Index
50/01 Gewerbeordnung;Norm
GewO 1994 §74 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde
1.) des FR, 2.) der HR, 3.) des Dr. XR und 4.) der YR, alle in S, alle vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 14. November 1996, Zl. WST1-BA-9622, betreffend Verfahren gemäß § 81 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: J-Ges.m.b.H. in S, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 14. November 1996 wurde der mitbeteiligten Partei die gewerbebehördliche Genehmigung für die Änderung ihrer Betriebsanlage (Bäckerei) an einem näher bezeichneten Standort durch die Errichtung einer Tiefkühlzelle samt Unterkellerung unter Vorschreibung von Auflagen gemäß § 81 GewO 1994 genehmigt. Zur Begründung führte der Landeshauptmann nach Darstellung des Verfahrensganges u.a. aus, in den lärmtechnischen Gutachten sei als Bezugspunkt für die Lärmimmissionen bei den Beschwerdeführern deren Wohnhaus in einer Entfernung von 37 m der Immissionsberechnung zugrunde gelegt worden. Dem Einwand der Beschwerdeführer, als Bezugspunkt für die Berechnung sei der zwischen Wohnhaus und Betriebsanlage gelegene Garten heranzuziehen, sei vom lärmtechnischen Sachverständigen in seinem Gutachten insofern entgegengetreten worden, als er ausführte, der Gartenbereich sei zwar wesentlich näher zur Betriebsanlage gelegen, es sei aber für den Gartenbereich auf Grund der Abschirmung durch das bestehende Betriebsgebäude mit geringeren Immissionen als unmittelbar beim Wohnhaus der Nachbarn zu rechnen. Die belangte Behörde zweifle daher nicht daran, daß es sich bei dem herangezogenen Immissionspunkt um jenen Punkt handle, der im Bereich der Liegenschaft der Beschwerdeführer die höchsten von der Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei ausgehenden Immissionen aufweise. Auf Grund der vorliegenden lärmtechnischen Befunde, Gutachten und Stellungnahmen sei an diesem Immissionspunkt durch den Betrieb der Kühlkondensatoren bei Vollbetrieb im Freien vor den Fenstern mit einem äquivalenten Dauerschallpegel von 27,5 dB/A und durch den Betrieb der Kühlaggregate bei Vollbetrieb von 25,5 dB/A zu rechnen. In diesem Zusammenhang sei festgestellt worden, daß bei gleichzeitigem Vollbetrieb sämtliche Aggregate und Kondensatoren sich ein Beurteilungspegel von 30 dB/A ergebe, gleichzeitig sei aber ausgeführt worden, daß ein solcher Vollbetrieb während der Nachtzeit auf Grund der Temperaturverhältnisse nicht gegeben und auch ein Ton- oder Impulscharakter bei derartigen Anlagen nicht zu erwarten sei. Einem näher bezeichneten lärmtechnischen Bericht sei zu entnehmen, daß am 7. September 1995 zwischen 1.00 und 3.00 Uhr Schallpegelmessungen einen Grundgeräuschpegel im Bereich von 37 bis 39 dB ergeben hätten. Der energieäquivalente Dauerschallpegel habe 42 bis 45 dB betragen. Zudem seien mittlere Spitzenpegel in der Höhe von 52 bis 56 dB ermittelt worden. Die Umgebungsgeräuschsituation sei während der Messungen in erster Linie durch die Geräuschimmissionen bestimmt worden, die durch Lärmemissionen entfernter Industriebetriebe, z.B. der in einer Entfernung ab ca. 1200 m von der Meßstelle gelegenen Betriebsanlage der OMV, verursacht worden seien. Erst in zweiter Linie seien Verkehrsgeräusche für die ortsüblichen Lärmimmissionen von Bedeutung. Die beobachteten Schallpegelspitzen seien neben natürlichen Umgebungsgeräuschen, z.B. durch Vögel und durch den Verkehr auf nahegelegenen Straßen, bestimmt. Durch den Flugverkehr verursachte Lärmimmissionen hätten keine Rolle gespielt. Aus diesen Lärmmessungen und einem Vergleich mit den für das Stadtgebiet Schwechat publizierten Lärmmeßdaten könne geschlossen werden, daß im Bereich der Liegenschaft der Beschwerdeführer ein Grundgeräuschpegel von unter 30 dB auszuschließen sei. Aus dem Vergleich der aus lärmtechnischer Sicht errechneten Immissionswerte mit jenen Richt- bzw. Grenzwerten, welche in ÖAL-Richtlinie Nr. 3, Blatt 1, ausgeführt seien, ergebe sich, daß der aus dem gegenständlichen Bäckereibetrieb resultierende Beurteilungspegel sowohl bei Tag als auch bei Nacht diese