TE Lvwg Beschluss 2020/12/17 LVwG-AV-166/001-2019

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

17.12.2020

Norm

BAO §260 Abs1 lita
BAO §284

Text

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch Mag. Lindner als Einzelrichterin über die Säumnisbeschwerden des A, der C sowie der D vom 11. Jänner 2019 wegen Säumnis des Stadtrates der Stadtgemeinde *** zur Entscheidung über die Berufung der D vom 3. August 2017 gegen den Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 4. Juli 2017, Kundennummer ***, betreffend Kanalbenützungsgebühr, den

BESCHLUSS

1.   In Stattgebung der Säumnisbeschwerde der D entscheidet gemäß § 284 Bundesabgabenordnung (BAO) das Landesverwaltungsgericht über die Berufung der D. Die Berufung wird gemäß § 260 Abs. 1 lit.a BAO als unzulässig zurückgewiesen.

2.   Die Säumnisbeschwerden der C und des A werden gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO als unzulässig zurückgewiesen.

3.   Gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig.

Begründung:

1.   Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:

Mit als Abgabenbescheid bezeichneter Erledigung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 4. Juli 2017, Kundennummer ***, wurde Frau D die jährliche Kanalbenützungsgebühr ab 1. Juni 2017 im Betrag von € 0,- neu festgesetzt.

Mit Schreiben vom 3. August 2017 (beim Stadtamt eingelangt am 7. August 2017) erhob D gegen diesen „Abgabenbescheid“ zu Kundennummer *** fristgerecht das ordentliche Rechtsmittel der Berufung.

Über diese Berufung wurde vom Stadtrat der Stadtgemeinde *** bisher nicht abgesprochen.

Im Beschwerdeschriftsatz vom 11. Jänner 2019 erhoben D, C und A diesbezüglich die Säumnisbeschwerde.

Über die Berufung der D gegen den Abgabenbescheid vom 4. Juli 2017, Kundennummer ***, habe der Stadtrat nicht entschieden und sei daher säumig.

Die Beschwerde wurde von der Stadtgemeinde *** unter Anschluss des bezughabenden Abgabenaktes dem Landesverwaltungsgericht zur Entscheidung (beim Landesverwaltungsgericht eingelangt am 30. Jänner 2019) vorgelegt. Das Landesverwaltungsgericht hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in die vorgelegten Aktenunterlagen sowie in die Vorakten des Landesverwaltungsgerichtes zu LVwG-AV-200/2018, LVwG-AV-202/2018 und LVwG-AV-203/2018, insbesondere in die Niederschrift der am 30. Juli 2018 beim Landesverwaltungsgericht durchgeführten Beschwerdeverhandlung.

2.   Anzuwendende Rechtsvorschriften:

2.1. Bundesabgabenordnung - BAO:

§ 1. (1) Die Bestimmungen der BAO gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.

§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden

§ 260. (1) Die Bescheidbeschwerde ist mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) zurückzuweisen, wenn sie

a)   nicht zulässig ist oder

b)   nicht fristgerecht eingebracht wurde.

§ 284. (1) Wegen Verletzung der Entscheidungspflicht kann die Partei Beschwerde (Säumnisbeschwerde) beim Verwaltungsgericht erheben, wenn ihr Bescheide der Abgabenbehörden nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen oder nach dem Eintritt zur Verpflichtung zu ihrer amtswegigen Erlassung bekanntgegeben (§ 97) werden. Hiezu ist jede Partei befugt, der gegenüber der Bescheid zu ergehen hat.

(2) Das Verwaltungsgericht hat der Abgabenbehörde aufzutragen, innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten ab Einlangen der Säumnisbeschwerde zu entscheiden und gegebenenfalls eine Abschrift des Bescheides vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegt. Die Frist kann einmal verlängert werden, wenn die Abgabenbehörde das Vorliegen von in der Sache gelegenen Gründen nachzuweisen vermag, die eine fristgerechte Entscheidung unmöglich machen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, so ist das Verfahren einzustellen.

(3) Die Zuständigkeit zur Entscheidung geht erst dann auf das Verwaltungsgericht über, wenn die Frist (Abs. 2) abgelaufen ist oder wenn die Abgabenbehörde vor Ablauf der Frist mitteilt, dass keine Verletzung der Entscheidungspflicht vorliegt.

(4) Säumnisbeschwerden sind mit Erkenntnis abzuweisen, wenn die Verspätung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Abgabenbehörde zurückzuführen ist.

(5) Das Verwaltungsgericht kann sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Abgabenbehörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Abgabenbehörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst.

(6) Partei im Beschwerdeverfahren ist auch die Abgabenbehörde, deren Säumnis geltend gemacht wird.

(7) Sinngemäß sind anzuwenden:

a) § 256 Abs. 1 und 3 (Zurücknahme der Beschwerde),

b) § 260 Abs. 1 lit. a (Unzulässigkeit),

c) § 265 Abs. 6 (Verständigungspflichten),

d) § 266 (Vorlage der Akten),

e) § 268 (Ablehnung wegen Befangenheit oder Wettbewerbsgefährdung),

f) § 269 (Obliegenheiten und Befugnisse, Ermittlungen, Erörterungstermin),

g) §§ 272 bis 277 (Verfahren),

h) § 280 (Inhalt des Erkenntnisses oder des Beschlusses).

§ 288. (1) Besteht ein zweistufiger Instanzenzug für Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden, so gelten für das Berufungsverfahren die für Bescheidbeschwerden und für den Inhalt der Berufungsentscheidungen die für Beschwerdevorentscheidungen anzuwendenden Bestimmungen sinngemäß. Weiters sind die Beschwerden betreffenden Bestimmungen (insbesondere die §§ 76 Abs. 1 lit. d, 209a, 212 Abs. 4, 212a und 254) sowie § 93 Abs. 3 lit. b und Abs. 4 bis 6 sinngemäß anzuwenden.

