TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/19 95/06/0034

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Veröffentlicht am 19.12.1996
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Index

L37158 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Vorarlberg;
L81708 Baulärm Vorarlberg;
L82000 Bauordnung;
L82008 Bauordnung Vorarlberg;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §58 Abs2;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs9;
BauRallg;
B-VG Art130 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der

U in H, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 21. Dezember 1994, Zl. I-2-13/1993, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. Werner R,

2. Marianne R, beide in H, und 3. Marktgemeinde H, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.340,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

Mit Eingabe vom 17. September 1992 suchten die erst- und die zweitmitbeteiligte Partei um die baubehördliche Genehmigung zur Errichtung einer Wohnanlage auf dem Grundstück Nr. 258 in H an. Das Projekt umfaßt den Ausbau des bestehenden Stadels sowie der ehemaligen Schreinerei zum Zwecke der Errichtung von 4 Wohnungen mit den dazugehörigen Ab- und Einstellplätzen für Autos. Die dem Grundstück der Beschwerdeführerin zugekehrte Fassade soll in gleichem Abstand wie die bestehende Stadelwand errichtet werden. Im Süden der Anlage ist die Errichtung einer Veranda im 1. und 2. Obergeschoß geplant; mit dieser Veranda wird die bisherige Ausdehnung des Altbestandes überschritten.

Im Rahmen der mündlichen Ortsaugenscheinsverhandlung brachte die Beschwerdeführerin, welche Eigentümerin des unmittelbar angrenzenden Grundstückes Gp. Nr. 257, KG H, ist, vor, daß die im Baugesetz vorgesehenen Mindestabstände eingehalten werden müßten. Darüber hinaus müsse von der Baubehörde die rechtliche Zulässigkeit der an der Grundgrenze errichteten Stahlsäulen überprüft werden.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der drittmitbeteiligten Marktgemeinde wurde der erst- und zweitmitbeteiligten Partei gemäß den §§ 31 und 32 Vorarlberger Baugesetz die Bewilligung zur Errichtung der Wohnanlage erteilt. Bezugnehmend auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin führte die Behörde in ihrer Begründung aus, daß gemäß § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz bei einer Änderung der Verwendung lediglich die allenfalls aus dieser Änderung resultierenden Beeinträchtigungen hinsichtlich des Brandschutzes und der Gesundheit geprüft werden müßten. Beeinträchtigungen der Gesundheit könnten bei einer Nutzung als Wohngebäude ausgeschlossen werden. Beeinträchtigungen hinsichtlich des Brandschutzes seien durch ein brandtechnisches Gutachten im konkreten Fall ausgeschlossen worden, vielmehr trete gegenüber der derzeitigen Situation eine Verbesserung ein.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, daß die Stahlsäulen bzw. Stahlträger innerhalb der gesetzlichen Abstandsflächen nicht toleriert werden könnten und die Abstandsfrage völlig neu beurteilt werden müsse. Die erstinstanzliche Behörde gehe zu Unrecht davon aus, daß die Frage der Abstandsnachsicht nur in den Punkten Brandschutz und Gesundheitsgefährdung geprüft werden müsse. Im konkreten Fall werde der bestehende alte Bretterschirm zur Gänze durch eine gemauerte Wand ersetzt, ebenso würden die Fenster völlig verändert. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz seien nicht erfüllt, da es sich um keine "zweckmäßige Bebauung", sondern vielmehr um eine unzulässige Übernutzung des Baugrundstückes handle. Derselbe Zweck könne auch unter Einhaltung der Abstandsvorschriften erreicht werden. Es seien sowohl die Stahlsäulen und Stahlträger sowie das Gebäude selbst im Lichte des § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz zu beurteilen.

Mit Bescheid der Berufungskommission der drittmitbeteiligten Partei vom 10. März 1993 wurde der erstinstanzliche Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Baubehörde erster Instanz zurückverwiesen, weil die Bewilligung ohne die - nach Ansicht der Berufungskommission erforderliche - Abstandsnachsicht erteilt worden war. Es handle sich bei den Stahlsäulen an der Grenze und den daran befestigten Stahlträgern um Teile des Bauwerkes. Hiefür habe der Abstand zwei Meter zu betragen. Die erst- und zweitmitbeteiligte Partei änderten daraufhin den Antrag unter Vorlage neuer Pläne, denen zufolge der ehemalige Stadel anstelle der projektierten Säulen nunmehr mittels eines Stahlträgers an den Gebäudeaußenkanten abgestützt werden sollte.

