TE Bvwg Beschluss 2021/5/27 W111 2239993-2

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Veröffentlicht am 27.05.2021
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Entscheidungsdatum

27.05.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
GehG §169f
VwGVG §33 Abs1

Spruch


W111 2239993-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Dr. Dajani, LL.M. als Einzelrichter über den Antrag von XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ralph Trischler, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 12.04.2021, den Beschluss:

A)

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 01.12.2020 wurde das Besoldungsdienstalter des Antragstellers gemäß § 169f GehG 1956 festgesetzt.

2. Diesen Bescheid hat der Antragsteller laut Zustellnachweis am 05.01.2021 erhalten. Laut Rechtsmittelbelehrung des gegenständlichen Bescheides betrug die Rechtsmittelfrist 4 Wochen.

3. Mit Schreiben vom 08.02.2021, das am 11.02.2021 bei der belangten Behörde einlangte, erhob der Antragsteller einen Antrag auf Wiedereinsetzung samt Beschwerde. Postaufgabe: 08.02.2021. Dieses Schreiben wurde auch per E-Mail am 08.02.2021 übermittelt.

4. Mit Schreiben vom 24.02.2021 legte die belangte Behörde die bei der Behörde eingebrachte Beschwerde samt dem Bezug habenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo das Konvolut am 01.03.2021 einlangte.

5. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.04.2021, W111 2239993-1, wurde die Beschwerde als verspätet zurückgewiesen. Dieser Beschluss wurde dem Antragsteller am 07.04.2021 zugestellt.

6. Mit Eingabe vom 12.04.2021, die am 14.04.2021 beim Bundesverwaltungsgericht einlangte, wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Bundesverwaltungsgericht gestellt. Darin wurde ausgeführt, dass aufgrund der Beschlussfassung, W111 2239993-1, davon ausgegangen werde, dass die Vorlage der Beschwerde bereits erfolgt sei, weshalb § 33 Abs. 4 VwGVG zur Anwendung komme. Zum Antrag führte der Antragsteller im Wesentlichen aus, dass er am 07.04.2021 mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, W111 2239993-1, konfrontiert worden sei. Ihm sei durch das Lesen der Entscheidung erstmals bewusst geworden, dass eine Diskrepanz beim Zustellungsdatum bestehe. Zuvor sei er stets davon ausgegangen, dass er den Bescheid am 08.01.2021 „erhalten“ habe. Dies sei auch der Rechtsvertretung bei der Auftragserteilung zur Erhebung einer Beschwerde derart mitgeteilt worden. Am 08.04.2021 habe der Antragsteller nunmehr mit der Personalabteilung Rücksprache gehalten; es sei ihm mitgeteilt worden, dass die Zustellung tatsächlich bereits am 05.01.2021 erfolgt sei. Zu diesem Zeitpunkt habe der Antragsteller erstmals seinen Irrtum erkannt. Er habe die Tage aufgrund der beruflichen und allgemeinen Stresssituation (Covid-19-Pandemie) einfach verwechselt und deshalb seinem Rechtsfreund am Tag der Beauftragung falsch informiert. Aus diesem Grund sei letztlich die Frist versäumt worden und sei die Einbringung nicht fristgerecht am 02.02.2021 erfolgt, wobei hinsichtlich der Einbringung am 08.02.2021 (und nicht am 05.02.2021) auf den bereits erhobenen Wiedereinsetzungsantrag (wie gesetzlich vorgesehen, mit der bereits erhobenen Bescheidbeschwerde, um die die versäumte Handlung nachzuholen) verwiesen werde. An der Versäumung der Frist habe der Antragsteller nur einen minderen Grad des Versehens zu verantworten. Dass das Datum der Zustellung verwechselt worden sei, sei für den Antragsteller ein unvorhergesehenes Ereignis gewesen, da ihm das normalerweise nicht passiere und den oben geschilderten Umständen geschuldet gewesen sei. Der Wegfall des Hindernisses sei mit 07.04.2021 datiert. An diesem Tag sei die oben genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dem Antragsteller zur Kenntnis gebracht worden und habe der Irrtum am nächsten Tag in dem oben erwähnten Telefonat mit der Personalabteilung aufgeklärt werden können. Der Antrag sei daher fristgerecht.

Zudem wurden im Antrag Bescheinigungsmittel angeführt, darunter befindet sich insbesondere eine eidesstättige Erklärung des Antragstellers.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt iVm dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.04.2021, W111 2239993-1.

