TE OGH 2020/12/18 8ObA66/20v

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Veröffentlicht am 18.12.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** S*****, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Kristina Silberbauer, Rechtsanwältin in Wien, wegen 938,63 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. April 2020, GZ 7 Ra 3/20t-16, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 1. Oktober 2019, GZ 23 Cga 68/19s-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin ist seit dem 1. 11. 2012 bei der Beklagten als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterliegt keinem Kollektivvertrag.

[2]       Die Klägerin befand sich vom 1. 3. 2018 bis 28. 2. 2019 in Bildungskarenz (Sonderausbildung Kinder- und Jugendlichenpflege) auf Kosten der Beklagten. Während der Bildungskarenz wurde die Klägerin schwanger. Der errechnete Geburtstermin war der 12. 9. 2019. Das absolute Beschäftigungsverbot begann am 18. 7. 2019.

[3]       Die Klägerin kehrte mit 1. 3. 2019 aus der Bildungskarenz zurück und wurde seit diesem Tag von der Beklagten nicht mehr zu Nachtdiensten eingeteilt. Unter Zugrundelegung der letzten drei Monate vor Beginn der Bildungskarenz beträgt der Nachtdienstzulagenschnitt 205,54 EUR brutto pro Monat.

[4]       Die Klägerin begehrt den Nachtdienstzulagenschnitt für den Zeitraum 1. 3. 2019 bis 17. 7. 2019 in Höhe des eingeklagten Betrags. Die Beklagte verweigere ihr die Zahlung des Dreimonatsschnitts der Nachtdienstzulage gemäß § 14 MuttSchG, weil sie in den letzten dreizehn Wochen vor dem 1. 3. 2019 während der Bildungskarenz mit Weiterbildungsgeldbezug keine Nachtdienste geleistet habe. Die Klägerin vertrete die Rechtsansicht, dass ein dreizehn-Wochen-Zeitraum unmittelbar vor Antritt der Bildungskarenz für die Berechnung des Entgeltdurchschnitts heranzuziehen sei. Der Gesetzgeber habe eine Fortzahlung der Nachtdienste für schwangere Arbeitnehmerinnen gewährleisten wollen. Den Fall, dass dieser Zeitraum von einer Karenzierung erfasst sei, habe der Gesetzgeber nicht bedacht. Bei Inkrafttreten des § 14 MuttSchG sei die Bildungskarenz gemäß AVRAG noch gar nicht vom Gesetzgeber geschaffen gewesen.

[5]       Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung. Sie führte im Wesentlichen aus, dass § 14 Abs 1 MuttSchG die Verlängerung der dreizehnwöchigen Frist (Durchrechnungszeitraum) nur in zwei Fällen vorsehe, nämlich in jenem der Erkrankung und jenem der Kurzarbeit. Keiner dieser gesetzlichen Ausnahmefälle liege vor. Ob bei Schaffung des § 14 Abs 1 MuttSchG die Bildungskarenz schon existiert habe oder nicht, sei irrelevant. Anlässlich ihrer Einführung hätte der Gesetzgeber § 14 Abs 1 MuttSchG erweitern können, was aber nicht geschehen sei. Bei Erlassung des § 14 Abs 1 MuttSchG sei bereits vorstellbar gewesen, dass auch aus anderen Gründen als der Erkrankung oder der Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen werde. Dennoch habe der Gesetzgeber nur diese zwei ausgewählten Fälle in § 14 Abs 1 MuttSchG geregelt.

[6]       Das Erstgericht wies ausgehend vom unstrittigen und eingangs wiedergegebenen Sachverhalt die Klage ab. Dabei schloss es sich inhaltlich im Wesentlichen der rechtlichen Beurteilung der Beklagten an.

