Entscheidungsdatum
08.06.2021Norm
BFA-VG §9Spruch
I403 2242109-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Deutschland, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.02.2021, Zl. XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 01.04.2021 und Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.05.2021 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und die Beschwerdevorentscheidung dahingehend abgeändert, dass Spruchpunkt I. zu lauten hat: „Gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz wird gegen Sie ein für die Dauer von zwei (2) Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.“ Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland, wurde am 17.07.2020 festgenommen und am 31.07.2020 aus der Untersuchungshaft entlassen.
Mit Schriftsatz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 31.07.2020 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht, dass die Erlassung eines gegen ihn gerichteten Aufenthaltsverbotes geprüft werde und ihm die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb von vierzehn Tagen eine schriftliche Stellungnahme hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse abzugeben. Eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ist dem Akt nicht zu entnehmen.
Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 24.11.2020, Zl. XXXX wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und siebter Fall SMG und wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels teils als Beteiligter nach §§ 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG, 12 2. Alternative StGB und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt.
Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 12.02.2021, zugestellt am 16.02.2021, wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Die Behörde erklärte, dass vom Aufenthalt des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung ausgehe, weil er während seines gesamten Aufenthaltes im Bundesgebiet Drogen aus Deutschland eingeführt, in Österreich verkauft und dadurch einen Drogenhandel aufgebaut habe.
Mit Schriftsatz vom 10.03.2021 wurde gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Inhaltlich wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seit Mai 2019 seinen Lebensmittelpunkt in Österreich habe. Er habe ein gutes Verhältnis zu seinem Arbeitgeber und unterziehe sich freiwillig wöchentlich einem Drogentest. Seit September 2020 lebe der Beschwerdeführer mit seiner Lebensgefährtin zusammen; diese müsse wegen einer Eileiterschwangerschaft operiert werden. Der Beschwerdeführer habe eine schwierige Kindheit gehabt, befinde sich aktuell aber in psychosozialer Behandlung und nehme die Termine bei der Bewährungshilfe wahr. Seit der Entlassung aus der Untersuchungshaft sei der Beschwerdeführer straffrei geblieben und sei er seinen Verpflichtungen (wie der Abzahlung des für verfallen erklärten Betrages) nachgekommen. Das Strafgericht habe den Strafrahmen von bis zu fünf Jahren auch in keiner Weise ausgeschöpft und nur eine bedingte Strafe verhängt. Der Beschwerdeführer habe sich entschlossen, sein Leben zu ändern. Kritisiert wurde, dass die belangte Behörde den Beschwerdeführer nicht einvernommen habe. Eine mündliche Verhandlung wurde beantragt. Zudem wurde beantragt, das Aufenthaltsverbot zu beheben, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbotes herabzusetzen. Beigelegt waren der Beschwerde unter anderem eine Bestätigung einer Suchtberatungsstelle, wonach der Beschwerdeführer alle Termine eingehalten habe, ein Bericht der Bewährungshilfe vom 10.11.2020, eine Kopie des Reisepasses und des Aufenthaltstitels der aus Bosnien und Herzegowina stammenden Lebensgefährtin (Daueraufenthalt) sowie ein Arbeitszeugnis vom 11.03.2021.
Am 01.04.2021 erging eine Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde, mit der die Beschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen wurde. Es wurde berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer eine Lebensgemeinschaft führe, doch könne dies angesichts der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität nichts am Ergebnis ändern. Die Lebensgemeinschaft könne auch in Deutschland fortgesetzt werden. Daher sei die Beschwerde abzuweisen.
Am 15.04.2021 wurde vom Beschwerdeführer die Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht beantragt, die am 03.05.2021 erfolgte. Am 26.05.2021 wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der auch die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als Zeugin befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.
Der fünfundzwanzigjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland und somit EWR-Bürger. Er ist gesund und erwerbsfähig und verfügt über eine Anmeldebescheinigung.
Der Beschwerdeführer wuchs in XXXX , nahe der österreichischen Grenze, auf. Aufgrund der schwierigen Arbeitsmarktsituation rund um seinen Heimatort war er bereits im Sommer 2017 und im Sommer 2018 für Ferialtätigkeiten in Österreich. Im Mai 2019 zog er nach Österreich. Seit 16.05.2019 ist er im Bundesgebiet gemeldet. Seit dem 03.06.2019 ist er als Gießer bei der XXXX GmbH angestellt und verdient er rund 2.300 Euro netto monatlich. Sein Arbeitgeber ist über seine Verurteilung informiert.