Der Bürgermeister der drittmitbeteiligten Marktgemeinde genehmigte sodann mit Bescheid vom 31. März 1993 gemäß § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz die erforderliche Ausnahme von den gesetzlichen Abständen und Abstandsflächen gegenüber den an das Baugrundstück angrenzenden Liegenschaften der Beschwerdeführerin Gp Nr. 259/2 und 257, KG H, hinsichtlich der Änderung der Verwendung des Gebäudes von Schreinerei in ein Wohngebäude. Darüber hinaus wurde neuerlich die Baubewilligung gemäß den §§ 31 und 32 Vorarlberger Baugesetz erteilt. Gemäß § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz sei für die Änderung der Verwendung von Gebäuden (offenbar gemeint: für die Erteilung der Abstandsnachsicht im Falle der Genehmigung einer Verwendungsänderung) die Zustimmung des Gemeindevorstandes einzuholen, (auch) wenn für das Gebäude bereits einmal eine Abstandsnachsicht erteilt worden sei (die Zustimmung des Gemeindevorstands zur Abstandsnachsicht lag auch tatsächlich vor). Das gegenständliche Bauwerk sei mindestens 70 Jahre alt. Es könne nicht mehr festgestellt werden, ob zum Zeitpunkt der Errichtung eine Abstandsnachsicht erteilt worden sei, jedoch sei davon auszugehen. Die Erteilung einer neuerlichen Ausnahme setze voraus, daß weder Brandschutz noch Gesundheitsinteressen nachhaltig berührt werden. Da dies verneint werden könne, habe die Behörde spruchgemäß entschieden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte sich die Beschwerdeführerin gegen die von der Behörde vertretene Auffassung, es liege keine Änderung der Außenwände vor. Da es sich keineswegs um eine Verwendung der alten Mauern, sondern um eine gänzliche Neuerstellung der Fassade handle, hätte die Behörde nicht nur den zweiten Halbsatz der Bestimmung des § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz betreffend Brandschutz- und Gesundheitsinteressen zu prüfen gehabt, sondern auch das Vorliegen der im ersten Halbsatz der genannten Bestimmung angeführten Grundvoraussetzungen. Im Bescheid sei immer nur die Rede von dem Gebäude der ehemaligen Schreinerei, der Stadel bliebe unerwähnt. Unabhängig davon werde auch mit der neu projektierten Veranda der Seitenabstand nicht eingehalten.

Die Berufungskommission der drittmitbeteiligten Marktgemeinde wies die Berufung der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 24. Mai 1993 ab und "bestätigte" die in der Verhandlungsschrift zur mündlichen Verhandlung vom 16. Oktober 1992 angeführte "Beurkundung der Abrückung der Veranda auf den gesetzlichen Bauabstand". (Diese "Bestätigung" nimmt bezug auf eine Passage in der genannten Verhandlungsschrift, die wörtlich lautet: "Bei der Errichtung der verglasten Veranda an der Südseite gegen allen Anrainern einzuhalten", wobei außer dem Hilfszeitwort offenbar das Wort "Abstandsflächen" oder "Seitenabstand" oder die Worte "Abstandsflächen und Abstände" oder eine ähnliche Wendung fehlt). Die Erteilung einer Abstandsnachsicht sei daher nicht erforderlich. Der ehemalige Schreinereibetrieb umfasse den Stadel mit, in dem sich Teile dieses Betriebes (Spritzraum, Lager) befunden hätten. Die gesamte Verbauung beziehe sich auf den bisherigen Bestand, der als Einheit zu sehen sei. Insbesondere im Hinblick auf den Stadel hätten die nachbarrechtlichen Interessen des Brandschutzes und der Gesundheit zu gelten. Der Gemeindevorstand habe in Kenntnis des Umstandes, daß die gesamte Bausubstanz in die neue Verbauung miteinbezogen werde, der Erteilung der Abstandsnachsicht zugestimmt.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung machte die Beschwerdeführerin, wie schon in der Berufung, Ausführungen zur Frage der von der Behörde fälschlicherweise angenommenen "Unveränderlichkeit der Außenfassade" und forderte erneut die Prüfung der im ersten Halbsatz des § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz genannten Voraussetzungen.