Dass dem Antragsteller der Bescheid am 05.01.2021 zugestellt wurde, ist unstrittig und ergibt sich insbesondere aus der eidessättigen Erklärung des Antragstellers vom 12.04.2021.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Zuständigkeit:

In Bezug auf den vom 12.04.2021, eingelangt am 14.04.2021, und sohin – ausgehend von einem Bekanntwerden des potentiellen Wiedereinsetzungsgrundes mit Zustellung des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichtes, W111 2239993-1, am 07.04.2021 – rechtzeitigen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 28.09.2016, Ro 2016/16/0013, ausgesprochen hat, § 33 Abs. 4 VwGVG könne verfassungskonform nur die Bedeutung zugemessen werden, dass über Wiedereinsetzungsanträge, die bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde eingebracht werden, von dieser, und über jene, die ab Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht eingebracht werden, von jenem mit Beschluss zu entscheiden ist.

Festgehalten wird, dass in diesem Zusammenhang auch nicht übersehen wird, dass der Antragsteller bereits mit Schreiben vom 08.02.2021 einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt hat, der vor Vorlage der Beschwerde bei der belangten Behörde eingebracht wurde, weshalb für den Antrag auf Wiedereinsetzung vom 08.02.2021 eine Zuständigkeit der belangten Behörde vorliegt.

Hinsichtlich des nunmehr gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung geht das Gericht jedoch aufgrund des Auswechselns des Wiedereinsetzungsgrundes von der Stellung eines neuerlichen, anders begründeten Antrags auf Wiedereinsetzung aus, der – wie bereits ausgeführt - innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist erfolgte (vgl dazu Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 117 [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

Da der nunmehrige Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallgegenständlich nach der am 01.03.2021 erfolgten Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht eingebracht worden ist, liegt die diesbezügliche Zuständigkeit beim Bundesverwaltungsgericht.

Im Übrigen wird auch nicht übersehen, dass der Verfassungsgerichthof mit Erkenntnis vom 06.10.2020 die Wortfolge „bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht“ in § 33 Abs. 3 erster Satz VwGVG als verfassungswidrig aufgehoben hat. Diesbezüglich wurde aber vorgesehen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 30.06.2021 in Kraft tritt (vgl. VfGH 06.10.2020, G 178/2020).

Schließlich wird im Hinblick auf § 33 Abs. 3 letzter Satz VwGVG darauf hingewiesen, dass nach der neueren Judikatur eine verspätet gesetzte Prozesshandlung nicht neuerlich gesetzt werden muss. Eine Prozesshandlung muss also nur spätestens mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachgeholt werden. Es schadet aber nicht, wenn sie bereits vor dem Wiedereinsetzungsantrag gesetzt worden ist (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht [11. Auflage], Rz 633 mwN).

2.2. Zum Spruchteil A (Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand):

2.2.1. § 33 VwGVG lautet wie folgt:

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 33. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrags ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil die anzufechtende Beschwerdevorentscheidung fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat oder die Beschwerdevorentscheidung keine Belehrung zur Stellung eines Vorlageantrags, keine Frist zur Stellung eines Vorlageantrags oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen
1.         nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.
2.         nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,

bei der Behörde zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(4a) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrags auf Ausfertigung einer Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil auf das Erfordernis eines solchen Antrags als Voraussetzung für die Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof und einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof nicht hingewiesen wurde oder dabei die zur Verfügung stehende Frist nicht angeführt war. Der Antrag ist binnen zwei Wochen
1.         nach Zustellung einer Entscheidung, die einen Antrag auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4, eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.
2.         nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit eines Antrags auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 Kenntnis erlangt hat,

beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen. Über den Antrag entscheidet das Verwaltungsgericht.

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags findet keine Wiedereinsetzung statt.

Gegen die Versäumung von verfahrensrechtlichen Fristen steht grundsätzlich das Rechtsinstrument der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand offen.

Versäumt ist eine Frist dann, wenn der Lauf der Frist für eine Prozesshandlung durch den gesetzlich vorgesehenen Akt (hier: rechtmäßige Bescheidzustellung) ausgelöst wurde und die Frist ungenützt verstrichen ist. Die Partei muss aus der Versäumung der Frist einen Rechtsnachteil erleiden. Dies bedeutet, dass sie wegen der Versäumung der Frist eine sonst mögliche Prozesshandlung (hier: Einbringung der Beschwerde) nicht mehr setzen kann. Ob die versäumte Prozesshandlung erfolgreich gewesen wäre, ist zur Frage der Wiedereinsetzung nach herrschender Ansicht ohne Bedeutung.

