TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/24 W102 2182786-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.03.2021
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Entscheidungsdatum

24.03.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W102 2182786-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch: BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdwesen und Asyl vom 11.12.2017, Zl. XXXX , wegen §§ 3, 8, 10 AsylG 2005 sowie §§ 46, 52 und 55 FPG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.03.2021 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, wird stattgegeben und diesem gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 02.11.205 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 03.11.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund befragt an, dass er wegen der schlechten Sicherheitslage geflüchtet sei.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 03.11.2017 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen aus, dass er wegen des Krieges und der Unsicherheit ausgereist sei. Er habe jetzt keinen Glauben mehr, weshalb er nicht nach Afghanistan zurückkehren könne.

2.       Mit Bescheid vom 13.11.2017, zugestellt am 16.11.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei.

3.       Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.11.2017 richtete sich die am 06.12.2017 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erließ am 11.12.2017 eine Beschwerdevorentscheidung. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 11.12.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei. Es befindet sich kein Zustellnachweis im Akt.

Gegen die Beschwerdevorentscheidung vom 11.12.2017 richtete der Beschwerdeführer einen als „Beschwerde“ bezeichneten Vorlageantrag, der am 08.01.2018 bei der belangten Behörde einlangte. Zur Rechtzeitigkeit wurde vorgebracht, dass die Beschwerdevorentscheidung vom 11.12.2017 der zustellbevollmächtigten Rechtsvertreterin nicht zugestellt wurde. Der Beschwerdeführer sei am 28.12.2017 mit dem Bescheid im Büro der Rechtsvertreterin erschienen. Die Zustellung sei damit am 28.12.2017 geheilt. Die „Beschwerde“ erfolge innerhalb offener Frist.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 12.10.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Mit Stellungnahme vom 08.03.2021 machte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers Angaben zur Apostasie des Beschwerdeführers.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 09.03.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, ein Zeuge und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde nahm entschuldigt nicht teil.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt. Er gab insbesondere an, dass er zwischenzeitig zum Christentum konvertiert sei.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Taufschein vom XXXX

?        Austritt Islamische Glaubensgemeinschaft vom XXXX

?        Bestätigung der Aufnahme in den Katechumenat zur Vorbereitung auf die Taufe XXXX

?        Bestätigung Bildungszentrum XXXX vom XXXX

?        ÖSD Zertifikat A2 vom XXXX

?        Zeitbestätigung ÖIF Informationsveranstaltung vom XXXX

?        Kursbestätigung Deutsch für Asylwerbende – A1/1 der Volkshochschule XXXX vom XXXX

?        Anmeldebestätigung Grund & Basisbildung vom XXXX , vom XXXX , vom XXXX

?        Prüfungsbestätigung A2 vom XXXX

?        ÖFB Spielerpass

?        Bestätigung ehrenamtliche Tätigkeit Rotes Kreuz vom XXXX

?        Bestätigung ehrenamtliche Tätigkeit Caritas vom XXXX

?        Bescheinigung Erste-Hilfe-Grundkurs vom XXXX

?        Zeitungsartikel Fußball

?        Schreiben Kinder- und Jugendanwaltschaft vom XXXX

?        Bestätigung ehrenamtliche Tätigkeit XXXX vom XXXX

?        Bestätigung ehrenamtliche Tätigkeit XXXX vom XXXX

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist am XXXX geboren, Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zum christlichen Glauben. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in Teheran, Iran, geboren. Er wuchs in der Provinz Herat, Afghanistan, auf, wo er sechs Jahre die Schule besuchte. Er arbeitete zwei bis drei Jahre an der Herstellung von Aufzügen mit und war auch als Maler und Bauarbeiter tätig.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer wurde als schiitischer Moslem geboren und lebte im Herkunftsstaat zunächst nach diesem Glauben.

Der Beschwerdeführer trat im XXXX aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich aus. Ersten Kontakt mit dem Christentum hatte der Beschwerdeführer in Österreich, als ihm ein Freund vom Christentum erzählte. Er nahm im Jahr XXXX an allen vier Terminen der Sommerakademie XXXX teil, welche zwar grundsätzlich allen Interessierten ohne Einschränkung von Herkunft oder Religion offensteht, jedoch kulturelle Weiterbildung und Begegnung mit dem christlichen Glauben ermöglicht und fördert. Für die Ausrichtung der Bildungsarbeit trägt die Personalprälatur Opus Dei, eine Einrichtung der katholischen Kirche, die Verantwortung. Im XXXX wurde der Beschwerdeführer in den Katechumenat zur Vorbereitung auf die römisch-katholische Taufe aufgenommen. Im XXXX wurde der Beschwerdeführer römisch-katholisch getauft. Der Beschwerdeführer ist Mitglied der römisch-katholischen Gemeinde und nimmt regelmäßig an der sonntäglichen Messe teil.

Der Beschwerdeführer hat sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und den inneren Entschluss gefasst, nach dem christlichen Glauben zu leben. Er ist zum Christentum konvertiert und bekennt sich auch offen zu diesem Entschluss.