[7]       Das Berufungsgericht änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab. Es vertrat zusammengefasst die Ansicht, § 14 MuttSchG wolle grundsätzlich verhindern, dass Arbeitnehmerinnen im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft bzw Geburt und den damit verbundenen Beschäftigungsverboten und -beschränkungen, darunter das Verbot der Nachtarbeit nach § 6 MuttSchG, eine Entgeltschmälerung erleiden. Diese hätten Anspruch auf das Entgelt, das ihrem während der letzten dreizehn Wochen des Dienstverhältnisses vor der Änderung bezogenen Durchschnittsverdienst gleichkomme. Aus dem ersten Satz des § 14 Abs 1 MuttSchG ergebe sich, dass der Gesetzgeber auf das arbeitsrechtliche Entgelt abstelle. Im zweiten Satz regle der Gesetzgeber Fälle, in denen die Arbeitnehmerin infolge Erkrankung oder Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen hat; der Zeitraum von dreizehn Wochen verlängere sich um diese Zeiten. Der Fall der Bildungskarenz nach § 11 AVRAG bedürfe keiner besonderen Regelung in § 14 Abs 1 MuttSchG. Nach § 11 Abs 1 AVRAG könnten Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Bildungskarenz gegen Entfall des Arbeitsentgelts vereinbaren. Das Erstgericht sei davon ausgegangen, dass die Klägerin Weiterbildungsgeld nach § 26 AlVG bezogen habe. Dabei handle es sich um kein arbeitsrechtliches Entgelt, sondern eine Leistung des Arbeitsmarktservice. Da § 14 Abs 1 MuttSchG ausdrücklich auf das Entgelt bzw den (arbeitsrechtlichen) Durchschnittsverdienst abstelle, ergebe sich schon durch die Wortinterpretation, dass für den Anspruch der Klägerin auf das in den letzten dreizehn Wochen vor Antritt der Bildungskarenz erzielte Arbeitsentgelt abzustellen sei. Der der Höhe nach jedenfalls im Berufungsverfahren unstrittige Klagebetrag stehe somit der Klägerin zu.

[8]       Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nicht zu, weil es das Klagebegehren bereits aufgrund einer reinen Wortinterpretation des § 14 Abs 1 MuttSchG als berechtigt erachten habe können.

[9]       Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, mit der sie die Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils beantragt.

[10]           Die Klägerin erstattete keine – ihr freigestellte – Revisionsbeantwortung.

[11]     Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

[12]     Voranzustellen ist, dass das Berufungsgericht aufgrund der Ausführungen des Erstgerichts über den von diesem ausdrücklich festgestellten Sachverhalt hinaus in tatsächlicher Hinsicht davon ausging, dass es sich bei der von der Klägerin in Anspruch genommenen Bildungskarenz um eine solche iSd § 11 AVRAG handelte, somit um eine solche gegen Entfall des Arbeitsentgelts, und dass die Klägerin in dieser Zeit (nur) Weiterbildungsgeld nach § 26 AlVG bezog, somit eine Leistung des Arbeitsmarktservice. Dies blieb im Revisionsverfahren unbeanstandet und ist damit auch vom Obersten Gerichtshof seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen.

[13]     In ihrer außerordentlichen Revision hält die Beklagte dem Berufungsgericht entgegen, § 14 MuttSchG sei nicht zu entnehmen, dass der Betrachtungszeitraum so zu legen sei, dass er nur Zeiten vollen Entgelts umfasse. Wäre dem so, könnten die dreizehn Wochen auch viele Jahre vor der schwangerschaftsbedingten Änderung der Beschäftigung liegen, so bei einer zweijährigen Karenz oder mehreren Karenzen vor der Schwangerschaft. Das aber wäre keine sachgerechte Lösung mehr; der Betrieb könne sich zwischenzeitig komplett geändert haben, sodass möglicherweise niemand mehr Nachtarbeit leiste. Hätte der Gesetzgeber generell gewollt, dass Zeiten ohne Entgeltanspruch und auch Zeiten geminderten Entgeltanspruchs aus dem dreizehn-Wochen-Zeitraum auszuscheiden seien, hätte er das explizit generell formuliert. Er hätte lediglich „infolge Erkrankung oder Kurzarbeit“ nicht erwähnen brauchen. Das Verständnis des Berufungsgerichts sei weder dem Wortlaut noch der Absicht des Gesetzes zu entnehmen. Der Gesetzgeber habe es erkennbar in Kauf genommen, dass es bei relativen Beschäftigungsverboten zu finanziellen Nachteilen komme, sehe er doch insbesondere keinen Ausgleich für den Entfall von Überstundenentgelt vor. Ebenso nehme er in Kauf, dass die dreizehn Wochen nicht repräsentativ seien, und korrigiere den Zeitraum – abgesehen von den Fällen der Kurzarbeit und Erkrankung – bewusst nicht. Auch sei bei Schaffung des § 14 MuttSchG dem Gesetzgeber die Karenz bereits bekannt gewesen. Trotzdem habe er nicht einmal für diesen Fall den dreizehn-Wochen-Zeitraum erweitert, also bewusst in Kauf genommen, dass auch eine aus der Karenz zurückkehrende, erneut schwangere Mitarbeiterin während des relativen Beschäftigungsverbots keinen Nachtdienstzulagenschnitt (bzw andere nach § 14 Abs 1 MuttSchG zustehenden Entgeltbestandteile) erhalte, weil der maßgebliche dreizehn-Wochen-Zeitraum in ihre Karenz falle. Hätte der Gesetzgeber jeglichen finanziellen Nachteil schwangerer Arbeitnehmerinnen ausgleichen wollen, hätte er insbesondere diesen Fall geregelt. Zudem habe der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Bildungskarenz viele Detailregelungen getroffen, etwa dass die Bildungskarenz für dienstzeitabhängige Ansprüche wie Urlaub, Abfertigung, Dauer EFZ, Kündigungsfristen nicht mitzähle. Wenn er trotzdem § 14 Abs 1 MuttSchG nicht geändert habe, sei das kein Versehen gewesen. Mit 1. 8. 2019 sei letztlich § 15f MuttSchG eingeführt worden, wonach Zeiten der Karenz nunmehr bei Rechtsansprüchen, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, anzurechnen seien. Wenn der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit § 14 Abs 1 MuttSchG nicht um den Fall der Bildungskarenz erweitert habe, so wollte er es nicht.

