Entscheidungsdatum
03.12.2020Norm
BBG §40 Abs1Spruch
I414 2228525-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Vorsitzender und den Richter Dr. Harald NEUSCHMID sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (SMS) vom 09.01.2020, Zl. OB: XXXX , betreffend den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.03.2019, GZ I413 2206522-1/13E, wurde zuletzt festgestellt, dass die Beschwerdeführerin seit 15.03.2018 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört und der Grad der Behinderung 80% beträgt.
Am 30.10.2019 beantragte die Beschwerdeführerin die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass und wurde ein ärztliches Attest eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie beigelegt.
Von der belangten Behörde wurde ein Sachverständigengutachten zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eingeholt. Dr. T., ein Facharzt für Psychiatrie hielt im Gutachten vom 12.11.2019 fest, dass die Beschwerdeführerin an einer Suchterkrankung mit fortgeschrittenen körperlichen und psychischen Veränderungen (Leiden 1), an Polyneuropathien und Polyneuritiden mit sensiblen und motorischen Ausfällen leichten Grades (Leiden 2), an insulinpflichtiger Diabetes bei stabiler Stoffwechsellage (Leiden 3) und an mäßiger Hypertonie (Leiden 4) leidet.
Weiters führte er aus:
„Aus psychiatrischer Sicht ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar; es liegt eine Alkoholabhängigkeit vor, immer wieder auch begleitet von depressiven Episoden, im Rahmen derer eine erhöhte Angstneigung auftritt. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist ohne besondere Gefahr bzw. Belastung für die Betroffene möglich und zumutbar, da eine klassische soziale Phobie, eine Agoraphobie oder eine Panikstörung nicht nachweislich vorliegt, auch durch den Alkohol keine so schwere Bewegungsstörung bereits verursacht ist, sodass keine dauernde Sturzgefahr gegeben ist.“
Das Gutachten wurde dem abweisenden Bescheid vom 09.01.2020 zu Grunde gelegt und ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung nicht vorliegen.
Mit Eingabe vom 05.02.2020 zeigte sich die Beschwerdeführerin mit der abweisenden Entscheidung nicht einverstanden, gab neuerlich an, aufgrund der psychischen Einschränkungen weder mit Bus noch Bahn fahren zu können und kündigte die Vorlage weiterer Befunde an.
Mit Schreiben vom 10.03.2020 wurde der Beschwerdeführerin ein Mängelbehebungsauftrag erteilt, da bislang keine Befunde vorgelegt wurden und aus der Beschwerde nicht hervorgehe, worin der beanstandete inhaltliche Mängel liegt und welche inhaltlichen Gründe für eine Vornahme der Zusatzeintragung ihrer Ansicht nach sprechen.
Dem Mängelbehebungsauftrag wurde letztlich entsprochen und aufgrund des vorgelegten Attestes vom erkennenden Gericht ein ergänzendes Gutachten bei Dr. St. eingeholt.
Der Facharzt für Psychiatrie beantwortete die vom erkennenden Gericht gestellten Fragen nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin am 25.05.2020 in der gutachterlichen Stellungnahme wie folgt (anonymisiert durch BVwG):
„Bei Frau H. liegen eine Alkohol- und Benzodiazepinabhängigkeit als Hauptdiagnosen vor. Im vorliegenden Attest von Dr. P. G. wird eine Abhängigkeit von Sedativa bzw. Benzodiazepinen zwar nicht erwähnt, doch ergab die Untersuchung der Probandin eindeutige Hinweise auf eine sog. High-Dose-Dependency von Benzodiazepinen, da sie das angstlösende und beruhigende Medikament Praxiten in sehr hoher Dosierung bereits seit mehreren Monaten einnimmt und jeder Versuch einer Dosisreduktion bisher gescheitert ist. Es zeigen sich Hinweise auf eine rezidivierende depressive Störung und eine Agoraphobie mit Panikstörung. Das therapeutische Angebot wurde bisher nicht ausgeschöpft. Insbesondere gab es bisher noch keinen Versuch einer störungsspezifischen Psychotherapie.
Die vorliegende kognitive Einschränkung ist mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vereinbar.
