TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/10 W191 2129738-1

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Veröffentlicht am 10.11.2020
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Entscheidungsdatum

10.11.2020

Norm

AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W191 2129738-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.06.2016, Zahl 820408103-160631574, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 9 und 57 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der damals unbegleitete minderjährige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 04.04.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nannte der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu seine Personalia und gab im Wesentlichen an, er stamme aus XXXX (auch XXXX ), Afghanistan, sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, sunnitischer Moslem und ledig. Sein Vater sei verstorben, seine Mutter, sein Bruder und sein Onkel würden in Pakistan leben.

Er sei nach dem Tod seines Vaters von seinem Onkel nach Europa geschickt worden. Sein Vater sei von den Taliban ermordet worden, da dieser für die Briten Treibstoff transportiert habe.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 03.05.2012 vor dem Bundesasylamt (in der Folge BAA), im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben.

Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass sein Vater mit den Taliban Probleme gehabt habe. Dieser habe als Lenker gearbeitet und den Amerikanern Benzin geliefert. Als er eine Warnung der Taliban ignoriert habe, sei er umgebracht worden.

1.4. Mit Bescheid vom 30.05.2012, 12 04.081-BAW, wies das BAA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 04.04.2012 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 30.05.2013 (Spruchpunkt III.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat.

Der BF habe kein asylrelevantes Fluchtvorbringen erstatten können. Subsidiärer Schutz wurde ihm zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes gegeben sei, da der BF zum Entscheidungszeitpunkt eine unbegleitete, unmündige Person sei.

1.5. Der Unterkunftgeber des BF – ein Verein für sozialpädagogisch-therapeutische Betreuung – erstattete durch einen Mitarbeiter im März 2013 einen Bericht über den gesundheitlichen und psychologischen Zustand des BF. Festgehalten wurde, dass der BF an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen, an einer Dysphonie und an Hepatitis B leide. Der BF habe ein Medikament verschrieben bekommen und eine Einzelpsychotherapie besucht. Insgesamt sei der BF zweimal in die Kinder- und Jugendpsychiatrie aus Gründen der Selbst- und Fremdgefährdung gebracht worden.

Im März 2014 wurde erneut ein Bericht über den Zustand des BF erstattet. In diesem wurde festgehalten, dass die psychische Verfassung des BF nach wie vor wenig widerstandsfähig sei. Der BF lehne eine Psychotherapie ab, trete jedoch an seine Betreuer heran und leide häufig unter akutem Kummer.

1.6. Die gegen Spruchpunkt I. (Asyl) des Bescheides vom 30.05.2012 eingebrachte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Erkenntnis vom 01.12.2015, W128 1427349-1/6E, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet ab.

1.7. Die befristet gewährte Aufenthaltsberechtigung wurde in der Folge mit Bescheiden des BAA bzw. des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) wiederholt, zuletzt bis 30.05.2016, verlängert.

1.8. Mit Urteil des Landesgerichtes (in der Folge LG) für Strafsachen Wien vom 01.12.2015, 151 Hv 73/2015k, wurde der BF wegen §§ 83 Abs. 1 und Abs. 2, § 201 Abs. 1 und § 107 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB, Körperverletzung, Vergewaltigung, Gefährliche Drohung) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

1.9. Mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 18.02.2016, 151 Hv 3/2016t, wurde der BF wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall und 27 Abs. 2 Suchtmittelgesetz (SMG) rechtskräftig verurteilt. Von der Verhängung einer Zusatz-Freiheitsstrafe wurde gemäß § 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 01.12.2015, AZ 151 Hv 73/2015k, abgesehen.

1.10. Im April 2016 erstattete ein Mitarbeiter des Unterkunftgebers des BF erneut einen Entwicklungsbericht.

Demnach erhalte der BF seit Jänner 2016 eine therapeutische Betreuung aufgrund seiner auffälligen psychosexuellen Entwicklung. Zudem werde der BF aufgrund seiner Hepatitis B Krankheit medikamentös behandelt und erhalte regelmäßige Aufklärung aufgrund der Infektionsgefahr.