2.2. Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985:

§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

(2) Eine Revision ist nicht zulässig gegen:

         1.       Beschlüsse gemäß § 30a Abs. 1, 3, 8 und 9;

         2.       Beschlüsse gemäß § 30b Abs. 3;

         3.       Beschlüsse gemäß § 61 Abs. 2.

(3) Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision nicht zulässig. Sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden.

(5) Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.

3.   Rechtliche Würdigung:

3.1. Zu Spruchpunkt 1:

Formellrechtlich ist die Berechtigung zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht somit an die Voraussetzung geknüpft, dass die Partei an die Behörde einen – noch nicht erledigten (VwGH Ro 2016/03/0027) – Antrag gestellt hatte (VwGH 93/07/0123; 2007/05/0017).

Die Berufung vom 3. August 2017 begründete jedenfalls eine Entscheidungspflicht der in diesem Schreiben zum Tätigwerden aufgeforderten belangten Behörde.

Fest steht, dass der Stadtrat der Stadtgemeinde *** über die Berufung der D vom 3. August 2017, soweit diese (auch) gegen die als Abgabenbescheid bezeichnete Erledigung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 4. Juli 2017, Kundennummer ***, erhoben wurde, keine Berufungsentscheidung getroffen hat und insofern nach Ablauf von sechs Monaten ab Einlangen dieser Berufung säumig geworden ist.

Nach Ablauf der Frist von drei Monaten nach Einlangen der Säumnisbeschwerde der D ist gemäß § 284 Abs. 2 BAO die Zuständigkeit zur Entscheidung über diese Berufung auf das Landesverwaltungsgericht übergegangen.

Der mit der Berufung der D vom 3. August 2017 bekämpfte „Bescheid“ des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 4. Juli 2017, Kundennummer ***, setzt eine Kanalbenützungsgebühr mit Null fest. Insofern wird mit dieser Erledigung auch kein Abgabenanspruch geltend gemacht und keine Abgabenzahlungspflicht begründet. Es handelt sich dementsprechend – ungeachtet der Bezeichnung als „Abgabenbescheid“ – um eine Erledigung ohne normativen Inhalt, ohne Spruch. Erledigungen ohne Spruch sind jedenfalls keine Bescheide (VwGH 2010/15/0064).

Das als Prozessvoraussetzung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis eines Rechtsmittelwerbers besteht bei einer Bescheidbeschwerde bzw. einer Berufung im objektiven Interesse an der Beseitigung des angefochtenen, sie belastenden Verwaltungsakts. Dieses objektive Interesse ist die "Beschwer". Eine solche liegt vor, wenn die Verwaltungsbehörde die beschwerdeführende Partei durch ihren Verwaltungsakt belastet (vgl. z.B. VwGH 2011/03/0228 und 2013/03/0111).

Fehlt hingegen die Möglichkeit einer Rechtsverletzung in der Sphäre des Beschwerdeführers, so ermangelt diesem die Beschwerdeberechtigung (z.B. VwGH 2000/11/0269). Durch die Nichtfestsetzung einer Abgabe (Festsetzung mit Null) wird niemand belastet, die Rechtsstellung des Adressaten einer solchen Erledigung entspricht seiner Rechtsstellung ohne diese Erledigung, diese Erledigung hat keinen normativen Inhalt, insbesondere keinen den Adressaten belastenden Inhalt.

Der als „Abgabenbescheid“ bezeichneten Erledigung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 4. Juli 2017, Kundennummer ***, fehlt es dementsprechend an Bescheidqualität, der dagegen erhobenen Berufung daher an einem tauglichen Anfechtungsgegenstand.

3.2. Zu Spruchpunkt 2:

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde ist die Verletzung einer Entscheidungspflicht durch die Behörde, deren Untätigkeit beanstandet wird.

Ohne Zweifel löst das Einlangen einer Berufung eine Entscheidungspflicht der zuständigen Berufungsbehörde aus.

Die Berufung vom 3. August 2017 gegen die als „Abgabenbescheid“ bezeichnete und ausschließlich an D adressierte Erledigung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 4. Juli 2017, Kundennummer ***, wurde ausschließlich von D eingebracht. Nur sie kann als Berufungswerberin einen diesbezüglichen Entscheidungsanspruch geltend machen (siehe 3.1.).

Die Berechtigung zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht ist an die Voraussetzung geknüpft, dass die Partei an die Behörde einen Antrag gestellt hatte (VwGH 93/07/0123; 2007/05/0017).

Die Beschwerdeführer C und A haben selbst keine Berufung gegen die genannte Erledigung des Bürgermeisters erhoben und damit auch keinen Anspruch auf eine Berufungsentscheidung. Sie sind dementsprechend auch zur Geltendmachung einer diesbezüglichen Entscheidungspflicht nicht berechtigt.

3.3. Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Hinblick auf die obigen Ausführungen liegen jedoch keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

3.4. Zur Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung:

Diese Entscheidung konnte gemäß § 274 Abs.1 BAO unter Entfall der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde von den Beschwerdeführern nicht beantragt. Auch aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ist ersichtlich, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Schlagworte

Finanzrecht; Verfahrensrecht; Bescheid; Spruch; Säumnisbeschwerde; Zulässigkeit;

Anmerkung

VwGH 07.01.2022, Ra 2021/13/0032-11, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.166.001.2019

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten