergangenen Judikatur auf den wortgleichen § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG siehe VwGH 8.9.2015, Ra 2014/18/0089: VwGH 22.10.2020, Ra 2018/11/0126).

Im Zeitpunkt des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.06.2021 ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Arbeitslosengeld am 03.03.2021 über keinen aufrechten Aufenthaltstitel in Österreich verfügte. Es ging davon aus, dass dem Beschwerdeführer mit Bescheid der MA 35 vom 10.04.2019, bestätigt vom Landesverwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis, mündlich verkündet am 09.11.2020, schriftlich ausgefertigt am 02.02.2021, Zl. XXXX , der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte- sonstige Schlüsselkräfte“ entzogen wurde. Das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes war bereits materiell rechtskräftig.

Mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 20.08.2021 legte der Beschwerdeführer das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.07.2021,
Ra 2021/22/0095, vor, mit dem das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Wien, mündlich verkündet am 09.11.2020, schriftlich ausgefertigt am 02.02.2021, Zl. XXXX , aufgehoben wurde. Dieses Erkenntnis wurde erst nach Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes erlassen.

Der Antrag auf Wiederaufnahme wurde auch rechtzeitig innerhalb von zwei Wochen beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht.

Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses gemäß Abs. 2 die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bzw. Beschlusses befunden hat. Durch die Aufhebung der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Wien, mündlich verkündet am 09.11.2020, schriftlich ausgefertigt am 02.02.2021, Zl. XXXX , wurde der Entzug des Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte- sonstige Schlüsselkräfte“ rückwirkend beseitigt.

Auf Grund dieses rückwirkenden Außerkrafttretens des Entzuges des Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte- sonstige Schlüsselkräfte“ war bei der Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag davon auszugehen, dass im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses vom 30.06.2021 der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte- sonstige Schlüsselkräfte“ nicht rechtskräftig entzogen war.

Die Rechtstatsache des Nichtbestehens eines Entzuges des Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte- sonstige Schlüsselkräfte“ ist "neu" im Sinne des § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG, weil sie dem im wiederaufzunehmenden Verfahren ergangenen Erkenntnis nicht zu Grunde gelegt wurde. Im Hinblick auf die Rückwirkung des Entzuges des Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte- sonstige Schlüsselkräfte“ ist diese Rechtstatsache auch nicht als "neu entstanden", sondern als "neu hervorgekommen" anzusehen, weil davon auszugehen ist, dass der außerkraftgetretene Entzug des Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte- sonstige Schlüsselkräfte“ aufgrund der rückwirkenden Beseitigung durch den Verwaltungsgerichtshof auch im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgericht vom 30.06.2021 keinen Bestand hatte (vgl. VwGH vom 24.11.2000, Zl. 2000/19/0100).

Im Ergebnis war dem Antrag auf Wiederaufnahme somit stattzugeben.

II. Zur Aussetzung des Verfahrens:

Gemäß § 38 AVG iVm § 17 VwGVG ist die Behörde (das Verwaltungsgericht), sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid (ihrer Entscheidung) zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

Im Fall der Anhängigkeit eines Verfahrens über die Vorfrage, steht es im Ermessen der Behörde, das Verfahren zu unterbrechen oder selbst die Vorfrage zu beurteilen. § 38 AVG regelt nun nicht im Einzelnen, unter welchen Voraussetzungen die Behörde die Vorfrage selbst zu beurteilen hat oder von der Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens Gebrauch machen kann. Sie ist aber deswegen nicht völlig ungebunden. Ihre Entscheidung kann nämlich in der Richtung hin auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden, ob sie diese Entscheidung im Sinne des Gesetzes getroffen hat. Die Überlegungen, von denen sie sich dabei leiten lassen muss, werden vornehmlich solche der Verfahrensökonomie sein (vgl. etwa die bei Hengstschläger/Leeb, AVG, zu § 38 Rz 59 f genannten weiteren Kriterien der möglichsten Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis, der Erzielung möglichst richtiger und einheitlicher Entscheidungen samt Vermeidung von Wiederaufnahmen; demgegenüber das Postulat der möglichst raschen Beendigung des Verfahrens). Der Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie könnte dann nicht als vorrangig angesehen werden, wenn die Behörde ohne weiteres Ermittlungsverfahren zur selbstständigen Beurteilung der Vorfrage in der Lage gewesen wäre (VwGH 30.05.2001, 2001/11/0121, mwN; 19.12.2012, 2012/08/0212).

Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 11.03.2021 dem Antrag auf Arbeitslosengeld vom 03.03.2021 keine Folge gegeben. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer derzeit über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfüge und daher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer (u.a.) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf und arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist (§ 7 Abs. 2 AlVG). Nach § 7 Abs. 3 Z 2 AlVG kann und darf eine Person eine Beschäftigung aufnehmen, die sich (u.a.) berechtigt im Bundesgebiet aufhält, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien.

Der Beschwerdeführer war vom 21.11.2018 bis zum 01.06.2020 im Besitz eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte – sonstige Schlüsselkraft“. Der Aufenthaltstitel wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid der MA 35 vom 10.04.2019, bestätigt vom Landesverwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis, mündlich verkündet am 09.11.2020, schriftlich ausgefertigt am 02.02.2021, Zl. XXXX , entzogen. Dagegen wurde das Rechtsmittel der Revision erhoben.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.07.2021, Ra 2021/22/0095, wurde das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Dieses Verfahren ist somit noch nicht rechtskräftig entschieden.

Darüber hinaus stellte der Beschwerdeführer zwar am 04.05.2020 einen Antrag auf Ausstellung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“, doch wurde diesem Antrag noch nicht Folge gegeben.

Ob der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung am 03.03.2021 über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt, stellt somit eine wesentliche Vorfrage im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dar (vgl. VwGH vom 30.04.2002, 2002/08/0014; VwGH 14.03.2013, 2013/08/0022). Diese Vorfrage ist Gegenstand eines derzeit anhängigen Verfahrens im Sinne des § 38 AVG beim Landesverwaltungsgericht Wien, weshalb das gegenständliche Verfahren spruchgemäß ausgesetzt wird.

Die Verfahrensparteien sind im Lichte ihrer Mitwirkungspflicht gehalten, dem Bundesverwaltungsgericht nach rechtskräftigem Abschluss des obgenannten anhängigen Verfahrens dessen Ergebnis unverzüglich mitzuteilen.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.  

Schlagworte

Arbeitslosengeld Aufenthaltstitel Aussetzung rückwirkende Rechtsgestaltung Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt Vorfrage Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W141.2243412.2.00

Im RIS seit

27.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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