1.11. Das BFA informierte den BF mit Schreiben vom 06.05.2016 über die beabsichtigte Aberkennung seines Status des subsidiär Schutzberechtigten und Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung und räumte dem BF die Möglichkeit ein, binnen einer Frist von 14 Tagen eine Stellungnahme abzugeben.

1.12. Der damalige gesetzliche Vertreter des BF (Land Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie) erstattete am 18.05.2016 eine Stellungnahme und erklärte, dass kein öffentliches Interesse an der Aberkennung des Status des subsidiären Schutzes bestehe. Eine Duldung würde bedeuten, dass der BF keinen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten und die Gefahr des Abrutschens in die Kriminalität bestehen würde.

1.13. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 10.06.2016 wurde der dem BF mit Bescheid vom 30.05.2012 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde ihm die mit Bescheid vom 30.05.2012 [richtig: zuletzt vom 03.06.2014] erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen.

In Spruchpunkt III. wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan gemäß § 9 Abs. 2 AsylG unzulässig sei. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG in Spruchpunkt IV. nicht erteilt.

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass der BF mit Urteil eines österreichischen Gerichts wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei.

Aufgrund seines Alters und mangels eines familiären- bzw. sozialen Netzwerkes wäre der BF nicht in der Lage, sich in Afghanistan eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen, weshalb eine Gefährdung der Person des BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht ausgeschlossen werden könne.

1.14. Gegen diesen verfahrensgegenständlichen Bescheid erhob der BF mit Schreiben seines damaligen gewillkürten Vertreters vom 28.06.2016 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das BVwG, mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich angefochten wurde.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass das BFA verba legalia nur eine Verpflichtung habe, von amtswegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG zu prüfen. Die Erteilung anderer Aufenthaltstitel dürfe nicht einmal in Erwägung gezogen werden. Diese Rechtslage sei im Ergebnis unsachlich und damit gleichheitswidrig. Damit hätte der Gesetzgeber eine Rechtslage geschaffen, die bei der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen rechtskräftiger Verurteilung aufgrund eines Verbrechens zwingend und unterschiedslos zu dem Ergebnis kommen würde, dass der weitere Aufenthalt eines Fremden lediglich geduldet sei. Diese Rechtsfolge scheine in Form eines nicht zu durchbrechenden Automatismus gleichheitswidrig.

1.15. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 23.11.2016, 30 U 51/2016p, wurde der BF wegen §§ 15, 127 StGB (versuchter Diebstahl) zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 4 Euro verurteilt.

1.16. Mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 14.12.2016, 162 Hv 126/2016m, wurde der BF wegen § 12, 2. Fall StGB, §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 2a, 27 Abs. 3 SMG und § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, davon sieben Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

1.17. Mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 25.01.2017, 152 Hv 1/2017g, wurde der BF wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 2a und Abs. 3 SMG, § 107 Abs. 1 StGB und § 105 Abs. 1 StGB (Gefährliche Drohung, Nötigung) zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt.

1.18. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 19.04.2017, 15 U 48/2017p, wurde der BF wegen § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Wochen verurteilt.

1.19. Mit Strafverfügung der Landespolizeidirektion (LPD) Wien wurde über den BF wegen des Verstoßes gegen § 121 Abs. 3 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG) – Nichtmitführung eines Reisedokumentes als Fremder – eine Geldstrafe in der Höhe von 50 Euro verhängt. Da der BF weder seine Geldstrafe beglich, noch seine Ersatzfreiheitsstrafe antrat, wurde die zwangsweise Vorführung veranlasst.

1.20. Die LPD Tirol verfasste am 13.12.2017 einen Abschluss-Bericht, wonach der BF nach §§ 18a Abs. 1 SMG und §§ 12, 28a Abs. 1 SMG verdächtig sei, im Zeitraum August 2017 bis November 2017 eine die Grenzmenge übersteigende Menge an THC erworben, besessen und überlassen zu haben. Mit Schreiben vom 10.01.2018 informierte das LG für Strafsachen Wien das BFA über die über den BF verhängte Untersuchungshaft.