Voraussetzung für die Bewilligung der Wiedereinsetzung ist das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes. Ein solcher ist gegeben, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Zu den Ereignissen iSd § 71 Abs 1 Z 1 AVG und § 33 Abs 1 VwGVG, die zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führen können, zählt die Rsp des VwGH auch „innere (psychologische) Vorgänge“, wie zB Vergessen, Versehen, Irrtum, Rechtsirrtum, Unkenntnis der Rechtslage usw (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 35 mwN [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ereignis unabwendbar ist, kommt es nach der Rechtsprechung (z.B. VwGH 24.1.1996, 94/12/0179) auf objektive Umstände an; nämlich darauf, ob das Ereignis auch von einem Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden kann.

Ob ein Ereignis unvorhergesehen ist, hängt demgegenüber nach der Rechtsprechung nicht von einer objektiven Durchschnittsbetrachtung, sondern vom konkreten Ablauf der Geschehnisse ab. Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, wenn es von der Partei tatsächlich nicht einberechnet wurde und mit zumutbarer Vorsicht auch nicht vorhergesehen werden konnte (z. B. VwGH 3.4.2001, 2000/08/0214).

Ein Verschulden der Partei hindert die Wiedereinsetzung nur dann nicht, wenn es sich dabei lediglich um einen minderen Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit) handelt. Eine solche liegt dann vor, wenn der Partei ein Fehler unterläuft, der gelegentlich auch einer sorgfältigen Person unterlaufen kann (vgl. VwGH 20.6.2002, 2002/20/0230), wobei an einen rechtskundigen Parteienvertreter ein höherer Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist (vgl. VwGH 22.1.2003, 2002/04/0136). Ausgeschlossen ist die Wiedereinsetzung dann, wenn der Partei Vorsatz oder offenkundige Sorglosigkeit vorzuwerfen ist.

Der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund muss bereits im Wiedereinsetzungsantrag bezeichnet und sein Vorliegen glaubhaft gemacht werden.

Das zuständige Organ (Behörde, VwG) ist aufgrund der Antragsbedürftigkeit des Verfahrens an die vom Wiedereinsetzungswerber (rechtzeitig) vorgebrachten tatsächlichen Gründe gebunden (Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 115 [Stand 1.1.2020, rdb.at]). Reine Behauptungen betreffend das Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes reichen demgemäß nicht aus. Die Partei, welche die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, hat alle Umstände, die den Wiedereinsetzungsantrag begründen, glaubhaft darzulegen und bereits im Antrag taugliche Bescheinigungsmittel zu ihrer Glaubhaftmachung anzuführen (Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 116 [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Grad des Verschuldens, wenn ein Antragsteller sich über den Beginn des Fristenlaufes irrt, hinzuweisen (vgl. VwGH 26.8.2010, Zl. 2009/21/0400): „Im Rahmen der sie treffenden Sorgfaltspflicht hätte sie nämlich, worauf schon die belangte Behörde zutreffend hingewiesen hat, die Obliegenheit getroffen, sich bei geeigneten Stellen diesbezüglich zu erkundigen und sich Gewissheit über den tatsächlichen Beginn des Fristenlaufs zu verschaffen. Dass sie dies getan hätte, bringt die Beschwerdeführerin nicht vor. Auch ist nicht erkennbar, dass es ihr nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, sich die notwendigen Kenntnisse zu verschaffen. (…) Da die Beschwerdeführerin der dargestellten Obliegenheit, entsprechende Erkundigungen vorzunehmen, nicht nachgekommen ist, trifft sie ein Verschulden, das einen minderen Grad des Versehens übersteigt. Es kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung verneinte.“

Grundsätzlich kann auch ein erst am letzten Tag der Frist eingetretenes unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis das Recht auf Wiedereinsetzung begründen, weil der Partei die Rechtsmittelfrist uneingeschränkt bis zum letzten Augenblick zur Verfügung steht (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 36 [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

Die angeführte Judikatur ist unzweifelhaft auch auf den gleichlautenden Begriff „unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis“ in § 33 Abs. 1 Z 1 VwGVG, welcher dem § 71 Abs. 1 Z 1 AVG nachgebildet ist, übertragbar.