Mit Bescheid vom 8. Juli 1993 hob die belangte Behörde den Berufungsbescheid auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die drittmitbeteiligte Marktgemeinde. Die Vorstellungsbehörde stimmte der Beschwerdeführerin dahingehend zu, daß eine derart beschränkte Prüfung der Abstandsfrage (Brandschutz, Gesundheit) nur dann zu erfolgen habe, wenn über eine bloße Änderung in der Verwendung des Gebäudes abzusprechen sei. Da es sich im konkreten Fall aber um einen gänzlichen Umbau des Gebäudes handle, müsse die Frage der Zulässigkeit geringerer Bauabstände "vollumfänglich" einer Prüfung unterzogen werden. Insbesondere hätte die Baubehörde zu prüfen gehabt, ob wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung von den gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zuzulassen wären. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, sei zu prüfen, ob durch die Zulassung von Ausnahmen Interessen des Brandschutzes und der Gesundheit sowie des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt würden. Durch Verkennung dieses Umstandes sei die Beschwerdeführerin in ihren Rechten verletzt worden.

Mit Bescheid vom 20. September 1994 wies die Berufungsbehörde die Berufung der Beschwerdeführerin erneut ab und sprach auch die schon im Bescheid vom 24. Mai 1993 enthaltene "Bestätigung" der Beurkundung der Abrückung der Veranda "auf" den gesetzlichen Mindestabstand neuerlich aus. Das Grundstück der Bauwerber sei 70 m lang und 13 m bis 15 m breit und daher als typisches Beispiel einer besonderen Form eines Grundstückes im Sinne des § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz anzusehen. Darüber hinaus stelle die Lage des Grundstückes zwischen Grundstücken von Dritten einen Sonderfall dar. Die bisherige Bebauung mit einem Wohn- und Betriebsgebäude und die langjährige Nutzung als Schreinereibetrieb dokumentierten die Möglichkeit einer zweckmäßigen Verbauung im Ortszentrum, wobei besonders auf die Widmung "Baufläche-Kerngebiet" hinzuweisen sei. Das Bauvorhaben sei insgesamt gesehen als wirtschaftlich und architektonisch vernünftige und gelungene Lösung anzusehen und als Verbesserung des Landschafts- und Ortsbildes zu werten. Für die Interessen des Brandschutzes und der Gesundheit gelte das bereits im gesamten Verfahren Festgestellte.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid neuerlich Vorstellung und verwies darin auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der zufolge weder die Voraussetzungen für eine Abstandsflächennachsicht aus Gründen der besonderen Form noch aus Gründen der Zweckmäßigkeit gegeben seien. Die bloße Bestätigung des Abrückens der neuen Veranda sei ungenügend, da kein geänderter Plan vorhanden wäre. Es liege eine unzulässige Übernutzung des Grundstückes vor.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 21. Dezember 1994 wies die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet ab. Betreffend die Frage der Zulässigkeit geringerer Bauabstände gemäß § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz sei die Berufungsbehörde dem Auftrag der "vollumfänglichen" Prüfung der Voraussetzungen nunmehr nachgekommen. Im Ergebnis und der Begründung ihrer Entscheidung müsse der zweitinstanzlichen Behörde gefolgt werden. Zur Lage der Veranda vertrat die belangte Behörde unter Zitierung des § 30 Abs. 1 lit. b Vorarlberger Baugesetz die Auffassung, daß keine Möglichkeit der Verletzung von Nachbarrechten durch die bloße Bestätigung, daß die Veranda auf den gesetzlichen Mindestabstand abrücke, gegeben sein könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Beschwerdeführerin erstattete eine Replik zur Gegenschrift.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes bringt die Beschwerdeführerin insbesondere vor, daß keine der drei (alternativ erforderlichen) Voraussetzungen für die Erteilung einer Abstandsnachsicht gemäß § 6 Abs. 9 erster Halbsatz Vorarlberger Baugesetz vorläge.

§ 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz lautet:

"(9) Wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung kann die Behörde mit Genehmigung des Gemeindevorstandes von den in den Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden."

