TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/19 I422 2234602-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.03.2021
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Entscheidungsdatum

19.03.2021

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §66 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1 Z2
NAG §52 Abs1 Z1
NAG §55 Abs1
NAG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I422 2234602-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Rumänien, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 18.03.2021, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgegenstand:

Verfahrensgegenstand ist die fristgerecht erhobene Beschwerde eines rumänischen Staatsangehörigen gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2020, Zl. XXXX . In ihrer Entscheidung wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes aus dem Bundesgebiet aus (Spruchpunkt I.) und erteilte ihm einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung (Spruchpunkt II.).

Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 26.08.2020. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer entgegen der unrichtigen Feststellungen der belangten Behörde rechtmäßig als Arbeitnehmer in Österreich aufhalten würde. Zudem sei von einem Überwiegen seiner familiären und privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet auszugehen. Außerdem habe die belangte Behörde das Recht des Beschwerdeführers auf Parteiengehör verletzt, da sie ihm zwar eine schriftliche Verständigung zukommen lassen habe, eine solche aber nicht zur Wahrung des Parteiengehörs geeignet sei.

Am 18.03.2021 erfolgte in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin eine mündliche Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Rumänien. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer wurde in XXXX , im Kreis XXXX , in Rumänien geboren, wo er auch aufwuchs. In seinem Herkunftsstaat besuchte der Beschwerdeführer zehn Jahre lang die Pflichtschule und anschließend für eineinhalb Jahre die Berufsschule. Er verfügt über einer Ausbildung als Dreher. Als solcher arbeitete er rund sieben Jahre in seinem Herkunftsstaat und verdiente er sich dadurch seinen Lebensunterhalt.

Der Beschwerdeführer ist mit einer ebenfalls in Österreich aufhältigen, rumänischen Staatsangehörigen verheiratet. Aus der Beziehung mit seiner Ehefrau entstammen ein volljähriger Sohn und eine minderjährige Tochter. Der Beschwerdeführer lebt gemeinsam mit seiner Ehefrau und der minderjährigen Tochter in einem gemeinsamen Haushalt, in Wien. Der volljährige Sohn hat seinen Lebensmittelpunkt in Rumänien und besucht den Beschwerdeführer und die Familie tageweise in Österreich. In Form seiner in Rumänien aufhältigen Mutter, verfügt der Beschwerdeführer noch über familiäre Anknüpfungspunkte zu seinem Herkunftsstaat. Er telefoniert rund drei Mal die Woche mit ihr.

Der Beschwerdeführer hält sich seit 2017 im Bundesgebiet auf und ist seit dem 12.05.2017 mit Hauptwohnsitz durchgehend melderechtlich erfasst. Die Ehegattin hält sich ebenfalls seit 2017 im Bundesgebiet auf und lebt mit dem Beschwerdeführer seit dem 02.10.2017 in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt. Es handelt sich hierbei um eine Zweizimmerwohnung im Ausmaß von ungefähr 30 m², wofür die Ehefrau des Beschwerdeführers einen monatlichen Mietzins in der Höhe von € 350,- entrichtet.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich mit mehrfachen Unterbrechungen im Baugewerbe, zumeist bei Leihfirmen, beschäftigt. Er war während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet in insgesamt 15 Arbeitsverhältnissen bei sieben verschiedenen Dienstgebern beschäftigt. Zuletzt war der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 22.02.2021 bis 01.03.2021 erwerbstätig. Am 05.10.2017 beantragte er die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer). Über diesen Antrag wurde bis dato nicht entschieden. Der Beschwerdeführer bezog zu keinem Zeitpunkt Sozialleistungen. Er ist beim Arbeitsmarktservice zur Arbeitssuche gemeldet.

Die Ehegattin des Beschwerdeführers ist seit 19.06.2020 durchgehend als Reinigungskraft beschäftigt und bringt monatlich ein Nettoeinkommen in der Höhe von € 1.200,- ins Verdienen. Aus der beruflichen Tätigkeit seiner Ehegattin ist der Beschwerdeführer als Angehöriger in der Krankenversicherung mitversichert. Der Beschwerdeführer verfügte am Verhandlungstag über Barmittel in der Höhe von € 15,-. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer allein über ein Girokonto verfügungsberechtigt, dass gegenwärtig einen Kontostand zwischen € 4.300,- und 4.400,- aufweist. Des Weiteren zahlt der Beschwerdeführer mit seiner Ehegattin monatlich € 50,- in einen Bausparvertrag ein. In ihrem Herkunftsstaat besitzen der Beschwerdeführer und seine Ehegattin gemeinsam ein Haus. Verbindlichkeiten oder Schulden bestehen nicht.

Der Beschwerdeführer spricht nicht Deutsch und weist keine sozialen und integrativen Anbindungen an das Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.

Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 27.07.2020 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und ihm ein einmonatiger Durchsetzungsaufschub erteilt.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung des bekämpften Bescheides und der Angaben im Beschwerdeschriftsatz sowie den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 18.03.2021. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Sozialversicherungsträgers und des Strafregisters eingeholt.

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere seiner Identität, ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und den Angaben in der mündlichen Verhandlung. Bei dieser wies sich der Beschwerdeführer mit seinem Personalausweis aus, weshalb seine Identität feststeht.

Aus den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung resultieren die Feststellungen zur Herkunft des Beschwerdeführers, seiner Schul- und Berufsausbildung und seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit in Rumänien.

Aus seine Angaben vor dem erkennenden Gericht und der zeugenschaftlichen Einvernahme seiner Ehegattin, gründen die Feststellung zur seiner familiären Situation und den in Österreich sowie in Rumänien aufhältigen Verwandten.

Der Aufenthalt und die melderechtliche Erfassung des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin im Bundesgebiet ergeben sich aus der Einsichtnahme in das ZMR. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung tätigten die Beschwerdeführer die entsprechenden Ausführungen hinsichtlich ihrer Unterkunft und die daraus entspringenden Kosten.

Die Feststellungen zu den Erwerbstätigkeiten und zum fehlenden Bezug von Sozialleistungen beruhen auf dem eingeholten Auszug des Sozialversicherungsträgers sowie auf dem damit übereinstimmen Vorbringen des Beschwerdeführers im Beschwerdeschriftsatz und den Angaben in der mündlichen Verhandlung. In dieser bescheinigte er auch anhand einer Erinnerungs-SMS, dass er beim Arbeitsmarktservice zur Arbeitssuche gemeldet ist. Aus der Einsichtnahme in das IZR in Zusammenschau mit den Angaben des Beschwerdeführers gründet die Feststellung über die beantragte Anmeldebescheinigung.

Aus den Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin, aus dem Inhalt der vorgelegten Unterlagen und einer Einsichtnahme in einen Auszug des Sozialversicherungsträgers resultieren die Feststellungen zur Tätigkeit seiner Ehegattin und deren monatliches Einkommen, der Mitversicherung des Beschwerdeführers in der Krankenversicherung, den Barmitteln und Vermögensständen in Österreich und Rumänien sowie dem Nichtvorliegen von Verbindlichkeiten oder Schulden.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung konnte sich der erkennende Richter von den de facto nicht vorhandenen Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers persönlich überzeugen und bestätigte der Beschwerdeführer, dass er im Bundesgebiet keine sozialen und integrativen Anbindungen aufweist und sein Alltag im Bundesgebiet primär vom Arbeiten bzw. von der Arbeitssuche bestimmt wird.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit ist aus dem eingeholten Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich ersichtlich.

Der verfahrensgegenständliche Bescheid vom 27.07.2020, Zl. XXXX liegt im Verwaltungsakt ein.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des angefochtenen Bescheides:

3.1. Rechtslage:

Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:

„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet auszugsweise:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.“

Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate“ überschriebene § 55 NAG lautet:

„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“

3.2. Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall:

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Rumänien EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a und b RL 2004/38/EG vom 3.7.2009 (Freizügigkeitsrichtlinie) hat jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist, oder für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, sodass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen. Nicht von Bedeutung ist die Höhe der Vergütung, Ausmaß der Arbeitszeit und Dauer des Dienstverhältnisses (vgl. EuGH 26.2.1992, C-357/89, Raullin/Minister van Onderwijs en Weteschappen).

Da der Beschwerdeführer in Österreich gegenwärtig keiner selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgeht (wodurch er auf Grundlage des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt wäre), ist gegenständlich zunächst zu prüfen, ob er den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG erfüllt. Im Rahmen dieser Prüfung ist zu beurteilen, ob er über ausreichende Existenzmittel für sich sowie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt, sodass er während seines Aufenthaltes weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen muss.

Bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie - in Österreich umgesetzt durch § 51 Abs. 1 Z 2 NAG - in Anspruch nehmen zu können, ist eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen (vgl. EuGH 11.11.2014, Dano, C-333/13; EuGH 19.09.2013, Brey, C-140/12; überdies VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0047). Darüber hinaus hat der Gerichtshof der Europäischen Union ausgesprochen, dass die in Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie (umgesetzt mit § 51 Abs. 1 Z 2 NAG 2005) enthaltene Formulierung "über die erforderlichen Mittel verfügen", ist dahin auszulegen, dass es ausreicht, wenn dem Unionsbürger diese Mittel zur Verfügung stehen, ohne dass die Bestimmung Anforderungen an die Herkunft der Mittel stellt, so dass diese auch von einem Drittstaatsangehörigen stammen können. Folglich schließt der Umstand, dass die Existenzmittel, über die der Unionsbürger verfügt, aus Mitteln stammen, die von dem einem Drittstaat angehörenden Ehegatten aus der von diesem im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübten Tätigkeit bezogen werden, es nicht aus, dass die in Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie enthaltene Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel als erfüllt anzusehen ist (EuGH 16.7.2015, K. Singh ua, C-218/14; VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0080).

