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L92109 Behindertenhilfe Pflegegeld Rehabilitation Wien;Norm
BehindertenG Wr 1986 §11 Abs2 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der G in A, vertreten durch die Sachwalterin H, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 21. April 1995, Zl. MD-VfR-L 6/95, betreffend Kostenbeitrag gemäß § 43 Abs. 1 und 3 Wiener Behindertengesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Juli 1988 beantragten die Eltern der 1972 geborenen, behinderten Beschwerdeführerin deren Unterbringung in einem Institut in A als Hilfe nach dem Wiener Behindertengesetz (WBehG). Mit "Verfügung" vom 13. Juli 1988 wurde der Beschwerdeführerin gemäß §§ 22 und 24 WBehG "Beschäftigungstherapie mit Internatsunterbringung ab Aufnahme" in dem Institut in A mit dem Hinweis gewährt, hinsichtlich der "Höhe der Beitragsleistung gemäß § 43" WBehG werde "ab Eintritt gesondert entschieden" werden. Seit 3. Oktober 1988 ist die Beschwerdeführerin in dem Institut in A untergebracht.
Mit Bescheid der Wiener Landesregierung als sachlich in Betracht kommender Oberbehörde gemäß § 73 Abs. 2 AVG vom 4. Juni 1993 wurde der Beschwerdeführerin in Erledigung ihres Antrages vom 5. August 1991 gemäß § 26 Abs. 2 WBehG (in der Fassung vor der Änderung durch das Gesetz, mit dem u.a. das Wiener Pflegegeldgesetz eingeführt wurde, LGBl. für Wien Nr. 42/1993) monatliches Pflegegeld für die Zeiträume ab 1. September 1991 (S 2.066,--), 1. Jänner 1992 (S 2.149,--) und 1. Jänner 1993 (S 2.235,--), für die Monate Mai und Oktober jeweils in doppelter Höhe, zuerkannt. Die Nachzahlungen an Pflegegeld für die Zeiträume September 1991 bis Juni 1993 betrugen S 49.012,-- und S 7.049,--.
Ab dem Inkrafttreten des Wiener Pflegegeldgesetzes, LGBl. für Wien Nr. 42/1993, am 1. Juli 1993 bezog die Beschwerdeführerin gemäß § 26 dieses Gesetzes Pflegegeld der Stufe 2.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 1994 an die Sachwalterin der Beschwerdeführerin ersuchte der Magistrat der Stadt Wien, MA 12, um verschiedene die Verhältnisse der Beschwerdeführerin (aber nicht den schon bekannten Bezug des Pflegegeldes) betreffende Auskünfte, da "gemäß § 43 WBG ein Kostenbeitrag zu errechnen" sei. Mit dem Schreiben wurde auch eine Abtretungserklärung mit dem Ersuchen um Unterschrift und der Erläuterung übermittelt, der Kostenbeitrag werde nach Einlangen dieser Erklärung "zum nächstmöglichen Termin" (vom Pflegegeld) direkt einbehalten werden.
Am 9. Jänner 1995 retournierte die Sachwalterin dieses Schreiben mit den gewünschten Auskünften und der unterfertigten Abtretungserklärung, nach deren Inhalt dem laufenden Einbehalt des Kostenbeitrages "ab sofort" zugestimmt werde.
Mit Bescheid vom 10. März 1995 verpflichtete der Magistrat der Stadt Wien, MA 12, die Beschwerdeführerin gemäß § 43 Abs. 1 und 3 WBehG in der Fassung der Gesetze LGBl. für Wien Nr. 6/1993 und Nr. 42/1993 zu monatlichen Kostenbeiträgen für ihre Unterbringung ab 1. Juli 1993 (S 1.340,--), ab 1. Jänner 1994 (S 1.374,--) und ab 1. Jänner 1995 (S 1.412,--), wobei die Summe dieser Kostenbeiträge für den Zeitraum bis 31. Jänner 1995 mit S 25.940,-- angegeben und hinzugefügt wurde, für die Zeit ab 1. Februar 1995 liege eine Abtretungserklärung vor. Die Verpflichtung zur Leistung des monatlichen Kostenbeitrages bleibe vorbehaltlich einer Änderung in den Vermögens- und Einkommensverhältnissen oder den Sorgepflichten des Kostenbeitragspflichtigen in Wirksamkeit. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin beziehe pflegebezogene Geldleistungen im Sinne des § 43 Abs. 3 letzter Satz WBehG in der (am 1. Juli 1993 in Kraft getretenen) Fassung des Gesetzes LGBl. für Wien Nr. 42/1993.
Gegen diesen der Sachwalterin der Beschwerdeführerin am 20. März 1995 zugestellten Bescheid erhob die Beschwerdeführerin insoweit Berufung, als Kostenbeiträge "bis einschließlich 20. März 1995" vorgeschrieben worden seien und der Bescheid Aussprüche über die für die Zeit "bis einschließlich 31. Jänner 1995" ausständigen Kostenbeiträge enthalte. Unangefochten bleibe der Bescheid insoweit, als ab Zustellung desselben ein Kostenbeitrag von monatlich S 1.412,-- vorgeschrieben worden sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung ab.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde - erwogen hat:
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Abweisung ihrer Berufung verstoße gegen § 44 Abs. 3 WBehG. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
"Der Behinderte ist zur nachträglichen Leistung eines Kostenbeitrages gemäß den vorhergehenden Bestimmungen nur dann verpflichtet, wenn nachträglich bekannt wird, daß er zur Zeit der Durchführung der Maßnahmen ein die in § 43 Abs. 3 und 4 bezeichneten Grenzen übersteigendes Einkommen hatte oder die Verwertung eines bei Prüfung der Einkommensgrenzen außer Betracht gelassenen Vermögens oder von Ansprüchen nachträglich möglich oder zumutbar wird."
Die Beschwerdeführerin führt dazu aus, der Magistrat der Stadt Wien habe es trotz Kenntnis des Bescheides der Wiener Landesregierung vom 4. Juni 1993, mit dem der Beschwerdeführerin das Pflegegeld zuerkannt worden sei, bis zur Erlassung des Bescheides vom 10. März 1995 unterlassen, einen Kostenbeitrag vorzuschreiben. Da die pflegebezogenen Geldleistungen nicht erst "nachträglich bekannt" geworden seien, sei die Verpflichtung zur "nachträglichen Leistung eines Kostenbeitrages" nach § 44 Abs. 3 WBehG nicht gegeben. Gemäß § 44 Abs. 1 WBehG sei "die Neubemessung daher erst ab dem der Änderung des Kostenbeitrages nachfolgenden Monatsersten vorzunehmen".
Die belangte Behörde hält dem entgegen, § 44 Abs. 3 WBehG beziehe sich "lediglich auf die im Abs. 1 festgelegte Neubemessung von Kostenbeiträgen infolge von Einkommensänderungen".
§ 44 Abs. 1 WBehG lautet:
"Kostenbeiträge, die in bestimmten Zeitabständen regelmäßig wiederkehrend zu leisten sind, sind von Amts wegen neu zu bemessen, wenn sich das der Beitragsvorschreibung zugrunde liegende Gesamteinkommen um mehr als 250 S monatlich ändert. Die Neubemessung ist ab dem der Änderung nachfolgenden Monatsersten vorzunehmen."
Der Beschwerdeführerin ist zunächst zu erwidern, daß sie den Inhalt des § 44 Abs. 1 WBehG verkennt, wenn sie meint, eine Neubemessung könne danach nur für die Zukunft, nämlich ab dem der Änderung "des Kostenbeitrages" nachfolgenden Monatsersten erfolgen. Die Anordnung des Gesetzgebers, die Neubemessung "ab dem der (bescheidmäßigen) Änderung nachfolgenden Monatsersten vorzunehmen", bezieht sich nicht auf den Zeitpunkt der bescheidmäßigen Erledigung, sondern auf den Zeitpunkt der Änderung im Gesamteinkommen des Kostenbeitragspflichtigen. Erfolgt die Neubemessung nicht noch im selben Monat, so ergibt sich aus der Bestimmung daher das Gegenteil dessen, was die Beschwerde aus ihr ableitet.
Der belangten Behörde ist auch darin beizupflichten, daß das Wiener Behindertengesetz in der Fassung des Gesetzes LGBl. für Wien Nr. 42/1993 zwischen dem "Einkommen" des Behinderten und den ihm zuerkannten pflegebezogenen Geldleistungen unterscheidet. Letztere haben nach § 11 Abs. 2 Z. 3 des Gesetzes bei der Feststellung des Gesamteinkommens außer Betracht zu bleiben, weshalb sie gemäß § 43 Abs. 3 auch neben dem Einkommen und nicht als Teil desselben für den Kostenbeitrag heranzuziehen sind.
Daraus folgt aber nicht die Unanwendbarkeit des in § 44 Abs. 3 WBehG enthaltenen grundsätzlichen Verbots, dem Behinderten nachträgliche Kostenbeiträge vorzuschreiben, auf Kostenbeiträge, deren Grundlage nicht das Gesamteinkommen des Behinderten im Sinne des § 11 WBehG, sondern eine ihm zuerkannte pflegebezogene Geldleistung ist. § 44 Abs. 3 WBehG legt allgemein und ohne Einschränkung fest, daß der Behinderte zur nachträglichen Leistung "eines Kostenbeitrages gemäß den vorhergehenden Bestimmungen" "nur dann" verpflichtet ist, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Die Ansicht der belangten Behörde, mit den "vorhergehenden Bestimmungen" sei nur § 44 Abs. 1 WBehG gemeint, wonach Kostenbeiträge, die in bestimmten Zeitabständen regelmäßig wiederkehrend zu leisten sind, unter bestimmten Voraussetzungen von Amts wegen neu zu bemessen sind, kann nicht geteilt werden. § 44 Abs. 3 WBehG betrifft dem Wortlaut und erkennbaren Hauptzweck nach Fälle, in denen (insbesondere) nicht bekannt war, daß der Behinderte "zur Zeit der Durchführung der Maßnahmen" "ein die in § 43 Abs. 3 und 4 bezeichneten Grenzen übersteigendes Einkommen hatte", ein Kostenbeitrag zunächst also überhaupt nicht vorgeschrieben wurde. Mit den "vorhergehenden Bestimmungen" kann schon deshalb nur der gesamte Inhalt der mit "Kostenbeitrag" überschriebenen §§ 43 und 44 WBehG gemeint sein.
Wenn das Gesetz unter diesen Umständen zwischen "Einkommen" und "pflegebezogenen Geldleistungen" unterscheidet und - abgesehen vom Fall eines verwertbar gewordenen Vermögens - nur das nachträgliche Bekanntwerden eines bestimmte Grenzen übersteigenden "Einkommens" die Verpflichtung des Behinderten zur nachträglichen Leistung eines Kostenbeitrages zu begründen vermag, so hat dies daher zur Folge, daß ihm wegen "pflegebezogener Geldleistungen" nie ein nachträglicher Kostenbeitrag vorzuschreiben ist. Daß § 44 Abs. 3 WBehG durch das Gesetz LGBl. für Wien Nr. 42/1993 nicht in dem Sinn verändert wurde, daß auch das nachträgliche Bekanntwerden "pflegebezogener Geldleistungen" zur nachträglichen Leistung eines Kostenbeitrages verpflichten kann, ist auch nicht etwa ein offenkundiges Versehen des Gesetzgebers oder eine "planwidrige Lücke". Es läßt sich vielmehr so deuten, daß der Gesetzgeber in typisierender Betrachtung davon ausgeht, daß pflegebezogene Geldleistungen - wie auch im vorliegenden Fall - nicht erst nachträglich bekannt werden.
Die Annahme der belangten Behörde, aus pflegebezogenen Geldleistungen könne sich die Verpflichtung des Behinderten zur nachträglichen Leistung eines Kostenbeitrages ergeben, entspricht daher nicht dem Gesetz. Da der angefochtene Bescheid auf dieser Annahme beruht, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995080268.X00Im RIS seit
01.02.2002