Es kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen nach § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz in Fällen des Umbaues von bestehenden Gebäuden, für welche zwar der Konsens vermutet werden kann, für welche aber noch keine Abstandsnachsicht erteilt worden ist, die Erteilung einer Abstandsnachsicht erforderlich ist und auf welche Aspekte (§ 6 Abs. 9 erster oder auch zweiter Halbsatz) sich diese Prüfung zu erstrecken hat (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 1992, 92/06/0064). Aufgrund der unbekämpft gebliebenen Vorstellungsentscheidung vom 8. Juli 1993 ist insoferne eine Bindung sowohl der Gemeindebehörden als auch der Vorstellungsbehörde, aber auch des Verwaltungsgerichtshofes eingetreten, da die Auffassung, daß eine "vollumfängliche" Prüfung hinsichtlich des § 6 Abs. 9 Vlbg. BauG erforderlich sei, der tragende Grund für die Aufhebung des letztinstanzlichen Gemeindebescheides im ersten Rechtsgang vor der Vorstellungsbehörde war (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 17. Dezember 1985, Zl. 85/05/0098, sowie vom 30. August 1994, Zl. 94/05/0116).

Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid davon aus, daß die von der Gemeindebehörde zweiter Instanz gegebene Begründung für die Erteilung der Abstandsnachsicht nach der nunmehr erfolgten "vollumfänglichen" Prüfung stichhaltig sei.

Demgegenüber ist aber der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die bisherige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Zulässigkeit einer Abstandsnachsicht wegen der besonderen Form (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 10. Oktober 1991, Zl. 90/06/0126, und vom 16. März 1995, Zl. 92/06/0072) darin zu folgen, daß die Feststellung, das Baugrundstück sei wegen seiner Länge von ca. 70 m und seiner Breite von 13 m bis 15 m "ein typisches Beispiel einer besonderen Form eines Grundstückes im Sinne des § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz", allein (bzw. in Verbindung mit der ebenso kursorsischen Feststellung der angeblichen Besonderheit der Lage) keine ausreichende Begründung für die Erteilung der Nachsicht darstellt. Die belangte Behörde begründet nicht näher, wie sie zu dieser Annahme gelangt und setzt sich in keiner Weise mit den Gegebenheiten des Baugrundstückes und daraus resultierenden möglichen Bebauungsweisen auseinander. Selbst wenn man annimmt, daß der Grund für diese Beurteilung gewesen sein mag, daß es sich um ein schmales Grundstück handelt, das an seiner Längsseite an die Nachbargrundstücke grenzt und somit eine Bebauung unter Einhaltung der Abstandsflächen schwer möglich wäre, wäre eine Auseinandersetzung mit dem konkreten Bauvorhaben im Vergleich zu alternativen Bebauungsmöglichkeiten erforderlich gewesen (vgl. im Zusammenhang mit §§ 47 ff Vlbg. ROG zur Frage der Bebaubarkeit eines 13 m breiten Grundstückes das auch in der Beschwerde genannte hg. Erkenntnis vom 30. April 1992, Zl. 92/06/0002). Der bloße Hinweis im Bescheid der Gemeindebehörde auf den Umstand, daß das Bauprojekt vom städtebaulichen Standpunkt zu begrüßen sei, ist keine Begründung für die Zulässigkeit der Erteilung der Abstandsnachsicht. Daß "die dazu nur alternativ notwendig gewesene zweckmäßigere Bebauung des Grundstückes" eingehend begründet worden sei, ist einerseits sprachlich schwer verständlich und vermag andererseits nicht darüber hinwegzutäuschen, daß sich die Gemeindebehörde in der Begründung des letztinstanzlichen Gemeindebescheides nicht mit der Frage der alternativ möglichen Bebauung auseinandergesetzt hat. Auch wenn man die Formulierung dahingehend versteht, daß die Erteilung der Abstandsnachsicht schon allein wegen der Form oder Lage des Grundstückes möglich sei (und somit die dritte Variante des ersten Halbsatzes des § 6 Abs. 9 des Vlbg. Baugesetzes nicht geprüft hätte werden müssen), ist darauf hinzuweisen, daß nach der hg. Rechtsprechung nicht der Hinweis auf die besondere Form oder Lage des Grundstückes schlechthin die Erteilung der Abstandsnachsicht rechtfertigt.

