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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VG Art53 Abs3Leitsatz
Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Vorlage näher bezeichneter E-Mailpostfächer an den Ibiza-Untersuchungsausschuss; Vorlageverpflichtung des Bundeskanzlers mangels Begründung der fehlenden (potentiellen) abstrakten Relevanz der nicht vorgelegten Akten und Unterlagen gegenüber dem Untersuchungsausschuss; kein Nachschieben von Begründungen durch Parteien im verfassungsgerichtlichen Verfahren betreffend die Meinungsverschiedenheit möglichRechtssatz
Sowohl aus dem Verlangen gemäß §27 Abs4 VO-UA als auch aus der Begründung des vorliegenden Antrages geht in hinreichend konkreter Weise hervor, dass sich der (zulässige) Antrag gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG lediglich auf die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Begründung für die teilweise oder gänzliche Ablehnung der Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen an den Ibiza-Untersuchungsausschuss im Rahmen seines Untersuchungsgegenstandes bezieht.
Der Bundeskanzler ist im vorliegenden Fall als vorlagepflichtiges Organ grundsätzlich zur Vorlage aller vom einschreitenden Viertel des Untersuchungsausschusses begehrten Akten und Unterlagen verpflichtet, außer er legt mit hinreichender Begründung dar, warum bestimmte Akten und Unterlagen nicht von (potentieller) abstrakter Relevanz für den Untersuchungsgegenstand sind. Da der Bundeskanzler lediglich seiner diesbezüglichen Behauptungs-, nicht aber auch seiner Begründungspflicht gegenüber dem Ibiza-Untersuchungsausschuss entsprochen hat, ist er verpflichtet, diesem sämtliche von einem Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses begehrten Akten und Unterlagen vorzulegen.
Hat der VfGH im Verfahren nach Art138b Abs1 Z4 B-VG einmal die Verpflichtung zur Vorlage der genannten Akten und Unterlagen ausgesprochen, kann das vorlagepflichtige Organ, hier der Bundeskanzler, die Vorlage dieser Akten und Unterlagen nicht mehr unter Berufung auf Ausnahmetatbestände verweigern, die ihre Grundlage in Art53 B-VG haben, soweit er deren Vorliegen gegenüber dem Untersuchungsausschuss bis zum Ende der gemäß §27 Abs4 VO-UA gesetzten Frist nicht behauptet und hinreichend begründet hat. Nach der Rsp des VfGH hat das vorlagepflichtige Organ seiner Begründungspflicht nämlich bereits gegenüber dem Untersuchungsausschuss, und zwar spätestens bis zum Ende der gemäß §27 Abs4 VO-UA gesetzten Frist, (vollständig) nachzukommen. Nach Ablauf dieser Frist und einer durch den VfGH im Verfahren nach Art138b Abs1 Z4 B-VG ausgesprochenen Vorlageverpflichtung kann lediglich der in Art53 Abs4 B-VG normierte Ausnahmetatbestand der Beeinträchtigung der rechtmäßigen Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder oder ihrer unmittelbaren Vorbereitung dem vorlagepflichtigen Organ bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall (etwa weil Sachverhalte, die das Vorliegen der rechtmäßigen Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung betreffen, neuen Entwicklungen seit dem Ende der Frist gemäß §27 Abs4 VO-UA unterliegen können) die Möglichkeit einräumen, die Vorlage von Akten und Unterlagen an den Untersuchungsausschuss abzulehnen. Das vorlagepflichtige Organ hat dies unverzüglich, spätestens aber bis zum Ablauf der Leistungsfrist zur Vorlage der vom Spruch des VfGH umfassten Akten und Unterlagen gegenüber dem Untersuchungsausschuss begründet vorzubringen. Ob das vorlagepflichtige Organ in diesem Fall insoweit seiner verfassungsrechtlichen Vorlageverpflichtung nachkommt, kann erneut zum Gegenstand eines Verfahrens vor dem VfGH nach Art138b Abs1 Z4 B-VG gemacht werden.