Der Beschwerdeführer wurde am 17.07.2020 festgenommen und befand sich bis zum 31.07.2020 in Haft. Der Beschwerdeführer konsumiert seit seiner Jugend Suchtgift und bezeichnet sich selbst ab dem Jahr 2018 als suchtmittelabhängig, insbesondere in Bezug auf Amphetamine. Seit Mitte 2017 verkaufte er Suchtmittel, zunächst bis Mai 2019 in Deutschland, danach in Österreich. Hier hat er von zumindest Mai 2019 bis 17.07.2020 zumindest 1.100 Gramm Amphetamine mit zumindest 7 % Reinheitsgehalt, 550 Gramm MDMA mit zumindest 40 % Reinheitsgehalt sowie 100 Stück Ecstasy-Tabletten, 8 g Kokain, ca. 50g Cannabiskraut (verbotener Wirkstoff Delta-9-THC bzw. THCA) und ca. 50 g Cannabisharz (verbotener Wirkstoff Delta-9-THC bzw. THCA) von Deutschland aus- und nach Österreich eingeführt, indem er einen Freund beauftragte, dass dieser Unbekannte via „Darknet" beauftragte, die Suchtgifte von Deutschland aus per Post nach Österreich zu übersenden, bzw. zum Teil das Suchtgift an eine Adresse in Deutschland senden ließ und es dann selbst dort abholte und von Deutschland aus- und nach Österreich eingeführte. Zudem hat er in Österreich zumindest 880 Gramm Amphetamine mit zumindest 7 % Reinheitsgehalt, 530 Gramm MDMA mit zumindest 40 % Reinheitsgehalt sowie 100 Stück Ecstasy-Tabletten, 3 g Kokain, ca. 50g Cannabiskraut (verbotener Wirkstoff Delta-9-THC bzw. THCA) und ca. 28,5 g Cannabisharz (verbotener Wirkstoff Delta-9-THC bzw. THCA) an mehrere Personen durch überwiegend gewinnbringenden Verkauf überlassen.
Der Beschwerdeführer wurde deswegen mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 24.11.2020, Zl. XXXX wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und siebter Fall SMG und wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels teils als Beteiligter nach §§ 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG, 12 2. Alternative StGB und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt. Mildernd wurden bei der Strafbemessung die Unbescholtenheit, das umfassende und zur Aufklärung entscheidend beitragende Geständnis, die eigene Suchtgiftgewöhnung und die Sicherstellung von Suchtgift, erschwerend dagegen das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und einem Vergehen und die mehrfache Grenzmengenüberschreitung gewertet. Für die Dauer der erteilten Probezeit von 3 Jahren wurde Bewährungshilfe angeordnet. Zudem wurde die Weisung erteilt, sich einer psychosozialen Beratung und Betreuung durch eine Drogenberatungsstelle zu unterziehen und dem Gericht binnen drei Monaten den ersten Weisungsnachweis zu übermitteln und die weitere Einhaltung der Weisung über Aufforderung der Bewährungshilfe dieser zumindest vierteljährlich nachzuweisen; sollte die Weisung nicht oder nicht mehr eingehalten werden, wurde die Bewährungshilfe angewiesen, dem Gericht diesbezüglich umgehend Mitteilung zu machen.
Der Beschwerdeführer kommt seinen gerichtlichen Auflagen nach und unterzieht sich zudem freiwillig arbeitsmedizinischen Testungen auf Suchtgift. Die Testungen am 24.09.2020, am 27.11.2020 und am 03.02.2021 waren in Hinblick auf Amphetamine, Benzodiazepine, Kokain, THC, Methadon und Opiate allesamt negativ.
Neben dem bereits im Vorfeld sichergestellten Betrag von 1.020 Euro wurden vom Strafgericht 20.165 Euro für verfallen erklärt und eine monatliche Rate von 337 Euro festgelegt, die der Beschwerdeführer von seinem Gehalt begleicht.
Der Beschwerdeführer führt seit September 2020 eine Beziehung mit einer zum Daueraufenthalt berechtigten Bosnierin. Eine gemeinsame Zukunft ist geplant. Trotz der kurzen Dauer der Beziehung ist diese von hoher Intensität.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister (aus welchem sich ergibt, dass der Beschwerdeführer über eine Anmeldebescheinigung verfügt und dass seine Lebensgefährtin über ein Daueraufenthaltsrecht verfügt), dem zentralen Melderegister (woraus sich die Hauptwohnsitzmeldung ergibt) und dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger (aus welchem sich die angemeldeten Erwerbstätigkeiten des Beschwerdeführers ergeben) eingeholt.
Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen und seiner Beziehung ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung; zudem wurde auch seine Lebensgefährtin in der Verhandlung als Zeugin gehört.
