Entscheidungsdatum
01.10.2020Norm
BFA-VG §18 Abs2 Z1Spruch
I415 2235410-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nordmazedonien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom 25.08.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt IV. stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.
II. Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass dessen Spruchpunkten V. zu lauten hat:
„V. Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage."
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Mit 23.08.2020 erging aufgrund des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) im Bundesgebiet ein Festnahmeauftrag gegen diesen. Am selben Tag wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA, belangten Behörde) niederschriftlich einvernommen.
2. Mit Mandatsbescheid vom 23.08.2020 wurde gemäß § 76 Abs 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs 1 AVG über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.
3. Mit Datum 24.08.2020 stellte der BF einen Antrag auf unterstützte freiwillige Rückkehr, welche ihm seitens der belangten Behörde am 25.08.2020 genehmigt wurde.
4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 25.08.2020, zugestellt am selben Tag, wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.) sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nordmazedonien zulässig sei (Spruchpunkt III.), ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.) und der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
5. Am 28.08.2020 erfolgte die freiwillige Ausreise des BF auf dem Luftweg nach Skopje.
6. Gegen Spruchpunkt IV. (Einreiseverbot) und V. (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) des Bescheids richtet sich die durch die Rechtsvertretung des BF fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 18.09.2020, wobei Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtwidrigkeit moniert wurden. Hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde ausgeführt, dass die Begründung, dass der BF eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, weil er strafbare Handlungen im Bundesgebiet begangen habe, absolut aktenwidrig sei. Vielmehr sei der BF unbescholten, habe sich mit seiner Ex-Verlobten bereits versöhnt und diese in seinem Heimatstaat in Mazedonien, in der Ortschaft XXXX , am XXXX geheiratet. Darüber hinaus sei selbst die bloße Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung nach EuGH-Rechtsprechung nicht geeignet, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung zu begründen, weshalb anzunehmen sei, dass beim unbescholtenen BF umso weniger Gründe vorliegen würden, welche eine sofortige Ausreise desselben erforderlich gemacht hätten. Auch habe die belangte Behörde das Privat- und Familienleben des BF missachtet. Hinsichtlich des Einreiseverbots wurde ausgeführt, dass dieses ausschließlich mit der Mittellosigkeit des BF begründet worden sei. Abgesehen vom illegalen Aufenthalt habe sich der BF im Bundesgebiet nichts zu Schulden kommen lassen und sei er strafrechtlich unbescholten. Warum eine einmalige Wegweisung nach dem SPG die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde, sei nicht nachvollziehbar, zumal der BF sich mit D.S. versöhnt und diese sogar geheiratet habe. Nach Rechtsprechung des VwGH habe die Erlassung eines Einreiseverbotes in Falle eines bloß geringfügig beeinträchtigenden Fehlverhaltens des BF zu unterbleiben. Nachdem dem BF lediglich der Tatbestand des § 53 Abs 2 Z 6 FPG angelastet werde, sei ein kürzeres Einreiseverbot denkbar bzw. ein Verzicht auf ein solches. Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bestehe nicht mehr und erscheine damit die Erlassung eines zweijährigen Einreiseverbots als unverhältnismäßig. Überdies habe sich der BF äußerst kooperativ verhalten. Die von der belangten Behörde attestierte Schwere des Fehlverhaltens des BF sei nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose habe die belangte Behörde nicht ausgeführt, weshalb der BF in Zukunft eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, dass die Erlassung eines dreijährigen [gemeint wohl: zweijährigen] Einreiseverbots notwendig wäre. Die bloße Überschreitung der zulässigen Aufenthaltsdauer stelle für sich alleine noch keinen Grund für die Erlassung eines Einreiseverbotes dar, zumal die Ehefrau des BF sowie dessen Vater den Aufenthalt des BF finanzieren würden. Darüber hinausgehende Umstände, die eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung indizieren würden, lägen nicht vor. Es werde daher beantragt, den Bescheid im Umfang der Spruchpunkte III. und V. zu beheben und dem BF eine Frist für die freiwillige Ausreise einzuräumen sowie das Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.) ersatzlos zu beheben, in eventu die Dauer des Einreiseverbotes zu verkürzen.