Nach Art. 8 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern ist die persönliche Situation des Betroffenen zu berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten können zwar einen bestimmten Betrag als Richtbetrag angeben, sie können aber nicht ein Mindesteinkommen vorgeben, unterhalb dessen ohne eine konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Betroffenen angenommen würde, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (vgl. EuGH 19.9.2013, Brey, C-140/12). Es bedarf also bei der Frage, ob ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stehen, einer konkreten Einzelfallbeurteilung (vgl. VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0222).

Das Bundesverwaltungsgericht hat seiner Entscheidung sämtliche aktenkundigen bzw. im Beschwerdeverfahren hervorgekommenen Sachverhaltselemente zugrunde zu legen (vgl. VwGH 28.05.2019, Ra 2019/22/0036).

In einer Zusammenschau aus dem Beschwerdeschriftsatz, sowie den in der Verhandlung vorgelegten Bescheinigungsmitteln in Form der Lohnzettel, der Kontoauszüge, dem Bausparvertrag und den glaubhaften Ausführungen der Beschwerdeführers und seiner Ehegattin, wonach die Ehegattin des Beschwerdeführers ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von € 1.200,- erwirtschaftet, der Beschwerdeführer selbst – wenn auch immer wieder mit Unterbrechungen und von kurzer Dauer – arbeitet und daraus zeitweise ein Einkommen lukriert, der Beschwerdeführer Girokonto mit einem Guthaben in der Höhe zwischen € 4.300,- und € 4.400,- und nachweislich über einen Bausparer verfügt und er zudem gemeinsam mit seiner Ehegattin im Herkunftsstaat eine Liegenschaft, ist fallgegenständlich von einer Erfüllung der Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht iSd § 51 Abs. 1 Z 2 NAG (ausreichende Existenzmittel und umfassender Krankenversicherungsschutz) durch den Beschwerdeführer auszugehen.

Auch das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle, sofern dieses Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist, kann ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln. Dieses Aufenthaltsrecht wird innerstaatlich nicht verliehen, sondern nur dokumentiert (vgl. VwGH 09.08.2016, Ro 2015/10/0050). Es kommt daher auf die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Rechtserwerb nicht an (vgl. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0264).

Darüber hinaus weisen vor dem Hintergrund der wiederholten Erwerbstätigkeiten des Beschwerdeführers und die Tatsache, dass er beim Arbeitsmarktservice als Arbeitssuchend gemeldet ist, auf dessen nachhaltiges Bemühen, am österreichischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und seinen Unterhalt, sowie jenen seiner Familie, aus eigenem zu bestreiten, hin.

Angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer sich bereits seit 17.05.2017 durchgehend im Bundesgebiet aufhält und offenkundig – vor allem mit der Unterstützung seiner Ehegattin – dennoch bislang ohne den Bezug von Sozialhilfeleistungen oder der Ausgleichszulage zur Selbsterhaltung im Bundesgebiet fähig war, steht aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes fest, dass er die Tatbestandsvoraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG zum Entscheidungszeitpunkt erfüllt. Demzufolge kommt ihr gemäß §§ 51 Abs. 1 Z 2 iVm 55 Abs. 1 NAG ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu.

Der Vollständigkeit halber ist im gegenständlichen Fall ergänzend darauf hinzuweisen, dass dem Beschwerdeführer ungeachtet dessen auch ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht auf Grundlage des § 52 Abs. 1 Z 1 NAG zukommt. Dieser Tatbestand setzt (in Umsetzung von Art. 2 Abs. 2 lit. d iVm Art. 7 Abs. 1 lit. d der Freizügigkeitsrichtlinie) voraus, dass EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie Ehegatte oder eingetragener Partner sind (vgl. VwGH 12.12.2017, Ra 2015/22/0149 unter Verweis auf die Judikatur des EuGH).

Fallgegenständlich erfüllt der Beschwerdeführer als Ehegatte einer unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerin zudem die Tatbestandsvoraussetzungen des § 52 Abs. 1 Z 1 NAG.

Die Ausweisung des Beschwerdeführers mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erfolgte daher nicht zu Recht, was in weiterer Folge auch die Gegenstandslosigkeit des dem Beschwerdeführer mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gewährten Durchsetzungsaufschubes bedingt.

In Stattgabe der Beschwerde war der angefochtene Bescheid daher ersatzlos aufzuheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung über die Aufenthaltsberechtigung von EWR-Bürgern von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Ausweisungsverfahren Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Ehe ersatzlose Behebung EU-Bürger EWR-Bürger Existenzminimum finanzielle Mittel Integration Interessenabwägung Kassation mündliche Verhandlung Nettoeinkommen öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Unionsbürger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I422.2234602.1.00

Im RIS seit

24.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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