1.21. Mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 07.05.2018, 161 Hv 14/2018m, wurde der BF wegen § 28a Abs. 1 5. Fall SMG und § 165 Abs. 1 und 2 StGB (Geldwäscherei) zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt und der Beschluss gefasst, dass die mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 14.12.2016, 161 Hv 126/2016m, gewährte teilbedingte Strafnachsicht von sieben Monaten widerrufen werde.

1.22. Mit Schreiben vom 16.01.2019 erstattete der BF durch seinen gewillkürten Vertreter die Mitteilung, dass aufgrund der Volljährigkeit des BF alle weiteren Zustellungen zu seinen Handen vorgenommen werden mögen.

1.23. Mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 19.05.2020, 161 Hv 44/2020a, wurde der BF wegen § 107 Abs. 1 StGB und § 109 Abs. 3 Z 1 StGB (Gefährliche Drohung, Hausfriedensbruch) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Gleichzeitig wurde die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe widerrufen.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

?        Einsicht in die dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakten des BAA und des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung und Einvernahme vor dem BAA im Vorverfahren, Aktenteile betreffend den Gesundheitszustand und das strafrechtlich relevante Verhalten des BF, die von BAA und BFA erlassenen Bescheide sowie die gegenständliche Beschwerde vom 28.06.2016

?        Einsicht in den vorliegenden Gerichtsakt des BVwG

?        Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 497 bis 522)

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Paschtu.

Der BF leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (ICD F43.1), einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92.8) sowie einer asymptomatischen Hepatitis B.

3.1.2. Lebensumstände:

Der BF lebte nach seinen Angaben im Dorf XXXX , Distrikt Sarobi, Provinz Kabul, Afghanistan und stellte nach ca. siebenmonatiger Reise am 04.04.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BAA vom 30.05.2012 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, welcher in weiterer Folge mehrmals, zuletzt bis 30.05.2016, verlängert wurde. Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde damit begründet, dass der BF eine unmündige, minderjährige Person ohne familiäres Netz in Afghanistan sei.

Der BF besuchte in Afghanistan zwei Jahre die Koranschule. Der Vater des BF ist bereits verstorben. Die Mutter, der Onkel und der Bruder des BF leben in Pakistan. Der BF hat regelmäßig Kontakt zu seiner Mutter, Angehörige in seinem Heimatstaat hat er keine mehr.

In Österreich besuchte der BF eine Neue Mittelschule, absolvierte die Deutsch Prüfung A2, nahm an Praktikumstagen eines Möbelgeschäftes teil und ging einer ehrenamtlichen Tätigkeit (Übersetzung) nach. Im Mai 2016 bewarb sich der BF auf eine Lehrstelle als Koch.

3.2. Zu den Gründen für die Aberkennung von subsidiärem Schutz, die in der Person des BF liegen:

Der BF wurde in Österreich insgesamt acht Mal strafgerichtlich verurteilt, darunter wegen der Vergehen der Körperverletzung, der Nötigung, der Gefährlichen Drohung, des Unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, des versuchten Diebstahls, der Geldwäsche und des Hausfriedensbruches sowie wegen der Verbrechen der Vergewaltigung und des Suchtgifthandels.

Der BF verbüßte mehrere teil- bzw. unbedingte Haftstrafen.

Der ersten strafgerichtlichen Verurteilung wegen eines Verbrechens lag unter anderem zugrunde, dass der BF eine junge Frau mit Gewalt zur Duldung des Beischlafes genötigt hat, indem er sie zum Geschlechtsverkehr aufforderte und, als sie ausdrücklich ablehnte, ihr eine Ohrfeige gab, gegen ihren Widerstand ihre Leggins und Unterhose bis zu den Knien herunterzog und vaginal ohne Kondom bis zur Ejakulation in sie eindrang, während er sie an ihren Oberarmen festhielt. Der BF hat sich somit des Verbrechens der Vergewaltigung schuldig gemacht. Im Zuge der Strafbemessung erkannte das Gericht das Zusammentreffen mehrerer Vergehen mit einem Verbrechen als erschwerend an, sowie mildernd die knappe Strafmündigkeit des BF, die ungünstigen Lebensverhältnisse und den Umstand, dass der BF bislang gerichtlich unbescholten war.