Die Feststellungen zu seiner Suchtmittelabhängigkeit und dem Verkauf von Suchtmitteln ab Mitte 2017 ergeben sich aus der Beschuldigtenvernehmung vom 17.07.2020. Die Feststellungen hinsichtlich den seiner strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden strafbaren Handlungen und den Erwägungen des Strafgerichts zur Strafbemessung ergeben sich aus der im Akt enthaltenen gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichts. Die Feststellungen zu seinen negativen Drogentests ergeben sich aus einem Schreiben einer Arbeitsmedizinerin vom 28.05.2021.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zum Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
3.1.1. Rechtslage:
Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG idgF BGBl. I Nr. 146/2020 lautet:
„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere
1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.
(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I. Nr. 87/2012).“
§ 67 FPG setzt Art. 28 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl. § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) um. Diese mit "Schutz vor Ausweisung" betitelte Bestimmung lautet:
„(1) Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, berücksichtigt er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat.
(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.
(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie
a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder
b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art. 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG idgF BGBl. I Nr. 146/2020 lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“
Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auf die privaten und familiären Verhältnisse (vgl. VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).
3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den vorliegenden Fall:
Ein Aufenthaltsverbot kann nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG gegen einen Unionsbürger, der sich unter potentieller Inanspruchnahme seines unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechtes in Österreich aufhält oder aufgehalten hat (vgl. dazu VwGH 19.9.2019, Ro 2019/21/0011, Rn. 9), erlassen werden, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).
Die belangte Behörde stützte das gegenständlich angefochtene Aufenthaltsverbot auf das strafrechtswidrige Fehlverhalten des Beschwerdeführers, welches seiner rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde lag. Er hatte seit seinem Umzug nach Österreich im Mai 2019 Suchtgift, konkret vor allem Amphetamine, MDMA, Ecstasy-Tabletten und, wenn auch in geringerem Umfang, Kokain und Cannabiskraut bzw. -harz über das „Darknet“ gekauft, nach Österreich eingeführt und verkauft. Der Beschwerdeführer wurde deswegen mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 24.11.2020, Zl. XXXX wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und siebter Fall SMG und wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels teils als Beteiligter nach §§ 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG, 12 2. Alternative StGB und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt. Mildernd wurden bei der Strafbemessung die Unbescholtenheit, das umfassende und zur Aufklärung entscheidend beitragende Geständnis, die eigene Suchtgiftgewöhnung und die Sicherstellung von Suchtgift, erschwerend dagegen das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und einem Vergehen und die mehrfache Grenzmengenüberschreitung gewertet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 08.07.2020, Ra 2019/14/0272, mwN; vgl. auch die Rechtsprechung des EGMR, der Drogenhandel als Plage [„scourge“] bezeichnet und daher hartes Vorgehen nationaler Behörden dagegen billigt, jüngst EGMR 15.10.2020, Akbay u.a./Deutschland, 40495/15, Z 110). Suchtgifthandel wurde vom VwGH als typischerweise „schweres Verbrechen“ bezeichnet, so etwa VwGH 22.10.2020, Ra 2020/14/0456, mwN. Entsprechend ging die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid von einer „potentiellen Gefährdung der Volksgesundheit“ aus.
Zugleich ist zu berücksichtigen, dass die erkennende Richterin in der Verhandlung einen durchaus positiven Eindruck vom Beschwerdeführer gewinnen konnte und er sich tatsächlich um eine Stabilisierung seines Lebens und um eine nachhaltige Abwendung vom früheren Suchtgiftkonsum zu bemühen scheint. Dafür spricht auch, dass er – zusätzlich zu den gerichtlichen Auflagen, sich der Bewährungshilfe zu unterziehen und eine Drogenberatungsstelle zu besuchen – sich freiwillig Drogentests unterzog, die negativ waren, so dass davon auszugehen ist, dass er seit seiner Verhaftung tatsächlich keine verbotenen Suchtmittel mehr konsumierte. Der Beschwerdeführer verdient gut und wird von seinem Arbeitgeber, der ihn auch nach seiner Verurteilung nicht kündigte, offenbar geschätzt; dies vermochte ihn allerdings auch in der Vergangenheit nicht vom Suchtgifthandel abzuhalten. Seit September 2020 führt er eine Beziehung, die wohl auch zu einer weiteren Stabilisierung beizutragen vermag. Für das Gericht ist daher durchaus von einer positiven Entwicklung auszugehen. Zugleich ist unbestritten, dass bei Suchtgiftdelikten bekanntermaßen eine hohe Rückfallsquote besteht und dass ein großes öffentliches Interesse an einer Bekämpfung dieser gefährlichen Kriminalitätsform, sowohl unter dem Blickwinkel der öffentlichen Ordnung und Sicherheit als auch unter dem Gesichtspunkt anderer in Artikel 8 Absatz 2 MRK genannter öffentlichen Interessen, gegeben ist (VwGH 07.03.2009, 2007/21/0545; 30.04.2009, 2008/21/0132). Vor diesem Hintergrund fordert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass es eines maßgeblichen Beobachtungszeitraumes bedarf, innerhalb dessen sich ein nach dem SMG straffällig gewordener Fremder - in Freiheit - bewährt haben muss, um von einem Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können (VwGH 22.01.2014, 2013/21/0099). Trotz des Umstandes, dass der Beschwerdeführer für das Gericht glaubhaft versucht, sein Leben zu stabilisieren, muss angesichts der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, welche die Annahme eines Gesinnungswandels eines Straftäters grundsätzlich erst nach einer entsprechenden Phase des Wohlverhaltens in Freiheit erlaubt (vgl. VwGH,20.12.2018, Ra 2018/21/0224), davon ausgegangen, dass der Zeitraum seit dem 31.07.2020, als der Beschwerdeführer aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, noch nicht ausreichend ist, um im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einen Gesinnungswandel und damit einen Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung annehmen zu können.
