TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/10 W237 2242104-1

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Veröffentlicht am 10.08.2021
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Entscheidungsdatum

10.08.2021

Norm

AlVG §24
AlVG §25
AlVG §50
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §14

Spruch


W237 2242104-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin WERNER als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf NORTH und Mag. Elke DE BUCK-LAINER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wiener Neustadt vom 25.01.2021 betreffend Widerruf der Zuerkennung und Verpflichtung zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in der Höhe von € 4.726,44 nach Beschwerdevorentscheidung vom 14.04.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerdevorentscheidung vom 14.04.2021 wird infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde behoben.

II. Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 25.01.2021 widerrief das Arbeitsmarktservice Wiener Neustadt (im Folgenden: AMS) gemäß § 24 Abs. 2 AlVG den Bezug des Arbeitslosengeldes bzw. berichtigte rückwirkend dessen Bemessung für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 20.06.2019 und verpflichtete die Beschwerdeführerin gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in der Höhe von € 4.726,44. Begründend führte das AMS aus, dass die Beschwerdeführerin die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 20.06.2019 zu Unrecht bezogen habe, weil sie im gesamten Jahr 2019 als vollpflichtversichert bei der Sozialversicherung der Selbständigen im Dachverband aufscheine.

2. Die Beschwerdeführerin erhob mit Schreiben vom 03.02.2021 gegen diesen Bescheid Beschwerde. Inhaltlich führte sie darin aus, dass sie nicht sozialversicherungspflichtig sei und dies auch der Sozialversicherung der Selbständigen mitgeteilt habe. Sie habe von August bis Dezember 2019 € 4.000,- für EDV- und Internetdienstleistungen erhalten.

3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 14.04.2021 wies das AMS die Beschwerde ab. Begründend hielt es im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführerin vom 22.06.2018 bis 20.06.2019 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich € 27,64 zuerkannt und angewiesen worden sei. Zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs sei im Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger keine selbständige Erwerbstätigkeit gespeichert gewesen. Aufgrund einer Überlagerungsmeldung des Dachverbands vom 23.10.2020 habe das AMS davon Kenntnis erlangt, dass für das gesamte Jahr 2019 nunmehr eine vollversicherte selbständige Erwerbstätigkeit gespeichert sei. Aus dem rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019 des Finanzamts Neunkirchen – Wiener Neustadt vom 19.06.2020 gehe hervor, dass die Beschwerdeführerin im Jahr 2019 € 7.606,48 an Einkünften aus selbständiger Arbeit und € 7.017,16 an Einkünften aus unselbständiger Arbeit erzielt habe. Sie habe somit im Jahr 2019 durchgerechnet ein monatliches Einkommen aus selbständiger Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze lukriert und sei im entscheidungsrelevanten Zeitraum der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterlegen, weshalb die primäre Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit gemäß § 12 Abs. 1 AlVG nicht vorliege. Die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 01.01.2019 bis 20.06.2019 sei sohin gesetzlich nicht begründet gewesen, sodass die Leistung für diesen Zeitraum gemäß § 24 Abs. 2 AlVG zu widerrufen sei. Die Beschwerdeführerin habe ihre selbständige Erwerbstätigkeit im verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2019 bis 20.06.2019 nicht dem AMS gemeldet und sei daher verpflichtet, den Übergenuss an unberechtigt empfangener Leistung in der Höhe von € 4.726,44 gemäß § 25 Abs. 1 AlVG rückzuerstatten.