Der zweiten strafgerichtlichen Verurteilung wegen eines Verbrechens lag zugrunde, dass der BF im Zeitraum September bis Oktober 2017 wissentlich Vermögensbestandteile, die aus einer mit mehr als einem Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich der vorschriftswidrigen Überlassung von Suchtgift gegen Entgelt in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge, stammen, verwahrt und einem Dritten übertragen hat, indem er Bargeld, welches aus Suchtgiftverkäufen stammte, bei sich aufbewahrte und es an einen Mitangeklagten übergab. Somit hat sich der BF des Verbrechens des Suchtgifthandels schuldig gemacht. Im Zuge der Strafbemessung erkannte das Gericht die fünf einschlägigen Vorstrafen sowie das Zusammentreffen eines Vergehens mit einem Verbrechen als erschwerend. Es konnten keine mildernden Umstände in das Urteil miteinbezogen werden.

Der BF befindet sich seit dem 14.07.2020 in der Justizanstalt Wien-Simmering.

Ein weiterer Aufenthalt des BF im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, zumal auf Grundlage seines bisher gesetzten Verhaltens die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist.

4. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BAA, des BFA und des BVwG.

4.1. Zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus seinen Angaben vor dem BAA, dem BFA und im Beschwerdeverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Lebensumständen des BF, stützen sich auf die glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA und in der gegenständlichen Beschwerde sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Paschtu und die Kenntnis der geografischen Gegebenheiten Afghanistans.

Die Identität des BF steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus den Berichten des ehemaligen Unterkunftgebers des BF, einem Verein für sozialpädagogisch-therapeutische Betreuung sowie den Schreiben der ehemaligen Therapeuten des BF vom 12.05.2016 und vom 21.01.2014.

4.2. Zu den Gründen für die Aberkennung von subsidiärem Schutz:

Die Feststellungen bezüglich der strafgerichtlichen Verurteilungen und der Inhaftierung des BF ergeben sich aus den dem Verwaltungsakt einliegenden Schreiben, Berichten und Urteilen sowie dem eingeholten Auszug aus dem Strafregister sowie dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellungen zum gesetzten, strafrechtswidrigen Verhalten und der daraus ableitbaren Gefährdungsprognose ergeben sich insbesondere aus dem Strafregister der Republik Österreich, sowie den Ausführungen der zahlreich im Akt einliegenden Urteile.

5. Rechtliche Beurteilung:

5.1. Anzuwendendes Recht:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG und das FPG verweisen, anzuwenden.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.       der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

5.2. Rechtlich folgt daraus:

Zu Spruchteil A):

5.2.1. Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde am 28.06.2016 beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 11.07.2016 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

5.2.2. Das BFA hat ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage nachvollziehbar zusammengefasst.

5.2.3. Zur Beschwerde:

Das Vorbringen in der Beschwerde war ebenfalls nicht geeignet, eine anderslautende Entscheidung herbeizuführen, zumal diese im Wesentlichen Rechtsausführungen enthält, dazu jedoch nunmehr Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) und Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) vorliegen, die diesen Ausführungen in der Beschwerde entgegenstehen.

5.2.4. Zu den Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides:

5.2.4.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

5.2.4.1.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG lauten:

„Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9 (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen; […]

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen. […]“

5.2.4.1.2. Zunächst ist auszuführen, dass der BF – mit wiederholten rechtskräftigen Verurteilungen – im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 AsylG straffällig geworden ist. Hieraus folgt gemäß § 9 Abs. 3 AsylG, dass, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist, ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einzuleiten ist, wobei zunächst das Vorliegen der Tatbestände des Abs. 1 leg. cit. und subsidiär des Abs. 2 leg. cit. zu prüfen ist (vgl. auch RV 330 XXIV. GP (Abs. 2 und 3):

„Der neue Abs. 2 stellt demgemäß eine Erweiterung der Aberkennungstatbestände des Abs. 1 dar. So hat eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch in drei weiteren Fällen von Amts wegen zu erfolgen (Z 1 bis 3). […] Die Z 1 und 2 orientieren sich dabei auch an den Aberkennungs- bzw. Ausschlussgründen für den Status des Asylberechtigten gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 und 3. […] Die neuen Aberkennungstatbestände des Abs. 2 sind nur subsidiär anzuwenden, wenn die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus Gründen des Abs. 1 zu erfolgen hat.“

Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen. Umstände für eine amtswegige Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 AslyG lagen nicht vor. So führte bereits die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus, dass der BF nach wie vor über kein soziales Netzwerk für einen gesicherten Wiedereinstieg verfüge. Aus diesem Grund und aufgrund seines Alters sei der BF nicht in der Lage, sich in Afghanistan eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen.

Im gegenständlichen Fall stützte die belangte Behörde die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf den Aberkennungsgrund des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG.

Nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG hat die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bereits auf Grund der Verurteilung wegen eines Verbrechens nach § 17 StGB, also einer vorsätzlich begangenen strafbaren Handlung, die mit mindestens dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, zu erfolgen. Der Gesetzgeber stellt dabei ausschließlich auf die erfolgte Verurteilung und die Höhe der Strafdrohung ab.

Wenn in der Beschwerde vorgebracht wird, dass der Gesetzgeber eine Rechtslage geschaffen habe, die bei der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen rechtskräftiger Verurteilung aufgrund eines Verbrechens zwingend und unterschiedslos zu dem Ergebnis kommen würde, dass der weitere Aufenthalt eines Fremden lediglich geduldet und diese Rechtsfolge in Form eines nicht zu durchbrechenden Automatismus gleichheitswidrig sei, so ist auf das nachstehende Erkenntnis des VfGH zu verweisen.

Der Anregung eines Gesetzesprüfungsantrages wurde nicht entsprochen, da der VfGH die geäußerten Bedenken des VwGH sowie des BVwG in seiner Entscheidung vom 08.03.2016, G440/2015, auf Aufhebung des § 9 Abs 2 Z 3 AsylG nicht aufrechterhalten hat. Der VfGH hielt fest, dass mit der Einteilung in Verbrechen und Vergehen § 17 StGB eine grundsätzliche Unterscheidung der Straftaten trifft, durch die „das besondere Gewicht der als Verbrechen geltenden Straftaten ihrer Art nach betont werden“ soll. Über die Bezeichnung dieser Straftaten hinaus – mit „Verbrechen“ wird schon rein sprachlich ein höherer Unwert konnotiert – bringt die Anknüpfung an ein Mindestmaß der Strafdrohung von mehr als dreijähriger oder lebenslanger Freiheitsstrafe sowie die Einschränkung auf Vorsatztaten zum Ausdruck, dass es sich um solche handelt, denen ein besonders hoher Unrechtsgehalt innewohnt. Dementsprechend knüpft die Rechtsordnung verschiedentlich an diese Unterscheidung an.

Es ist dem Gesetzgeber daher nicht entgegenzutreten, wenn er zur Konkretisierung des Begriffs „schwere Straftat“ im Sinne des Art 17 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie auf diese im österreichischen Recht vorgefundene Unterscheidung zurückgreift. Er bewegt sich damit innerhalb der grundlegenden Systematik der Einteilung von Straftaten nach der Schwere ihres Unrechtsgehalts, sodass angesichts dessen der Gesichtspunkt des Gebotes der Angemessenheit einer Sanktion zu den Umständen des Einzelfalls, wie sie aus der im Rahmen der Bedenken wiedergegebenen Judikatur folgt, zurücktreten kann. Angesichts dessen, dass die Kategorie des Verbrechens definitionsgemäß mit strengeren Strafdrohungen bewehrt ist, liegt es im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers, daran auch zusätzliche nachteilige Rechtsfolgen zu knüpfen.

Der VwGH hat in seiner Entscheidung vom 06.11.2018, Ra 2018/18/0295-15, festgestellt, dass vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 13.09.2018, C-369/17, Ahmed, die bisherige Rechtsprechung, wonach bei Vorliegen einer entsprechenden rechtskräftigen Verurteilung zwingend und ohne Prüfkalkül der Asylbehörde eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG stattzufinden hat, nicht weiter aufrecht zu erhalten ist. Vielmehr ist bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG – welcher nach der Intention des Gesetzgebers die Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie umsetzt – jedenfalls auch eine Einzelfallprüfung durchzuführen, ob eine „schwere Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliegt. Dabei ist die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen und eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Es ist jedoch nicht unbeachtet zu lassen, dass auch der EuGH dem in einer strafrechtlichen Bestimmung vorgesehenen Strafmaß eine besondere Bedeutung zugemessen hat (vgl. EuGH 13.09.2018, Ahmed, C-369/17, Rn. 55) und somit die Verurteilung des Fremden wegen eines Verbrechens zweifelsfrei ein gewichtiges Indiz für die Aberkennung darstellt, dieses Kriterium allein jedoch nach den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Aberkennung nicht ausreicht.

Es ist daher zusätzlich zum Kriterium der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens eine vollständige Prüfung sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls vorzunehmen und anhand dieser Würdigung anschließend zu beurteilen, ob dem BF deshalb der ihm zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen abzuerkennen ist. Bei dieser einzelfallbezogenen Würdigung sind auch die konkret verhängte Strafe und die Gründe für die Strafzumessung zu berücksichtigen.

Der EuGH wies in seinem Urteil insbesondere darauf hin, dass die Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie einen Ausschlussgrund darstellt, der eine Ausnahme von der in Art. 18 der Statusrichtlinie aufgestellten allgemeinen Regel bildet und daher restriktiv auszulegen ist. Im Ergebnis ist Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie dahingehend auszulegen, dass er einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ausschließlich anhand des Strafmaßes, das für eine bestimmte Straftat nach dem Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehen ist, davon ausgegangen wird, dass die Person, die einen Antrag auf subsidiären Schutz gestellt hat, „eine schwere Straftat“ im Sinne dieser Bestimmung begangen hat, derentwegen sie von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen werden kann (vgl EuGH 13.09.2018, C-369/17, Ahmed).

Nach der zitierten Rechtsprechung des VwGH und des EuGH ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch der EASO-Leitfaden „Ausschluss: Artikel 12 und Artikel 17 der Anerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU)“ von Jänner 2016 (abrufbar unter: https://easo.europa.eu/sites/default/files/Exclusion-Judicial-Analysis-DE.pdf, in der Folge: EASO-Leitfaden „Ausschluss“) zu beachten, der empfiehlt, dass die Schwere der Straftat, aufgrund deren eine Person vom subsidiären Schutz ausgeschlossen werden könne, anhand einer Vielzahl von Kriterien, wie u.a. der Art der Straftat, der verursachten Schäden, der Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens, der Art der Strafmaßnahme und der Berücksichtigung der Frage, ob die fragliche Straftat in den anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen werde, beurteilt werden solle (vgl. EuGH 13.09.2018, Ahmed, C-369/17, Rn 56; VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0295, Rz 23).

Der EASO-Leitfaden „Ausschluss“ führt zur Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie aus, dass nach dieser Bestimmung eine schwere Straftat begangen worden sein müsse. Geringfügige Delikte, die mit milden Strafen geahndet werden, können nach dieser Bestimmung kein Ausschlussgrund sein (EASO-Leitfaden „Ausschluss“, Punkt 3.2.2, S. 50). In diesem Zusammenhang verweist der Leitfaden auf seine Ausführungen zu Art. 12 Abs. 2 lit. b der Statusrichtlinie unter Punkt 2.2.3.2. Demnach gilt als schwere Straftat ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird. Als Beispiele für schwere Straftaten führt der EASO-Leitfaden „Ausschluss“ Mord, Mordversuch, Vergewaltigung, bewaffneten Raub, gefährliche Körperverletzung, Menschenhandel, Entführung, schwere Brandstiftung, Drogenhandel, Verschwörung zum Zweck der Förderung terroristischer Gewalt und schwere Wirtschaftsverbrechen mit erheblichen Verlusten (z.B.: Unterschlagung) an (EASO-Leitfaden „Ausschluss“, Punkt 2.2.3.2, S. 31 und 32).

Der BF wurde unstrittig wegen mehrfacher Vergehen und der Verbrechen der Vergewaltigung und des Suchtgifthandels verurteilt. Die Verurteilung wegen eines Verbrechens stellt nach der jüngsten Rechtsprechung des VwGH ein gewichtiges Indiz für die Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG dar, auch wenn dies nicht alleine dafür entscheidend ist, ob eine „schwere Straftat“ vorliegt, die im Ergebnis zur Aberkennung dieses Schutztitels führen darf.

Sowohl das Verbrechen der Vergewaltigung als auch des Drogen- bzw. Suchtgifthandels finden im zitierten EASO-Leitfaden Einzug. Im Falle des BF betrug der angedrohte Strafrahmen der Vergewaltigung zum Zeitpunkt der Verurteilung des BF ein bis zehn Jahre, jener des Suchtgifthandels bis zu fünf Jahre, demzufolge die Delikte nach den österreichischen Vorschriften als Verbrechen qualifiziert werden.

Insofern sind diese Straftaten grundsätzlich geeignet, „schwere Straftaten“ darzustellen, die zur Aberkennung des Schutztitels führen können.

Zudem muss angemerkt werden, dass der Strafrahmen des Verbrechens der Vergewaltigung mit 01.01.2020 von einem bis zu zehn Jahren auf zwei bis zu zehn Jahren hinaufgesetzt wurde, was den Unrechtsgehalt betonen soll und dazu führt, dass die Erhöhung des Strafrahmens nach den nationalen Vorschriften sowie die Anführung im genannten EASO-Leitfaden unzweifelhaft dafür sprechen, dass es sich beim Verbrechen der Vergewaltigung um eine „schwere Straftat“ im Sinne der EuGH Rechtsprechung handelt.

Bereits durch die Nennung des Delikts des Drogenhandels als Beispiel besonders schwerer Kriminalität in Art. 83 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wird deutlich, dass unionsweit entsprechende Delikte auch als schwere Straftaten gesehen werden. Daraus ergibt sich deutlich, dass Drogenhandel in den einzelnen Mitgliedstaaten als Delikt angesehen wird und den angesprochenen Rechtsordnungen auch als solches bekannt ist. Auch wenn die Strafrahmen in den jeweiligen Rechtsordnungen variieren, ist bemerkenswert, dass einige Mitgliedstaaten das obere Strafmaß meist noch höher ansetzen als vorgegeben (Rahmenbeschluss 2004/757/JI).

Zusammenschauend ergibt sich, dass auch das im gegenständlichen Fall vom BF begangene Verbrechen des Suchtgifthandels unionsweit als schwere Straftat angesehen und entsprechend strafgerichtlich verfolgt wird.

Bei der Beurteilung, ob es sich hierbei um „schwere Straftaten“ im Sinne der EuGH Rechtsprechung handelt, schlagen zum Nachteil des BF das Zusammentreffen jeweils von einem Verbrechen mit (mehreren) Vergehen, der wiederholte Umgang des BF mit Suchtgift sowie die Tatsache, dass bei der Verurteilung wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels kein einziger mildernder Umstand miteinbezogen werden konnte, was den Rückschluss erlaubt, dass der BF den Unwert seines Verhaltens nicht eingesehen hat. Aus der Urteilsbegründung des LG für Strafsachen Wien, 161 Hv 14/2018m, geht hervor, dass sich der BF bei seiner Vernehmung weitgehend leugnend verhielt und bestritt, seit seiner Haftentlassung Suchtgift erhalten und neu verpackt zu haben. Der BF und weitere Angeklagte verwendeten in Telefongesprächen Codewörter für die Suchtgifte, was für einen professionell organisierten Drogenhandel, der auf Profitmaximierung ausgerichtet ist, spricht. Der BF wurde zudem bereits zuvor wegen Drogendelikten verurteilt, ihm hätte das Unrecht seiner Tat daher erst Recht bewusst sein müssen, der BF entschied sich jedoch erneut bewusst für sein strafrechtswidriges Verhalten und versuchte, die Tat – die jedoch aufgrund der erfolgten Telefonüberwachung der Polizei als erwiesen gilt – während des gesamten Verfahrens zu leugnen.

Aufgrund dieser Erwägungen zeigt sich für das erkennende Gericht, dass der BF Verbrechen begangen hat, die anhand der Prüfung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und bei gebotener restriktiver Auslegung dieses Begriffs als „schwere Straftat“ im Sinn des Art. 17 lit. b der Statusrichtlinie zu qualifizieren sind.

Aus dem EASO-Leitfaden „Ausschluss“ (vgl Pkt 2.5. des Leitfadens) ergibt sich weiter, dass auch das Verhalten der Person nach der Straftat zu prüfen und dann zu entscheiden ist, ob sie des Schutzes würdig ist. Der Leitfaden führt dazu aus, dass unbeschadet früheren Fehlverhaltens das Verstreichen eines gewissen Zeitraums in Kombination mit Zeichen der Reue, Wiedergutmachung und Übernahme von Verantwortung für frühere Taten den Befund rechtfertigen kann, dass ein Ausschluss nicht länger gerechtfertigt ist.

Die erste Verurteilung hat in casu nicht etwa ein grundlegendes Umdenken des BF hinsichtlich seines Betragens im Bundesgebiet bewirkt, noch hat sich der BF durch eine längere Zeit des Wohlverhaltens etwa als geläutert erwiesen. Vielmehr kam es zu zahlreichen weiteren strafrechtlichen Verurteilung des BF, teilweise sogar aufgrund der selben Delikte.

Insgesamt betrachtet hat der BF somit schlussendlich weder die Verantwortung für seine Straftaten übernommen, noch eine grundlegende Änderung seines kriminellen Verhaltens im Bundesgebiet vollzogen.

Der BF ist damit des internationalen Schutzes in Form des subsidiär Schutzberechtigten unwürdig. Die Aberkennung des subsidiären Schutzes durch die belangte Behörde in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erfolgte sohin zu Recht, weshalb die Beschwerde hinsichtlich dieses Spruchpunktes als unbegründet abzuweisen war.

5.2.4.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Da mit der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 4 AsylG der Entzug der entsprechenden Aufenthaltsberechtigung verbunden ist, erging auch Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids zu Recht.

5.2.4.3. Zur Unzulässigkeit der Abschiebung:

Mit der Aberkennung nach § 9 Abs 2 Z 3 AsylG ist die Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

5.2.5. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nach Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (in der Folge GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S. 389 (2010/C 83/02), entgegenstehen.

Übertragen auf den vorliegenden Beschwerdefall erfordert ein Unterbleiben einer Verhandlung vor dem BVwG somit, dass aus dem Akteninhalt des BFA die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Da es sich im gegenständlichen Fall – zumal keine Rückkehrentscheidung erlassen wurde – um Rechts- und Wertungsfragen, nicht aber um Tatsachenfragen handelt, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Dem BVwG liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit dem BF mündlich zu erörtern gewesen wäre.

Da der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung somit unterbleiben.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH zur Aberkennung rechtskräftig gewährter Rechte gemäß § 9 AsylG auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 2 Abschiebungshindernis Diebstahl Duldung EuGH gefährliche Drohung Hausfriedensbruch Körperverletzung Nötigung schwere Straftat strafrechtliche Verurteilung Suchtgifthandel Suchtmitteldelikt Verbrechen Vergewaltigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W191.2129738.1.00

Im RIS seit

22.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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