7. Mit Schriftsatz vom 22.09.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 25.09.2020, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist nordmazedonischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht fest. Er hielt sich im Zeitraum vom (mindestens) 02.02.2020 bis zu seiner Ausreise am 28.08.2020 in Österreich auf und ist seit dem 17.03.2020 melderechtlich mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet an der Adresse seiner damaligen Freundin, nunmehr Ehegattin, erfasst. Vom 23.08.2020 bis zum 28.08.2020 war der BF im PAZ Hernalser Gürtel aufhältig.
Seit XXXX 2020 ist der BF mit der österreichischen Staatsbürgerin D.S. verheiratet. In Nordmazedonien lebt zumindest der Vater des BF.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. In Mazedonien ging er zuletzt keiner Arbeit nach, auch in Österreich war der BF nicht erwerbstätig.
Zum Zeitpunkt seiner niederschriftlichen Einvernahme verfügte der BF über Barmittel in Höhe von EUR 24,--, Erspartes bzw. eine Bankomat- oder Kreditkarte hatte der BF nicht vorzuweisen, wobei jedoch die Eröffnung eines Bankkontos bei der Raiffeisenbank vorgenommen wurde. Seinen Aufenthalt im Bundesgebiet finanzierte sich der BF durch seine Freundin, nunmehr Ehegattin, und durch Geldzuwendungen seines Vaters.
Aktuell verfügt der BF über keinen Aufenthaltstitel, kein Visum bzw. auch sonst nicht über irgendein Aufenthaltsrecht für Österreich oder die EU.
Er ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.
Am 28.08.2020 reiste der BF freiwillig auf dem Luftweg nach Skopje aus.
Die Beschwerde richtet sich nur gegen Spruchpunkt IV. und V. des angefochtenen Bescheides.
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Zum Verfahrensgang
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
2.2. Zum Sachverhalt:
Die Feststellungen basieren ebenfalls auf dem unbestrittenen Akteninhalt, den Angaben des BF im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 23.08.2020 sowie der Beschwerde und den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Strafregister und einem Sozialversicherungsdatenauszug.
Die Identität und Staatsangehörigkeit des BF ergibt sich aus der Vorlage des mazedonischen Reisepasses mit der Nummer XXXX vor der belangten Behörde. Die Aufenthaltsdauer des BF im Bundesgebiet ergibt sich aus den Angaben des BF im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde (Protokoll vom 23.08.2020, AS 12), der Ausreisebestätigung seitens des Vereins Menschenrechte Österreich vom 31.08.2020 (AS 173) sowie einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 28.09.2020. Hinsichtlich der melderechtlichen Erfassung des BF im Bundesgebiet an derselben Adresse wie D.S. sowie dessen Aufenthalt im PAZ Hernalser Gürtel gilt es ebenso, auf den Auszug aus dem Zentralen Melderegister zur Person des BF zu verweisen, wobei der Auszug aus dem Zentralen Melderegister zur Person der D.S. dazu in Einklang steht.
Dass der BF mit D.S. seit XXXX 2020 verheiratet ist, ergibt sich aus der im Zuge der Beschwerde vorgelegten Heiratsurkunde vom XXXX 2020, ausgestellt von der Standesamtsbehörde XXXX (AS 187) samt Übersetzung. Aufgrund der Ausführungen des BF, vom Vater bei Bedarf Geld geschickt zu bekommen, konnte die Feststellung getroffen werden, dass zumindest der Vater des BF in Nordmazedonien lebt (Protokoll vom 23.08.2020, AS 12).
Hinsichtlich des Gesundheitszustandes des BF gilt es, auf dessen Ausführungen vor der belangten Behörde zu verweisen, wo der BF zu Protokoll gab, gesund zu sein, keine Medikamente zu nehmen sowie noch nie im Krankenhaus oder sonst in Kranken-, Spitals- oder sonstiger medizinischer Behandlung gewesen zu sein (Protokoll vom 23.08.2020, AS 10). Aufgrund des Gesundheitszustandes und des erwerbsfähigen Alters des BF konnte auf dessen Arbeitsfähigkeit geschlossen werden. Der Umstand, dass der BF zuletzt in Mazedonien keiner Arbeit nachging, ergibt sich aus den diesbezüglichen Angaben des BF vor der belangten Behörde (Protokoll vom 23.08.2020, AS 12). Einem Sozialversicherungsdatenauszug zur Person des BF ist zu entnehmen, dass dieser im Bundesgebiet noch keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist.
