TE Vwgh Erkenntnis 1972/12/21 1267/71

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Veröffentlicht am 21.12.1972
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Index

Stempel- und Rechtsgebühren
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
32/07 Stempelgebühren Rechtsgebühren Stempelmarken
98/01 Wohnbauförderung
98/03 Wohnbaufinanzierung

Norm

BAO §21 Abs1
BWSG 1921 §19 Abs2 Satz1
BWSGDV 1925
GebG 1957 §15 Abs1
GebG 1957 §17 Abs1
GebG 1957 §17 Abs2
GebG 1957 §33 TP8
GebG 1957 §35 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dkfm. DDr. Dorazil und die Hofräte Dr. Frühwald, Dr. Schima, Dr.Reichel und Dr. Seiler als Richter, im Beisein des Schriftführers Finanzoberkommissär Dr. Leitner, über die Beschwerde der H, vertreten durch Dr. Gottfried Peloschek und Dr. Wolf-Dieter Arnold, Rechtsanwälte in Wien I, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid der FLD für Wien, NÖ und Bgld vom 26. 8. 1970 GA VIII-1583/70 betreffend Rechtsgebühr, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund (FLD für Wien, NÖ und Bgld) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 2.090,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Lt Schuldschein vom 12. 12. 1969 - von dem sich eine gerichtlich beglaubigte Ablichtung in den Verwaltungsakten befindet - bekennt die (Erste) gemeinnützige Wohnungsgesellschaft „H.... GmbH“ in Wien, von der beschwerdeführenden Partei ein Darlehen von S 100.000,-- bar und ohne jeden Abzug zugezählt erhalten zu haben. Das so beurkundete Rechtsgeschäft nahm das FA für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien zum Anlaß, um ungeachtet der von der Darlehensschuldnerin unter Berufung auf § 19 Abs 2 d BG v 15. 4. 1921 betreffenden Ausgestaltung des Staatlichen Wohnungsfürsorgefonds zu einem Bundes-Wohn- und Siedlungsfonds BGBl 252 in der geltenden Fassung (BWSG) in Anspruch genommenen Gebührenfreiheit mit Bescheid vom 6. 2. 1970 gem § 33 TP 8 des Gebührengesetzes 1957 BGBl 267 eine Rechtsgebühr festzusetzen. Gegen die Abgabenfestsetzung erhob die beschwerdeführende Partei jedoch Berufung und rügte darin, daß ihr die Abgabenbehörde I. Instanz die in Anspruch genommene Gebührenbefreiung versagt habe, obschon das in Rede stehende Darlehen der Restfinanzierung eines durch den Bundes-Wohn- und Siedlungsfonds geförderten Wohnbauvorhabens dienen werde. Abgesehen davon sei das Darlehen auch noch gar nicht zugezählt worden, wie aus den Darlehensakten der beschwerdeführenden Partei und allenfalls aus noch beizubringenden weiteren Beweismitteln erhelle. Somit sei die „Gebührenpflicht“ nicht entstanden, denn ein Darlehensvertrag komme erst durch Zuzählung der Darlehensvaluta zustande.