Im Herkunftsstaat wäre der Beschwerdeführer, weil er sich vom Islam abgewandt hat und seinen neuen Glauben lebt und dies bekannt wird, Übergriffen durch Privatpersonen sowie der strafrechtlichen Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt. Diese Gefahr besteht landesweit.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seinen Sprachkenntnissen sowie Lebensumständen und Lebenswandel bis zur Einreise nach Österreich ergeben sich aus seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, denen auch die belangte Behörde im Wesentlichen Glauben schenkte. Zur Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers siehe Pkt. 2.2.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen, sowie aus den Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.03.2021.

Der Beschwerdeführer konnte nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nachvollziehbar darlegen, dass er sich zunächst vom schiitischen Glauben entfernt hat und dann schrittweise zum christlichen Glauben gefunden hat. Dies ergibt sich auch aus den Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, in der er angab, dass er sich nach seinem Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft (Austritt Islamische Glaubensgemeinschaft vom XXXX ) nicht sofort einer neuen Religion zugewandt habe (Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2021, S. 3). Vor seiner Konversion zum Christentum hat der Beschwerdeführer sich intensiv mit der christlichen Glaubenslehre auseinandergesetzt und einen sechsmonatigen Taufunterricht besucht (Bestätigung der Aufnahme in den Katechumenat zur Vorbereitung auf die Taufe XXXX ). Der Beschwerdeführer erweckte auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht den Eindruck, dass er nach wie vor großes Interesse an der christlichen Lehre hat, auch nach seiner erfolgten Taufe im XXXX jeden Sonntag den Gottesdienst besucht und ein aktives Mitglied seiner Gemeinde darstellt (Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2021, S. 4). Der Beschwerdeführer hat den christlichen Glauben verinnerlicht und trägt dies auch nach außen. Dieser Anschein wurde auch durch die Tatsache verstärkt, dass der Beschwerdeführer von einer Ordensschwester als Vertrauensperson begleitet wurde (Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2021, S. 4). Der Beschwerdeführer gab zudem selbst an, dass er es sich zur Aufgabe gemacht habe, jene Menschen, die nichts über Jesus und das Christentum wissen, darüber zu informieren (Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2021, S. 3-4).

Zum Eindruck der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers trägt insbesondere auch die nachhaltige, dauerhafte und intensive Teilnahme am Gemeindeleben seit nunmehr ca. zwei Jahren teil. Auch dass die Taufe des Beschwerdeführers erst ca. ein Jahr nach seinem ersten Kontakt mit der Gemeinde stattfand, wertet das Bundesverwaltungsgericht als Indiz für die Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels. Der christliche Glaube ist ein wesentlicher Bestandteil des Lebens des Beschwerdeführers geworden. Dem ging ein mehrere Jahre dauernder Prozess der Glaubensfindung voraus. Dies trägt zum Eindruck des tatsächlich vollzogenen Glaubenswechsels aus innerer Überzeugung bei und dient folglich in Zusammenschau mit den bereits dargelegten Aspekten als Grundlage für die Feststellung, dass der Beschwerdeführer sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und den inneren Entschluss gefasst hat, nach dem christlichen Glauben zu leben, was er durch die ebenso festgestellte Teilnahme an Gemeindeleben und Messen auch tatsächlich umsetzt. Darin ist auch das offene Bekenntnis des Beschwerdeführers zum christlichen Glauben erkennbar.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe durch Privatpersonen sowie strafrechtliche Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe drohen, weil er sich vom Islam abgewandt hat, seinen neuen Glauben lebt und dies bekannt wird, ergibt sich im Wesentlichen aus den Länderberichten:

Dem ins Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 16.12.2020, lässt sich entnehmen, dass afghanische Christen in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert sind. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal (LIB, Kapitel 17.4.).

Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben. Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen. Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (LIB, Kapitel 17.4.).

Nachdem sich die beschriebene Situation auf das gesamte Staatsgebiet bezieht, wurde festgestellt, dass die Gefahr landesweit besteht.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.    Zum Fluchtvorbringen einer asylrechtliche relevanten Verfolgung wegen Konversion

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, StF: BGBl. Nr. 55/1955 (in der Folge Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) droht.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht einer Person unter anderem, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Religion verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichthofes ist für den Flüchtlingsbegriff der GFK entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199).

"Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs als ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter (zuletzt VwGH 31.07.2018 mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Nach § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

§ 3 Abs. 2 AsylG 2005 ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ABl L 337/9 vom 20.12.2011 (Statusrichtlinie), nachgebildet. Nach Art. 5 Abs. 2 Statusrichtlinie kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen seines Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.

Der VfGH hat ausgesprochen, dass asylrelevante Verfolgung gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Aktivitäten beruhen kann, die der Fremde seit dem Verlassen des Herkunftsstaats gesetzt hat (VfGH 12.12.2013, U 2272/2012).

