TE Lvwg Erkenntnis 2021/9/13 LVwG-M-26/001-2021

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Veröffentlicht am 13.09.2021
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Entscheidungsdatum

13.09.2021

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Ing. Mag. Andreas Ferschner als Einzelrichter über die Beschwerde des A, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs betreffend der Verweigerung der Ausreise aus dem Bezirk *** am 22.4.2021 ohne negativen Test, zu Recht erkannt.

I.       Gemäß § 28 Absatz 6 VwGVG wird die Beschwerde zur Gänze abgewiesen.

II.     Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

1.       Gang des Verfahrens:

Mit Eingabe vom 26.4.2021 brachte der Beschwerdeführer eine Maßnahmenbeschwerde ein. Darin brachte er im Wesentlichen vor, dass er am 22.4.2021 von *** nach *** fahren wollte. Er sei auf der *** von zwei Polizisten angehalten worden und sei ihm die Ausreise aus dem Bezirk *** verweigert worden. Die zugrundeliegende Verordnung sei verfassungswidrig und sei der Beschwerdeführer daher in seinen Rechten verletzt. Der Eingriff in die Grundrechte sei nicht verhältnismäßig. Die 7-Tage Inzidenz sei nicht geeignet für solche Maßnahmen. Ein Ausreiseverbot verhindere auch nicht die Ausbreitung des Virus. Es gebe keine wissenschaftliche Evidenz, dass diese Maßnahmen erfolgreich sein werden. Ein Test sei ein Eingriff in die Unversehrtheit eines Menschen der in diesem Fall nicht notwendig sei. Weiter wurde eine Entscheidung des Amtsgerichts ***, Beschluss vom 08.04.2021, Az.: ***, vorgelegt.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat am 7.6.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und Beweis erhoben durch die Einvernahme des Beschwerdeführers sowie durch Verlesung des Verwaltungsaktes und der vorgelegten Urkunden.

2.       Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat erwogen wie folgt:

Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer am 22.4.2021 von *** nach *** mit dem Kraftfahrzeug reisen wollte. Er wurde auf der *** angehalten. Da er keinen negativen Test auf Covid-19 vorweisen konnte wurde ihm die Ausreise aus dem Bezirk *** verwehrt.

Der festgestellte Sachverhalt ist unstrittig und ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers.

3.       Rechtlich folgt:

Hochinzidenzgebietsverordnung betreffend den Bezirk ***

Örtlicher Anwendungsbereich

§ 1 Diese Verordnung gilt für das Gebiet des politischen Bezirks ***.

Anforderungen beim Verlassen des genannten Gebietes

§ 2 (1) Personen, die sich im Gebiet nach § 1 aufhalten, dürfen dieses Gebiet nur verlassen, wenn sie einen Nachweis über ein negatives Ergebnis eines Antigen-Tests auf SARSCoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen darf, oder eines molekularbiologischen Tests auf SARS-CoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 72 Stunden zurückliegen darf, mit sich führen. Diese Personen sind verpflichtet, diesen, von einer befugten Stelle ausgestellten, Nachweis bei einer Kontrolle vorzuweisen.

(2) Einem gemäß Abs. 1 geforderten Nachweis über ein negatives Testergebnis auf SARS-CoV-2 ist eine ärztliche Bestätigung über eine in den letzten sechs Monaten vor der vorgesehenen Testung erfolgte und zu diesem Zeitpunkt aktuell abgelaufene Infektion oder ein Nachweis über neutralisierende Antikörper für einen Zeitraum von drei Monaten, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Probenahme, gleichzuhalten. Einer ärztlichen Bestätigung über eine erfolgte und aktuell abgelaufene Infektion sind ein Nachweis nach § 4 Abs. 18 Epidemiegesetz 1950, BGBl. Nr. 186/1950 in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2021, sowie ein Absonderungsbescheid wegen einer COVID-19-Erkrankung gleichgestellt.