Richt- bzw. Grenzwerte unterschreite. Auch aus medizinischer Sicht könne dies festgestellt werden. Aus den vorliegenden lärmtechnischen Untersuchungsergebnissen sei daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abzuleiten, daß auf der Liegenschaft der Beschwerdeführer bei einem gesunden, normal empfindenden Erwachsenen und bei einem gesunden, normal empfindenden Kind ohne besondere Überempfindlichkeit das Wohlbefinden nicht so erheblich gestört werde, daß eine Gesundheitsgefährdung mit Krankheitszuständen, Organschäden oder unerwünschten organischen oder funktionellen Veränderungen möglich werde. Hinsichtlich des von der geänderten Betriebsanlage ausgehenden Geruchs habe der medizinische Amtssachverständige festgestellt, daß auch im Vergleich mit der bereits bestehenden Gesamtbetriebsanlage relevante Geruchsemissionen und damit Geruchsimmissionen bei den Beschwerdeführern insbesondere unter Berücksichtigung einer bereits im Hofbereich stattfindenden Verdünnung mit der Umgebungsluft, durch den Transport der Backwaren zur Kühlzelle nicht zu erwarten seien. Freilich könnten geringfügige Überschreitungen der Geruchswahrnehmungsschwelle nicht exakt abgeschätzt bzw. vorhergesagt werden und es könnten geringfügige Überschreitungen der Geruchswahrnehmungsschwelle bei ungünstigsten Wetterverhältnissen zu Belästigungen bei den nächstgelegenen Anrainern führen. Solche Belästigungen lägen jedoch im Bereich der großen Variabilität der Geruchsempfindung. Die diesen Feststellungen zugrunde liegenden Gutachten seien klar, vollständig und schlüssig und beriefen sich auf anerkannte Richtlinien der Wissenschaft.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Auch die mitbeteiligte Partei beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer in dem Recht auf Unterlassung der Änderung der gegenständlichen Betriebsanlage bzw. in dem Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren verletzt. In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes machen sie geltend, sie hätten bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht, es seien schon jetzt die vom Betrieb ausgehenden Belästigungen unzumutbar, vor allem weil von der Behörde erteilte Auflagen permanent nicht eingehalten würden bzw. nicht durchgesetzt werden könnten. Es sei unmittelbar einsichtig, daß eine im Mehrschichtbetrieb laufende Anlage (und wozu sollte sonst die Errichtung von Kühleinheiten dienen, als einer Erhöhung der Kapazität und damit des Gesamtausstoßes) auch eine Erhöhung der von den bisher genehmigten Teilen der Betriebsanlage ausgehenden Emissionen bedeuten würde, weil die mitbeteiligte Partei durch die geplante Änderung in die Lage versetzt werden werde, die bisher schon genehmigte Anlage noch mehr auszunutzen als bisher. Trotz dieser Einwendungen habe sich die belangte Behörde mit diesem Argument nicht auseinandergesetzt. Sie habe nicht berücksichtigt, inwieweit durch die geplante Kapazitätsausweitung weitere Belastungen auf die Beschwerdeführer zukommen würden, die derzeit deshalb noch nicht einträten, weil die Anlage noch nicht zu 100 % ausgelastet sei. Bei Wahl des Immissionspunktes bei den Fenstern des Wohngebäudes der Beschwerdeführer habe die belangte Behörde übersehen, daß die Beschwerdeführer auf Grund baurechtlicher Vorschriften das Recht hätten, ihr Gebäude durch einen Zubau zu ergänzen, der bis an die Grundstücksgrenze heranreichen könnte und daß im ersten oder zweiten Stock eines möglicherweise zu errichtenden Gebäudes die Verbauung keine Rolle mehr spielen würde, sodaß es auf die Lärmemissionen (richtig wohl: Lärmimmissionen) an diesem Punkt ankäme. Da die Meßpunkte etwa 15 bis 20 m von der Liegenschaftsgrenze entfernt lägen, sei anzunehmen, daß dann, wenn man dort in Höhe des höchstmöglich baurechtlich zulässigen Geschoßes messen würde, der Lärmpegel dermaßen hoch wäre, daß von einer Gesundheitsgefährdung auszugehen wäre. Was die Geruchsbelästigungen anlange, sei es schwer abzuschätzen, ob bereits durch die bestehende Anlage oder durch die vorliegende geplante Änderung es zu einer Geruchsbelästigung