Der Umstand, dass der BF über Barmittel in Höhe von EUR 24,-- verfügt hat und kein Erspartes bzw. keine Bankomat- oder Kreditkarte vorzuweisen hatte, jedoch die Eröffnung eines Bankkontos vorgenommen wurde, ergibt sich aus den entsprechenden Ausführungen des BF vor der belangten Behörde, ebenso die Feststellungen hinsichtlich der Finanzierung seines Aufenthalts im Bundesgebiet (Protokoll vom 23.08.2020, AS 12 f).
Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister vom 28.09.2020.
Die Feststellung, dass der BF auf dem Luftweg nach Skopje am 28.08.2020 ausgereist ist, ergibt sich aus der Ausreisebestätigung seitens des Vereins Menschenrechte Österreich vom 31.08.2020 (AS 173). Dass der BF freiwillig ausgereist ist, ergibt sich aus dessen gestellten Antrag für die unterstützte freiwillige Rückkehrhilfe (AS 107), welche seitens der belangten Behörde auch genehmigt wurde (AS 77). Auch aus einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister zur Person des BF geht hervor, dass dieser am 28.08.2020 unterstützt freiwillig ausgereist ist.
Der Umstand, dass sich die Beschwerde nur gegen den Spruchpunkt IV. und V. des angefochtenen Bescheides richtet, ergibt sich aus der Beschwerde vom 18.09.2020, in der ausgeführt wurde: „Gegen diesen Bescheid erhebt der BF im Umfang der Spruchpunkte IV. und V. Beschwerde […]“ Wenn in der Beschwerde beantragt wird, (unter anderem) Spruchpunkt III. zu beheben, welcher die Zulässigkeit der Abschiebung nach Nordmazedonien zum Inhalt hat, so wird darauf hingewiesen, dass im Zuge des Beschwerdevorbringens hinsichtlich einer etwaigen Unzulässigkeit der Abschiebung nach Nordmazedonien nichts vorgebracht wurde und sich das Beschwerdevorbringen inhaltlich ausschließlich auf die Spruchpunkte IV. und V. bezieht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 2 Abs 4 Z 1 FPG gilt als Fremder jeder, der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß § 2 Abs 4 Z 10 FPG als Drittstaatsangehöriger ein Fremder, der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist.
Der BF als Staatsangehöriger von Mazedonien ist Drittstaatsangehöriger und folglich Fremder iSd. soeben angeführten Bestimmung.
Zu Spruchteil A)
3.1. Zur Behebung des Einreiseverbots (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):
3.1.1 Rechtslage
Der mit "Einreiseverbot" betitelte § 53 FPG lautet wie folgt:
§ 53 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
(1a) (aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)
(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs 1 ist, vorbehaltlich des Abs 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige
1. [...];
6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;
[...]
Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).
Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgeführt, dass [...] bei Bemessung eines Einreiseverbotes nach § 53 FPG eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, bei der die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen hat, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchem zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs 2 FPG anzunehmen […] (vgl. zum Erfordernis einer Einzelfallprüfung aus der ständigen Rechtsprechung auch etwa VwGH 10.4.2014, 2013/22/0310, 30.7.2014, 2013/22/0281) (VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311).