4. Die Beschwerdeführerin erhob am 26.04.2021 einen Vorlageantrag, den das AMS dem Bundesverwaltungsgericht samt der Beschwerde unter Anschluss des Verwaltungsakts am 03.05.2021 vorlegte. Inhaltlich brachte die Beschwerdeführerin im Vorlageantrag vor, dass sie – auf eine eigene Aufstellung ihres Einkommens und ihrer Ausgaben im Jahr 2019 verweisend – nicht der Auffassung sei, es könne hinsichtlich der Jahre 2019 und 2020 von einem „Übergenuss“ die Rede sein. Sie ersuche daher, die übermittelten Unterlagen zu prüfen. Dem Antrag wurden Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2018, 2019 und 2020 angehängt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin war vom 01.10.2003 bis 28.08.2017 bei einem näher genannten Datenverarbeitungsunternehmen vollversichert beschäftigt und erhielt vom 29.08.2017 bis 31.03.2018 eine Kündigungsentschädigung sowie vom 01.04.2018 bis 02.06.2018 eine Urlaubsersatzleistung. Ab 22.06.2018 erhielt sie nach entsprechendem Antrag Arbeitslosengeld für 364 Tage in der Höhe von € 27,64 täglich und bezog dieses bis zum 20.06.2019; im Antragsformular war der Hinweis enthalten, dass die Beschwerdeführerin zur sofortigen Mitteilung an das AMS im Falle u.a. jeglicher Änderung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und sonstiger für den Fortbestand und das Ausmaß ihres Anspruchs maßgebenden Änderungen verpflichtet sei. Seit 10.07.2019 ist die Beschwerdeführerin wieder vollversichert als Angestellte beschäftigt.

1.2. Im gesamten Jahr 2019 erbrachte die Beschwerdeführerin laufend zu unterschiedlichen Zeitpunkten – zumindest einmal pro Monat – EDV- und Internetdienstleistungen und erhielt aus dieser selbständigen Erwerbstätigkeit € 7.606,48; zusätzlich erzielte sie 2019 € 2.422,72 an Einkünften aus ihrer am 10.07.2019 aufgenommenen Beschäftigung als Angestellte sowie insgesamt € 4.726,44 an Arbeitslosengeld.

Mit unbekämpft gebliebenem Einkommensteuerbescheid vom 19.06.2020 stellte das Finanzamt Neunkirchen – Wiener Neustadt das im Jahr 2019 erzielte Bruttoeinkommen der Beschwerdeführerin mit € 13.930,38 fest, zog davon € 693,26 an Sonderausgaben ab, und setzte die Einkommensteuer für das genannte Kalenderjahr mit € 751,– fest.

1.3. Die Beschwerdeführerin meldete dem AMS ihre selbständige Erwerbstätigkeit im Jahr 2019 nicht. Erst aufgrund einer Überlagerungsmeldung des Dachverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 23.10.2020 erlangte das AMS davon Kenntnis, dass dort für die Beschwerdeführerin im Jahr 2019 eine vollversicherte selbständige Erwerbstätigkeit gespeichert ist.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die festgestellten Erwerbstätigkeiten sowie Bezüge von Urlaubsersatzleistung und Kündigungsentschädigung gehen aus den im Verwaltungsakt aufliegenden Versicherungsdatenauszügen sowie Bezugsverläufen hervor. Das AMS stellte diese auch in seiner Beschwerdevorentscheidung fest, wobei die Beschwerdeführerin diesen Feststellungen im Vorlageantrag nicht widersprach. Der festgestellte Bezug von Arbeitslosengeld ergibt sich sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der Bezugsdauer unstrittig aus den Bezugsverläufen. Das von der Beschwerdeführerin am 27.06.2018 ausgefüllte, vom AMS ausgegebene Formular zur Geltendmachung ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld liegt im Verwaltungsakt auf.

2.2. Auch wenn die Beschwerdeführerin die Höhe ihrer Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit im Jahr 2019 bestreitet, legte sie ihrer Beschwerde selbst Honorarnoten bei, aus denen sich ergibt, dass sie während dieses Jahres zumindest jedes Monat EDV- und Internetdienstleistungen erbrachte. Dementsprechend kann festgestellt werden, dass diese laufend zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgten, was auch mit den Bezeichnungen der Dienstleistungen auf den Honorarnoten in Einklang steht (zB „Betreuung des Internets und die laufende Weiterleitung Deiner Mails […] 13 Monate a 100,00“ oder „Unterbringung Raum und Server […] 12 Monate a 100,00“).

Die festgestellten Einkünfte (und Sonderausgaben) der Beschwerdeführerin im Jahr 2019 ergeben sich aus dem sie betreffenden Einkommensteuerbescheid vom 19.06.2020, der im Verwaltungsakt aufliegt. Soweit die Beschwerdeführerin ein geringeres Einkommen aus selbständiger Tätigkeit im Jahr 2019 behauptet, ist festzuhalten, dass das AMS und in der Folge das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Feststellung der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit an einen rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides gebunden sind, was der Erleichterung des praktischen Vollzugs des AlVG in Bezug auf die dort geregelten Geldleistungen dient (vgl. VwGH 29.04.2015, Ro 2014/08/0030). Dass die Beschwerdeführerin den Einkommensteuerbescheid vom 19.06.2020 nicht bekämpfte, ist unstrittig.

2.3. Die Überlagerungsmeldung vom 23.10.2020, durch welche das AMS davon Kenntnis erlangte, dass für die Beschwerdeführerin im Jahr 2019 eine vollversicherte selbständige Erwerbstätigkeit gespeichert ist, liegt ebenfalls als Vermerk im Verwaltungsakt auf. Dass die Beschwerdeführerin ihre Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Jahr 2019 dem AMS gemeldet hätte, wurde von ihr selbst nicht behauptet. Entsprechend ist auch festzustellen, dass das AMS erst durch die Überlagerungsmeldung hiervon Kenntnis erlangte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Der angefochtene Bescheid datiert auf den 25.01.2021. Die am 04.02.2021 zur Post gegebene und an die belangte Behörde adressierte Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG jedenfalls rechtzeitig.

Zu A I.)

Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch das AMS betrug gemäß § 56 Abs. 2 AlVG zehn Wochen. Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid langte am 05.02.2021 beim AMS ein. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung endete sohin mit Ablauf des 16.04.2021. Die zwar auf den 14.04.2021 datierende, aber – ausweislich des im Akt aufliegenden Rückscheins in Kopie – erst am 17.04.2021 durch Hinterlegung zugestellte Beschwerdevorentscheidung erweist sich damit als verspätet.

Wird eine Beschwerdevorentscheidung erst nach Ablauf der Frist zur Erlassung derselben erlassen, so ist sie infolge Unzuständigkeit der Behörde mit Rechtswidrigkeit behaftet, sodass sie im Falle der Erhebung eines Vorlageantrags vom Verwaltungsgericht (von Amts wegen, vgl. § 27 VwGVG) zu beheben und über die Beschwerde zu entscheiden ist (vgl. Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², § 14 VwGVG, K 7).

Die Beschwerdevorentscheidung ist somit infolge Unzuständigkeit der Behörde (ersatzlos) zu beheben.

Zu A II.)

3.1. Die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

3.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaft erfüllt und die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.

Gemäß § 7 Abs. 2 AlVG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.

Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG ist arbeitslos, wer

1. eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat,

2. nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund eines Einheitswertes, der kein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erwarten lässt, unterliegt oder auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt und

3. keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt.

Gemäß § 12 Abs. 3 lit. b AlVG gilt nicht als arbeitslos, wer selbständig erwerbstätig ist.

Dabei gilt gemäß § 12 Abs. 6 lit. c AlVG allerdings als arbeitslos, wer selbständig arbeitet und daraus ein Einkommen gemäß § 36a AlVG erzielt oder im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. der selbständigen Arbeit einen Umsatz gemäß § 36b AlVG erzielt, wenn weder das Einkommen zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge, die als Werbungskosten geltend gemacht wurden, noch 11,1 vH des Umsatzes die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge übersteigt.

3.1.2. Bei einem Einkommen nach § 36a AlVG handelt es sich um das Einkommen gemäß § 2 Abs. 2 EStG 1988 samt nicht fallrelevanter Hinzurechnungen. Nach § 2 Abs. 2 EStG 1988 ist das Einkommen der Gesamtbetrag der Einkünfte aus den im Abs. 3 leg.cit. aufgezählten Einkunftsarten nach Ausgleich mit Verlusten, die sich aus einzelnen Einkunftsarten ergeben, und nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18 leg.cit.) und außergewöhnlichen Belastungen (§§ 34 und 35 leg.cit.) sowie des Freibetrags nach § 105 leg.cit.

§ 36a Abs. 7 AlVG sieht weiters vor, dass als monatliches Einkommen bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahreseinkommens gilt, bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit hingegen das anteilsmäßige Einkommen in den Monaten, in denen selbständige Erwerbstätigkeit vorlag. Bis zum Vorliegen des Einkommensteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr ist das Einkommen in einem bestimmten Kalendermonat jeweils durch Zusammenrechnung des für diesen Kalendermonat nachgewiesenen Einkommens mit den für frühere Kalendermonate desselben Kalenderjahres nachgewiesenen Einkommen geteilt durch die Anzahl der Monate im Kalenderjahr, für die eine Einkommenserklärung vorliegt, zu ermitteln.