Die Entscheidung des VfGH setzt voraus, dass das zuständige vorlagepflichtige Organ und der Untersuchungsausschuss bzw das verlangende Viertel seiner Mitglieder in einen vorherigen wechselseitigen Kommunikationsprozess eintreten. Da ein Nachschieben von Begründungen im verfassungsgerichtlichen Verfahren weder für den Untersuchungsausschuss bzw das Viertel seiner Mitglieder noch für das vorlagepflichtige Organ möglich ist, prüft der VfGH lediglich, ob und inwieweit den sich so ergebenden Begründungspflichten in der Kommunikation zwischen den Parteien der Meinungsverschiedenheit spätestens bis zum Ende der (Nach-)Frist gemäß §27 Abs4 VO-UA entsprochen worden ist.
Lehnt das vorlagepflichtige Organ die Vorlage von Akten und Unterlagen ab, so müssen die Mitglieder des Untersuchungsausschusses nachvollziehen können, welche Akten und Unterlagen aus welchen Gründen nicht vorgelegt werden. Es bedarf daher einer Umschreibung des Akten- und Unterlagenbestandes und einer darauf bezogenen substantiierten Begründung. Erweisen sich die angeforderten Akten und Unterlagen als sehr umfangreich, so kann es sich als zweckmäßig erweisen, diesfalls Dokumente, die in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang stehen, zu Kategorien zusammenzufassen und die Ablehnung ihrer Vorlage unter Bezugnahme auf die jeweilige Kategorie zu begründen. Die geforderte Begründungstiefe ist dabei in der Regel vom Gegenstand und Umfang der angeforderten Akten und Unterlagen abhängig.
Soweit der Bundeskanzler in seiner Stellungnahme Argumente anführt - Begründungsmängel der Verlangen und Aufforderungen; Ausweitung der Kontrollbefugnisse der Antragsteller, die im Ergebnis zur diskretionären Überprüfung der Geschäftsführung der Bundesregierung außerhalb des Untersuchungsgegenstandes führe; unzulässige Überbindung der Beweislast auf den Bundeskanzler; Löschung der geforderten E-Mailpostfächer der "Genannten" nach dem Ausscheiden aus der Regierung -, ist darauf zu verweisen, dass dieses Vorbringen erstmals im Verfahren vor dem VfGH erstattet wird. Aus diesem Grund ist auf das diesbezügliche Vorbringen des Bundeskanzlers nicht weiter einzugehen. Ob und inwieweit der Bundeskanzler aus faktischen Gründen nicht in der Lage sein sollte, seiner Verpflichtung nach Art53 Abs3 B-VG iVm §27 VO-UA nachzukommen, ändert im Übrigen nichts an der grundlegenden Verpflichtung, auch diese Akten und Unterlagen einem Untersuchungsausschuss vorzulegen. Die Frage, ob E-Mails unwiederherstellbar gelöscht sind, wäre im Rahmen einer allfälligen Exekution gemäß Art146 Abs2 B-VG zu klären.
Zudem hat der Bundeskanzler in Reaktion auf (zahlreiche) ergänzende Beweisanforderungen gemäß §25 Abs2 VO-UA des Untersuchungsausschusses zwar Dokumente übermittelt, es aber verabsäumt, hinsichtlich der nicht vorgelegten Akten und Unterlagen eine Begründung zu liefern, aus der hervorginge, um welche Art von Akten und Unterlagen es sich dabei handelte, und an Hand der sich die Feststellung der Nichtzugehörigkeit zum Untersuchungsgegenstand für das verlangende Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses nachvollziehen ließe.
Damit hat der Bundeskanzler lediglich seiner Behauptungs-, nicht aber auch seiner diesbezüglichen Begründungspflicht gegenüber dem Ibiza-Untersuchungsausschuss entsprochen.
Es ist den Antragstellern Recht zu geben, wenn sie darauf hinweisen, dass die Darlegung der Kriterien, nach denen die Suche erfolgt ist, nicht genügt, um der beschriebenen Begründungspflicht nachzukommen. Es trifft zu, dass das Schreiben des Bundeskanzlers vom 25.03.2021, das in Beantwortung der Aufforderung gemäß §27 Abs4 VO-UA ergangen ist, zu den tatsächlichen Gründen der Ablehnung der Aktenvorlage keinerlei Ausführungen enthält. Bei diesem Ergebnis kann dahinstehen, ob eine Suche mit Schlagwörtern an sich oder mit den konkret gewählten Schlagwörtern überhaupt geeignet gewesen wäre, eine umfassende Erhebung aller Akten und Unterlagen zu gewährleisten, die eine (potentielle) abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand aufweisen.