Aufgrund des erhobenen Sachverhaltes und der dargelegten Erwägungen muss daher davon ausgegangen werden, dass zum Entscheidungszeitpunkt die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich durch einen weiteren Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet wäre. Der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG ist daher erfüllt.
Bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes kann jedoch ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eines Fremden iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss anhand der Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG überprüft werden, ob im vorliegenden Fall ein Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Beschwerdeführers gegeben ist. Unabhängig von der (letztlich nicht entscheidenden) Frage, ob seine Beziehung zu seiner Freundin, mit der er gemeinsam in einer Wohngemeinschaft lebt, unter dem Begriff des Privat- oder des Familienlebens zu subsumieren ist, steht fest, dass dies sein Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet stärkt, ist doch – aufgrund des in der Verhandlung gewonnenen Eindrucks – glaubhaft, dass die Beziehung trotz der geringen Dauer (seit September 2020) durchaus eine hohe Intensität aufweist und eine gemeinsame Zukunft geplant ist. Zudem hat der Beschwerdeführer, welcher in seiner Heimatstadt in der Nähe der österreichischen Grenze Schwierigkeiten hatte, eine Anstellung zu finden, im Bundesgebiet eine gute Arbeitsstelle gefunden und verstärkt dies sein Interesse an einem Verbleib zweifelsohne.
Dem ist allerdings gegenüberzustellen, dass er sich wieder in Grenznähe ansiedeln könnte, was es etwa seiner Freundin erlauben würde, mit ihm zusammenzuleben und dennoch ihre Arbeit in Österreich nicht aufgeben zu müssen. Ebenso kann er von seinen österreichischen Freunden in Deutschland besucht werden. Der Beschwerdeführer lebt auch erst seit zwei Jahren im Bundesgebiet. Der Verlust seiner Arbeitsstelle ist von ihm angesichts seines Fehlverhaltens in der Vergangenheit hinzunehmen bzw. reicht das Interesse an der Anstellung nicht aus, um das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Verstöße gegen das SMG aufzuwiegen.
Der mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes verbundene Eingriff in sein Privat- und Familienleben erweist sich daher grundsätzlich als verhältnismäßig. Allfällig mit einem Umzug nach Deutschland verbundene Schwierigkeiten bei der Gestaltung seiner Lebensverhältnisse sind im öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzunehmen.
Zugleich verkennt das Gericht nicht, dass es sich um seine erste Verurteilung handelt und dass der Beschwerdeführer, wie oben angeführt, durchaus glaubhafte Anstrengungen unternommen hat, um sein Suchtproblem zu bekämpfen und sich von der damit verbundenen Kriminalität abzuwenden. Aufgrund des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks geht das Gericht davon aus, dass es dem Beschwerdeführer bereits innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren gelingen wird, sich weiter zu stabilisieren, so dass dann von einem Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung auszugehen ist.
Die seitens der belangten Behörde gewählte Dauer des Aufenthaltsverbotes von fünf Jahren erweist sich daher als unverhältnismäßig und war diese auf zwei Jahre abzusenken.
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher dahingehend Folge zu leisten, dass die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf zwei Jahre reduziert wurde; im Übrigen war die Beschwerde abzuweisen.
3.2. Zur Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer zu Recht einen Durchsetzungsaufschub in der Dauer von einem Monat gewährt und wurde dies in der Beschwerde auch nicht moniert.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
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ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2242109.1.00Im RIS seit
13.09.2021Zuletzt aktualisiert am
13.09.2021