2.2.2. Der zu beurteilende Wiedereinsetzungsantrag wurde im Wesentlichen und zusammengefasst damit begründet, dass der Antragsteller gegenüber seinem – mit der Einbringung eines Rechtsmittels beauftragten – gewillkürten Vertreter irrtümlich ein falsches Zustelldatum angegeben hätte, auf dessen Basis der Rechtsvertreter die Beschwerdefrist berechnet hätte. Auf jenem Irrtum habe die folglich verspätet erfolgte Beschwerdeeinbringung beruht.

Festzuhalten ist zunächst, dass im vorliegenden Fall aufgrund der verspätet erfolgten Aufgabe des Beschwerdeschriftsatzes bei der Post eine Frist versäumt wurde (vgl. BVwG 01.04.2021, W111 2239993-1) und der Antragsteller hierdurch einen Rechtsnachteil erlitt.

2.2.3. Der Vertreter des Antragstellers führte zusammengefasst und sinngemäß als unvorhergesehenes Ereignis den – auf einem minderen Grad des Versehens beruhenden – Irrtum des Antragstellers über den Zeitpunkt der Zustellung der anzufechtenden Erledigung, welcher für den Irrtum des Vertreters des Antragstellers über den Fristenlauf kausal gewesen wäre, ins Treffen.

Auch ein Irrtum über den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides bzw den Zeitpunkt der Hinterlegung eines Bescheides und der damit bewirkten Zustellung kann einen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand darstellen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 73 mwN [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

Ein dem Vertreter widerfahrendes Ereignis stellt nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn es für diesen selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und ihn an der Versäumung der Frist oder mündlichen Verhandlung kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 43 mwN [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

Ein Verschulden des Vertreters ist dem Verschulden des vertretenen Wiedereinsetzungswerbers gleichzusetzen. Es hat dieselben Rechtswirkungen wie das Verschulden der Partei. Der Machtgeber muss sich das Verschulden des Machthabers zurechnen lassen, es gibt keine „restitutio ob malam defensionem“. Das Verschulden, welches den Bevollmächtigten der Partei trifft, ist so zu behandeln, als wäre es der Partei selbst unterlaufen, gleichgütig ob der Wiedereinsetzungswerber von einem Rechtsanwalt oder sonst einer Vertrauensperson vertreten wird (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 44 mwN [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

Allerdings wird von der Jud an die Sorgfaltspflichten bei „beruflichen“ rechtskundigen Parteienvertretern ein strengerer Maßstab angelegt als bei anderen (rechtsunkundigen) Personen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 44 mwN [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

Der Vertreter ist – um sein Verschulden auszuschließen – verhalten, sich selbst unverzüglich von der vertretenen Partei alle erforderlichen Informationen zu verschaffen, um die Prozesshandlungen zeitgerecht setzen und damit die Fristen wahren zu können. Dabei obliegt es dem Vertreter einer Partei insb, die ihm von einem Klienten mitgeteilten Umstände über den für den Beginn der Rechtsmittelfrist maßgebenden Zustelltag nicht ungeprüft seiner Fristvormerkung zugrundezulegen, und stellt es eine auffallende Sorglosigkeit dar, wenn sich ein Rechtsanwalt insofern mit den mehrdeutigen Angaben einer nicht rechtskundigen Partei (so etwa, dass sie den hinterlegten Bescheid an einem bestimmten Datum „bekommen“ oder auch „zugestellt“ erhalten habe) zufriedengibt. Andererseits ist der Machtgeber verpflichtet, seinem Vertreter die notwendigen Daten – im Falle der Erhebung eines Rechtsmittels insb das genaue Zustelldatum des Bescheides – bekanntzugeben. Mängel in der Kommunikation zwischen der Partei und ihrem Vertreter, welche die Entscheidung, die notwendige Prozesshandlung zu setzen, beeinflussen konnten, stellen nach der Rsp des VwGH kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis iSd § 71 Abs 1 Z 1 AVG dar (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 45 mwN [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