Ausnahmen

§ 3 (1) § 2 gilt nicht für:

1. Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr sowie Schülerinnen, Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, wenn sie einen von der Schule ausgestellten Nachweis über ein negatives Ergebnis eines Antigen-Tests auf SARS-CoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen darf, vorweisen;

2. die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum;

3. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Bundesheeres und der Gesundheitsbehörden in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit sowie für Angehörige von Rettungsorganisationen und der Feuerwehr im Einsatz;

4. den Güterverkehr sowie den Betrieb und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Infrastrukturen und der Einrichtungen der Daseinsvorsorge, wie Straßendienst, Müllabfuhr, Strom- und Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung;

5. Transitpassagiere oder die Durchreise durch das Gebiet ohne Zwischenstopp, die auch bei ausschließlich unerlässlichen Unterbrechungen vorliegt;

6. die Wahrnehmung von unaufschiebbaren behördlichen oder gerichtlichen Wegen, einschließlich der Teilnahme an öffentlichen Sitzungen der allgemeinen Vertretungskörper und an mündlichen Verhandlungen der Gerichte und Verwaltungsbehörden zur Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit;

7. Personen ohne Wohnsitz im Gebiet nach § 1, bei denen vor der Rückreise zum Wohnsitz ein positives Ergebnis durch einen Antigen-Test auf SARS-CoV-2 oder einen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 festgestellt worden ist; diese Personen haben sich so schnell wie möglich - entweder allein mit einem Kraftfahrzeug oder im Rahmen eines gesicherten Transports - zum Zweck der Absonderung zu einem Wohnsitz zu begeben;

8. Personen, die aufgrund einer behördlichen Anordnung das Gebiet nach § 1 verlassen müssen;

9. Personen sowie deren erforderlichen Begleitpersonen, die das Gebiet nach § 1 ausschließlich zum Zweck einer COVID-19-Impfung, zur Durchführung einer behördlichen PCR-Testung oder zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen betreten und verlassen, sofern dies auf direktem Weg ohne Zwischenstopp erfolgt;

10. Personen, die aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen keine Testung nach § 2 durchführen können;

11. Personen mit Wohnsitz im Gebiet nach § 1, die glaubhaft machen, dass sie einen benachbarten Verwaltungsbezirk, in dem eine Hochinzidenzgebietsverordnung in Kraft ist, auf direktem Weg aufsuchen, um einen Antigen-Test auf SARS-CoV-2 oder einen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 durchzuführen, und die Durchführung der Testung im Gebiet nach § 1 unverhältnismäßig ist;

12. Personen mit Wohnsitz im Gebiet nach § 1, die zur Erreichung desselben das Gebiet nach § 1 verlassen müssen;

13. Personen, die glaubhaft machen, dass ihnen die Beibringung eines Nachweises gemäß § 2 Abs. 1 aus tatsächlichen Gründen nicht möglich oder zumutbar war. Diese Ausnahme gilt bis 10. April 2021.

(2) Im Fall einer behördlichen Überprüfung sind die Ausnahmegründe gemäß Abs. 1 glaubhaft zu machen.“

Entscheidung des VfGH vom 24.06.2021, Zl. V87/2021:

„Leitsatz

Kein Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit sowie die gesetzliche Grundlage des §24 EpidemieG 1950 durch die COVID-19-VirusvariantenV betreffend das Verbot des Verlassens von Teilen Tirols ab Februar 2021 wegen der dort verbreiteten (Südafrikanischen) COVID-19-Virusvariante B.1.351; hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen zum jeweiligen Erlassungszeitpunkt; Verkehrsbeschränkung zur Verhinderung der Verbreitung der Virusvariante im Bundesgebiet "unbedingt erforderlich"; Sachlichkeit und Verhältnismäßigkeit der – keinen schwerwiegenden Eingriff darstellenden – Testpflicht auch für Personen mit Antikörpern für das Ausreisen aus dem Landesgebiet bei unbeschränkter Bewegungsfreiheit in Tirol; keine Verletzung im Recht auf Privatleben durch die mit dem Test verbundene Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zum Schutz der Gesundheit anderer Personen

Rechtssatz

Abweisung eines Individualantrags auf Aufhebung der COVID-19-Virusvariantenverordnung - COVID19-VvV, BGBl II 63/2021 idF (BGBl II 85/2021 sowie - der Antragsteller hat die Norm hinreichend genau bezeichnet) BGBl II 98/2021, zur Gänze.

