TE Vfgh Erkenntnis 2021/2/24 E4048/2020

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Veröffentlicht am 24.02.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; keine Auseinandersetzung mit der Tätigkeit als Polizist vor dem Hintergrund des nach den Länderberichten erhöhten Risikoprofils

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Dem gemäß §63 Abs1 ZPO, §35 VfGG gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO wird stattgegeben.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der paschtunischen Volksgruppe und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Er stellte nach Einreise ins Bundesgebiet am 26. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, weil er wegen seiner Tätigkeit als Polizist von den Taliban bedroht worden sei.

2. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 5. Oktober 2020 als unbegründet ab. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubhaft, im Übrigen sei ihm als jungem, arbeitsfähigem Mann eine Rückkehr in die afghanischen Städte Kabul oder Mazar-e Sharif zuzumuten.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung von Gegenschriften bzw Äußerungen wurde aber Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

2.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht sieht es als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer als Polizist gearbeitet hat (angefochtenes Erkenntnis, S 5). Aus der Beweiswürdigung ergibt sich in Verbindung mit dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Dienstausweis und seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung, dass jener eine Polizeiausbildung absolviert hatte und anschließend als Polizist im Rang eines Unteroffiziers in der Provinz Paktia tätig war.

3.2. Zur Beurteilung der Sicherheitslage vor Ort und der Aussichten des Beschwerdeführers als junger, alleinstehender und arbeitsfähiger Mann, nach einer Rückkehr in die Städte Kabul oder Mazar-e Sharif wieder in Afghanistan Fuß zu fassen, zieht das Bundesverwaltungsgericht zwar – im Einklang mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung – die Richtlinien des UNHCR vom 30. August 2018 und den Leitfaden des EASO vom Juni 2019 heran.

3.3. Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht jedoch, dass beide herangezogenen Entscheidungshilfen für die Mitarbeiter von Regierungsstellen, der Streitkräfte sowie von ausländischen Truppen und Einrichtungen von einem erhöhten Risikoprofil ausgehen (UNHCR-Richtlinien, S 42-44; EASO-Leitfaden, S 49-51). Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Beschwerdeführer angesichts seines Vorbringens, als Polizist gearbeitet zu haben, einem der angesprochenen Personenkreise zuzurechnen ist, fand mit keinem Wort statt. Das Bundesverwaltungsgericht hat sohin das Parteivorbringen ignoriert und die Ermittlung des Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt unterlassen (vgl VfGH 9.6.2020, E460/2020).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühren ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E4048.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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