Besonderes Augenmerk hat der berufliche rechtskundige Parteienvertreter auf Irrtümer zu legen, deren Fehlergeneigtheit für jedermann, und damit insb für ihn, leicht erkennbar ist. Solche Versehen drohen beispielsweise dann, wenn ein bereits unterfertigtes, aber fehlerhaftes Schriftstück nicht sofort nach Erstellen des fehlerfreien Exemplars aus dem Verkehr gezogen wird oder wenn ein telefonischer Auftrag, etwa zu einer Eintragung ins Fristenbuch, mit Formulierungen erteilt wird, die eine Missinterpretation geradezu vorprogrammieren. Auch wenn das Zustelldatum des Bescheides, gegen den der Anwalt Rechtsmittel erheben soll, der Kanzleikraft telefonisch übermittelt wird, sind Maßnahmen zur unmittelbaren Kontrolle der Richtigkeit der aufgenommenen Daten (zB schriftliche Bestätigung) zu treffen, da bei telefonischer Übermittlung Hör- oder andere Fehler und Missverständnisse nicht ausgeschlossen werden können. Generell unterliegt das Zustelldatum einer besonderen Prüfpflicht, weil es für den Eintritt der formellen Rechtskraft (vgl § 68 Rz 5 ff) und damit für das Ende von Fristen in Bezug auf die Erhebung von (ordentlichen und außerordentlichen) Rechtsmitteln von ausschlaggebender Bedeutung ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 51 mwN [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

Eine auffallende, der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehende Sorglosigkeit liegt nach der (äußerst umfangreichen) Jud des VwGH beispielsweise vor, wenn

- der Wiedereinsetzungswerber das Kuvert, aus dem der Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides hervorgeht, wegwirft und auf dem Bescheid, den er seinem Rechtsvertreter zwecks Einbringung eines Rechtsmittels übersendet, ein unrichtiges Zustelldatum (zB falschen Eingangsstempel) anbringt;

- jene Unterlagen, aus denen sich der Tag der Zustellung und damit der Beginn des Fristenlaufes ergibt, in einer Weise aufbewahrt werden, die es möglich erscheinen lässt, dass sie selbst und damit das Wissen um den Fristbeginn verloren gehen; diese Unterlagen sind vor dem Zugriff unbefugter und solcher Personen, die ihre Bedeutung nicht erfassen, zu schützen;

- die Partei über die Zeitpunkte der Zustellung verschiedener, hintereinander eingelangter behördlicher Schriftstücke irrt (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 41 mwN [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

Eine der Wiedereinsetzung entgegenstehende auffallende Sorglosigkeit nahm der VwGH beispielsweise an, wenn die Rechtsunkenntnis bzw der Rechtsirrtum hätte vermieden werden können durch

- Einholung von Informationen bei der Behörde oder bei einem Rechtskundigen;

- unverzügliche Überprüfung, an welchem Zeitpunkt der Bescheid tatsächlich zugestellt worden ist, und Beachtung der in § 6 ZustG getroffenen Anordnung, wonach die neuerliche Zustellung des gleichen Dokuments keine Rechtswirkungen auslöst (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 69 mwN [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der VwGH ausgesprochen hat, dass es zu den Pflichten des Rechtsanwalts gehöre, die maßgeblichen Daten für die Einhaltung der Rechtsmittelfrist, somit grundsätzlich den exakten und richtigen Zeitpunkt der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung, durch Befragung der Partei oder durch Ermittlungen bei der Post und/oder bei der Behörde festzustellen. Es stelle eine auffallende Sorglosigkeit dar, sich mit den mehrdeutigen Angaben einer nicht rechtskundigen Partei, diese habe die Sendung an einem bestimmten Tag „bekommen“, zufrieden zu geben. Auch im vorliegenden Fall gab die Beschwerdeführerin nach dem dargestellten Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag gegenüber ihrem Vertreter lediglich an, den Bescheid an einem bestimmten Datum „zugestellt“ erhalten zu haben. Dass der Vertreter der Beschwerdeführerin Ermittlungen unterlassen hat, auf welche Weise der Bescheid konkret zugestellt worden ist (Ausfolgung der Sendung beim Zustellversuch oder Ausfolgung der hinterlegten Sendung am bekannt gegebenen Datum), ist als eine die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hindernde Sorgfaltswidrigkeit zu werten (vgl. VwGH 30.08.2007, 2007/21/0242; 29.09.2020, Ra 2020/21/0214).