Ein cerebrales Anfallsleiden liegt nicht vor.
Die vorliegenden Gesundheitsschädigungen wirken sich nicht auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieses Verkehrsmittels gegebenen Bedingungen aus.
Die Beschwerdeführerin kann eine kurze Wegstrecke (ca. 300 bis 400 m) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurücklegen.
Es bestehen keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten.
Es bestehen keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit.
Aus medizinischer Sicht ist der Beschwerdeführerin daher die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.“
Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien zur Kenntnis gebracht, eine Stellungnahme dazu langte nicht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:
Die Beschwerdeführerin ist am XXXX geboren und hat ihren Wohnsitz in Österreich. Die Beschwerdeführerin ist in Besitz eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 80%.
Die Beschwerdeführerin leidet an einer Suchterkrankung mit fortgeschrittenen körperlichen und psychischen Veränderungen (Leiden 1), an Polyneuropathien und Polyneuritiden mit sensiblen und motorischen Ausfällen leichten Grades (Leiden 2), an insulinpflichtiger Diabetes bei stabiler Stoffwechsellage (Leiden 3) und an mäßiger Hypertonie (Leiden 4).
Bei der Beschwerdeführerin besteht keine erhebliche psychische Einschränkung im Hinblick auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Der Beschwerdeführerin sind das Erreichen, das Ein- und Aussteigen sowie der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel möglich. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist ihr zumutbar.
Bei der Beschwerdeführerin bestehen keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder Funktionen. Sie ist nicht hochgradig sehbehindert, blind oder taubblind. Bei der Beschwerdeführerin besteht auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems und die Funktionseinschränkungen haben auch keine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit zur Folge.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu Wohnort und Alter der Beschwerdeführerin sowie zum Pass ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und dem Gerichtsakt zu I413 2206522-1 und sind unstrittig.
Die Feststellung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel basiert auf den eingeholten Sachverständigengutachten der Dr. T. vom 12.11.2019, welches sich mit dem ergänzend eingeholten Gutachten des Dr. St. nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin deckt. Unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens kam der Facharzt für Psychiatrie zum Ergebnis, dass die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gegeben ist. Es wurde schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass sich bei der Untersuchung deutliche Hinweise auf eine sogenannte High-Dose-Dependency von Benzodiazepinen und auf eine rezidivierende depressive Störung und Agrophobie mit Panikstörung ergeben haben, das therapeutische Angebot bisher aber nicht ausgeschöpft wurde und die Abhängigkeit von Sedativa bzw. Benzodiazepinen im Befund des behandelnden Psychiaters Dr. G. unerwähnt blieb. Insbesondere konnte der Sachverständige aufzeigen, dass es bislang noch keinen Versuch einer störungsspezifischen Psychotherapie gegeben hat. Zum gleichen Ergebnis gelangte auch schon Dr. T. in seinem Gutachten vom 12.11.2019, indem er angab, dass eine klassische soziale Phobie, eine Agrophobie oder eine Panikstörung nicht nachweislich vorliegt. Diese Ausführungen stehen den Einschätzungen des Dr. St. nicht entgegen, der nur Hinweise auf derartige Krankheitsbilder festhält, nicht aber eine gefestigte Diagnose.
Bei Psychiater kommen zum Schluss, dass auch durch den Alkoholmissbrauch keine so schwere Bewegungsstörung bereits verursacht ist, dass eine dauernde Sturzgefahr nicht angenommen werden kann und die kognitiven Fähigkeiten nicht im Besonderen vermindert sind.
Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen und der Transport im Verkehrsmittel an sich wurden nicht bestritten und von Dr. St. auch für möglich gehalten. Von der Beschwerdeführerin wurde auch nicht behauptet, dass sonstige Einschränkungen wie etwa der körperlichen Belastbarkeit, der unteren oder oberen Extremitäten oder des Hör- bzw. Sehvermögens vorliegen und auch dies vom Sachverständigen verneint, genauso wie das Vorliegen eines cerebralen Ausfallsleidens.