Rechtliche Beurteilung

[14]     1. Für werdende und stillende Mütter gilt ein in § 6 Mutterschutzgesetz 1979 (kurz: MuttSchG, BGBl 1979/221 [Wv] idgF) näher bestimmtes Verbot der Nachtarbeit. Mit § 6 MuttSchG wird grundsätzlich Art 7 Richtlinie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (kurz: Mutterschutz-RL) in das österreichische Recht umgesetzt (Burger-Ehrnhofer in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Bauer, Mutterschutzgesetz und Väter-Karenzgesetz3 [2020] § 6 Rz 10). Danach treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit Arbeitnehmerinnen iSd Art 2 – dies sind schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen – während ihrer Schwangerschaft und während eines von der für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zuständigen einzelstaatlichen Behörde festzulegenden Zeitraums nach der Entbindung nicht zu Nachtarbeit verpflichtet werden (dies vorbehaltlich eines nach den von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden Einzelheiten vorzulegenden ärztlichen Attestes, in dem die entsprechende Notwendigkeit im Hinblick auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerin bestätigt wird). Dass die Klägerin eine Arbeitnehmerin iSd Art 2 Mutterschutz-RL ist und sie nach ihrer Rückkehr aus der Bildungskarenz wegen § 6 MuttSchG nicht mehr Nachtdienste verrichten durfte, ist zwischen den Parteien unstrittig.

[15]     2.1. Nach Art 11 Nr 1 Mutterschutz-RL müssen (unter anderem) in dem in Art 7 Mutterschutz-RL genannten Fall „die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte der Arbeitnehmerinnen iSd Art 2, einschließlich der Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung, entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten gewährleistet sein“. Die Vorschrift gibt konkret Rechte vor. Zu deren Schutz sind die nationalen Gerichte verpflichtet (EuGH C-194/08, Rs Gassmayr, Rz 53).

[16]     Dem in der Mutterschutz-RL verankerten Anspruch auf Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder auf eine angemessene Sozialleistung liegt die Erwägung zugrunde, dass die arbeitsorganisatorischen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der schwangeren Arbeitnehmerinnen, der Wöchnerinnen oder der stillenden Arbeitnehmerinnen, wie etwa Art 7 über die Nachtarbeit, keine praktische Wirksamkeit hätten, wenn nicht gleichzeitig die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte gewährleistet wären (drittletzter ErwGr der Mutterschutz-RL; iglS Eichinger, Die Frau im Arbeitsrecht [1991] 198 mwH; Nebe in Schlachter/Heinig, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht [2016] Kap 17 Rz 35).

[17]     2.2. Die Umsetzung von Art 11 Nr 1 Mutterschutz-RL in das österreichische Recht erfolgt grundsätzlich durch die Vorschrift des § 14 MuttSchG, die für bestimmte – in der Norm taxativ genannte (4 Ob 81/74 = Arb 9348 = DRdA 1976, 18 [krit M. Schwarz] = RS0070937; 10 ObS 115/17k [Pkt 2.1]) – Anwendungsfälle die Weiterzahlung des Arbeitsentgelts regelt. Ziel der Vorschrift ist zumindest im Grundsatz, Entgelteinbußen, die sich aus der Anwendung der Beschäftigungsverbote und -beschränkungen des MuttSchG ergeben, hintanzuhalten (ErläutRV 197 BlgNR 8. GP 15; ErläutRV 1033 BlgNR 13. GP 7; VwGH 90/12/0326; Eichinger aaO 198; Burger-Ehrnhofer aaO § 14 Rz 1).

[18]     Liegt einer der in § 14 Abs 1 Satz 1 MuttSchG umschriebenen Anwendungsfälle vor, „so hat die Dienstnehmerin Anspruch auf das Entgelt, das dem Durchschnittsverdienst gleichkommt, den sie während der letzten 13 Wochen des Dienstverhältnisses vor dieser Änderung bezogen hat“. Zumindest in einem solchen Fall ist der Grundgedanke des § 14 MuttSchG, dass eine Dienstnehmerin durch die Mutterschaft keinen Entgeltverlust erleiden soll, verwirklicht. Anderes gilt für jene Veränderungen, die zu einem Entgeltverlust der Dienstnehmerin führen, aber nicht in der Aufzählung des § 14 Abs 1 Satz 1 MuttSchG angeführt sind, etwa die Vorschrift über das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit in § 7 MuttSchG oder das Verbot der Leistung von Überstunden in § 8 MuttSchG. Hier hat sich der Gesetzgeber bis dato dagegen entschieden, die Dienstnehmerin vor einem Lohnverlust zu schützen (vgl 8 ObA 233/95; 8 ObA 124/03y; 10 ObS 115/17k [Pkt 2.1]).

[19]     2.3. Einer der in § 14 Abs 1 Satz 1 MuttSchG angeführten Anwendungsfälle stellt seit der Novelle BGBl 1974/178 jener dar, dass eine Arbeitnehmerin dem „Verbot der Nachtarbeit“ nach § 6 MuttSchG unterliegt und die Anwendung dieser Norm „eine Änderung der Beschäftigung im Betrieb erforderlich [macht]“. Dieser Anwendungsfall liegt wie bereits erwähnt hier unstrittig vor, weil die Klägerin nach der Rückkehr aus ihrer Bildungskarenz aufgrund ihrer Schwangerschaft wegen § 6 MuttSchG keine Nachtdienste mehr leisten durfte. Strittig ist zwischen den Parteien allein die Auslegung der in § 14 Abs 1 Satz 1 MuttSchG genannten Rechtsfolge „so hat die Dienstnehmerin Anspruch auf das Entgelt, das dem Durchschnittsverdienst gleichkommt, den sie während der letzten 13 Wochen des Dienstverhältnisses vor dieser Änderung bezogen hat“.

[20]           3.1. Nach der gesetzlichen Konzeption des § 14 Abs 1 Satz 1 MuttSchG kommt es regelmäßig nicht darauf an, wie viel die Dienstnehmerin hypothetisch verdient hätte, wäre sie nicht schwanger geworden. Maßgeblich ist vielmehr ihr „Durchschnittsverdienst […], den sie während der letzten 13 Wochen des Dienstverhältnisses vor dieser Änderung bezogen hat“. Unter der „Änderung“ ist hier unstrittig der Eintritt des Verbots der Nachtarbeit nach § 6 MuttSchG zu verstehen (vgl Burger-Ehrnhofer aaO § 14 Rz 7).

[21]           Es wird nicht auf einen fiktiven Sachverhalt abgestellt, sondern – der Rechtssicherheit dienend – auf einen Sachverhalt, der sich bereits ereignet hat (vgl Davy/Keller, Probleme der Entgeltfortzahlung nach dem Mutterschutzgesetz 1979, ZfV 1984, 20 [22]). Das Abstellen auf einen Durchschnittsverdienst in einem Referenzzeitraum ist mit Art 11 Mutterschutz-RL vereinbar (EuGH C-194/08, Rs Gassmayr [Rz 76]).

[22]           3.2. Fallen in den in § 14 Abs 1 Satz 1 MuttSchG genannten Referenzzeitraum Zeiten, während derer die Dienstnehmerin infolge Erkrankung oder Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen hat, so verlängert sich gemäß § 14 Abs 1 Satz 2 HalbS 1 MuttSchG der Zeitraum von dreizehn Wochen um diese Zeiten. HalbS 2 leg cit ordnet an, dass diese Zeiten – also jene, in welche die Dienstnehmerin infolge Erkrankung oder Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen hat – bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes außer Betracht bleiben.

[23]           Der Gesetzgeber geht somit davon aus, dass bei einem Minderverdienst der Dienstnehmerin wegen Erkrankung oder Kurzarbeit der Referenzzeitraum ungeeignet ist. Deshalb scheidet er von den genannten Umständen beeinflusste Zeiten aus dem Referenzzeitraum aus und lässt an ihre Stelle vorangegangene, nicht von Krankheit oder Kurzarbeit beeinflusste Zeiten treten. Daraus ist die Wertung ersichtlich, dass der Referenzzeitraum von dreizehn Wochen vor dem Eintritt der Änderung kein Selbstzweck ist. Vielmehr muss er eine taugliche Vergleichsgrundlage bieten.