Vorlagepflicht der Akten und Unterlagen gegenüber dem VfGH:
Zweck eines Verfahrens gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG ist es, über eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Untersuchungsausschuss bzw einem Viertel der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses und einem vorlagepflichtigen Organ über die Verpflichtung zu entscheiden, dem Untersuchungsausschuss Informationen vorzulegen, im konkreten Fall näher bezeichnete Akten und Unterlagen. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, dass das vorlagepflichtige Organ dem VfGH nicht nur jene Akten und Unterlagen vollständig vorlegt, die nach seiner Auffassung für den Untersuchungsgegenstand von (potentieller) abstrakter Relevanz sind, sondern auch jene Akten und Unterlagen, die es nach seiner Prüfung als nicht (potentiell) abstrakt relevant eingestuft hat. Erst durch eine solche (umfassende) Aktenvorlage wird der VfGH in die Lage versetzt, die Rechtmäßigkeit der Begründung für die Ablehnung durch das vorlagepflichtige Organ zu überprüfen.
Dieser Verpflichtung des Bundeskanzlers zur Vorlage der Akten und Unterlagen an den VfGH stehen auch die §§79e ff BDG nicht entgegen. Allfällige dienstrechtliche Vorgaben - etwa auch die Regelungen des VertragsbedienstetenG 1948 - entbinden das vorlagepflichtige Organ nämlich nicht von seiner Verpflichtung gemäß Art53 B-VG sowie §20 Abs3 VfGG, die angeforderten Akten und Unterlagen dem VfGH (vollständig) vorzulegen, damit dieser seiner sich aus Art138b Abs1 Z4 B-VG ergebenden Entscheidungspflicht nachkommen kann.
Im vorliegenden Verfahren war allerdings die Nichtvorlage aller Bezug habenden Akten und Unterlagen für die Entscheidung des VfGH schon deswegen nicht von Bedeutung, weil der VfGH seine Entscheidung bereits auf Grund des Vorbringens der Parteien sowie der sonstigen Aktenlage treffen konnte. Da der Bundeskanzler nämlich seiner Begründungspflicht gegenüber dem Untersuchungsausschuss nicht nachgekommen ist, erübrigt sich eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der Begründung unter Bezugnahme auf die begehrten Akten und Unterlagen durch den VfGH.
Die nur dem VfGH vorgelegten 692 Rückmeldungen von Bediensteten des Bundeskanzleramts auf die Aufforderung zur Suche nach abstrakt für den Untersuchungsgegenstand relevanten Akten und Unterlagen sind das Ergebnis des Suchprozesses innerhalb des Bundeskanzleramts; sie entsprechen bei weitem nicht dem Anspruch an eine umfassende Aktenvorlage.
Darüber hinaus hält der VfGH zur Klarstellung fest, dass die Unterlassung der (vollständigen) Vorlage der Akten und Unterlagen durch das vorlagepflichtige Organ an den VfGH bewirkt, dass dieser auch nur auf Grund des Vorbringens der Antragsteller erkennen kann.
Kommt das vorlagepflichtige Organ nur seiner Behauptungspflicht nach, begründet es aber die Ablehnung der geforderten Akten und Unterlagen gegenüber dem Untersuchungsausschuss nicht oder in ungenügender Weise, gelten die von der antragstellenden Minderheit angeforderten Akten und Unterlagen als vom Untersuchungsgegenstand erfasst, weswegen auszusprechen ist, dass alle in Rede stehenden Akten und Unterlagen dem Untersuchungsausschuss vorzulegen sind.
Schlagworte
VfGH / Untersuchungsausschuss, email, Amtsverschwiegenheit, VerschwiegenheitspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:UA4.2021Zuletzt aktualisiert am
01.06.2022