Personen, die zur Einkommensteuer veranlagt werden, haben ihr Einkommen gemäß § 36a Abs. 5 AlVG durch die Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem die Leistung nach diesem Bundesgesetz bezogen wird, und bis zum Vorliegen dieses Bescheides auf Grund einer jeweils monatlich im Nachhinein abzugebenden Erklärung des selbständig Erwerbstätigen nachzuweisen.

3.1.3. Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes zu widerrufen, wenn sie gesetzlich nicht begründet war. Wenn die Bemessung des Arbeitslosengeldes fehlerhaft war, ist die Bemessung rückwirkend zu berichtigen. Der Widerruf oder die Berichtigung ist nach Ablauf von drei Jahren nach dem jeweiligen Anspruchs- oder Leistungszeitraum nicht mehr zulässig. Wird die Berichtigung vom Leistungsempfänger beantragt, ist eine solche nur für Zeiträume zulässig, die zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht länger als drei Jahre zurück liegen. Die Frist von drei Jahren nach dem Anspruchs- oder Leistungszeitraum verlängert sich, wenn die zur Beurteilung des Leistungsanspruches erforderlichen Nachweise nicht vor Ablauf von drei Jahren vorgelegt werden (können), bis längstens drei Monate nach dem Vorliegen der Nachweise.

Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz ist auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührte; in diesem Fall darf jedoch der Rückforderungsbetrag das erzielte Einkommen nicht übersteigen. Ebenso ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes (der Notstandshilfe) zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn nachträglich festgestellt wird, dass auf Grund einer Anrechnung von Einkommen aus vorübergehender Erwerbstätigkeit gemäß § 21a AlVG keine oder nur eine niedrigere Leistung gebührt. Die Verpflichtung zum Rückersatz besteht auch hinsichtlich jener Leistungen, die wegen der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels oder auf Grund einer nicht rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes gewährt wurden, wenn das Verfahren mit der Entscheidung geendet hat, dass die Leistungen nicht oder nicht in diesem Umfang gebührten.

3.1.4. Gemäß § 50 Abs. 1 AlVG ist, wer Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezieht, verpflichtet, die Aufnahme einer Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 AlVG unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle anzuzeigen. Darüber hinaus ist jede andere für das Fortbestehen und das Ausmaß des Anspruches maßgebende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen sowie jede Wohnungsänderung der regionalen Geschäftsstelle ohne Verzug, spätestens jedoch binnen einer Woche seit dem Eintritt des Ereignisses anzuzeigen.

3.2. Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

3.2.1. Betreffend Widerruf des Arbeitslosengeldes:

Wie festgestellt, war die Beschwerdeführerin im gesamten Jahr 2019 durchgehend selbständig erwerbstätig und hatte daraus € 7.606,48 an Einkünften. Nach Abzug der im Einkommensteuerbescheid vom 19.06.2020 festgelegten Sonderausgaben gemäß § 18 EStG 1988 in Höhe von € 693,26 ergibt sich hieraus ein Einkommen im Jahr 2019 aus selbständiger Arbeit von € 6.913,22. Im Sinne des § 36a Abs. 7 AlVG beträgt das monatliche Einkommen ein Zwölftel des Jahreseinkommens, somit € 576,10 (€ 6.913,22 : 12) im Jahr 2019.

Dieses liegt über der für dieses Jahr geltenden monatlichen Geringfügigkeitsgrenze von € 446,81 (vgl. § 5 Abs. 2 ASVG iVm Art. 1 § 2 Z 1 BGBl. II Nr. 329/2018). Die Beschwerdeführerin war somit im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. b iVm Abs. 6 lit.c AlVG im beschwerdegegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2019 bis 20.06.2019 nicht arbeitslos, weil keine Geringfügigkeit vorlag.

Sie hatte mangels Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 AlVG im genannten Zeitraum daher keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 7 Abs. 1 und 2 AlVG). Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist folglich die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes für diesen Zeitraum zu widerrufen, weil sie gesetzlich nicht begründet war und seither auch noch nicht drei Jahre abgelaufen sind.