Nach den ErläutRV (2144 BlgNR 24. GP 23 f) soll das Bundesamt "fortan im Einzelfall, zB bei einem nur einmaligen, geringfügigen Fehlverhalten des Drittstaatsangehörigen, auch ein 18 Monate unterschreitendes Einreiseverbot erlassen" können. Die genannten 18 Monate werden zwar im § 53 Abs 2 legcit (idF BGBl. I Nr. 68/2013) nicht mehr erwähnt (vgl. demgegenüber § 12a Abs 6 erster Satz AsylG 2005). Nach der gesetzgeberischen Intention kann es allerdings keinem Zweifel unterliegen, dass die Verhängung kurzfristiger Einreiseverbote (insbesondere solcher in einer Dauer von weniger als 18 Monaten) - oder überhaupt das Unterbleiben eines Einreiseverbotes - regelmäßig nur dann stattzufinden hat, wenn von dem betreffenden Drittstaatsangehörigen keine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgeht. Das wird verschiedentlich dann der Fall sein, wenn der Drittstaatsangehörige "bloß" einen der Tatbestände des § 53 Abs 2 Z 1 bis 9 legcit erfüllt. Ist dagegen davon auszugehen, dass es sich um einen Drittstaatsangehörigen handelt, von dessen Aufenthalt iSd § 53 Abs. 3 legcit eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht, so wird in aller Regel - freilich abhängig von den sonstigen Umständen des Einzelfalles - ein längerfristiges Einreiseverbot zu verhängen sein (VwGH 24.05.2018, Ra 2018/19/0125).
3.1.2 Anwendung auf den gegenständlichen Fall:
Der Ansicht der belangten Behörde, dass der BF wegen Mittellosigkeit in Zusammenschau mit seinem Fehlverhalten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, kann nicht gefolgt werden.
Der BF hielt sich zwar unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, jedoch war ein nicht unbeachtlicher Teil seines Aufenthalts den Covid-19-bedingten Reisebeschränkungen ab März 2020 geschuldet. Darüber hinaus hat sich auch die nunmehrige Ehegattin des BF in Wien hinsichtlich der Covid-19-Pandemie und der damit verbundenen Quarantäne und Grenzschließungen informiert, wobei ihr mitgeteilt wurde, dass der BF dann ausreisen solle, sobald die Grenzen offen wären (Zeugeneinvernahme vom 25.08.2020, AS 29). Nicht verkannt wird dabei, dass der BF nach der Öffnung der Grenzen seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und unrechtmäßig weiterhin im Bundesgebiet verblieben ist.
Im Sinne des Verhaltens des BF gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass sich dieser überaus kooperativ gezeigt und bereits bei seiner niederschriftlichen Einvernahme ausgeführt hat, dass er Österreich verlassen werde, das kein Problem sei und er sich nicht wiedersetzen werde (Protokoll vom 23.08.2020, AS 11). Bereits einen Tag später stellte er einen Antrag für unterstützte freiwillige Rückkehrhilfe, welche ihm seitens der belangten Behörde auch genehmigt wurde und er damit seine Ausführungen vor der belangten Behörde umsetzte. Bereits am 28.08.2020 reiste der BF schließlich per Flugzeug nach Skojpe aus.
Zu berücksichtigen gilt es weiters, dass der BF seine damalige Freundin, die österreichische Staatsangehörige D.S., bei welcher er während seines Aufenthalts im Bundesgebiet auch Unterkunft bezogen hat, am XXXX 2020 in Mazedonien geehelicht hat. Ein etwaiges vorheriges Fehlverhalten in Zusammenhang mit Beziehungsstreitigkeiten bzw. einer damit einhergehenden Wegweisung nach dem SPG entfaltet daher gegenständlich keinerlei Entscheidungsrelevanz mehr, zumal der BF und D.S. ungeachtet etwaiger vorheriger Unstimmigkeiten diese überwunden und ihre Trauung vollzogen haben.
Entsprechend den Feststellungen hat der BF hat somit „nur“ den Tatbestand nach § 53 Abs 2 Z 6 FPG an sich verwirklicht, wobei er seinen Aufenthalt ungeachtet dessen durch seine Freundin, mittlerweile Ehegattin, und durch Geldzuwendungen seitens seines Vaters finanzieren konnte. Darüber hinaus ist der BF seiner Ausreiseverpflichtung nach Lockerung der Reisebeschränkungen nicht so bald wie möglich nachgekommen.
