TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/1 W203 2199096-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.12.2020
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Entscheidungsdatum

01.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W203 2199096-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Mario ZÜGER, RA in 1010 Wien, Seilergasse 16, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, Zl. 1093002902-151664414, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.11.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer stellte am 31.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Am selben Tag wurde der Beschwerdeführer durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er an, dass er am XXXX in Parwan, Afghanistan geboren und ledig sei. Er gehöre der tadschikischen Volksgruppe an und sei Moslem. Er habe 3 Jahre lang im Iran die Grundschule besucht. Seine Eltern seien bereits verstorben, eine Schwester lebe noch in Afghanistan. Seine Bezugspersonen in Österreich seien sein Bruder, seine Schwägerin und deren gemeinsamer Sohn.

Befragt nach seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an: „Als ich ein Jahr alt war zogen wir in den Iran. In Afghanistan habe ich niemanden mehr. Im Iran haben mein Bruder und ich illegal gelebt. Wir hatten immer Angst, nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Deshalb haben wir den Iran verlassen.“

3.       Am 07.03.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen dieser Befragung gab er an, dass er bei der Ersteinvernahme „nicht viel gefragt worden sei“, weil er damals minderjährig gewesen sei und hauptsächlich sein ihn begleitender, älterer Bruder gefragt worden wäre.

Er sei in seinem zweiten Lebensjahr mit seiner Familie in den Iran gegangen und in Teheran aufgewachsen. Er habe dort drei Jahre lang eine „nicht offizielle“ Schule besucht. Er habe in Teheran als Monteur in einem Geschäft für Türen und Fensterrahmen und in einem Restaurant gearbeitet. Nach dem Tod seines Vaters sei er bei einem Onkel aufgewachsen, mit dem er auch Probleme gehabt habe.

Er sei Tadschike und habe „keine Religion“, deswegen würde er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan gesteinigt werden. Er kenne sich mit den Traditionen und der Kultur in Afghanistan nicht aus.

In Österreich gehe er in die Schule und besuche das „Sprachcafe“ sowie einen Englischkurs. An fünf Tagen in der Woche betreibe er Sport, gehe ins Fitnessstudio und spiele bei einem lokalen Verein Fußball.

4.       Mit Bescheid vom 18.05.2018, Zl. 1093002902-151664414, (im Folgenden: angefochtener Bescheid) wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkt I) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer eine tatsächliche, ihn betreffende Bedrohung in Afghanistan nicht geltend habe machen können. Die Tatsache, dass er keine Religion mehr ausübe, möge zwar vielleicht in den ländlichen Regionen ein Problem sein, jedoch sei nicht anzunehmen, dass er deswegen in ganz Afghanistan ein Problem bekommen würde. Im städtischen Raum sei es möglich, auf Moscheebesuche und das Fasten während des Ramadan zu verzichten. Solche „abweichenden Verhaltensweisen“ würden im städtischen Raum und in „gebildeten Milieus“ eher toleriert. Auch in einem islamischen Land wie dem Iran habe der Beschwerdeführer ohne Probleme leben können.

5.       Gegen den angefochtenen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 15.06.2018 fristgerecht Beschwerde.

6. Einlangend am 25.06.2018 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt zugehörigem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen.