Die angefochtene Verordnung ist zwar mit Ablauf des 10.03.2021 außer Kraft getreten. Vor dem Hintergrund der Rsp des VfGH greifen die angefochtenen Verordnungsbestimmungen dennoch unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers ein und beeinträchtigen seine rechtlich geschützten Interessen auch noch aktuell. Der (Haupt-)Antrag auf Aufhebung der gesamten Verordnung erweist sich als zulässig. Eine isolierte Anfechtung einer einzelnen Bestimmung ist nicht möglich. Die Verordnung enthält nämlich nicht mehrere voneinander trennbare Tatbestände und die Bedenken des Antragstellers beziehen sich auf sämtliche (wesentliche) Bestimmungen der Verordnung, weswegen die Anfechtung der gesamten Verordnung zulässig ist. Dem Antragsteller steht auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, weil dem Antragsteller im Fall des Zuwiderhandelns gegen die angefochtenen Bestimmungen eine Verwaltungsstrafe nach § 40 EpiG droht.

Mit der angefochtenen COVID-19-Virusvariantenverordnung sah der gemäß § 43a Abs1 EpiG zuständige Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit Wirkung ab 12.02.2021 bis zum 10.03.2021 eine Beschränkung der Ausreise aus dem Bundesland Tirol vor. Gemäß § 2 COVID-19-VvV durften Personen, die sich im Bundesland Tirol mit Ausnahme des politischen Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rißtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee aufhielten, die Grenzen dieses Gebietes nur dann überschreiten, wenn sie einen Nachweis über ein negatives Ergebnis eines Antigen-Tests oder eines molekularbiologischen Tests auf COVID-19 (bezeichnet als "SARS-CoV-2"), deren Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen durfte, mit sich führten. § 3 COVID-19-VvV sah für die Pflicht zur Vorlage eines solchen Nachweises für die Ausreise aus Tirol bestimmte Ausnahmen vor.

Kein Verstoß der angefochtenen Verordnung gegen das Recht auf Freizügigkeit sowie gegen die gesetzliche Grundlage der Verordnung gemäß § 24 EpiG idF BGBl I 33/2021:

Verkehrsbeschränkungen dürfen zum Schutz vor der (Weiter-)Verbreitung einer meldepflichtigen Krankheit nur vorgesehen werden, soweit sie im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens der Krankheit "unbedingt erforderlich" sind. Die Frage, ob die angefochtenen Verordnungsbestimmungen ihre gesetzliche Grundlage in § 24 EpiG idF BGBl I 33/2021 finden, ist somit auch im Lichte des Art 4 Abs 1 StGG und Art 2 4. ZPEMRK zu beurteilen.

Mit der (auf § 1 Abs 2 EpiG gestützten) Verordnung des Bundeministers wurde festgelegt, dass "Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019-nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus')" der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegen. Für den VfGH steht zunächst zweifelsfrei fest, dass die Erweiterung des Kataloges der meldepflichtigen Krankheiten in § 1 EpiG eine Reaktion des Verordnungsgebers auf das Auftreten des neuartigen Virus COVID-19 (zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung mit der Bezeichnung "2019-nCoV") war. Die Erweiterung der in § 1 EpiG aufgelisteten meldepflichtigen Krankheiten hatte die Bekämpfung und Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der neuartigen COVID-19-Krankheit zum Ziel.

Die Bezeichnung "SARS-CoV-2" ist lediglich eine spätere, von der World Health Organisation bekannt gegebene, andere Bezeichnung des neuartigen Virus COVID-19 gewesen. Bei den in Rede stehenden Virusvarianten von COVID-19 handelt es sich um neue, später aufgetretene Mutationen der neuartigen COVID-19-Krankheit. Da es sich bei den Mutationen von COVID-19 nicht um eigenständige, sondern um von der Bezeichnung "2019-nCoV" umfasste Krankheiten handelt, stellt auch die in Rede stehende COVID-19-Virusvariante B.1.351 eine meldepflichtige Krankheit iSd § 24 iVm § 1 EpiG idF BGBl I 33/2021 dar.