Der psychiatrische Sachverständige konnte sich durch persönliche Untersuchung ein Bild vom ganzheitlichen Gesundheitszustand unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Atteste und dem Vorbringen der Beschwerdeführerin machen und alle Fragen nachvollziehbar und widerspruchsfrei beantworten. Das Bundesverwaltungsgericht findet daher keinen Anlass zur Annahme, dass das Sachverständigengutachten von Dr. St. mit den Erfahrungen des Lebens oder den Denkgesetzen im Widerspruch stehen. Befunde, die geeignet wären, eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung des Leidenszustandes der Beschwerdeführerin zu belegen, wurden nicht vorgelegt. Das im Beschwerdeverfahren eingeholte Sachverständigengutachten spiegelt somit die im Gutachten des Dr. T. bereits getroffenen Feststellungen wider, ist schlüssig und vollständig und wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
Diesen ausführlichen und abschließenden Erörterungen des Gutachters Dr. St., Facharzt für Psychiatrie ist die Beschwerdeführerin trotz eingeräumten Parteiengehörs nicht mehr entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
§§ 6 und 7 Abs. 1 BVwGG lauten wie folgt:
„Einzelrichter
§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Senate
§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.“
§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:
„(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.“
Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:
„ABSCHNITT VI
BEHINDERTENPASS
§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.“
§ 1 Abs. 4 Z. 3 und Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 2016/263, lautet wie folgt:
„Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).
Nach den Ausführungen der beiden Gutachter Dr. T. und Dr. St. wirken sich die dauernden Gesundheitsschädigungen nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens sowie auf das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke aus. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht eingeschränkt.
Das Ermittlungsverfahren hat des Weiteren ergeben, dass bei der Beschwerdeführerin keine schweren anhaltenden Erkrankungen des Immunsystems vorliegen und er weder blind noch hochgradig sehbehindert oder taubblind ist.
Zur Frage, ob bei der Beschwerdeführerin eine erhebliche Einschränkung psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen vorliegt, ist zu beachten, dass nach den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, zu § 1 Abs. 2 Z. 3 Folgendes ausgeführt ist:
„Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,
- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,
- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,
- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson erforderlich.“
Trotz der angeführten Hinweise auf eine rezidivierende depressive Störung und Agrophobie mit Panikstörung, konnte eine Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörung als Hauptdiagnose nicht festgestellt werden und wurde außerdem festgehalten, dass das therapeutische Angebot nicht ausgeschöpft ist bzw. eine störungsspezifische Psychotherapie noch nicht versucht wurde. Auch die weiter oben aufgelisteten Kriterien wie cerebrales Ausfallsleiden, schwere kognitive Einschränkungen mit eingeschränkter Gefahreneinschätzung oder eine Entwicklungsstörung wurden von den Sachverständigen ausgeschlossen.
Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung" im Behindertenpass nicht vorliegen, weshalb die Beschwerde abzuweisen war.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vergleichbaren Regelung des § 67d AVG (vgl. VwGH vom 24.4.2003, 2002/07/0076) wird die Durchführung der Verhandlung damit ins pflichtgemäße Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die Wendung "wenn es dies für erforderlich hält" schon iSd rechtsstaatlichen Prinzips nach objektiven Kriterien zu interpretieren sein wird (vgl. VwGH vom 20.12.2005, 2005/05/0017). In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass sind die Art und das Ausmaß die beim Beschwerdeführer festgestellte Gesundheitsschädigung. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher ein ergänzendes psychiatrisches Gutachten eingeholt. Wie bereits ausgeführt, wurde dieses, so wie auch die von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten der Dr. T. als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.
Im Rahmen des Parteiengehörs wurde die Möglichkeit gegeben, sich zu äußern. Dem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht (auf gleicher fachlicher Ebene) entgegen getreten. Es wurden der Beschwerde keine Beweismittel beigelegt, welche mit der gutachterlichen Beurteilung der Funktionseinschränkungen nicht in Einklang stehen. Die vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden in den eingeholten ärztlichen Stellungnahmen berücksichtigt. Somit ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
begünstigter Behinderter Behindertenpass Behinderung Gutachten Sachverständigengutachten Suchterkrankung Unzumutbarkeit Voraussetzungen ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I414.2228525.1.00Im RIS seit
31.05.2021Zuletzt aktualisiert am
31.05.2021