3.2.2. Betreffend die Rückforderung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes:

3.2.2.1. Gemäß § 25 Abs. 1 dritter Satz AlVG ist der Empfänger einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührte; in diesem Fall darf jedoch der Rückforderungsbetrag das erzielte Einkommen nicht übersteigen.

Auf ein allfälliges Verschulden der Beschwerdeführerin bzw. dessen Ausmaß beim Bezug des Arbeitslosengeldes vom 01.01.2019 bis 20.06.2019 kommt es nach dieser Bestimmung daher nicht an. Angesichts des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheids vom 19.06.2020, der im maßgeblichen Zeitraum ein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze aufweist, ist die Beschwerdeführerin nach der genannten Gesetzesbestimmung prinzipiell zur Rückzahlung des empfangenen Arbeitslosengeldes verpflichtet.

3.2.2.2. Allerdings ist nach § 25 Abs. 1 dritter Satz, zweiter Halbsatz AlVG der Rückforderungsbetrag mit der Höhe des erwirtschafteten Einkommens im Leistungszeitraum gedeckelt (vgl. Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz, 18. Lfg., § 25, Rz 537). Diese Begrenzung kommt nur dann nicht in Betracht, wenn die Beschwerdeführerin über ihre selbständige Erwerbstätigkeit unwahre Angaben gemacht oder eine solche verschwiegen hat und daher einer der ersten beiden Tatbestände des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG erfüllt wäre (vgl. Julcher in Pfeil [Hrsg.], Der AlV-Komm, 60. Lfg., § 25 AlVG, Rz 29).

Die Beschwerdeführerin ist gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG zum Ersatz der zu Unrecht empfangenen Leistung verpflichtet, wenn sie den Überbezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder erkennen hätte müssen, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Dies ist in Zusammenhang mit ihrer Verpflichtung gemäß § 50 Abs. 1 AlVG zu sehen, wonach sie als Bezieherin von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (u.a.) jede für das Fortbestehen und das Ausmaß ihres Anspruches maßgebende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse ohne Verzug, spätestens jedoch binnen einer Woche seit dem Eintritt des Ereignisses anzeigen hätte müssen.

Die Meldepflicht bezieht sich insbesondere auf die Aufnahme einer Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 AlVG (zB Eintritt in ein Dienstverhältnis oder Aufnahme einer selbständigen Beschäftigung), die der Behörde unverzüglich anzuzeigen ist. Auch die Arbeitslosigkeit nicht ausschließende Beschäftigungen sind anzuzeigen, da die Behörde dadurch in die Lage versetzt wird, die Anspruchsrelevanz der angezeigten Beschäftigung zu beurteilen (vgl. VwGH 10.6.2009, 2007/08/0343).

Ein Leistungsbezieher hat dem AMS eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse selbst dann zu melden, wenn diese seiner Auffassung nach den Anspruch auf eine Leistung der Arbeitslosenversicherung nicht zu beeinflussen vermag (vgl. VwGH 26.11.2008, 2005/08/0149 mwN). Für die Meldepflicht kommt es weder darauf an, ob ein Umstand unmittelbar Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen hat, noch ob der Arbeitslose sich in einem Rechtsirrtum über die Relevanz des zu meldenden Umstands (den möglichen Einfluss auf den Leistungsanspruch) befindet (VwGH 15.09.2010, 2010/08/0139; 20.09.2006, 2005/08/0146; 07.09.2020, Ra 2016/08/0062).

Die Beschwerdeführerin wäre demnach jedenfalls verpflichtet gewesen, dem AMS die Aufnahme bzw. Ausübung ihrer selbständigen Tätigkeit unverzüglich zu melden, zumal sie diese bereits ab dem ersten Monat des beschwerdegegenständlichen Leistungszeitraums ausübte. Zweck des § 50 Abs. 1 AlVG ist es nämlich, die Behörde in die Lage zu versetzen, jede Änderung in den Verhältnissen eines Arbeitslosen, die zu einer Änderung des Leistungsanspruchs führen könnte, daraufhin zu prüfen, ob die Leistung einzustellen oder zu ändern ist. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin bereits im Antragsformular darauf hingewiesen und dazu verpflichtet wurde, jede maßgebende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse bis spätestens eine Woche nach Eintritt des Ereignisses bekannt zu geben (vgl. VwGH 15.09.2010, 2010/08/0139).