§ 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz kommt nur dann zum Tragen, wenn aufgrund der Form oder Lage des Grundstückes sonst eine zweckmäßige Bebauung nicht möglich wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 10. Oktober 1991, Zl. 90/06/0126, und vom 2. Juli 1992, Zl. 91/06/0210). Der Bescheid der Berufungskommission der drittmitbeteiligten Marktgemeinde setzt sich aber mit der Frage, ob und wie eine Bebauung des Grundstückes auch anders möglich wäre, oder inwieweit etwa der dem hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 1992, Zl. 92/06/0064, zugrunde liegende Sachverhalt gegeben wäre, sodaß auch im Beschwerdefall die Abstandsnachsicht erteilt werden könnte, nicht auseinander. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes spielen bei der Frage der zweckmäßigen Bebauung zwar auch wirtschaftliche Gesichtspunkte - wie sie von der belangten Behörde als Begründung der Zulässigkeit einer Abstandsnachsicht ins Spiel gebracht werden - eine Rolle, weil jedes Grundstück nur dann als zweckmäßig bebaubar beurteilt werden kann, wenn eine wirtschaftlich vernünftige Bauführung zulässig ist, also ein entsprechend langer und breiter Baukörper unter Einhaltung der gesetzlichen Abstandsvorschriften errichtet werden kann. Nur wenn die Errichtung eines solchen Baukörpers nicht möglich wäre, könnte eine zweckmäßige Bebauung verneint werden und es wäre durch die Gewährung einer Ausnahme eine zweckmäßigere Bebauung zuzulassen. Die Ausnahmebestimmung darf aber keinesfalls so ausgelegt werden, daß zu Lasten des Nachbarn jede beliebige größere Ausnutzung des Bauplatzes zulässig wäre (vgl. wiederum die hg. Erkenntnisse vom 10. Oktober 1991, Zl. 90/06/0126, und vom 2. Juli 1992, Zl. 91/06/0210, sowie das hg. Erkenntnis vom 19. September 1991, Zl. 91/06/0118).

Es wäre daher Aufgabe der Behörde gewesen, zu prüfen, ob ein entsprechend langer und breiter Baukörper unter Einhaltung der gesetzlichen Abstandsvorschriften zulässig und möglich ist. Mit dieser Frage hat sich weder die belangte Behörde noch die Behörde erster und zweiter Instanz befaßt. Dem Vorbringen der belangten Behörde in der Gegenschrift, bei der Entscheidung, eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, dürfte zusätzlich auch die immer stärker zunehmende Problematik der Baulandknappheit mit Recht eine Rolle gespielt haben, muß entgegengehalten werden, daß Bestrebungen, vorhandene Bauflächen möglichst bodensparend für die Schaffung zusätzlichen Wohnraumes zu nützen, bei der im Ermessen der Gemeinde liegenden Erteilung einer Abstandsnachsicht für sich allein keinen Grund für die positive Ausübung des Ermessens darstellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. März 1995, Zl. 92/06/0072). Das genannte Interesse kann im Bau- und Raumordnungsrecht nur insoweit zum Tragen kommen, als dies durch die entsprechenden Vorschriften vorgesehen ist. Da das Interesse an der bodensparenden Ausnützung des Baulandes keinen ausdrücklichen Niederschlag in § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz gefunden hat, kann dieses allenfalls im Rahmen der Beurteilung, ob eine zweckmäßige Bebauung im Sinne des § 6 Abs. 9 Vlbg. Baugesetz sonst nicht möglich wäre oder ob eine zweckmäßigere Bebauung ermöglicht werden kann, in die Beurteilung miteinfließen. Dies aber nur insoweit, als bei dieser Beurteilung auch maßgeblich sein könnte, ob ansonsten eine Wohnbebauung überhaupt ausgeschlossen wäre. Solches haben aber weder die Gemeindebehörden noch die belangte Behörde festgestellt. Bei einem Projekt mit vier Wohneinheiten mit Wohnungsgrößen (im 1. Obergeschoß) von 109 m2 bzw. 94 m2 erscheint auch keinesfalls auf den ersten Blick einsichtig, daß eine andere Ausgestaltung dem Gebot der bodensparenden Verwendung des Baulandes widersprechen würde.