Der Bundesminister ist bei der Erlassung der COVID-19-Virusvariantenverordnung seiner Dokumentationspflicht nachgekommen.

Die Erhebungen im Verordnungsakt belegen (entgegen der Behauptung des Antragstellers) nachweislich, dass sich die COVID-19-Virusvariante B.1.351 besonders stark im Bundesland Tirol (mit Ausnahme bestimmter Regionen) verbreitete. Vor diesem Hintergrund ist dem Bundesminister nicht entgegenzutreten, wenn er die zeitlich befristete Ausreisebeschränkung durch Verlangen des gültigen Nachweises eines negativen Testergebnisses auf COVID-19 beim Verlassen der in § 1 COVID-19-VvV genannten Gebiete iSd § 24 EpiG idF BGBl I 33/2021 für "unbedingt erforderlich" erachtete.

Nach Auffassung des VfGH hat die verordnungserlassende Behörde eine evidenzbasierte Prüfung und Abwägung der in Aussicht genommenen Regelungen mit den dadurch bewirkten Grundrechtsbeschränkungen vorgenommen. Unter Berücksichtigung der im Verordnungsakt dargelegten Informationen bezüglich der mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden Gefahr einer rascheren (Weiter-)Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.351 im Bundesgebiet hat die verordnungserlassende Behörde nachvollziehbar und auch hinreichend dargelegt, dass die Verfügung einer Verkehrsbeschränkung bei der Ausreise aus den in § 1 COVID-19-VvV aufgelisteten Epidemiegebieten "unbedingt erforderlich" (§ 24 EpiG idF BGBl I 33/2021) war.

Die in § 2 COVID-19-VvV normierten Bedingungen für die Überschreitung der Grenzen des Epidemiegebietes sahen auch keine zwangsweise (gegen den Willen der im Epidemiegebiet befindlichen Personen) Durchführung eines Antigen- oder molekularbiologischen Tests auf COVID-19 vor. Die "Testpflicht" war vielmehr das im Rahmen des § 24 EpiG idF BGBl I 33/2021 verhältnismäßige Mittel, um einerseits die Ausreise aus dem Epidemiegebiet zu ermöglichen, andererseits aber die (Weiter-) Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.351 zu unterbinden. Der Bundesminister hat mit Verordnung über die Einreise nach Österreich im Zusammenhang mit COVID-19 vergleichbare Regelungen für Personen geschaffen, die aus Risikostaaten in das Bundesgebiet einreisen wollten.

Die angefochtene Verordnung verstößt somit nicht gegen den im Lichte der Anforderungen des Art 4 Abs. 1 StGG und Art 2 4. ZPEMRK zu verstehenden § 24 EpiG idF BGBl I 33/2021. Die Verkehrsbeschränkung bei der Ausreise aus dem Bundesland Tirol (bzw Teilen davon) dient dem Ziel des Gesundheitsschutzes, nämlich der Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung von COVID-19 (bzw der COVID-19-Virusvariante B.1.351), iSd Art 2 Abs 3 4. ZPEMRK. Der in § 2 COVID-19-VvV für die Überschreitung der Grenzen des Bundeslandes Tirol (bzw Teilen davon) verlangte Nachweis eines negativen Ergebnisses eines Antigen-Tests oder eines molekularbiologischen Tests im Hinblick auf COVID-19, der nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen darf, ist zur Erreichung dieses Zieles geeignet:

Der VfGH geht davon aus, dass der in § 2 COVID-19-VvV verlangte Nachweis des Infektionsstatus anhand eines hinreichend aktuellen Testergebnisses einer hiezu befugten Stelle (§ 5 COVID-19-VvV) ein geeignetes Mittel ist, um die Ausreise von mit COVID-19 infizierten Personen hintanzuhalten und damit die (Weiter-)Verbreitung des Virus einzudämmen.

Im Verordnungsakt ist nachvollziehbar und hinreichend dokumentiert, dass zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung und während der Geltungsdauer der angefochtenen COVID-19-Virusvariantenverordnung von einem erhöhten Auftreten der COVID-19-Virusvariante B.1.351 im Bundesland Tirol (bzw in Teilen desselben) auszugehen war. Die mit der "Testpflicht" für die Ausreise gemäß § 2 COVID-19-VvV verbundene Einschränkung der Freizügigkeit der im umfassten Gebiet wohnhaften bzw. aufhältigen Personen ist im Lichte des verfolgten Zieles der Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung dieser Virusvariante verhältnismäßig. Zunächst handelt es sich bei der in § 2 COVID-19-VvV vorgesehenen Verpflichtung zum Nachweis eines negativen Testergebnisses auf COVID-19 bei der Ausreise aus dem Bundesland Tirol um keinen schwerwiegenden Eingriff in Art 4 Abs 1 StGG und Art 2 Abs1 4. ZPEMRK, zumal die Bewegungsfreiheit für Bewohner bzw. Aufhältige innerhalb Tirols von der Ausreisebeschränkung unberührt blieb. Der gemäß § 2 COVID-19-VvV für die Ausreise verlangte Nachweis eines negativen Antigen- bzw. molekularbiologischen Testergebnisses auf COVID-19 ist im Hinblick auf die Verfügbarkeit solcher Tests, die angewendeten (Test-)Verfahren, die Dauer der Gültigkeit des Nachweises über das negative Testergebnis und die Ausnahmetatbestände in §3 COVID19-VvV gerechtfertigt. Hiebei ist zu berücksichtigen, dass der Bundesminister die angefochtene Verkehrsbeschränkung anhand der Entwicklung der Infektionszahlen in regelmäßigen Abständen evaluierte und die Notwendigkeit der Verkehrsbeschränkung während des Geltungszeitraumes der Verordnung laufend überprüfte.

Ausgehend von den im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen und festgestellten Tatsachen erweist sich die Verhängung der zeitlich befristeten Ausreisebeschränkung zum Schutz vor der Weiterverbreitung von COVID-19 bzw der COVID-19-Virusvariante B.1.351 zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung und während der Geltungsdauer der angefochtenen Verordnungsbestimmungen als verhältnismäßige Verkehrsbeschränkung iSd §24 EpiG idF BGBl I 33/2021.

Kein Verstoß gegen das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz:

Wie aus den vorgelegten Verordnungsakten hervorgeht und wie der Bundesminister in seiner Äußerung darlegt, wurde die angefochtene Verordnung mit dem Ziel der Verhinderung einer (Weiter-)Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.351 erlassen. Der Bundesminister konnte mit Blick auf die im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen, zu denen mehrere fachliche Studien zählten, in der damaligen Situation davon ausgehen, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper bei der COVID-19-Virusvariante B.1.351 geschmälert sein könnte und eine Reinfektion mit dem Virus möglich wäre. In diesem Zusammenhang weist der Bundesminister nachvollziehbar darauf hin, dass im Hinblick auf die COVID-19-Virusvariante B.1.351 von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Reinfektionen auszugehen war. Die zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung verfügbaren, im Verordnungsakt dokumentierten Daten und Studien hätten vermuten lassen, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper gegen COVID-19 (in Folge einer durchgemachten Infektion oder Impfung) bei der COVID19-Virusvariante B.1.351 reduziert sein könne. Der reduzierte Schutz durch gebildete Antikörper im Hinblick auf die COVID-19-Virusvariante B.1.351 könne die Wirksamkeit der Impfung schmälern und zu Reinfektionen führen. Bei Personen, die Antikörper gegen COVID-19 in einer ausreichenden Konzentration aufwiesen, könne im Hinblick auf die COVID-19-Virusvariante B.1.351 nicht von einer "niedrigeren epidemiologischen Gefahr" ausgegangen werden.

Keine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit:

Ungeachtet der Frage, ob der Anwendungsbereich des Art 3 GRC im konkreten Fall überhaupt eröffnet ist, ist dem Vorbringen des Antragstellers (auch im Hinblick auf Art 8 EMRK) bereits deshalb nicht zu folgen, weil die mit einem Antigen- bzw molekularbiologischen Test auf COVID-19 in der Regel verbundene Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit im Hinblick auf das verfolgte Ziel gerechtfertigt ist. Der Verordnungsgeber verhängte die angefochtene "Testpflicht" bei der Ausreise aus dem Bundesland Tirol (bzw Teilen davon) zum Schutz der Gesundheit anderer, in concreto zum Schutz vor einer Infektion mit COVID-19 bzw der COVID-19-Virusvariante B.1.351. Nach Ansicht des VfGH überwiegt der Gesundheitsschutz die seitens des Antragstellers unter Art 3 GRC ins Treffen geführten Interessen.

