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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des F A, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 2020, G311 2180224-1/20E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger aus Bagdad, stellte am 17. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 15. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend stellte das BVwG - soweit entscheidungsrelevant - fest, dass der Revisionswerber an einem neuropathischen Schmerzsyndrom infolge einer Fraktur des linken Unterschenkels leide, welches mittels wöchentlicher Neuraltherapie, Schmerzmitteln und teilweiser Physiotherapie behandelt werde. Aus den herangezogenen Länderberichte und Anfragebeantwortungen ergebe sich, dass eine entsprechende Behandlung von neuropathischen Schmerzen in Krankenhäusern und Arztpraxen in Bagdad verfügbar sei und auch die benötigten Medikamente zumindest in Privatapotheken zu finden seien. Im Jahr 2017 habe in Bagdad zudem ein Rehabilitationszentrum eröffnet, das unter anderem postoperative Rehabilitationsleistungen, Physiotherapie und Schmerztherapie anbiete. Darauf basierend kam das BVwG zu dem Ergebnis, dass die Erkrankung des Revisionswerbers nicht lebensbedrohlich sei und es im Falle einer Abschiebung zu keiner unwiederbringlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes bzw. einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung kommen werde. Die vom Revisionswerber benötigten Medikamente und Therapien seien im Irak sowohl in privaten Apotheken als auch in öffentlichen Kliniken verfügbar und es könne angesichts seines ausgeprägten familiären Netzwerkes nicht erkannt werden, dass sich der Revisionswerber den Zugang zum medizinischen System nicht leisten könne. Eine Rückkehr des Revisionswerbers nach Bagdad sei daher ohne Gefährdung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte möglich.
5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst geltend macht, das BVwG habe sich bei der Beurteilung der medizinischen Versorgungslage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers auf veraltete Länderberichte gestützt und dabei weder die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie noch die Richtlinien des UNHCR berücksichtigt. Zudem sei die Begründung, wonach der Revisionswerber trotz seiner Erkrankung beschränkt arbeitsfähig sei, nicht nachvollziehbar.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 26.9.2019, Ra 2019/18/0378, mwN und Hinweis auf EGMR 13.12.2016, Paposhvili gegen Belgien, 41738/10).
11 Dem BVwG kann nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grundlage der getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangte, dass die Krankheit des Revisionswerbers keine solche Schwere erreicht, dass die Rückführung in den Herkunftsstaat zu einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Lebenssituation führen würde. Die Revision zeigt zwar auf, dass die medizinische Versorgung im Irak nicht mit jener in Österreich vergleichbar ist, vermag aber nicht darzustellen, dass die dortige Situation - fallbezogen - die hohe Schwelle der Anwendbarkeit des Art. 3 EMRK erreicht.
12 Sofern die Revision eine mangelnde Auseinandersetzung mit den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen“ von Mai 2019 rügt, denen lediglich allgemein zu entnehmen ist, dass sich das Gesundheitssystem im Irak verschlechtert habe und es teilweise zu Medikamentenengpässen komme, gelingt es ihr nicht, die konkreteren Feststellungen des BVwG zur grundsätzlichen Verfügbarkeit der benötigten Medikamente in Bagdad zu entkräften.
13 Dasselbe gilt für das Vorbringen, das BVwG habe veraltete Länderberichte herangezogen und sich nicht mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die medizinische Versorgung im Irak auseinandergesetzt, zumal sich aus den in der Revision zitierten Berichten aus dem Jahr 2020 keine entscheidungsrelevante Änderung der medizinischen Versorgungslage ergibt, die zu einem anderen Verfahrensergebnis führen hätte können.
14 Dem Vorbringen, wonach das BVwG nicht nachvollziehbar begründet habe, weshalb der Revisionswerber trotz schwerer Gehbehinderung und chronischer Schmerzen beschränkt arbeitsfähig sei und mangels familiären Rückhalts auch durch eigene Erwerbstätigkeit die Kosten für die benötigten Medikamente aus eigener Kraft aufbringen könne, ist entgegenzuhalten, dass der Revisionswerber nach den Feststellungen des BVwG zu seinen Eltern und seiner unverheirateten Schwester, die gemeinsam mit einer Tante in einem großen Haus leben würden, zurückkehren würde und auch zwei in Bagdad lebende Brüder habe, weshalb davon auszugehen sei, dass ihn seine Familienangehörigen wieder bei sich aufnehmen und ihm eine Unterkunft sowie (finanzielle) Unterstützung gewähren würden.
15 Soweit die Revision die Unterstützungswilligkeit der in Bagdad lebenden Familie des Revisionswerbers unsubstantiiert in Zweifel zieht, vermag sie eine Unschlüssigkeit der diesbezüglichen Erwägungen des BVwG nicht aufzuzeigen.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 15. Jänner 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180395.L00Im RIS seit
01.03.2021Zuletzt aktualisiert am
01.03.2021