7. Mit Schriftsatz vom 31.10.2020 brachte der Beschwerdeführer ergänzend vor, dass er bereits in frühester Kindheit seinen Vater verloren habe. Danach sei er bei einem Onkel aufgewachsen, von dem er sehr schlecht behandelt worden sei. Von klein auf hadere er mit dem Schicksal, dass er seinen Vater früh verloren habe und er bei einer fremden Familie in einem fremden Land habe aufwachsen müssen. Er könne daher nicht an einen „barmherzigen“ Gott glauben. Er habe bereits im Iran die Moschee nur selten - und wenn, dann nur als sozialen Treffpunkt - besucht. An den Gebeten habe er nicht teilgenommen und er könne auch die islamischen Ritualgebete nicht aufsagen. Bereits im Iran habe er den Ramadan und die anderen „islamischen Gepflogenheiten“ nicht beachtet und nicht eingehalten. In Österreich habe er die ihm im Iran verwehrte Bildung zum Teil nachholen könne, was ihn dazu befähigt habe, sich intellektuell mit dem Islam und den Religionen auseinanderzusetzen. Es sei ihm klargeworden, dass man auch ohne Religion gut und glücklich leben könne. Die Befassung mit religionskritischer Literatur habe ihn in seinem religiösen Desinteresse bestärkt. Er sehe sich selbst als Humanist, der nach humanistischen Idealen wie Menschlichkeit, Solidarität und Hilfsbereitschaft leben und sich für Frieden, Freiheit, Menschenrechte, Toleranz, Gleichberechtigung, etc. einsetzen möchte. Er präferiere die Trennung von Staat und Religion, wünsche sich eine freiheitlich-liberale Gesellschaft und lehne religiöse Indoktrination sowie Beeinflussung der Gesellschaft durch religiöse Vorschriften ab. Er lebe nunmehr ohne Religionsbekenntnis und mache auch kein Hehl mehr daraus, dass er sich selbst als „ungläubig“ bezeichne. Er bete und faste nicht, besuche keine Moscheen, esse Schweinefleisch und trinke Alkohol und halte sich auch sonst an keine islamischen Traditionen und Konventionen. In zahlreichen Streitgesprächen mit afghanischen und moslemischen Freunden und Bekannten bringe er dies auch klar zum Ausdruck. Viele Postings auf seiner Facebook-Seite ließen seine religions- und insbesondere islamkritische Haltung klar und für jedermann einsehbar erkennen. Seine Abwendung vom Islam sei dadurch auch öffentlich bekannt geworden. Auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde er sich nicht von seiner gefestigten inneren Überzeugung abbringen lassen, sondern sich weiter kritisch gegenüber Religionen im Allgemeinen und dem Islam im Besonderen äußern.

8. Am 05.11.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der der Beschwerdeführer bzw. dessen Vertretung sowie die belangte Behörde als Parteien geladen waren. Ein Vertreter der belangten Behörde erschien zur Verhandlung nicht.

Zu Beginn der Verhandlung legte der Beschwerdeführer u.a. eine Austrittsbescheinigung aus der islamischen Glaubensgemeinschaft vom 02.11.2020, eine Mitgliedsbestätigung eines lokalen Sportvereins vom 23.10.2020 sowie acht Empfehlungsschreiben von Privatpersonen vor.