kommen werde. Es erscheine jedoch unmittelbar einsichtig, daß dann, wenn frische Backwaren in den Hof geführt und von dort über einen freien Raum zu einer Kühleinheit gebracht würden, ein Aus- und Abdunsten, d.h. das Entstehen von Gerüchen, warscheinlich sei. Sowohl der Gutachter als auch die belangte Behörde gingen in ihrer Beurteilung davon aus, geringfügige Überschreitungen der Geruchswahrnehmungsschwelle könnten nicht exakt abgeschätzt bzw. vorhergesagt werden und es könnten daher möglicherweise geringfügige Überschreitungen der Geruchswahrnehmungsschwelle zur Belästigung bei den nächstliegenden Anrainern bzw. beim gesunden, normal empfindenden Erwachsenen bzw. bei einem eben solchen Kind ohne besondere Überempfindlichkeit führen. Dies bedeute aber, daß durch die geplante Änderung eine Belästigung der Beschwerdeführer bzw. eine Erhöhung der schon bestehenden Belästigung nicht ausgeschlossen werden könne. Da es aber Sache des Genehmigungswerbers sei, dafür zu sorgen, daß derartige Belästigungen der Anrainer unterlassen würden, vor allem wenn es dadurch zu Gesundheitsgefährdungen kommen könne, folge daraus, daß die belangte Behörde das Gutachten falsch interpretiert habe. Wenn bei geplanten Anlagen eine Belästigung zu befürchten sei und diese Belästigung Gesundheitsschäden hervorrufen könne, habe die geplante Änderung zu unterbleiben. Bei Beurteilung der Lärmimmissionen sei auch nicht beachtet worden, daß es auf die subjektive Empfindlichkeit eines Durchschnittsmenschen ankomme, wobei es wohl einsichtig sei, daß ein leichtes Surren oder Pfeifen - insbesondere wenn es von einem Kühlaggregat herrühre - als unangenehm, störend und lärmend aufgefaßt werde, zumal dann, wenn es ein leises, aber wie für Kühlaggregate typisches, permanentes Surren darstelle. Ein derartiges Dauergeräusch sei nach Meinung der Beschwerdeführer störender als beispielsweise Verkehrslärm, selbst wenn es unter den üblicherweise als zulässig erachteten 30 dB liege.
Gemäß § 81 Abs. 1 GewO 1994 bedarf auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen, wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage soweit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist.
Nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung ist der Gewerbebehörde die Aufgabe übertragen, ausgehend von dem zur Genehmigung eingereichten Änderungsprojekt zunächst zu prüfen, ob die geplante Änderung der Betriebsanlage auch eine Erhöhung der von den durch die Änderung nicht unmittelbar berührten Anlageteilen ausgehenden, für die im § 74 Abs. 2 GewO 1994 umschriebenen Interessen relevanten Emissionen kommen kann. Ist eine solche Möglichkeit nicht auszuschließen, hat die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen auch die Beurteilung jener Emissionen mitzuumfassen.
Im vorliegenden Fall brachten die Beschwerdeführer schon im Verwaltungsverfahren erster Instanz vor, und hielten diesen Einwand bis zuletzt aufrecht, durch die geplante Änderung der gegenständlichen Betriebsanlage durch Errichtung einer Tiefkühlzelle werde eine Ausweitung der Kapazität der gesamten Anlage und damit eine Erhöhung der von der bereits bestehenden Anlage auf die Beschwerdeführer einwirkenden Immissionen ermöglicht. Da eine solche Annahme nicht von vornherein als ausgeschlossen bezeichnet werden kann, wäre es Sache der belangten Behörde gewesen, sich mit diesem Einwand auseinanderzusetzen und die zur Beurteilung dieser Frage erforderlichen Feststellungen zu treffen.
Die von der mitbeteiligten Partei in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung, die in Rede stehende Kühlzelle werde im Austausch gegen eine alte, die gleichzeitig stillgelegt werde, errichtet, findet im Spruch des angefochtenen Bescheides keinen normativen Niederschlag, sodaß bei dessen Prüfung nicht darauf Bedacht genommen werden kann.
Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage es unterließ, die Möglichkeit erhöhter Immissionen seitens der bereits bestehenden Anlage zu prüfen, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996040284.X00Im RIS seit
20.11.2000