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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw des subsidiär Schutzberechtigten betreffend eine Familie von Staatsangehörigen von Nigeria mangels zeitnaher schriftlicher Ausfertigung der mehr als 20 Monate vorher mündlich verkündeten und nicht begründeten EntscheidungSpruch
I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria sowie gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.877,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Nigerias. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers.
2. Die Beschwerdeführer stellten am 3. Februar 2017 Anträge auf internationalen Schutz, die das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheiden vom 17. November 2017 jeweils sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abwies. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Nigeria zulässig ist und setzte eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise.
3. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18. April 2018 eine mündliche Verhandlung durch und verkündete sogleich seine Entscheidung. Die Verkündung der Entscheidung wurde in der Niederschrift festgehalten. In Spruchpunkt A) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. In Spruchpunkt B) wird die Unzulässigkeit der Revision gemäß Art133 Abs4 B-VG ausgesprochen. Dem Spruch folgt die Rechtsmittelbelehrung und die Belehrung gemäß §29 Abs2a VwGVG. Eine Begründung der Entscheidung geht aus der Niederschrift nicht hervor. Die Beschwerdeführer beantragten die schriftliche Ausfertigung gemäß §29 Abs4 VwGVG. Dies wurde in der Niederschrift vermerkt. Mit Schreiben vom 14. November 2018, 19. August 2019 und 10. Oktober 2019 wiesen die Beschwerdeführer darauf hin, dass ihnen noch keine schriftliche Ausfertigung zugestellt wurde.
4. Am 12. Dezember 2019 erging die schriftliche Ausfertigung des am 18. April 2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.
II. Erwägungen
A. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria sowie gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen richtet, begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem Bundesverwaltungsgericht ein willkürliches Vorgehen anzulasten:
2.1. Gemäß §29 Abs2 VwGVG sind Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte mit den wesentlichen Entscheidungsgründen zu verkünden.
2.2. Ein mündlich verkündetes Erkenntnis, dessen wesentliche Begründung nicht aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung hervorgeht, ist mangels Gelegenheit zur nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof schon aus diesem Grund mit Willkür belastet (vgl VfSlg 20.267/2018); dies trotz Vorliegens einer schriftlichen Ausfertigung dann, wenn das mündlich verkündete Erkenntnis – wie hier – überhaupt nicht begründet ist (vgl VfSlg 20.360/2019; zum Erfordernis einer zeitnahen schriftlichen Ausfertigung vgl jüngst VfGH 10.3.2021, E2059/2020 ua).
3. Die angefochtene, begründungslos ergangene Entscheidung ist daher – im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen – mit Willkür belastet.
B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und die Abschiebung in den Herkunftsstaat Nigeria unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist das Verfahren in sinngemäßer Anwendung des §86 VfGG einzustellen.
1. Den Beschwerdeführern wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art8 EMRK gemäß §55 Abs2 AsylG erteilt. Über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes gemäß §86 VfGG gaben die Beschwerdeführer bekannt, dass sie sich hinsichtlich der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Abschiebung in den Herkunftsstaat Nigeria nicht als klaglos gestellt erachten, weil die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und die Abschiebung in den Herkunftsstaat Nigeria unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise weiterhin dem Rechtsbestand angehörten.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes führt nicht nur die formelle Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, sondern auch der Wegfall des Rechtsschutzinteresses im Zuge eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens zu dessen Einstellung, weil der Verfassungsgerichtshof im Rahmen einer nach Art144 B-VG erhobenen Beschwerde zu einer rein abstrakten Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Entscheidung nicht berufen ist. Ergibt sich im Zuge eines derartigen Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof, dass eine fortwirkende Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes des Beschwerdeführers durch die angefochtene Entscheidung nicht (mehr) gegeben ist, sodass auch eine stattgebende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes keine (weitere) Veränderung seiner Rechtsposition bewirken würde und die in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen damit nicht mehr fallbezogene, sondern nur noch theoretische Bedeutung besitzen, dann führt dies zur Einstellung des verfassungsgerichtlichen Verfahrens (vgl zB VfSlg 17.291/2004, 16.228/2001, 15.209/1998).
3. Die angefochtene Entscheidung ist zwar, soweit sie damit die Beschwerde gegen die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und die Abschiebung in den Herkunftsstaat Nigeria unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abweist, nicht mit einem formellen Akt aus dem Rechtsbestand beseitigt worden. Mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art8 EMRK nach §55 Abs2 AsylG wurde die Rückkehrentscheidung gemäß §60 Abs3 FPG gegenstandslos, weshalb dem Anliegen der Beschwerdeführer hinsichtlich der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Abschiebung in ihren Herkunftsstaat Nigeria unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise, Rechnung getragen wurde.
4. Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit sich die Beschwerde gegen die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und die Abschiebung in den Herkunftsstaat Nigeria unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, nicht mehr beschwert, weshalb die Beschwerde insoweit als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren hierüber in sinngemäßer Anwendung des §86 VfGG einzustellen ist.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria sowie gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60.
Schlagworte
Asylrecht, Verhandlung mündliche, Entscheidungsverkündung, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung, VerwaltungsgerichtsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E322.2020Zuletzt aktualisiert am
11.08.2021