2.2.4. Übertragen auf den zu beurteilenden Fall bedeutet dies, dass die verspätet erfolgte Einbringung der Beschwerde zwar insofern auf einem unvorhergesehenen Ereignis beruhte, als der gewillkürte Vertreter – dessen Verhalten sich der Antragsteller zuzurechnen lassen hat – aufgrund der unrichtigen dahingehenden Information seines Mandanten den Fristenlauf von einem unrichtigen Zustelldatum aus berechnete. Dieser Irrtum des rechtsfreundlichen Vertreters über den Zeitpunkt der Zustellung der angefochtenen Erledigung kann jedoch – im Sinne des für berufsmäßige Parteienvertreter heranzuziehenden erhöhten Sorgfaltsmaßstabs und der in Bezug auf das Zustelldatum erhöhten Prüfpflicht – nicht als auf einem minderen Grad des Versehens beruhend erachtet werden:

So ergibt sich aus dem Akteninhalt jedenfalls, dass der gewillkürte Vertreter keine positive Kenntnis über das exakte Zustelldatum besessen hat. Vielmehr wurde im Antrag ausgeführt, dass der Antragsteller stets davon ausgegangen sei, dass er den Bescheid am 08.01.2021 „erhalten“ habe. Dies sei auch der Rechtsvertretung bei der Auftragserteilung zur Erhebung einer Beschwere derart mitgeteilt worden. Es ist dem Akt und dem Vorbringen nicht zu entnehmen, dass ein Beleg, aus welchem das tatsächliche Zustelldatum ersichtlich ist, dem gewillkürten Vertreter übergeben wurde. Bereits vor diesem Hintergrund wäre es dem Vertreter des Antragstellers im Sinne der oben dargestellten Judikaturlinie oblegen, sich Gewissheit über den exakten Zustellzeitpunkt zu verschaffen, um einen Irrtum über den Beginn des Fristenlaufs ausschließen zu können. Ein schuldausschließender minderer Grad des Versehens ist in diesem Zusammenhang daher nicht anzunehmen. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass auch das im Bescheid angeführte Datum jedenfalls die Möglichkeit einer früheren Zustellung zugelassen hätte.

Sohin wären etwa entsprechende Erkundigungen bei der belangten Behörde möglich und geboten gewesen. Festgehalten wird, dass es dem Antragsteller schließlich am 08.04.2021 problemlos möglich war, das tatsächliche Zustelldatum bei der Personalabteilung zu erfragen. Neben einer konkreten Erkundigung bei der belangten Behörde wäre zudem offen gestanden, Akteneinsicht zu begehren.

2.2.5. Im Ergebnis beruht der Irrtum, welcher fallgegenständlich zur Versäumung der Rechtsmittelfrist geführt hat, sohin auf einem über einen minderen Grad des Versehens hinausgehenden Verschulden des berufsmäßigen Parteienvertreters.

2.2.6. Soweit der Antragsteller als Grund für die Falschinformation gegenüber den gewillkürten Vertreters ausführt, dass der Antragsteller aufgrund der beruflichen und allgemeinen Stresssituation (Sichtwort: Covid-19- Pandemie) „die Tage“ einfach verwechselt habe und deshalb seinem gewillkürten Vertreter am Tag der Beauftragung falsch informiert habe, ist festzuhalten, dass dieses Vorbringen bereits aufgrund des Umstandes, dass der gewillkürte Vertreter keine positive Kenntnis über das exakte Zustelldatum besessen hat und diesbezüglich ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden des berufsmäßigen Parteienvertreters vorliegt, ins Leere geht.

Im Übrigen ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, demnach etwa berufliche Überlastung und erhöhter Stress keinen bloß minderen Grad des Versehens zu begründen vermögen (vgl. etwa VwGH 25.09.2018, Ra 2016/05/0018; 17.02.2021, Ra 2021/20/0004).

Der Wiedereinsetzungsantrag war somit mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

2.3. Da das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung den vom Antragsteller vorgebrachten Sachverhalt zu Grunde legte und es dem Gericht verwehrt war, sonstige von ihm nicht geltend gemachte Umstände amtswegig in seine Entscheidung miteinzubeziehen, ist auch nicht ersichtlich, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache erwarten hätte lassen. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen (vgl VwGH 03.02.2021, Ra 2020/05/0056).

2.4. Zu Spruchteil B (Unzulässigkeit der Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sonst hervorgekommen.

Schlagworte

Sorgfaltspflicht unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis Verschulden Wiedereinsetzung Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W111.2239993.2.00

Im RIS seit

20.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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