Dessenungeachtet hat die FLD für Wien, NÖ und Bgld als Abgabenbehörde II. Instanz die Berufung mit Bescheid vom 26. 8. 1970 als unbegründet abgewiesen und in dessen Begründung den Standpunkt eingenommen, die strittige Gebührenbefreiung sei zu versagen, weil das BWSG jedenfalls mit dem Inkrafttreten des Wohnbauförderungsgesetzes 1968 BGBl 1967/280 (WBFG 1968) am 1. 1. 1968 seine Wirksamkeit verloren habe. Wohl habe der Gesetzgeber im § 36 Abs 1 lit b Z 3 WBFG 1968 ua auch die Befreiungsvorschrift des § 19 Abs 2 BWSG aufrechterhalten, doch dürfe nicht übersehen werden, daß dies nur deswegen geschehen sei, um die Abwicklung der noch bis zum 31. 12. 1967 bewilligten Förderungsmaßnahmen nach dem BG vom 15. 4. 1921 sicherzustellen. Daraus folge, daß die Befreiungsvorschrift des § 19 Abs 2 leg cit nach dem 1. 1. 1968 nur auf jene Rechtsgeschäfte, angewendet werden könne, die noch unter Bedachtnahme auf die Förderungsbestimmungen dieses BG abgeschlossen worden seien. Nun sei - so hat die FLD in der Begründung der Berufungsentscheidung weiter ausgeführt - der im vorliegenden Schuldschein vom 12. 12. 1969 beurkundete Darlehensvertrag jedoch nicht mehr unter Bedachtnahme auf die grundsätzlichen Förderungsbestimmungen des BG vom 15. 4. 1921, also auch nicht im Rahmen der Abwicklung von nach diesem BG etwa bewilligten Förderungsmaßnahmen abgeschlossen worden; dies erhelle aus der Tatsache, daß das Darlehen eindeutig erst nach dem 1. 1. 1968 zugesagt, zugezählt und beurkundet worden sei. Für die Anwendung der Befreiungsbestimmung des § 19 Abs 2 des besagten BG sei somit kein Raum gewesen. Im übrigen habe aber auch die Befreiungsbestimmung des § 35 Abs 1 WBFG 1968 nicht angewendet werden können, weil als unmittelbar durch dieses G veranlaßt nur die in dessen § 10 aufgezählten Förderungsmaßnahmen, nicht aber Wohnbaudarlehen von dritter Seite (wie das gegenständliche) anzusehen seien.

Auf das Vorbringen in der Berufung, die „Gebührenpflicht“ (gemeint wohl Gebührenschuld) sei noch gar nicht entstanden, ist die FLD in ihrer Rechtsmittelentscheidung nicht weiter eingegangen.

Da sich die beschwerdeführende Partei durch diese Berufungsentscheidung in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf die Unverletzlichkeit des Eigentums beschwert erachtete, erhob sie dagegen gem Art 144 B-VG zunächst Beschwerde vor dem VfGH. Darin regte sie auch an, der VfGH möge gem Art 140 B-VG die Verfassungsmäßigkeit der Worte „unter den durch Verordnung festzusetzenden Voraussetzungen“ im § 19 Abs 2 BWSG und allenfalls auch gem Art 139 B-VG die Gesetzmäßigkeit der zur Durchführung dieser Gesetzesstelle erlassenen V v 2. 7. 1925 BGBl 210 von Amts wegen prüfen.

In der Tat nahm der VfGH - neben anderen - auch die vorliegende Beschwerde zum Anlaß eines Gesetzesprüfungsverfahrens und hob schließlich mit Erk v 16. 3. 1971 G 33/70, den ersten Satz im § 19 Abs 2 BWSG als verfassungswidrig auf (vgl hiezu die Kundmachung des BK v 12. 5. 1971 BGBl 174). Die aufgehobene Gesetzesstelle hatte folgenden Wortlaut:

„Unter den durch Verordnung festzusetzenden Voraussetzungen kommt den Rechtsgeschäften, die zu den im § 4 des Gesetzes vom 22. Dezember 1910, RGBl. Nr. 242, bezeichneten Zwecken oder zum Zwecke der Errichtung von Wohn- oder Kleinwirtschaftssiedlungen abgeschlossen werden, sowie den aus diesem Anlasse erforderlichen Urkunden und grundbücherlichen Eintragungen die Befreiung von den Stempel- und Rechtsgebühren zu und sind die im Eigentum eines Selbstverwaltungskörpers, einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder Anstalt oder einer gemeinnützigen Bauvereinigung (§ 12 des Gesetzes vom 22. Dezember 1910, RGBl. Nr. 242) stehenden Gebäude, welche den angeführten Zwecken dienen, vom Gebührenäquivalent befreit.“

In der Begründung seines Erk vom 16. 3. 1971 führte der VfGH ferner noch aus, daß die zur Durchführung des § 19 Abs 2 erster Satz BWSG erlassene V BGBl 1925/210 (idF d V BGBl 1926/40) seit dem 1. 4. 1939 nicht mehr dem geltenden Recht angehöre.

Im fortgesetzten Verfahren hat der VfGH schließlich die vorliegende Beschwerde mit Erk vom 15. 6. 1971 als unbegründet abgewiesen, sie jedoch zur Entscheidung darüber, ob die beschwerdeführende Partei durch den Bescheid vom 26. 8. 1970 in einem sonstigen Recht verletzt worden sei, antragsgem an den VwGH abgetreten.

Der VwGH hat über die von der beschwerdeführenden Partei mit Schriftsatz vom 31. 8. 1971 ergänzte, wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts erhobene Beschwerde erwogen:

Die beschwerdeführende Partei vermeint, der Umstand, daß die vorliegende, gem Art 144 B-VG erhobene Beschwerde (neben anderen) zur Aufhebung des § 19 Abs 2 erster Satz BWSG durch den VfGH Anlaß gegeben hatte, spiele für die weitere Anwendbarkeit der zur Durchführung der aufgehobenen Gesetzesstelle erlassenen V BGBl 1925/210 „keine Rolle“. Dies deshalb, weil es sich um eine andere Norm handle, die - jedenfalls nach der Rechtsprechung des VwGH nach wie vor geltendes Recht darstelle und es durchaus zulasse, bei sinngem Interpretation im Hinblick auf § 35 Abs 1 des Gebührengesetzes 1957 die strittige Gebührenbefreiung zuzuerkennen. Seien doch sämtliche Voraussetzungen, deren Erfüllung die V verlange, in den vorliegenden Fällen entweder tatsächlich oder zumindest sinngem gegeben.

In diesem Punkt kann sich der Gerichtshof mit einem Hinweis auf die Entscheidungsgründe in seinem Erk v 5. 11. 1971, 1445/71 begnügen, in dem er dargetan hat, daß von einer weiteren Vollziehung der V BGBl 1925/210 durch die Abgabenbehörden in den gegenständlichen, zum Erk d VfGH v 16. 3. 1971 G 33/70 Anlaß gebenden Fällen jedenfalls schon deswegen keine Rede sein könne, weil der erwähnten V mit der Aufhebung des sie tragenden § 19 Abs 2 erster Satz BWSG die Rechtsgrundlage entzogen ist (Art 18 Abs 1 und 2 B-VG). Auf die durch das BG v 30. 5. 1972 BGBl 232 geschaffene Rechtslage war aber schon deshalb nicht weiter einzugehen, weil der VwGH den angefochtenen Bescheid nach der Rechtslage zur Zeit seiner Erlassung zu prüfen hatte vgl. das hg Erk v 2. 3. 1956 Slg 1374 (F).

Was nun das im Schuldschein vom 12. 12. 1969 beurkundete Darlehen anlangt, so hält die beschwerdeführende Partei im Einklang mit ihrem Vorbringen im Abgabenverfahren daran fest; daß es sich beim Darlehensvertrag um einen Realkontrakt handle, der erst mit der Zuzählung der Darlehensvaluta gültig zustande komme. Da aber zur Zeit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides die Zuzählung noch nicht erfolgt sei, habe auch die Gebührenschuld nicht entstehen können.