Dass jedoch in Gesamtschau aller aufgezeigten Umstände, dem sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbild und in Ansehung der auf Grund des persönlichen Fehlverhaltens getroffenen Gefährdungsprognose vom BF eine solche Gefahr ausgeht, dass man das wirtschaftliche Wohl Österreichs beeinträchtigt sehen müsste, kann nicht festgestellt werden. Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen durch die Person des BF lässt sich somit nur in einem sehr geringen Maße erkennen.
Die Verhängung eines Einreiseverbotes war daher vor dem Hintergrund der oben zitierten Judikatur nicht geboten und Spruchpunkt IV. zu beheben.
3.2. Zur Behebung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids):
3.2.1 Rechtslage
Gemäß § 55 Abs 1 FPG wird zugleich mit einer Rückkehrentscheidung eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Diese beträgt gemäß § 55 Abs 2 FPG grundsätzlich 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Bei Überwiegen besonderer Umstände, die der BF nachzuweisen und gleichzeitig einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben hat, kann die Frist gemäß § 55 Abs 3 FPG einmalig mit einem längeren Zeitraum festgesetzt werden. Von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise hat das Bundesamt gemäß § 55 Abs 4 FPG abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs 2 BFA-VG aberkannt wurde.
Gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung vom Bundesamt abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.
Zur Begründung einer Notwendigkeit der sofortigen Ausreise eines Fremden genügt es nicht, dafür auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat; dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich waren (vgl. VwGH 12.9.2013, 2013/21/0094; VwGH 3.7.2018, Ro 2018/21/0007). Die Notwendigkeit der sofortigen Ausreise als gesetzliche Voraussetzung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung betreffend die Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung erfordert also das Vorliegen besonderer Umstände, die mit den Voraussetzungen für die Aufenthaltsbeendigung als solche nicht gleichzusetzen sind (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0053).
3.2.2 Anwendung auf den gegenständlichen Fall:
Die belangte Behörde begründet die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung damit, dass der BF im Bundesgebiet der Republik Österreich strafbare Handlungen begangen habe, weshalb die sofortige Außerlandesbringung unabdingbar notwendig sei, der BF nicht gewillt gewesen sei, die österreichische Rechtsordnung zu akzeptieren und der BF eine erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich jenes an Ruhe, Ordnung und Sicherheit, berühre.
Es ist dem Beschwerdevorbringen zu folgen, dass sich die Begründung der belangten Behörde, nämlich, dass der BF strafbare Handlungen im Bundesgebiet begangen habe, als aktenwidrig erweist. Der BF ist strafrechtlich in Österreich nie in Erscheinung getreten und unbescholten. Abgesehen davon wurden vom BFA keine weiteren Umstände angeführt, welche die Notwendigkeit der sofortigen Ausreise rechtfertigen vermögen und hat der BF überdies vor dem Zeitpunkt der Bescheiderlassung durch die Stellung seines Antrags für unterstützte freiwillige Rückkehrhilfe am 24.08.2020 seinen Willen, sich der österreichischen Rechtsordnung zu unterwerfen, bekundet.
Die belangte Behörde hat dem BF daher zu Unrecht die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde aberkannt.
Dementsprechend war der Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids – ungeachtet der freiwilligen Ausreise des BF – dahingehend abzuändern, dass dieser zu lauten hat: „Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage."
3.3. Entfall der mündlichen Verhandlung
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte, konnte eine mündliche Verhandlung gem § 21 Abs 7 BFA-VG unterbleiben. Dem angefochtenen Bescheid ging ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren des BFA voran.
Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zwar besondere Bedeutung zu und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine "absolute" (generelle) Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid hinsichtlich der in der Beschwerde monierten Spruchpunkte IV. und V. zu beheben war, konnte gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG und § 21 Abs 7 BFA-VG iVm 24 Abs 4 VwGVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Ergänzend wird ausgeführt, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch nicht beantragt wurde und der BF bereits am 28.08.2020 nach Mazedonien freiwillig ausgereist ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Einreiseverbot Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung freiwillige Ausreise Frist Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Interessenabwägung Kassation Mittellosigkeit öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private InteressenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I415.2235410.1.00Im RIS seit
24.02.2021Zuletzt aktualisiert am
24.02.2021