[24]           3.3. Art 11 Nr 1 Mutterschutz-RL spricht von der „Fortzahlung eines Arbeitsentgelts“, verlangt den Mitgliedstaaten daher nicht ab, die Fortzahlung „des“ Arbeitsentgelts vorzusehen (EuGH C-194/08, Rs Gassmayr, Rn 61). Zudem ist dieses nur „entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten“ zu gewährleisten. Weiters stellt Art 11 Nr 4 Mutterschutz-RL den Mitgliedstaaten ausdrücklich frei, „den Anspruch auf die Fortzahlung des Arbeitsentgelts […] davon abhängig zu machen, dass die betreffende Arbeitnehmerin die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Bedingungen für das Entstehen eines Anspruchs auf diese Leistungen erfüllt“.

[25]           Der nationale Gesetzgeber hat damit bei Umsetzung der Mutterschutz-RL einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Vergütungssicherung muss nicht vollständig sein (Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht [2009] § 20 Rz 27; Risak in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht3 [2020] Art 11 RL 92/85/EWG Rz 4, 9). Es darf aber das mit der Mutterschutz-RL verfolgte Ziel des weitreichenden Gesundheitsschutzes – wozu auch die Gewährleistung einer Entgeltfortzahlung unabdingbar ist (vgl den bereits in Pkt 2.1 genannten ErwGr) – nicht beeinträchtigt werden (Nebe aaO Rz 35).

[26]           3.4. Die von der Beklagten vertretene Auslegung des § 14 Abs 1 MuttSchG liefe darauf hinaus, dass Referenzzeitraum ein solcher wäre, in welchem die Klägerin gar kein Entgelt bezog. Eine Gesetzesauslegung, die auf ein Durchschnittseinkommen im Referenzzeitraum von Null hinausläuft, lässt sich mit dem Ziel von Art 7 Mutterschutz-RL sowie auch § 14 MuttSchG nicht vereinbaren. Ein solcher „Nullverdienst“ läge hier aber vor, weil die Arbeitnehmerin nach § 14 MuttSchG im Fall der Änderung der Beschäftigung im Betrieb aufgrund schwangerschaftsbedingter Beschäftigungsbeschränkung einen Anspruch auf das Entgelt hat, das dem Durchschnittsverdienst gleichkommt, den sie während der letzten dreizehn Wochen des Dienstverhältnisses vor dieser Änderung bezogen hat. Das Entgelt umfasst jede Leistung, die der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber dafür bekommt, dass er ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt (RS0031505). Kein Entgelt ist damit das von der Klägerin während ihrer Bildungskarenz allein bezogene Weiterbildungsgeld nach § 26 AlVG.

[27]           In unionsrechtskonformer Auslegung ist daher der vom Berufungsgericht bereits aufgezeigten Auslegung der Vorzug zu geben, dass als Referenzzeitraum nur ein solcher in Betracht kommt, in welchem die Arbeitnehmerin von ihrem Arbeitgeber überhaupt ein Entgelt bezog. Da dies vom 1. 3. 2018 bis 28. 2. 2019 nicht der Fall war, scheidet dieser Zeitraum (Bildungskarenz) als Referenzzeitraum von vornherein aus. Als Referenzzeitraum kommen damit nur die dreizehn Wochen vor dem 1. 3. 2018 (Antritt der Bildungskarenz) in Betracht. In diesem Referenzzeitraum verrichtete die Klägerin nach den Feststellungen – der dort genannte Dreimonatszeitraum und der dreizehnwöchige Zeitraum sind praktisch kongruent – aber Nachtdienste und verdiente durch diese (zusätzliche) 205,54 EUR brutto pro Monat, somit um diesen Betrag monatlich mehr als schwangerschaftsbedingt nach Rückkehr aus der Bildungskarenz.

[28]           3.5. Es besteht entgegen der Ansicht der Beklagten keine Gefahr, dass sich während einer allenfalls mehrjährigen Karenz der Betrieb derart ändert, dass zwischenzeitig kein Mitarbeiter mehr Nachtarbeit leistet und die aus der Karenz zurückgekehrte Arbeitnehmerin trotzdem einen Anspruch auf Nachtdienstzulage hätte. In einem solchen Fall wäre die „Änderung der Verwendung“ nicht durch die Schwangerschaft erforderlich, sodass kein Anspruch nach § 14 MuttSchG bestünde.

[29]           4. Da sich der Rechtsstandpunkt der Klägerin als zutreffend erweist, war der außerordentlichen Revision der Beklagten der Erfolg zu versagen.

Textnummer

E130792

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00066.20V.1218.000

Im RIS seit

02.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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