TE Vwgh Beschluss 2021/9/10 Ra 2021/18/0201

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Veröffentlicht am 10.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §19 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S H, vertreten durch Mag. Sarah Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 2021, I416 2158787-1/17E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 22. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er einerseits von einer schiitischen Miliz und andererseits wegen Desertion aus dem Militärdienst verfolgt werde.

2        Mit Bescheid vom 28. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Weiters setzte es eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend erachtete das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers aus näher dargestellten Gründen als nicht glaubhaft. Zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes hielt das BVwG fest, es sei dem gesunden, arbeitsfähigen Revisionswerber, der über eine mehrjährige Schulbildung und familiären Rückhalt verfüge, möglich, in seinen Herkunftsdistrikt zurückzukehren, ohne der realen Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt zu sein. Betreffend die Rückkehrentscheidung gelangte das BVwG nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG zur Einschätzung, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Revisionswerbers sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege.

5        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst gegen die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen richtet. Zudem habe sich das BVwG nicht ausreichend mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die sozioökonomischen Bedingungen im Irak auseinandergesetzt und seine Beurteilung auf veraltete Länderberichte gestützt. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung habe das BVwG den Umstand, dass sich der Revisionswerber seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sei, in unverhältnismäßiger Weise gewichtet und die überlange Verfahrensdauer sowie die Bindung des Revisionswerbers zu seinem in Österreich lebenden Bruder und dessen Familie nicht ausreichend berücksichtigt.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Soweit sich die Revision in der Zulässigkeitsbegründung zunächst erkennbar gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet, ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof nach seiner ständigen Rechtsprechung - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen zwar nicht berufen ist, allerdings liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 14.1.2021, Ra 2020/18/0517, mwN).

10       In Bezug auf die Beweiswürdigung des BVwG zeigt die Revision keine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende Fehlerhaftigkeit auf. Insbesondere ist ihrem Vorbringen, dass das BVwG zu Unrecht Widersprüche in der Aussage des Revisionswerbers während der Erstbefragung durch die Sicherheitsbehörden und seinen späteren Angaben vor dem BFA verwertete, nicht zu folgen. Es trifft zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf Widersprüche im Aussageverhalten während der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. etwa VwGH 4.2.2021, Ra 2021/18/0010, mwN). Im gegenständlichen Fall hat das BVwG näher begründet, weshalb es diese Widersprüche ungeachtet der ihm bekannten zitierten Rechtsprechung für relevant ansah. Dem hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen. Hinzu kommt, dass das BVwG seine Beweiswürdigung auch auf zahlreiche weitere Ungereimtheiten in den Aussagen des Revisionswerbers gestützt hat. Eine unvertretbare Beweiswürdigung liegt daher fallbezogen nicht vor.

11       Soweit die Revision das Fehlen aktueller Länderfeststellungen zur prekären Versorgungssituation im Irak - insbesondere infolge der Covid-19-Pandemie - moniert, macht sie einen Verfahrensmangel geltend. Werden Verfahrensfehler als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 7.6.2021, Ra 2021/18/0170, mwN).

12       Die Revision bringt lediglich pauschal vor, dass der Revisionswerber aufgrund der bestehenden Beschränkungen im Irak nicht in der Lage wäre, seine grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen, und es fraglich sei, ob die Familie des Revisionswerbers diesem angesichts der verschlechterten wirtschaftlichen Lage im Irak überhaupt Unterstützung leisten könne. Damit legt die Revision nicht dar, welche konkreten Feststellungen zu treffen gewesen wären, aufgrund derer dem Revisionswerber eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 bzw. 3 EMRK im Sinne der höchstgerichtlichen Rechtsprechung drohen würde (vgl. dazu etwa VwGH 6.11.2020, Ra 2020/18/0375, mwN).

13       Die vom BVwG durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK ist nur dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das BVwG die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 23.6.2021, Ra 2021/18/0219, mwN).

14       Die Revision vermag nicht darzulegen, dass das BVwG bei seiner Interessenabwägung von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen wäre. Das BVwG erwog, dass der Revisionswerber trotz seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet von fünfeinhalb Jahren keinen maßgeblichen Grad an Integration erlangt habe, der seinen privaten Interessen entscheidendes Gewicht verleihen bzw. der Dauer seines Aufenthalts entsprechen würde. Das BVwG berücksichtigte auch, dass der Revisionswerber über private Bindungen zu seinem Bruder und dessen Familie in Österreich verfüge, diese Kontakte könnten jedoch anderwärtig aufrechterhalten werden. Gleichzeitig verfüge der Revisionswerber über maßgebliche familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat. Zu Recht verwies das BVwG auch darauf, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 7.6.2021, Ra 2021/18/0167, mwN). Vor diesem Hintergrund kam das BVwG zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen die privaten Interessen des Revisionswerbers überwiegen würden.

15       Es ist nicht ersichtlich, dass das BVwG dabei einzelne Aspekte in unverhältnismäßiger Weise gewichtet hätte und die vorgenommene Interessenabwägung unvertretbar wäre.

16       Soweit die Revision die lange Verfahrensdauer im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG ins Treffen führt, ist darauf zu verweisen, dass es sich dabei nur um einen von mehreren Aspekten handelt, der bei der Interessenabwägung des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen ist. Dass dieser Umstand fallbezogen entscheidend ins Gewicht fiele, vermag die Revision nicht darzulegen.

17       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180201.L00

Im RIS seit

30.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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