Im Zuge der Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater schon zu der Zeit, als die Familie noch in Afghanistan gelebt habe, bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen sei. Auch seine Mutter sei inzwischen verstorben. In Afghanistan lebten noch eine Schwester des Beschwerdeführers, zu der dieser aber schon seit Langem keinen Kontakt habe, und ein Onkel väterlicherseits. Neben dem Beschwerdeführer würde auch dessen älterer Bruder samt Familie in Österreich leben.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass seine Familie Afghanistan vor vielen Jahren „wegen des Krieges“ verlassen habe. Er könne dorthin nicht zurückkehren, weil er „ohne Religionsbekenntnis“ sei, weswegen ihn die Todesstrafe erwarten würde. Als er ca. 12 Jahre alt gewesen sei, habe ihm sein Bruder über den Tod der Eltern erzählt. Danach sei es ihm sehr schlecht gegangen und er glaube seitdem auch nicht mehr an den Propheten Mohammed. Als er nach Österreich gekommen sei, haben er verstanden, dass man auch ohne Religion leben könne. Er habe über seinen Abfall vom Islam auf Facebook gepostet und sei daraufhin von seinen afghanischen Freunden ausgelacht worden. Seine in Afghanistan lebende Schwester habe über den Bruder des Beschwerdeführers von dessen Glaubensabfall erfahren. Auch seine österreichischen Freunde wüssten darüber Bescheid. Nachgefragt, warum er dies auf Facebook gepostet habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er dies als Zeichen der freien Meinungsäußerung sehe und dass er auch islamkritische Postings getätigt habe. Er möchte in Freiheit leben, keine Moschee besuchen, nicht beten und den Koran nicht lesen. Bereits im Iran habe er nicht an den Propheten geglaubt und sich geweigert, die Moschee zu besuchen. Sein Abfall vom Glauben hänge mit dem frühen Verlust seiner Eltern sowie dem Krieg, bei dem viele unschuldige Menschen ums Leben kommen würden, zusammen. Er könne auch nicht verstehen, dass in Frankreich ein Lehrer aus religiösen Motiven geköpft wurde. Er habe sich auch auf Youtube und mit Bücherlesen über den Atheismus informiert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu dessen Situation im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er wurde als schiitischer Moslem in Afghanistan geboren und hat das Land im Kleinkindalter zusammen mit seiner Familie Richtung Iran verlassen.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind verstorben, in Afghanistan leben noch eine Schwester und ein Onkel des Beschwerdeführers, zu denen dieser seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr hat. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt mit dessen Familie ebenfalls in Österreich.

Der Beschwerdeführer führt bereits seit seinem Aufenthalt im Iran einen nichtreligiösen Lebensstil. Er beschäftigt sich mit religionskritischer Literatur und postet seine die Religion ablehnende Haltung auf Facebook.

Der Beschwerdeführer lehnt seit Kindheitstagen Religion und speziell den Islam ab. Er ist nicht bereit, diese bereits gefestigte, die Religion ablehnende Haltung in Zukunft wieder aufzugeben oder religionskritische Äußerungen zu unterlassen.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im ganzen Land die Gefahr, aufgrund eines asylrechtlich relevanten Grundes, nämlich seiner religiösen Gesinnung, verfolgt zu werden.

Für den Beschwerdeführer besteht in Afghanistan keine innerstaatliche Fluchtalternative.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, zuletzt gesamtaktualisiert am 13.11.2019 und mit der zuletzt eingefügten Kurzinformation vom 18.05.2020, wird auszugsweise und beschränkt auf die relevanten Abschnitte wie folgt angeführt:

1.2.1. Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

1.2.2. Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen – weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und (früheren) Religionszugehörigkeit, zur Herkunft und zu den Familienverhältnissen des Beschwerdeführers stützen sich auf die diesbezüglich im Wesentlichen gleichbleibenden und übereinstimmenden Angaben im gesamten Verfahren, die – zum Teil - bereits von der Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt wurden.

Die Feststellungen zum nichtreligiösen Lebensstil des Beschwerdeführers, dessen religionskritischer Geisteshaltung und zu dessen Nichtbereitschaft, zukünftig auf religionskritische Äußerungen zu verzichten, ergeben sich aus dessen während des gesamten Verfahrens gleichlautenden und somit glaubhaften Vorbringen, insbesondere während der mündlichen Verhandlung am 05.11.2020 und im Zuge des „ergänzenden Vorbringens“ vom 31.10.2020. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf einige Fragen – insbesondere jene seines Rechtsvertreters – nur zögerlich und wenig detailreich antworten konnte, lässt dabei nicht auf eine etwaige mangelnde Glaubhaftigkeit des Beschwerdevorbringens schließen, sondern war dies vielmehr – wie sich der erkennende Richter selbst davon überzeugen konnte und wie auch vom Dolmetscher bestätigt wurde – auf dessen große Nervosität zurückzuführen. Der Beschwerdeführer konnte plausibel und nachvollziehbar die für seinen Abfall vom Glauben auslösenden Umstände – nämlich den frühen Verlust des Vaters, den Tod seiner Mutter, die schlechte Behandlung durch den Onkel, das Aufwachsen in einer fremden Familie und in einem fremden Land – ebenso darlegen wie die Tatsache, dass seine religions- und vor allem islamkritische Haltung durch religiös motivierte Gewalthandlungen und Attentate noch gestärkt und gefestigt wurde. Der Beschwerdeführer hält sich nunmehr bereits länger als fünf Jahre in Österreich auf und hat sich in dieser Zeit sowohl mit religionskritischer Literatur – z.B. Richard Dawkins Schrift „Atheismus für Anfänger“ - beschäftigt als sich auch mit der humanistischen Lebensweise auseinandergesetzt und vertraut gemacht. Er scheut nicht davor zurück, in seinem Freundes- und Bekanntenkreis darüber Streitgespräche zu führen und hat seine Ansichten und Anschauungen auch auf Facebook für jedermann ersichtlich veröffentlicht.

Aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer schon seit vielen Jahren von Kindheit an und während seines gesamten Lebens als Erwachsener religionslos lebt, ist auch davon auszugehen, dass sich diese Geisteshaltung schon derart verfestigt hat, dass er nicht bereit ist, dies zukünftig zu ändern oder zumindest vor seiner Umgebung zu verheimlichen, und zwar unabhängig davon, ob in Österreich oder in seinem Herkunftsstaat. Der Umstand, dass es dem Beschwerdeführer schon bisher gelungen ist, in einem ebenfalls islamischen Staat – nämlich im Iran – 16 Jahre lang zu leben, obwohl er auch damals schon ein völlig religionsfreies Leben geführt hat, vermag daran nichts zu ändern, da die drohende Gefahr einer Verfolgung gegenständlich nicht im Hinblick auf den Iran, sondern im Hinblick auf Afghanistan zu prüfen ist. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass das politische und gesellschaftliche Leben in Afghanistan in einem weitaus höheren Maß von den Inhalten und Lehren des Koran und vor allem der Scharia geprägt ist, sodass ein nichtreligiöser Lebensstil dort viel stärker negativ gesehen wird wie in etwaigen anderen islamischen Staaten.

Zusammengefasst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht bloß zum Schein oder zwecks besserer Chancen im Rahmen seines Asylverfahrens vom Islam – den er genau genommen auch nie ausgelebt hat – abgefallen ist, sondern dass er aus Überzeugung Religionen im Allgemeinen und den Islam im Besonderen ablehnt, sich intensiv mit dem Thema Atheismus beschäftigt und gewillt ist, dies auch zukünftig so zu halten. Von einer etwaigen „Apostasie zum Schein“ ist demnach nicht auszugehen.

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ergeben sich aus den herangezogenen Länderberichten, die der Entscheidung zugrunde gelegt wurden. Die Verfahrensparteien sind deren Richtigkeit nicht entgegengetreten. Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter, teilweise vor Ort agierender staatlicher und nicht staatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Dass der Beschwerdeführer nicht straffällig geworden ist, ergibt sich aus der Einsicht in einen aktuellen Strafregisterauszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1 Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen. Sie sind zu begründen.

3.2. Zu Spruchpunkt A)

3.2.1.  Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Statusrichtlinie, die mit § 3 Abs. 2 AsylG 2005 umgesetzt wird, kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Antragsteller das Herkunftsland verlassen hat. Gemäß Art. 5 Abs. 2 leg. cit. kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.

§ 3 Abs. 2 AsylG 2005 bestimmt - in Anlehnung an Art. 5 Abs. 1 der Statusrichtlinie - nunmehr ausdrücklich, dass die Verfolgung aus Nachfluchtgründen resultieren kann, und unterscheidet zwischen objektiven und subjektiven Nachfluchtgründen. Unter dem Begriff „subjektive Nachfluchtgründe“ wird von § 3 Abs. 2 AsylG 2005 - in Anlehnung an Art. 5 Abs. 2 der Statusrichtlinie - eine Verfolgung verstanden, die auf Aktivitäten beruht, die der Fremde seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind. Eine Einschränkung des Flüchtlingsbegriffes ergibt sich daraus nicht; aus der Verwendung des Wortes „insbesondere“ ist abzuleiten, dass auch Aktivitäten relevant sein können, die nicht Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (vgl. Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, K62 zu § 3).