Der Bescheid der Berufungskommission der drittmitbeteiligten Marktgemeinde vom 20. September 1994 weist insoweit einen Begründungsmangel auf, der auch wesentlich ist. Dadurch, daß die belangte Behörde diesen Mangel nicht aufgegriffen hat, hat sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides liegt aber auch insoweit vor, als die belangte Behörde den Mangel des Spruches der Baubewilligung, die mit dem genannten Bescheid der Berufungskommission im Instanzenzug erteilt wurde, hinsichtlich der Lage der Veranda nicht aufgegriffen hat.

Wie in der Sachverhaltsdarstellung erwähnt, "bestätigte" die Gemeindebehörde eine "Beurkundung" in der Verhandlungsschrift vom 16. Oktober 1992. Abgesehen davon, daß durch diese Vorgangsweise nicht klar ist, ob damit ein bescheidmäßiger Abspruch erfolgen soll (weder eine Beurkundung, noch die Bestätigung einer Beurkundung stellen einen hoheitlichen Abspruch über Rechtsverhältnisse dar), wäre der Inhalt eines derartigen Bescheides nicht präzise genug im Hinblick, auf § 59 Abs. 1 AVG. Dies vor allem insoferne, als durch eine derartige Bewilligung (so man die Formulierung als bescheidmäßigen Abspruch deuten wollte) im vorliegenden Zusammenhang nicht klar ist, ob damit eine Abweichung von der ursprünglich (in erster Instanz mit Bescheid vom 31. März 1993) erteilten Bewilligung genehmigt werden soll, und welchen Abstand die Veranda aufgrund des Hinweises auf den "gesetzlichen Mindestabstand" tatsächlich haben soll. In dem mit dem Genehmigungsvermerk vom 31. März 1993 versehenen Einreichplan, der im Verwaltungsakt einliegt, ist ursprünglich der Abstand zur Grundgrenze nicht eingetragen; an der südwestlichen Ecke der Veranda ist (offenbar nachträglich) mit Bleistift ein Abstand von 390 cm neben einer sichtlich bewußt nicht gerade gezeichneten Linie eingetragen. Solcherart bleibt aber offen, welchen Inhalt die offenbar von den Gemeindebehörden und der belangten Behörde angenommene Bewilligung hinsichtlich der Veranda tatsächlich hat. Dies einerseits im Hinblick auf den Ablauf des Verwaltungsgeschehens, andererseits im Hinblick auf die konkrete Berechnung der Abstandsflächen nach § 6 Abs. 2 Vlbg. Baugesetz, die von mehreren Parametern abhängig ist. Es ist nicht verständlich, weshalb die Behörden nach der Einreichung neuer Pläne und der Bewilligung des Vorhabens entsprechend diesen Plänen (und der Anbringung des Genehmigungsvermerkes vom 31. März 1993 auf dem Einreichplan) hinsichtlich der Lage der Veranda eine "Beurkundung" vom 16. Oktober 1992, also aus der Zeit vor der Vorlage der neuen Pläne, "bestätigen". Im übrigen wurde der Genehmigungsvermerk auf dem Einreichplan nach dieser "Bestätigung" nicht geändert, sodaß der normative Gehalt der Bewilligung offen bleibt. Andererseits ist durch die Bezugnahme auf den "gesetzlichen Mindestabstand" keineswegs geklärt, von welchem Fußpunkt der Außenwand im Sinne des § 6 Abs. 2 Baugesetz die Behörde bei dieser Feststellung ausgeht, sodaß auch insofern (vor allem im Lichte des Vorbringens der Beschwerdeführerin zu möglichen Aufschüttungen auf dem Grundstück der erst- und zweitmitbeteiligten Partei) keine Klarheit bezüglich des Bescheidinhaltes gegeben ist. Da die belangte Behörde diesen Mangel (der - wie die belangte Behörde selbst erkannt hat - die subjektiven Rechte der Beschwerdeführerin betrifft) nicht wahrgenommen hat, hat sie ihren Bescheid auch insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde im Zusammenhang mit der Verletzung von Verfahrensvorschriften, etwa hinsichtlich des Fehlens eines Planes, aus dem die Höhe des Gebäudes zu entnehmen wäre, einzugehen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den Schriftsatzaufwand für die Replik, da der Schriftsatzaufwand nach der genannten Verordnung nur einmal zusteht, sowie die angesprochene Umsatzsteuer, die in den Pauschalsätzen der genannten Verordnung bereits enthalten ist.

Schlagworte

Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995060034.X00

Im RIS seit

27.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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