Aus der Gegenüberstellung der einzelnen Tatbestände des § 25 Abs. 1 AlVG (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen und Erkennen müssen, dass die Leistung nicht oder nicht in voller Höhe gebühre) folgt weiters, dass die ersten beiden Tatbestände zumindest mittelbaren Vorsatz – dolus eventualis – voraussetzen, während es für die Anwendung des dritten Tatbestandes genügt, dass Fahrlässigkeit gegeben war (vgl. VwGH 26.11.2008, 2005/08/0149; 09.09.2009, 2006/08/0344). Der Vorsatz muss sich nur auf die Verletzung der Meldepflicht und nicht auch darauf beziehen, dass das AMS tatsächlich keine Kenntnis von den meldepflichtigen Tatsachen erlangt, wobei es ausreicht, dass die Meldepflichtverletzung billigend in Kauf genommen wird.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt die Verletzung der Meldepflicht nach § 50 Abs. 1 AlVG die Annahme einer Verschweigung maßgebender Tatsachen im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG und somit die Rückforderung des unberechtigt Empfangenen (VwGH 03.10.2002, 97/08/0611; 16.02.2011, 2007/08/0150).

Eine Rückersatzpflicht aufgrund eines der beiden ersten im § 25 Abs. 1 AlVG genannten Tatbestände setzt zudem voraus, dass die unwahren Angaben bzw. das Verschweigen maßgebender Tatsachen für den Leistungsbezug kausal waren (arg: „herbeigeführt hat“; vgl. VwGH 20.11.2002, 2002/08/0208). Um die Kausalität bejahen zu können, reicht es aus, dass die rechtzeitige und korrekte Meldung potentiell die objektiv gesetzwidrige Auszahlung verhindern hätte können (VwGH 29.06.2016, 2016/08/0100). Die dem AMS nicht gemeldete selbständige Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin erfüllt jedenfalls das Kausalitätserfordernis, weil die rechtzeitige Meldung dem AMS die Überprüfung ermöglicht hätte, ob ihre Arbeitslosigkeit (weiterhin) vorlag.

3.2.2.3. Das ausbezahlte Arbeitslosengeld in Höhe von € 4.726,44 ist somit gemäß § 25 Abs. 1 AlVG rückzufordern.

3.3. Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 VwGVG Abstand genommen werden, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Der entscheidungsmaßgebliche Sachverhalt (s. Pkt. II.1) ergibt sich vollständig aus dem Inhalt des Verfahrensakts und wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten; in der entscheidungswesentlichen Feststellung des Einkommens der Beschwerdeführerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum ist das Bundesverwaltungsgericht an den rechtskräftigen Bescheid des Finanzamts Neunkirchen – Wiener Neustadt vom 19.06.2020 gebunden.

Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich zwar um "civil rights" iSd Art. 6 EMRK (vgl. VwGH 24.11.2016, Ra 2016/08/0142, mwN). Im vorliegenden Fall liegen jedoch angesichts der obigen Ausführungen keine entscheidungserheblichen widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschafft (vgl. zu den Fällen, in denen von Amts wegen eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist, etwa VwGH 07.08.2017, Ra 2016/08/0171). Auch wurde eine solche Verhandlung von der Beschwerdeführerin nicht beantragt. Im Ergebnis stehen dem Entfall der Verhandlung daher weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (vgl. VwGH 07.08.2017, Ra 2016/08/0140).

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Dass die Beschwerdeführerin die gegenständliche Leistung aus der Arbeitslosenversicherung zu Unrecht empfing, geht aus den anzuwendenden gesetzlichen Grundlagen klar hervor. Durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zudem klargestellt, dass das Bundesverwaltungsgericht an den in Rechtskraft erwachsenen Einkommensteuerbescheid des Finanzamts Neunkirchen – Wiener Neustadt gebunden ist. Rechtsprechung betreffend die Rückforderung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes ist umfangreich vorhanden und fallbezogen unter der Begründung zu Spruchteil A.II.) zitiert.

Schlagworte

Arbeitslosengeld Beschwerdevorentscheidung Einkommenssteuerbescheid Fristablauf Meldepflicht Rückforderung selbstständig Erwerbstätiger Unzuständigkeit Verspätung Vollversicherung Widerruf

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W237.2242104.1.00

Im RIS seit

16.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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