Auch der VwGH hat bereits erkannt, dass diese neuen - in Österreich eingetretenen - Umstände, mit denen ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung nunmehr begründet, grundsätzlich zur Asylgewährung führen können. Sie sind daher zu überprüfen, wenn sie geeignet sind, die Annahme "wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung" zu rechtfertigen (VwGH 18.09.1997, 96/20/0323).

Bedingt dadurch, dass der Beschwerdeführer im Verfahren seinen im Bundesgebiet gefassten inneren Entschluss, nach der christlichen Lehre seiner Gemeinde zu leben, glaubhaft machen konnte, macht er mit seinem Vorbringen einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat wegen seiner Konversion einen subjektiven Nachfluchtgrund geltend.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (zuletzt VwGH 07.05.2018, Ra 2018/20/0186). Es kommt auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0260).

Dabei stellt der Verwaltungsgerichtshof bei einer Konversion zum Christentum nicht darauf ab, ob der Religionswechsel bereits - durch die Taufe - erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist nur, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Die bloße Behauptung eines "Interesses am Christentum" reicht für die Geltendmachung einer asylrechtlich relevanten Konversion nicht aus (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0453 mwN).

Nach dem gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG unmittelbar anwendbaren Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 AsylG "Statusrichtlinie") umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Nach dem mit "Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit" übertitelten Art. 10 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 389-405, umfasst dieses Recht die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.

Im Wesentlichen inhaltsgleich gewährt auch Art. 9 EMRK als in der EMRK gewährleistetes Grundrecht, die gemäß Art. 6 Abs. 3 Vertrag über die Europäische Union (EUV) als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind, Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

Nach diesen normativen Vorgaben umfasst der Religionsbegriff des Art. 1 Abschnitt A, Z 2 GFK nicht nur die individuelle Glaubensfreiheit als Kern der Religionsfreiheit ("forum internum"), sondern auch das öffentliche Bekenntnis und die Freiheit zur Ausübung der Religion in den religiösen Vorschriften entsprechendem Verhalten ("forum externum"). Demnach ist es einem Asylwerber für den Rückkehrfall nicht zumutbar, seine Religion heimlich ausüben und seine innere Überzeugung verstecken zu müssen.

Für den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wurde festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, dass ihm im Fall des Bekanntwerdens seines inneren Entschlusses, etwa im Wege einer öffentlichen Glaubensbetätigung indem er seinen Glauben lebt (derer sich der Beschwerdeführer wie oben ausgeführt nicht enthalten muss) Übergriffe durch private Akteure sowie staatliche Strafmaßnahmen bis hin zur Todesstrafe drohen. Damit droht dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Verfolgung sowohl durch staatliche als auch durch private Akteure. Und ist vor der Verfolgung durch Privatpersonen im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichthofes staatlicher Schutz bedingt durch die auch vom Staat selbst ausgehende Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer nicht zu erwarten.

Der Beschwerdeführer konnte damit glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung droht.

Es sind im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe gemäß § 6 AsylG hervorgekommen.

3.2.    Zum Nichtvorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Nach § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt besteht die Gefahr privater Übergriffe bzw. staatlicher Strafverfolgung wegen der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum landesweit. Damit steht dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG nicht zur Verfügung.

3.3.    Zum übrigen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Zum weiteren Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass sich aufgrund der bereits bejahten Verfolgungsgefahr wegen der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum eine Auseinandersetzung mit weiteren möglichen Fluchtgründen erübrigt.

3.4.    Zur Anwendbarkeit des § 3 Abs. 4 AsylG:

Zu Anwendbarkeit des § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 ist anzumerken, dass die Bestimmung nach § 75 Abs. 24 AsylG auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt haben, nicht anzuwenden ist. Nachdem der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz am 17.09.2018 gestellt hat, kommt daher § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 zur Anwendung.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird das Einreise- und Aufenthaltsrecht des Asylberechtigten unmittelbar kraft Gesetzes bestimmt. Die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter hat somit nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu erfolgen. Auch gemäß § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 kommt dem Asylberechtigten eine entsprechende Aufenthaltsberechtigung zu, ohne dass eine darüberhinausgehende Erteilung dieser Berechtigung vorzunehmen wäre (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373).

Dem Beschwerdeführer war daher spruchgemäß nach § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Ihm kommt damit unmittelbar kraft Gesetzes (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373) eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, die (vorerst) für drei Jahre gilt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt. Dass eine Konversion als subjektiver Nachfluchtgrund zur Asylgewährung führen kann, ergibt sich klar aus der unter A) zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Ob ein Glaubenswechsel tatsächlich vollzogen wurde und dessen mögliche Folgen für den Beschwerdeführer im Herkunftsstaat sind dagegen auf Tatsachenebene zu beurteilen.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung gesamtes Staatsgebiet Konversion Nachfluchtgründe Religion Schutzunwilligkeit des Staates staatliche Verfolgung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W102.2182786.1.00

Im RIS seit

11.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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