Diesem Einwand kommt Berechtigung zu. Der VwGH hat sich damit in gleichgelagerten Fällen zunächst im Erk eines verst Senats (v 22. 6. 1972, 1086 ff/71, auf dessen Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen unter Erinnerung an Art 14 Abs 4 der hg GO BGBl 1965/45 verwiesen wird) und seither in mehreren anderen Erk (v 21. 9. 1972, 1077 ff/71, 1091 ff/71, 1356/71 u v 7. 12. 1972, 1359/71) auseinandergesetzt und sich dort zur Rechtsmeinung bekannt, die Abgabenbehörden seien zur Anforderung einer Rechtsgebühr gem § 33 TP 8 des Gebührengesetzes 1957 nur dann berechtigt, wenn die Zuzählung der Darlehensvaluta noch vor der Errichtung des Schuldscheins über das Rechtsgeschäft erfolgt. Dem hat die belangte Behörde in der von ihr erstatteten Gegenschrift allerdings entgegengehalten, aus dem Klammerausdruck „die darüber errichteten Urkunden, wie Schuldscheine, Schuldbriefe, Schulderklärungen“ im 33 TP 8 Abs 1 des G sei wohl zu schließen, daß es zur Entstehung der Gebührenschuld genüge, wenn allein eine Schuldurkunde vorliege. Indes vermag der Gerichtshof diese Meinung nicht zu teilen, ergibt sich doch aus dem dritten Abschn des Gebührengesetzes - der mit „Gebühren für Rechtsgeschäfte“ überschrieben ist - mit aller Deutlichkeit, daß jeder Gebührenfestsetzung eines der im Tarif angeführten Rechtsgeschäfte zugrunde liegen muß. Ebensowenig kann dem weiteren Einwand der belangten Behörde beigepflichtet werden, wenn schon nicht der Gebührentatbestand des § 33 TP 8 gegeben sei, so sei im Hinblick auf den Inhalt der Schuldurkunden der Gebührentatbestand der TP 18 jener Gesetzesstelle erfüllt, weil darin auch Hypothekarverschreibungen beurkundet worden seien. Wie der Gerichtshof in den erwähnten Erk v 21. 9. 1972 u v 7. 12. 1972 dargetan hat, geht es nämlich nicht an, den Rechtsgrund einer Abgabenfestsetzung willkürlich erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auszuwechseln, wenn derart der Partei des Abgabenverfahrens jede Möglichkeit abgeschnitten wird, etwa den mangelnden rechtsgeschäftlichen Willen unter Berufung auf § 17 Abs 2 des Gebührengesetzes 1957 unter Beweis zu stellen. Daß sich aber die Abgabenbehörde erster Instanz und ihr folgend die belangte Behörde nur im Ausdruck vergriffen und die strittige Gebührenfestsetzung bloß irrtümlich auf § 33 TP 8 gestützt hätten, wird an der belangten Behörde selbst nicht behauptet.

Der Versuch der belangten Behörde, mit einem Hinweis auf § 21 der Bundesabgabenordnung BGBl 1961/194 etwas für ihren Standpunkt zu gewinnen, geht schließlich ebenso fehl wie der Einwand, der VfGH habe im vorangegangenen Verfahren vor diesem Gerichtshof die Gebührenfestsetzung keineswegs als gesetzlos befunden. Für eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ist nämlich dort kein Raum, wo sich die Steuerpflicht allein - wie im vorliegenden Fall - an die Beurkundung eines Rechtsgeschäfts knüpft (vgl. Reeger-Stoll Kommentar zur Bundesabgabenordnung 111). Im übrigen hat der VfGH in der Begründung seines Erk v 15. 6 1971 mit aller Deutlichkeit ausgeführt, er sei nicht berufen darüber zu erkennen, ob die Behörde die für die Vorschreibung von Gebühren in Betracht zu ziehenden Bestimmungen richtig angewendet hat und insbesondere auch nicht berufen darüber zu erkennen, ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen hiefür gegeben sind.

Sohin war der angefochtene Bescheid gem § 42 Abs 2 lit a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Von der Durchführung einer Verhandlung, die die beschwerdeführende Partei verlangt hat, konnte der Gerichtshof absehen, weil der angefochtene Bescheid nach der oben wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung des VwGH aus dem Rechtsbestand zu beseitigen war (§ 39 Abs 2 lit d VwGG 1965).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der V d BK v 14. 11. 1972 BGBl 427. Das Kostenmehrbegehren der beschwerdeführenden Partei auf Ersatz von Stempelgebühren in der Höhe von S 52,60 war abzuweisen, da es sich um Gebühren des vorangegangenen Verfahrens vor dem VfGH handelt, für die ein Ersatzanspruch nicht besteht (vgl hiezu ebenfalls das hg Erk v 22. 6. 1972, 1086 ff/71).

Wien, am 21. Dezember 1972

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1972:1971001267.X00

Im RIS seit

13.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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