Kein Verstoß gegen Art 56 B-VG:

Im verlangten Nachweis eines gültigen negativen Testergebnisses im Hinblick auf COVID-19 für die Ausreise aus dem Bundesland Tirol (bzw Teilen davon) vermag der VfGH - auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit des vorgesehenen Test(verfahren)s - keinen Verstoß gegen Art56 Abs1 B-VG zu sehen.“

Der vorliegende Fall ist vergleichbar mit der Fallkonstellation betreffend die COVID-19-Virusvariantenverordnung - COVID19-VvV. Der Beschwerdeführer moniert dieselben Eingriffe in seine Grundrechte und brachte die Verfassungswidrigkeit der Hochinzidenzgebietsverordnung betreffend den Bezirk *** vor. Von einer solchen ist jedoch nicht auszugehen, da dieselben Überlegungen für die Hochinzidenzverordnung betreffend den Bezirk *** galten als für die COVID-19-Virusvariantenverordnung. Die Hochinzidenzgebietsverordnung nahm als den wichtigsten Wert zur Bestimmung der epidemiologischen Situation den 7 Tage Inzidenzwert an. Bei einer Unterschreitung von 400 wurde die Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken von Schülern aufgehoben. Nach Senkung des 7-Tage Inzidenzwertes auf ca. 200 wurde die Hochinzidenzverordnung wieder aufgehoben und entfielen auch die Ausreisekontrollen. Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, dass der 7 Tage Inzidenzwert keine taugliche Grundlage für Ausreisebeschränkungen darstelle, ist dem entgegen zu halten, dass auch wenn es sich um die absoluten (und nicht relative) Zahlen handelt, diese einen Aufschluss über die infizierten Personen im betreffenden Gebiet geben. Dem Argument, dass der 7 Tage Inzidenzwert lediglich so hoch ausgefallen sei, weil viele Personen testen waren, kann nichts abgewonnen werden, da auch die absoluten Zahlen belegen, dass die damals „britische“ Virusvariante flächendeckend im Bezirk *** verbreitet wurde. Darüber hinaus war der 7 Tage Inzidenzwert mehrere Tage über dem Wert von 400 bevor die Hochrisikoverordnung erlassen wurde um diesem Trend gegenzusteuern und eine Verbreitung des Virus zu vermeiden. Die gegenständliche Verordnung trat am 8.4.2021 bei einem 7 Tage Inzidenzwert von 365,7 in Kraft. Die Tage davor waren alle über diesen Wert. Am 22.4.2021 (der Tag an dem der Beschwerdeführer den Bezirk *** verlassen wollte, war der 7 Tage Inzidenzwert immer noch bei 211,7 (Quelle: ***) In den folgenden Tagen sank der Wert weiter ab, bis er am 3.7.2021 auf 2,4 gefallen ist. Diese Entwicklung legt schon nahe, dass die getroffenen Maßnahmen zur Verbreitung des Virus gegriffen haben. Insgesamt war daher im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass – in Tirol lagen damals dieselben Voraussetzungen vor – die verordneten Maßnahmen, im Besonderen die Ausreisebeschränkungen gerechtfertigt waren und einen verhältnismäßigen Eingriff darstellten. Es war daher die Beschwerde abzuweisen.

4.       Kosten

Gemäß § 35 VwGVG hat die obsiegende Partei im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Anspruch auf den Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerde abgewiesen. Daher war die belangte Behörde die obsiegende Partei und die Beschwerdeführerin unterliegende Partei. Aufwandsersatz ist nur auf Antrag der Partei zu leisten. Ein solcher Antrag wurde nicht gestellt.

5.       Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Fall keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; COVID-19; Hochinzidenzgebiet; Bezirk; Ausreiseverbot;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.M.26.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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