3.2.2.  Das Bundesverwaltungsgericht geht auf Grund des in das Verfahren eingeführten Länderberichtsmaterials und auf Grund des glaubhaften Vorbringens des Beschwerdeführers (siehe dazu näher unter „Beweiswürdigung“) davon aus, dass dem Beschwerdeführer auf Grund seiner ihm unterstellten religiösen Gesinnung – nämlich seiner „Ungläubigkeit“ - in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen maßgeblicher Intensität drohen würden.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Mit seinem Vorbringen macht der Beschwerdeführer den Fluchtgrund der Verfolgung aus religiösen Gründen geltend.

Ausschlaggebend ist, ob die religiöse Einstellung des Asylwerbers – hier: dessen „Ungläubigkeit“ in Folge Abfalls vom Islam - im Heimatstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würde (vgl. dazu VwGH 30.06.2005, 2003/20/0544).

Laut den aktuellen Länderberichten ist die Religionsfreiheit zwar in der afghanischen Verfassung verankert, was allerdings nur für Anhänger anderer Religionen als den Islam gilt. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans (Art. 2 der Verfassung). Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Der islamische Klerus sowie viele Bürgerinnen und Bürger sehen den Abfall vom Islam als Verstoß gegen die Grundsätze des Islam an, der mit Todesstrafe bedroht ist.

Es ist nach dem Gesagten nicht davon auszugehen, dass der afghanische Staat – sofern er nicht selbst wegen des Verstoßes gegen die Scharia bzw. wegen Apostasie verfolgt – in der Lage wäre, Personen, die von Seiten nichtstaatlicher Akteure bedroht und sozial geächtet werden, ausreichend Schutz zu gewähren. Der afghanische Staat ist nur sehr beschränkt in der Lage, die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung zu garantieren, die Zentralregierung verfügt nicht über das Machtmonopol, um die Bürger ausreichend zu schützen. Fallbezogen ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer angesichts des ihn treffenden Verfolgungsrisikos keinen ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.

Aus dem oben zur Person des Beschwerdeführers festgestellten Sachverhalt und den Feststellungen zur Situation der Apostaten in Afghanistan ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen im persönlichen Bereich auf Grund seiner religiösen Gesinnung sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität sowohl von privater Seite - ohne dass ihm in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme - als auch von staatlicher Seite ausgesetzt wäre.

Im gegenständlichen Fall liegt daher für den Beschwerdeführer das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in der – diesem abgesprochenen - religiösen Überzeugung vor.

Auf Grund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts nach der Scharia und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie auf Grund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und Moralvorstellungen sowie der allgemein vorherrschenden Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten und Apostaten und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen des traditionellen Gesellschaftssystems in ganz Afghanistan, ist davon auszugehen, dass sich die oben dargestellte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet Afghanistans ergibt. Es ist daher hinsichtlich dieses dargestellten Verfolgungsrisikos davon auszugehen, dass keine inländische Fluchtalternative besteht.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen seiner religiösen Überzeugung verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des Beschwerdeführers stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.2.3. Es war daher gemäß Spruchpunkt A) zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt B):

3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

3.3.3. Es war daher gemäß Spruchpunkt B) zu entscheiden.

Schlagworte

Apostasie asylrechtlich relevante Verfolgung gesamtes Staatsgebiet Nachfluchtgründe Religion Schutzunwilligkeit staatliche Verfolgung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W203.2199096.1.00

Im RIS seit

04.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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