Index
L37158 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §41;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde
1.) der I in H, und 2.) der M in L, beide vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 1. April 1993, Zl. I-2-21/1992, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1.) P in H, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in B, 2.) AH und 3.) HH, beide in H,
4.) Gemeinde H, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerinnen haben dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 4.565,-- und der erstmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Ansuchen vom 13. Juli 1992 beantragten die erst- bis drittmitbeteiligten Parteien (in der Folge: Bauwerber) die baupolizeiliche Bewilligung zur Aufstockung des bestehenden Wohnhauses auf dem Grundstück Nr. 4453/1, KG H, bzw. eines Um- und Anbaues dieses Gebäudes bzw. an dieses Gebäude.
Die Beschwerdeführerinnen sind Eigentümerinnen unmittelbar angrenzender Grundstücke. Die Erstbeschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 4453/4, die Zweitbeschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 4457/1, jeweils KG H. Beide Grundstücke schließen nördlich an das Grundstück der Bauwerber an, die projektierte Aufstockung betrifft auch die zur Grundstücksgrenze mit den Beschwerdeführerinnen zugewendete Gebäudefront. In der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 1992, zu der die Beschwerdeführerinnen unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen des § 42 AVG ordnungsgemäß geladen waren, gaben mehrere Grundnachbarn Erklärungen ab.
Die Nachbarin MS erklärte, daß die Gebäudehöhe (Traufenhöhe und Dachneigung) und Gebäudeecken nicht ersichtlich seien. Sie sei der Auffassung, daß die Bauabstände nicht vom "derzeitigen Niveau", sondern vom ehemaligen bzw. Nachbarniveau aus zu messen seien. Sie beantragte daher, daß eine neuerliche mündliche Verhandlung durchgeführt werde.
Die Nachbarin GC erklärte für die Erstbeschwerdeführerin, daß die Gebäudehöhe (Traufe und Dachneigung) und die Gebäudeecken nicht ersichtlich seien. Sie beantragte die Vorlage von Schattenplänen im Sinne des § 6 Vorarlberger Baugesetz. Hinsichtlich der Bauabstände in bezug auf das Geländeniveau schließe sie sich der Aussage von Frau MS an. Sie beantragte weiters, daß zuerst der Baubescheid vom 6. August 1990, Zl. 10-23/90, überprüft werde. Für die Aufschüttung sei keine Zustimmung vorhanden und werde auch keine Zustimmung erteilt.
Herr HS erklärte für die Zweitbeschwerdeführerin, daß er sich hinsichtlich der Schattenpläne der Aussage der Frau GC vollinhaltlich anschließe. Gleichzeitig bezweifelte er, daß die Fenster im Dachgeschoß auch in den Bauabständen richtig berücksichtigt seien.
Mit Bescheid der Baubehörde erster Instanz der mitbeteiligten Gemeinde vom 16. September 1992 wurde den Bauwerbern die Baubewilligung für die Errichtung eines An- und Umbaues sowie eines Wintergartens beim bestehenden Objekt auf dem Grundstück Nr. 4453/1 erteilt. Im Bescheid wurde festgehalten, daß entlang der den Beschwerdeführerinnen zugewendeten Gebäudeseite eine Aufschüttung von ca. 15 cm in einer Breite von einem Meter vorgenommen werde. Der Bauabstand zum Grundstück Nr. 4453/4 der Erstbeschwerdeführerin betrage 4,13 m, der Bauabstand zum Grundstück Nr. 4457/1 der Zweitbeschwerdeführerin 4,07 m. Die erforderliche "Abstandsfläche von 3,99 m" sei daher allseits eingehalten.
Die Einwendungen der Beschwerdeführerinnen, wonach für die Ermittlung der Bauabstände das ursprüngliche bzw. das natürlich gewachsene und in der Natur ersichtliche Gelände maßgebend sei, wurden mit der Begründung abgewiesen, daß die Schattenflächen für ein Bauvorhaben vom Fußpunkt der Außenwand in einer Waagrechten gemessen würden. Für die Ermittlung des Fußpunktes aber sei das projektierte bzw. das vorgeschriebene Gelände von Bedeutung. Die schriftlichen Einwendungen der Zweitbeschwerdeführerin vom 1. August 1992, in welchem darauf hingewiesen wird, daß bereits anläßlich der Errichtung des Wohnobjektes der Bauwerber vor ca. 20 Jahren das Geländeniveau um ca. 40 cm konsenslos aufgeschüttet und eine Stützmauer errichtet worden sei, wurden gemäß § 42 AVG als verspätet zurückgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführerinnen fristgerecht Berufung.
Mit Bescheid vom 19. November 1992 wies die Baubehörde zweiter Instanz die Berufung als unbegründet ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Gemäß § 6 Abs. 2 Vorarlberger Baugesetz sei der Bauabstand vom jeweiligen Fußpunkt der Außenwand in einer Waagrechten zu messen. Der Fußpunkt der Außenwand liege im Schnittpunkt zwischen der Außenwand und dem Gelände. Für die Ermittlung des Fußpunktes sei das projektierte bzw. das vorgeschriebene Gelände maßgebend. Dieses Gelände sei im Beschwerdefall mit der Höhe des vor 20 Jahren aufgeschütteten Geländeniveaus anzunehmen. Ausgehend von diesem Niveau sei die Einhaltung der Abstandsfläche gegeben.
Über Vorstellung der Beschwerdeführerinnen vom 25. November 1992 erging der nunmehr angefochtene Bescheid der belangten Behörde, womit der Vorstellung keine Folge gegeben wurde.
Begründend führt die belangte Behörde aus, daß die Vorstellungswerber mit ihrem Vorbringen, bei der Berechnung von Abstandsflächen sei vom gewachsenen Gelände auszugehen, im Irrtum seien. Für die Ermittlung des Fußpunktes sei das projektierte bzw. das vorgeschriebene Gelände maßgebend (verwiesen wird dabei auf Feurstein, Vorarlberger Baugesetz, 2. Auflage, 28). Im übrigen wies die belangte Behörde die Vorstellungswerber darauf hin, daß eine allfällige Abweichung von den genehmigten Plänen bei der Bauausführung nicht eine Verletzung von Rechten der Nachbarn im Baubewilligungsverfahren bedeuten könne. Maßgeblich für den Baukonsens sei das, was Gegenstand des Baubewilligungsbescheides sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und, ebenso wie die erstmitbeteiligte Partei, eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Die Beschwerdeführerinnen haben auf diese Gegenschriften
eine Replik erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. § 6 Abs. 1 und 2 Vorarlberger Baugesetz, LGBl. Nr. 39/1972, zuletzt geändert durch das Landesgesetz LGBl. Nr. 47/1983, lautet:
"§ 6
Abstandsflächen
(1) Oberirdische Gebäude sind so anzuordnen, daß vor ihren Außenwänden, ausgenommen vor deren Ecken, Abstandsflächen liegen, auf denen keine Gebäude und keine sonstigen oberirdischen Bauwerke bestehen oder errichtet werden dürfen, die an einer Stelle mehr als 1 m hoch sind. Bauwerke, die an keiner Stelle mehr als 3 m hoch sind und nicht dem längerdauernden Aufenthalt von Menschen dienen, dürfen jedoch innerhalb der Abstandsflächen von Gebäuden des gleichen Baugrundstückes liegen, soweit dadurch für Fenster gemäß Abs. 3 ein Lichteinfall im Sinne des letzten Satzes des Abs. 3 nicht verhindert wird. Die im § 7 genannten Vorsprünge und Vorbauten dürfen jedoch bis zu dem dort genannten Ausmaß in die Abstandsflächen hineinragen, wobei in den Fällen des § 7 Abs. 6 lit. a bis c eine Zustimmung des Nachbarn erforderlich ist.
(2) Die Abstandsfläche muß so tief sein, wie sechs Zehntel des Abstandes zwischen der Außenwand und dem Schattenpunkt, der sich auf einer in Höhe des jeweiligen Fußpunktes der Außenwand gelegten Waagrechten ergibt, wenn über das Gebäude Licht unter einem Winkel von 45 Grad einfällt. Bei der Ermittlung der Schattenpunkte sind untergeordnete Bauteile, wie Kamine u.dgl., sowie Vorsprünge und Vorbauten gemäß § 7 bis zu dem dort genannten Ausmaß nicht zu berücksichtigen. Als Außenwand gilt eine lotrechte Ebene in der äußersten Begrenzungslinie des Gebäudes, wobei Vorsprünge und Vorbauten nur soweit zu berücksichtigen sind, als sie das im § 7 genannte Ausmaß überschreiten."
2. Strittig ist im Beschwerdefall, ob die Berechnung des Seitenabstandes gemäß § 6 Abs. 2 Vorarlberger Baugesetz ausgehend von dem vor der Bauführung vorhandenen Gelände vorzunehmen ist oder - wie dies die Baubehörden und die belangte Behörde zugrundegelegt haben - ausgehend von dem mit dem Bescheid erster Instanz bewilligten Niveau, welches durch Anschüttungen erst entsteht.
In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, daß die Zweitbeschwerdeführerin diesbezüglich nicht präkludiert ist. Wenngleich sich aus der oben wiedergegebenen Erklärung des Vertreters der Zweitbeschwerdeführerin ergibt, daß er sich nur hinsichtlich der Schattenpläne der Erklärung der Nachbarin GC
-
für die Erstbeschwerdeführerin - anschließe und daher kein Verweis auf das Vorbringen der Nachbarin GC hinsichtlich der Frage des Geländeniveaus erfolgte, muß das Vorbringen hinsichtlich der Schattenpläne und bezüglich der "Fenster im Dachgeschoß", die nicht richtig "in den Bauabständen" berücksichtigt seien, als Einwendung mit Bezug auf das Recht auf Einhaltung der Abstandsbestimmungen verstanden werden; ob die Verletzung dieses Rechtes etwa dadurch erfolgt, daß bei der Berechnung bzw. Ermittlung der Abstandsflächen - auch mit Hilfe der Schattenpläne - nicht das richtige Geländeniveau zugrunde gelegt wird, betrifft die Frage der Begründetheit der Einwendung; der Nachbar ist aber nach der ständigen Rechtsprechung nicht gehalten, die Einwendungen auch
-
eingehend - zu begründen.
3. Nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen sei für die Ermittlung des Fußpunktes und damit der Abstandsflächen grundsätzlich das natürlich gewachsene Gelände, wie es sich im Zeitpunkt vor der Bauführung darstelle, maßgebend. Eine andere Interpretation lasse das Gesetz nicht zu, weil ansonsten durch Aufschüttungen oder Anböschungen - wenn auch baubehördlich konsentiert - die gesetzlichen Abstandsflächenregelungen nahezu beliebig zu Lasten von Nachbarn umgangen werden könnten.
4. Die belangte Behörde verweist demgegenüber darauf, daß der Gesetzgeber zur Hintanhaltung einer derartigen Gefährdung im § 32 Abs. 2 des Baugesetzes der Behörde die Möglichkeit eingeräumt habe, die Höhenlage eines Gebäudes bescheidmäßig festzusetzen. Dadurch, daß diesbezüglich dem Nachbarn kein Mitspracherecht eingeräumt worden sei, habe der Gesetzgeber den ihm zukommenden rechtspolitischen Spielraum nicht verlassen, da keine im Verfassungsrang stehende Norm den einfachen Gesetzgeber verpflichte, den privatrechtlich vorgegebenen Bestand an nachbarrechtlichen Ansprüchen durch weitere, im öffentlichen Recht begründete subjektive Rechte zu erweitern.
5. Die belangte Behörde ist mit ihrer Auffassung im Ergebnis im Recht. Wie der Verwaltungsgerichtshof zuletzt im Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 96/06/0198,
AW 96/06/0058, unter Hinweis auf seine Erkenntnisse vom 14. April 1994, Zl. 94/06/0056, und vom 17. November 1994, Zlen. 93/06/0207 und 94/06/0078, ausgesprochen hat, ist mangels einer Definition des Begriffes Gelände im Baugesetz selbst im Lichte des § 5 Abs. 3, des § 30 und des § 32 Abs. 2 Baugesetz grundsätzlich von dem nach den Plänen projektierten Gelände auszugehen, sofern nicht gemäß § 5 Abs. 3 oder § 32 Abs. 2 Baugesetz eine Festlegung der Oberfläche des Grundstückes bescheidmäßig erfolgt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch ausgeführt, daß die Definition des Begriffes "Gelände" im § 2 lit. h der Baubemessungsverordnung, LGBl. Nr. 32/1976, gesetzmäßig ist. Diese Auslegung werde auch dadurch gestützt, daß hinsichtlich einer möglichen Bescheiderlassung nach §§ 5 Abs. 3 oder 32 Abs. 2 des Baugesetzes im § 30 des Baugesetzes kein Mitspracherecht des Nachbarn festgelegt sei. Die Argumentation, daß bei einer derartigen Auslegung durch Aufschüttung oder Anböschungen die gesetzlichen Abstandsflächenregelungen nahezu beliebig zu Lasten der Nachbarn umgangen werden könnten, sei schon deshalb nicht stichhaltig, weil Aufschüttungen oder Anböschungen statische Grenzen gesetzt seien. Auf die Festsetzung eines Höhenpunktes der Landvermessung oder auf eine auf einen sonst geeigneten Fixpunkt bezogene Höhe eines Punktes der Geländeoberfläche oder eines Bauwerkes (§ 5 Baugesetz) bestehe ebenfalls kein Rechtsanspruch eines Nachbarn.
6. Der Verwaltungsgerichtshof sieht auch aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles keine Veranlassung, von dieser Rechtsansicht abzurücken. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis auch unter Hinweis auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. Nr. 9159/1981 und 10.605/1985) ausgeführt, daß gegen die Regelung der Parteistellung keine Bedenken aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen.
7. Da sich die vorliegende Beschwerde ausschließlich auf die dargestellte Argumentation, daß die Berechnung der Abstandsflächen ausgehend von der Rechtsansicht der belangten Behörde verfehlt erfolgt sei, stützt, erweist sich somit die Beschwerde als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Bauverfahren (siehe auch Behörden Vorstellung Nachbarrecht Diverses) Parteien BauRallg11/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1993060100.X00Im RIS seit
11.07.2001